Wir Freien Demokraten verteidigen unsere Bürgerrechte und geben sie nicht aus purer Hilflosigkeit auf. Wir lassen es nicht zu, dass Sie den Leuten einreden, dass die Vorratsdatenspeicherung auch nur zu ein bisschen mehr Sicherheit führen würde. Das ist schlichtweg falsch.
Sie streuen wider besseres Wissen den Menschen Sand in die Augen, denn weder die Terrorakte am 11. September 2001 in New York und in Washington beziehungsweise in anderen Städten der USA noch die Angriffe in London vom 7. Juli 2005 konnten durch eine Vorratsdatenspeicherung, die zu den Zeitpunkten in den Ländern existierte, verhindert werden. Das Massaker in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo und die feigen Morde am 13. November konnten durch die seit 2006 massenhaft stattfindende Speicherung von Verbindungsdaten in Frankreich nicht verhindert werden, wie wir alle schmerzvoll erfahren mussten.
Wir Freie Demokraten sprechen uns strikt dagegen aus, jeden Bürger unter Generalverdacht zu stellen.
Genau weil wir das tun, klagen viele unserer Mandatsträger gegen dieses Gesetz, gegen diesen Angriff auf unsere Freiheit. Am 27. Januar 2016 wird die Klage in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden. Der rot-grüne Senat sollte sich wie einige unserer Mandatsträger verhalten, er sollte unsere Freiheit ebenfalls verteidigen und Farbe bekennen.
Es geht darum, unsere Sicherheit zu verteidigen, aber keine Scheinlösungen zu präsentieren, Scheinlösungen, in dem man Rechte immer mehr einschränkt, Gesetze verschärft und nicht genügend Menschen hat, Polizistinnen und Polizisten hat, die die Rechte umsetzen können, denn echte Sicherheit schafft man nur mit ausreichend vorhandenen Polizeikräften. Das haben wir eben diskutiert. Wir werden das Thema weiterhin im Haushalts- und Finanzausschuss debattieren können.
Es geht eben nicht, dass man den Menschen Sand in die Augen streut und einfach erklärt, wir haben eine Lösung, obwohl sie keine ist. Es ist bewiesen, dass die Vorratsdatenspeicherung dabei hilft, vielleicht das eine oder andere im Nachhinein aufzuklären, aber sie ist auf keinen Fall dazu geeignet, Straftaten zu verhindern. Deswegen geht es uns darum, dass die Grundrechte nicht weiter eingeschränkt werden. Derjenige, der das will, braucht dafür gute Gründe. Für die beabsichtigte Einschränkung gibt es keine guten Gründe.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Buhlert, Sie haben einen Antrag eingebracht, der mich – gelinde gesagt – etwas erstaunt. Ich hoffe, dass Sie mir die Gründe, die Sie zur Antragstellung bewogen haben, in Ihrem zweiten Redebeitrag erklären können.
Ich möchte von Ihnen zuerst wissen, weil das für meine Argumentationsweise sehr wichtig ist, ob wir über den Antrag mit der Drucksachen-Nummer 19/143 in der Fassung reden, in der er am 16. 11. 2015 vorgelegt worden ist. Ist das der Antrag, den wir jetzt beraten?
Ich weiß nicht, ob die FDP sicher ist, wie sie sich verhält. Die FDP weiß nämlich nicht, ob sie ihren Antrag auf eine Normenkontrollklage auf Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 2 a stützen soll. Deswegen stellt sie hier einen Antrag, der sicherheitshalber beide Varianten beinhaltet.
Jetzt wird es ein bisschen juristisch, und dafür bitte ich im Voraus die Kolleginnen und Kollegen schon jetzt um Entschuldigung, die kein Jurastudium absolviert haben.
Ich selbst habe auch ein bisschen länger gebraucht. Ich hoffe, dass Herr Dr. Buhlert mir nachher erklären kann, aus welchen Gründen meine Auffassung nicht zutreffend ist. Ich bin eigentlich relativ sicher, dass ich die richtige Rechtsauffassung vertrete, aber vielleicht irre ich mich, und ich lerne heute noch etwas dazu.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet unzweifelhaft gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 – ich zitiere auszugsweise – „bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze... auf Antrag einer Landesregierung..., soweit gemäß Paragraf 76 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Landesregierung“ – von der Sie von der FDP wollen, dass sie gegen das Gesetz vorgeht – „Bundesrecht wegen seiner förmlichen oder sachlichen Unvereinbarkeit mit diesem Grundgesetz... für nichtig hält.“
Ich muss jetzt noch etwas tiefer in den juristischen Bereich eintauchen, tut mir leid! Es gibt eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Zu diesem Bereich gehört die Rechtssetzung auf dem Gebiet des Postwesens und der Telekommunikation nach Artikel 73 Absatz 1 Nummer 7 des Grundgesetzes. Außerdem gibt es den Bereich des Strafrechts, der nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes der konkurrierenden Gesetzgebung zuzuordnen ist. Der Bund ist hier zuständig, und die Länder dürfen nur dann Gesetze erlassen, wenn der Bund es nicht getan hat. Der Bund hat das Strafrecht aber in einem Bundesgesetz geregelt.
Bitte korrigieren Sie mich, wenn das falsch ist! Bezweifelt hier irgendjemand, dass das Strafgesetzbuch oder vielleicht die Strafprozessordnung ein Bundesgesetz ist?
(Zurufe: Nein! – Abg. Hinners [CDU]: Keineswegs! – Abg. Professor Dr. Hilz [FDP]: Wir sind hier doch nicht in einer Vorlesung! – Abg. Senkal [SPD]: Wenn ich gewusst hätte, dass Jura so leicht ist, dann hätte ich es auch studiert!)
Niemand hier im Hause erhebt Zweifel! Soweit ich das erkennen kann, liegen also alle Regelungen, die das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorsieht, in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Abgehakt!
Die FDP stellt aber auch den Antrag, gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 a des Grundgesetzes eine abstrakte Normenkontrolle zu erheben. Gemäß Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 a entscheidet das Bundesverfassungsgericht jedoch bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Absatz 2 des Grundgesetzes entspricht.
Der Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes stellt wiederum auf die ausnahmsweise Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ab und verweist auf eine abschließende Aufzählung in Artikel 74 des Grundgesetzes, der in unserem Fall eindeutig nicht einschlägig ist. Dort geht es um rechtliche Regelungen, die der Bund im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gar nicht trifft, beispielhaft sind das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer oder die öffentliche Fürsorge zu nennen. Die FDP fordert den Senat in ihrem Antrag möglicherweise zu einer Handlung auf, die der Senat nicht vornehmen kann, weil die Rechtsgrundlage Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 a des Grundgesetzes gar nicht einschlägig ist.
Außerdem soll der Senat nach Paragraf 16 Nummer 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die abstrakte Normenkontrolle erheben. Den Paragrafen 16 Nummer 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes gibt es gar nicht. Gemeint ist wahrscheinlich der Paragraf 13 Nummer 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, der sich tatsächlich – man wundert sich – auf Artikel 93 Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes bezieht. Diesen Artikel haben wir gerade eben bereits besprochen.
Liebe FDP, wenn ich nicht ganz falsch liege – ich glaube, dass ich bisher einigermaßen richtig liege –, dann reicht ihr juristisches Verständnis nicht zur Formulierung eines korrekten Antrags für die Bremische Bürgerschaft.
Sie wollen aber sicher beurteilen können, ob die komplizierten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform sind, also wirklich!
Nur und ausdrücklich für den Fall, dass Sie es gleich schaffen, mir zu erläutern, dass ich verstehe, dass das der richtige Antrag ist und meine Auffassung nicht zutrifft, komme ich gern in der zweiten Runde wieder, erkläre Ihnen, aus welchen Gründen wir das Gesetz für verfassungskonform halten und deshalb Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Grotheer, das war mehr als erheiternd, das war eine juristische Lehrstunde. Ihre Ausführungen waren für jemanden, der nicht Jura studiert hat, sehr erhellend. Es war angenehm, Ihnen zu lauschen, auch wenn ich das eine oder andere nicht verstanden habe, denn ich kann mir die vielen Artikel und Paragrafen nicht merken, selbst wenn sie mir schriftlich vorliegen.
Herr Dr. Buhlert, aus meinen bisherigen Ausführungen können Sie entnehmen, dass ich die Auffassung meiner Kollegin teile, obwohl wir es uns nicht leicht gemacht haben. Er ist, glaube ich, gerade nicht anwesend und wälzt das Grundgesetz.
Ich möchte gern auf den Inhalt Ihres Antrags eingehen, denn der Inhalt ist für uns Grüne bis auf den Beschlussteil nicht falsch. Die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose massenhafte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger ist für uns Grüne die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik. Wir lehnen die anlasslose Massenüberwachung aller Bundesbürger weiterhin ab.
Wir werten die anlasslose Massenüberwachung der Telekommunikationsverbindungsdaten weiterhin als einen Angriff auf die Grundrechte. Es sind mittlerweile zahlreiche Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingegangen, erst heute ist erneut die Klage von einer Initiative eingereicht worden. Das zeugt davon, dass sich das Bundesverfassungsgericht wieder mit der Thematik beschäftigen wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit die Umsetzung der EU-Richtlinie für nicht verfassungskonform erklärt. Es stellt in seinem Urteil auch klar, dass die Streubreite der Überwachungsmaßnahmen sehr tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Der Europäische Gerichtshof hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung für mit den EUGrundrechten unvereinbar und damit für nichtig erklärt.
Die Vorratsdatenspeicherung stellt, wie eben schon erwähnt, alle Bürgerinnen und Bürger unter einen Generalverdacht. Die Haltung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist somit auch der Gradmesser für den Umgang mit unseren Bürgern und unseren Grundrechten.
Noch einmal zu Ihrem Antrag! Kollege Buhlert, meine Kollegin Grotheer hat ausführlich erklärt, aus welchen Gründen wir den Beschlussteil Ihres Antrags ablehnen. Ihr Parteivorsitzender, Herr Lindner, hat am Tag, als der Deutsche Bundestag die Vorratsdatenspeicherung beschlossen hat, gesagt, die FDP werde dagegen klagen.