Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Unsere Probleme lösen wir sicherlich nicht mit einem Schweigen, Schönreden oder Aussitzen, sondern wir müssen darüber reden, und wir müssen gemeinsam Ziele im engen Dialog mit der Bremer Wirtschaft vereinbaren, auf welche Weise wir diesen Standort für Unternehmen wieder attraktiver machen können. Daher ist es uns ein besonderes Anliegen, heute mit Ihnen dieses Thema zu diskutieren, und deshalb haben wir die Aktuelle Stunde beantragt.

Für uns Liberale ist Bremen nach wie vor eine Stadt, ein Land mit unheimlich viel Potenzial. Lassen Sie uns also nicht weiter zagen und zögern, sondern unser Bremer Motto wiederbeleben: „Buten un binnen, wagen und winnen“.

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich die Überschrift der Aktuellen Stunde gelesen habe, habe ich gedacht, eigentlich müssten wir sie umbenennen: Statistiken lesen, verstehen, einordnen, Grundkurs.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Was ist eigentlich genau passiert? Die Umsatzzahlen der Industrie aus dem Jahr 2014 sind im Vergleich zu den Umsatzzahlen des Jahres 2012 gesunken. In vielen anderen Städten ist das auch passiert, in München oder in Hamburg ist dies auch passiert, und zwar in einem weitaus höheren Maße. Auf das bundesweite Spitzenjahr 2012 folgte kein weiteres Spitzenjahr, sondern die Entwicklung, die geschildert worden ist. Vielleicht kann der Senator im Lauf der Debatte etwas zur Entwicklung des abgelaufenen Jahres 2015 sagen, um das Ganze noch ein bisschen besser einordnen zu können.

Ich will anmerken – Frau Steiner, Sie haben eben gerade darauf hingewiesen –, dass der Umsatz als alleiniger Indikator nicht ausreicht, um ein Bild unserer heimischen Wirtschaft zu zeichnen. Um ein Fazit ziehen zu können, ist ein Paket aus weitere Indikatoren zu schnüren, ein Indikator ist nicht aussagefähig. Ich nenne einmal ein

Beispiel: Ich glaube, niemand würde jubeln, wenn der Umsatz steigt, aber der Gewinn sinkt.

Eigentlich könnte ich jetzt die Stellungnahme der Handelskammer zitieren und damit meine Ausführungen beenden, wenn Sie nicht gerade, Frau Steiner, in traumwandlerischer Art ein Bild des Standorts und unserer Politik gezeichnet hätten, das mit dem Titel „Steiners Märchenstunde“ zu bezeichnen ist.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie den Satz formuliert hätten, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze gestiegen ist.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Sicherlich können wir den Umfang des Anstiegs diskutieren und dass es eine größere Zahl sein könnte, und zwar immer gern und an jeder Stelle.

Ich hätte mir gewünscht, dass Sie bei den Beispielen, die Sie genannt haben, auf die entscheidenden Faktoren und die Aspekte hingewiesen hätten, nach denen große Firmen Standortentscheidungen treffen. Die Entscheidungen werden nämlich nicht in Bremen getroffen, wie zum Beispiel bei Mondelez und Co., sondern in Konzernzentralen. Wenn ein internatio

nal agierender Konzern Entscheidungen trifft, ist man am Ende des Tages als Senat machtlos. Es ist allerdings unlauter, uns dies heute vorzuwerfen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Natürlich muss auch eine wichtige Firma für den Standort Bremen wie Kühne + Nagel, die uns am Herzen liegt, damit leben, dass wir eine Diskussion darüber führen, wie ein Filetstück der bremischen Innenstadt gestaltet wird. Ich glaube, das kann Kühne + Nagel gut aushalten. Am Ende wird es aus unserer Sicht auch eine vernünftige Lösung geben können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Lassen Sie mich noch kurz zu den weiteren Vorwürfen kommen. Investitionen in Köpfe: Jawohl, genau deswegen haben wir trotz der schwierigen Haushaltslage das letzte Geld zusammengelegt, um weiterhin in den Bereich der Ganztagsschulen zu investieren. Deswegen bauen wir den Kita-Bereich aus. Das werden wir auch in Zukunft tun, weil wir genau wissen, dass das einer der wichtigen Standortfaktoren für uns in Bremen ist.

Die Frage der mangelhaften Ausbildungsfähigkeit ist eine, die immer wieder benannt wird und die – das sage ich jetzt ganz vorsichtig – auch schon sehr lange als Argument ins Feld geführt wird. Ich stelle einen anderen Punkt fest, über den wir vielleicht tatsächlich intensiver diskutieren sollten, nämlich die Frage, warum junge Menschen eigentlich keine Lust mehr haben, eine Ausbildung zu machen. Warum findet also auch eine Flucht ins Studium an einer Hochschule oder Universität statt, und es besteht keine Bereitschaft, eine Ausbildung zu machen, die einen hohen Wert hat und eine hohe Qualifikation vermittelt? Warum schaffen wir es eigentlich nicht, jungen Menschen klarzumachen, dass das eine gute Alternative ist?

SPD und Grüne haben eine klare Strategie in der Entwicklung des Standortes, die im Übrigen – der Hinweis sei gestattet – mit der Handelskammer auch abgestimmt ist. In die Bereiche Luft- und Raumfahrt, Offshore, Logistik, Hafenwirtschaft und Automotive wurden und werden Millionenbeträge am Standort Bremen durch uns investiert. Der Offshore-Terminal Bremerhaven ist wichtig für die Energiewende. Er ist aber eben auch wichtig für den Wirtschaftsstandort. EcoMaT für den Bereich der Innovation und die Förderung des Stadtteilmarketings für die regionale Wirtschaft gehören dazu, um nur einige wenige Punkte zu benennen. Sie tun nach meinem Eindruck am Ende so, als gäbe es das alles nicht.

Als hätte man darauf gewartet, kommt die Flächenfrage hinzu. Wir haben einen Gewerbeentwicklungsplan vorgelegt und beschlossen. Lassen Sie es mich so deutlich sagen. Aus Sicht der grünen Fraktion ha

ben wir ausreichend Gewerbeflächen. Da sind wir bei Herrn Senator Günthner. Wenn wir perspektivisch feststellen, dass diese Gewerbeflächen nicht mehr ausreichen, dann werden SPD und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam weitere Flächen ausweisen. Sie von der FDP möchten aber eben keinen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen. Geht es nach Ihnen, rühren wir zuerst einmal den Beton an und schauen am Ende, wer einzieht. Das halten wir für falsch, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau Steiner [FDP]: Das ist doch Quatsch!)

Die klare Ansage lautet, wir haben Interesse an einem starken Wirtschaftsstandort Bremen. Sie führen hier Gespensterdebatten. Um bei der Flächenfrage zu bleiben, ist es doch auch vollkommen natürlich, dass man sich in einer Stadt mit einer begrenzten Fläche Gedanken darüber macht, wie die unterschiedlichen Interessenlagen miteinander ausgewogen und zueinander gebracht werden können. Wir diskutieren gern darüber, wo wir zusätzlichen Wohnraum schaffen wollen. Sie diskutieren jetzt noch die Frage, wo wir zusätzliche Gewerbeflächen schaffen wollen.

Sie haben vorhin aber auch über die sogenannten Soft Skills gesprochen, also über Faktoren, die auch wichtig für die Menschen in einer Stadt sind. Dazu gehören Grünflächen, Erholungsflächen und Co. Das alles zusammenzubringen, ist die Aufgabe von Politik. Wir haben sowohl mit dem Flächennutzungsplan als auch mit dem Gewerbeentwicklungsplan in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsame klare Zeichen setzen können, meine Damen und Herren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ein Blick in die Hansalinie zeigt, dass das, was an Flächen zur Verfügung gestellt wird, wirkt. Wir haben eine gute Nachfrage. Wir haben in der letzten Sitzung der Wirtschaftsdeputation ohne die Zustimmung der FDP die Ansiedlungsrichtlinien beschlossen. Sie machen noch einmal deutlich, dass wir es gerade der Bremer Wirtschaft ermöglichen möchten, an diesem Standort zu wachsen.

Ich habe das Gefühl, Sie haben hier versucht, ein Thema zu besetzen. Wenn man einmal ein bisschen hinter den Vorhang schaut, bleibt nicht viel davon über. – Insofern danke ich Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir zu sachlichen Debatten zurückkehren. – Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Reinken.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als mich mein Kollege, unser wirtschaftspolitischer Sprecher Andreas Kottisch, gefragt hat,

ob ich diesen Teil der Debatte für ihn übernehmen kann, weil er heute Vormittag in einer dringenden anderen Angelegenheit unterwegs ist, habe ich gesagt, es geht um Industriepolitik, das kann ich wohl machen. Ich hätte jetzt nicht gedacht, Frau Steiner, dass Sie einen derartigen Gemischtwarenladen an Punkten auf- und über uns ausrollen und sozusagen eine Debatte lostreten möchten, bei der einschließlich des Tabellenstandes von Werder Bremen jeder Punkt, der in der Stadt vielleicht nicht ganz richtig läuft, irgendwie genutzt wird, um in dieser Aktuellen Stunde eine Rolle zu spielen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das hat mich verwundert. Sie haben gesagt, wir müssen über Industrie sprechen, weil es eine Statistik gibt. Worüber Sie genau sprechen möchten, habe ich aus Ihrem Beitrag nicht herausgehört. Sie haben gesagt, Sie haben sich intensiv mit der Frage beschäftigt. Wenn Sie sich intensiv mit der Frage befasst hätten, hätte zum Beispiel herauskommen können, wir stellen einen Dringlichkeitsantrag zur Fortschreibung des Masterplans Industrie durch den Wirtschaftssenator und sagen, was uns alles nicht passt und was wir anders machen würden. Das haben Sie aber nicht. Sie haben sozusagen eine allgemeine Erklärung darüber ausgerollt, dass Bremen irgendwie ganz dumm ist und hier nichts vernünftig läuft.

(Beifall SPD – Abg. Frau Steiner [FDP]: Ich glaube, Sie haben nicht zugehört!)

Doch, ich habe sehr genau zugehört!

In Ihrer Pressemitteilung finde ich: „Bürgermeister Sieling soll einen Masterplan Wirtschaft vorlegen, in dessen Zentrum der konsequente Abbau von Arbeitsmarktbürokratie steht.“

Es ist ein Fortschritt, dass die FDP sagt, wir benötigen Pläne im Bereich der Wirtschaft. In dem Fall ist es sogar ein Masterplan.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe in Ihrem Beitrag kein einziges Wort und keinen einzigen Vorschlag dazu gehört, welche Arbeitsmarktbürokratie in Bremen von Ihnen abgebaut werden will/soll/muss, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Ich wüsste auch gar nicht, welche das sein könnte. Sie müssten es aber noch einmal sagen, wenn Sie eine Debatte so begründen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Sie sagen, die Statistik ist nicht der Indikator. Warum dann diese Debatte? Zur Statistik sagt übrigens das Statistische Landesamt, und dem hat sich im Prinzip auch die Handelskammer angeschlossen: „Ein Bedeutungsverlust kann aus der Sicht der Statistik je

doch nicht festgestellt werden. Ab 2013 nahmen die Umsätze wieder spürbar zu. Der Abstand zur bisherigen Bestmarke 2012 ist nicht weit. Auch dürfte das Gesamtergebnis der Umsätze der Industriebetriebe in Bremen und Bremerhaven im Jahr 2015 das Vorjahr nochmals übertreffen.“ Also taugt auch die Statistik nicht wirklich, um eine tief gehende Debatte zu führen.

Dann sprechen Sie in Ihrem Vortrag verschiedene Punkte wie die Gewerbesteuer an. Was meinen Sie denn jetzt konkret? Stellt die FDP im Haushaltsnotlageland Bremen den Antrag, die Gewerbesteuer zu senken? Machen Sie das doch. Dann debattieren wir über Gewerbesteuer, dann haben wir eine Debatte über einen konkreten Punkt und nicht das Gießkannenprinzip. Dann machen Sie das. Sagen Sie, wir beantragen das. Dann diskutieren wir auch über die Problematik, über die Gewerbesteuer im Umlandvergleich und Ähnliches. Dann haben wir aber einen konkreten Punkt und nicht solche allgemeinen Gießkannenerklärungen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Dann sprechen Sie das Thema Kühne + Nagel an. Kühne + Nagel ist mittlerweile geeint. Es gab eine Debatte. Es ist auch klug und vernünftig, dass man so etwas in einer Stadt diskutiert. Mit Ihren Stimmen wurde dem Bauvorhaben von Kühne + Nagel zugestimmt, das habe ich mir sagen lassen. Wo ist also das Problem? Wo gibt es einen Grund dafür, eine öffentliche Diskussion über Kühne + Nagel, die man ja wohl nicht verbieten kann, zum Beweis dafür zu nehmen, dass Bremen wieder am Ende der Fahnenstange steht?

Das sind alles Punkte, die ich im Rahmen einer solchen Debatte schräg finde. Ich war im letzten Frühjahr auf einer Veranstaltung von i2b zum Thema Automotive in Bremen. Dort hatten wir eine ähnliche Situation. Im Rahmen des Podiumsabschlusses hat der Vertreter der Handelskammer eine ähnliche Rede wie Sie darüber gehalten, was in Bremen alles ganz schrecklich und schlecht ist. Dann kam der Werksleiter von Mercedes. Er hat gesagt, wir sollen endlich aufhören, über das zu sprechen, was in Bremen alles schlecht ist, sondern wir müssen über die Chancen sprechen, die wir in Bremen haben und darüber, wie wir die Chancen zusammenbringen, wie wir die vielen Potenziale in Bremen entwickeln, statt ständig dieses Gejammer zu zeigen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das dazu. Dann möchte ich ein paar Punkte zur Statistik nennen, weil es um eine Sache geht. Wenn man über Statistiken sprechen möchte, dann ist man bei den Interpretationen. Was sind bei einer Statistik zum Beispiel die Indikatoren? Was sind die relevanten Zeiträume? Was sind die Abgrenzungen zu diesen Feldern?

Man muss auch da vorsichtig sein, damit es nicht zu einer Instrumentalisierung kommt. Richtig ist, dass wir in der Bundesrepublik einen grundlegenden Wandel haben: Das verarbeitende Gewerbe geht zurück, und die Bedeutung von Dienstleistungen wächst. Das ist in Bremen auch nicht anders, und man kann es an der entsprechenden Statistik ablesen. Reicht das, um daraus irgendwelche Schlüsse ziehen zu können, oder mindert das die Bedeutung der Industrie?