Ich finde es ziemlich abwegig, dass man immer wieder mit dem Hinweis auf den Fall Kevin jetzt irgendwie irgendwelche Behauptungen in den Raum stellen sollte oder könnte! Frau Ahrens, der einzige Punkt, den Sie richtig wiedergegeben haben, besteht darin, dass wir gesagt haben, an den Schnittstellen der verschiedenen Behörden muss die Zusammenarbeit verbessert werden. Das war eine Erkenntnis aus diesem Ausschuss.
(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Mehr Case- manager, weniger Belastung für die Amts- vormünder, das können Sie gern nachlesen!)
Auch das habe ich an der Stelle öffentlich kritisiert! Ich habe auch gesagt, es könne nicht angehen, dass die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt so schlecht zusammenarbeiten. Dabei habe ich überhaupt noch gar nicht den Fall im Detail untersucht, das war noch gar nicht das Thema, sondern allein die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt an der Stelle nicht gut zusammengearbeitet haben, halte ich für kritikwürdig.
Jetzt fordern Sie, Frau Ahrens, mehr Seriosität in der Frage der Kindeswohlbehandlung. Gleichzeitig – und da hat Frau Vogt völlig recht! – bringen Sie hier eine Überschrift in einer Aktuellen Stunde auf, die lautet: „Organisierte Kindeswohlgefährdung stoppen – Chaos im Sozialressort beseitigen.“ Da frage ich mich allen Ernstes, was hat das mit Seriosität zu tun?
Ich beobachte seit dem Untersuchungsausschuss Kindeswohl – und ich kann Ihnen sagen, man hat bei der Untersuchung in tiefe Abgründe unseres Gemeinwesens geschaut –, es ist nicht das Jugendamt, das die Kinder missbraucht, es sind ältere, in der Regel familiennahe Menschen, die Kinder quälen, sie nicht ordentlich behandeln und nicht mit ihnen umgehen können. Dafür gibt es unendlich viele Gründe, sei es Alkoholismus, Drogenmissbrauch oder psychische Erkrankung, und es gibt, wie ich immer sage, mit Sicherheit auch ein paar bösartige Menschen, die Kinder einfach so quälen.
Das Jugendamt – der Casemanager, die Casemanagerin – muss in den Niederungen dieser Gesellschaft herausfinden, was konkret vor Ort passiert. Nun ist es ja nicht so, dass jemand, der Kinder quält, zum Jugendamt geht und sagt: Ich bin Täter! Diejenigen, die so etwas machen, versuchen mit allen Mitteln, ihre Taten zu verschleiern, sie belügen, betrügen und verschleiern. Da ist ein Bein deswegen gebrochen, weil das Kind angeblich aus einem Kinderbett gefallen ist, was offensichtlich gar nicht der Fall war,
und Ähnliches mehr. All das gibt es, mit all dem haben die Casemanager zu tun. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, ich habe einen sehr großen Respekt vor deren Tätigkeit und davor, wie sie ihre Arbeit machen.
Da aber eine Fallanalyse, eine Analytik vor Ort, so kompliziert ist, ist sie auch sehr fehleranfällig, und Fehler werden in dem Bereich gemacht.
Jetzt komme ich zu dem Punkt, der in der Diskussion schon länger behandelt wird: Moderne Jugendämter müssen mit Fehlern positiv umgehen! Man darf nicht sagen, du hast einen Fehler gemacht, und dann gibt es Druck, sondern man muss sagen, woran es gelegen hat, um aus den einzelnen Fehlern konkret zu lernen, das ist eine Frage des Fehlermanagements. Jeder, der sich in der Diskussion um modernere Jugendämter bemüht, wird genau diese Diskussion verfolgen können. Das ist aus meiner Sicht der zweite Punkt gewesen. Es ist ein Fehler gewesen, wie das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft zusammengearbeitet haben, es war aber auch ein Fehler, wie das Ressort anfangs darauf reagiert hat.
Ich bin der Meinung – und da es schon angesprochen wurde, das habe ich bei „buten un binnen“ gesagt –, man hätte sofort sagen können, da ist etwas misslungen, weil offensichtlich etwas misslungen ist, wie Staatsanwaltschaft und Jugendamt zusammengearbeitet haben, wir klären das auf, wir schauen, woran es gelegen hat, und wir verändern das. Dann wäre für mich das Thema an dieser Stelle beendet gewesen. (Beifall bei der SPD)
In dem Ausschuss habe ich damals einen Rechtfertigungsmarathon ohnegleichen erlebt. Alle Akteure traten vor den Ausschuss und sagten, sie hätten eigentlich nichts falsch gemacht, alle hätten immer alles richtig gemacht. Das ist deswegen so verblüffend gewesen, weil zu dem Zeitpunkt die Mutter und der Junge tot waren, und der Ziehvater – es war ja nicht der leibliche Vater, sondern der Ziehvater – in der Forensik saß, und dann sagen alle, sie hätten alles richtig gemacht. Es gibt den starken Hang, nicht einzugestehen, dass Fehler gemacht worden sind, und das halte ich für eine ziemlich fatale Situation, gerade wenn es um Kindeswohl geht. So gesehen wünsche ich mir also mehr Offenheit gegenüber den Fehlern.
Jetzt aber so zu tun, als gäbe es seit dem Fall Kevin in der Bearbeitung des Kindeswohls keine Verbesserung, finde ich, ehrlich gesagt, sehr infam, vor allem gegenüber den Bemühungen der Sozialsenatorin, aber auch gegenüber der Arbeit des Jugendamts selbst.
Die Diskussion hat mit der Frage nach dem Vieraugenprinzip angefangen, dies ist eingeführt worden, dann ist gesagt worden, wir bräuchten die kollegiale Beratung, auch diese ist eingeführt worden. All die Sachen, die damals im Ausschuss festgestellt worden sind, sind deutlich verbessert worden. Dem Jugendamt ist auch bekannt, dass junge, neue Casemanager noch relativ unerfahren sind und Begleitung brauchen. Deswegen werden Tandems gebildet, in denen erfahrene und nicht so erfahrene Casemanager zusammenarbeiten, damit die unerfahrenen Casemanager Erfahrung sammeln können. All das wissen Sie auch, Frau Ahrens.
Sie haben gedacht, dieses Thema könnten Sie jetzt noch einmal politisieren, aber fordern Sie nicht Sensibilität ein, wenn Sie sie nicht selbst einhalten!
Ich glaube, dass wir dieses Thema niemals beenden werden. Das ist ein Thema, das nie abgeschlossen sein wird, weil wir immer wieder neu schauen müssen, wie wir den Kinderschutz verbessern können. Ich sage Ihnen zu, auch ich werde weiterhin sehr stark daran mitarbeiten. Gerade aufgrund der Erfahrungen des Untersuchungsausschusses Kindeswohl wird man nicht müde, hinsichtlich dieser Frage weiterzuarbeiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bevor ich Frau Ahrens das Wort gebe, sage ich Ihnen noch einmal, wie viel Redezeit die Fraktionen noch haben. Die CDU hat noch drei Minuten, die Grünen haben noch sieben Minuten, DIE LINKE hat noch drei Minuten, und die SPD hat noch sechs Minuten.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem systemischen Fehler zu tun, und genau das hat sich wie ein roter Faden durch meine Rede gezogen.
Ich muss an der Stelle auch sagen, es hätte der Debatte gutgetan, wenn hier von allen Fraktionen die Fachpolitiker gesprochen hätten und nicht von zwei Fraktionen die Fraktionsvorsitzenden.
(Zurufe von der SPD und vom Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hat die De- batte jetzt nach vorn gebracht! – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wenn ich Ihre Rede mit meiner vergleiche, kom- me ich zu einem anderen Ergebnis!)
Ich finde es aberwitzig, wenn die Sozialbehörde sagt, es müsse einen richterlichen Beschluss geben. Es gibt einen richterlichen Beschluss mit einer Durchsuchung, und hinterher bekommt der Casemanager, der als Zeuge vernommen werden soll, keine Aussagegenehmigung zu den Notizen.
Ich finde es schwierig, wenn gesagt wird, dass man mit dieser Aktuellen Stunde dem Casemanager einen Bärendienst erweisen würde,
denn wenn man sich anschaut, was die Casemanager selbst machen und sagen, dann kann man zur Kenntnis nehmen, dass am 3. Februar der Gesamtpersonalrat und der Personalrat des Amtes für Soziale Dienste einen Hilferuf in der Zeitung unter der Überschrift gestartet haben, dass man den Mangel irgendwann nicht mehr verstecken könne, dass es hier definitiv und konkret Probleme im Amt für Soziale Dienste gebe, und diese sind nicht gottgegeben, meine Damen und Herren, sondern sie sind politisch verursacht! Nichts anderes haben wir an der Stelle deutlich gesagt und darauf aufmerksam gemacht. Sie können sich ja gleich noch einmal melden.
Es ist doch ein Hilferuf an die Politik, und zwar von den Casemanagern, die wir angeblich überhaupt nicht im Blick haben, liebe Frau Vogt,
wenn dort aufgezeigt wird, dass im Amt für Soziale Dienste jährlich 1,6 Prozent der Mitarbeiter über die PEP-Quote eingespart werden, wenn dann die Wiederbesetzung vakanter Stellen, wenn es bei Mutterschaft und längerfristigen Erkrankungen nicht mehr anders geht,
ich zitiere aus dem, was dort von den Betroffenen gesagt worden ist, „nach politischer Vorgabe gestaffelt erfolgt“, wenn dann geschaut wird, dass erst einmal amtsintern, dann ressortintern, dann verwaltungsintern und dann irgendwann einmal in der freien Szene ausgeschrieben werden muss, dann weiß man doch jetzt schon, dass man die Mitarbeiter, die man heute braucht, erst in sechs, acht oder neun Monaten hat. Das ist zu spät und politisch verursacht, meine Damen und Herren!
Wenn Sie hier mit der Aussage kommen, dass die fachliche Weisung ja einstimmig beschlossen worden ist, dann sage ich, natürlich ist sie einstimmig beschlossen worden, weil man uns damals versprochen hat, dass mit dieser fachlichen Weisung das Problem gelöst ist, und genau das ist es nicht, das haben Sie selbst festgestellt, liebe Frau Vogt!
Es ist damit nicht gelöst. Wenn die Casemanager sagen, dass sie früher, als das noch über das Amt für Soziale Dienste selbst erfolgt ist, gute, praktikable fachliche Weisungen bekommen haben und sie sich weiterhin solche Gebrauchsanweisungen wünschen, die klar und eindeutig sind, sie jetzt aber aus der senatorischen Behörde nur noch sehr geschwollene fachliche Weisungen bekommen, die sehr stark interpretationsfähig sind, dann ist das nicht mehr eine Gebrauchsanweisung, sondern ein fünfundachtzigseitiger Beipackzettel mit Interpretationsspielraum, und das ist falsch, meine Damen und Herren! Ich sage Ihnen auch, wenn die Praxis zeigt, dass etwas nicht funktioniert, muss man es an der Stelle ändern.
Ich habe von ganz vielen Seiten von Betroffenen deutlich gehört, und eine Schulsozialarbeiterin hat es jetzt auch noch einmal schriftlich niedergelegt, dass der Datenschutz ihnen konkret die Hände bindet.
Sie kommen mit ihrer Arbeit nicht voran. Sie sehen, dass der Datenschutz aufgehoben werden muss, damit sie ihre Arbeit machen können, denn die Betroffenen, die teilweise täglich mit den Kindern vor Ort – wie Kindergarten und Schule – betraut sind, werden bei den Fallkonferenzen nicht zwingend einbezogen, sondern können einbezogen werden, und da verweigert sich teilweise das Amt und sagt: Nein,
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ahrens, es geht mir überhaupt nicht darum, ob das Jugendamt genügend Ausstattung hat oder ob wir nicht noch mehr Amtsvormünder oder Casemanager brauchen. Das haben wir hier oft genug gesagt.