Protokoll der Sitzung vom 21.01.2016

(Abg. Janßen [DIE LINKE]: Koalitionsvertrag? – Zu- ruf Abg. Professor Dr. Hilz [FDP])

Ich halte das Gesetz für richtig. Es ist deutlich restriktiver als das, was vorher vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben worden ist. Dieses Gesetz sieht im Vergleich zur alten EU-Richtlinie und zum alten Gesetz sehr viel kürzere Speicherfristen vor. Es werden weniger Daten gespeichert als jemals zuvor. Die Voraussetzungen für den Abruf der Daten sind strenger.

(Glocke)

Erlauben sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Janßen?

Ja, wenn er seine Frage in einem Satz formulieren kann, denn es ist meine Redezeit!

Herr Janßen, Sie haben das Wort!

Wie stehen Sie zu Ihrer Aussage zur Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag?

Sie wissen sehr gut, dass die Vorratsdatenspeicherung durchaus auch in meiner Partei nicht unumstritten ist. Meine Partei hat eine sehr lange und sehr intensive Debatte zur Vorratsdatenspeicherung geführt, und Sie werden auch in meiner Fraktion Abgeordnete finden, die eher der einen oder eher der anderen Meinung zuneigen. Deswegen haben wir uns gemeinsam mit den Grünen darauf verständigt, an dieser Stelle den vorgelegten Antrag abzulehnen. Ich glaube, dass das Gesetz die verfassungsrechtliche Hürde nehmen wird. Geschieht dies nicht, werden wir uns zu gegebener Zeit erneut mit der Thematik befassen müssen. Trotzdem bleibe ich dabei, dass die gefundenen Regelungen an vielen Stellen meines Erachtens verfassungskonform sind und bei der Bekämpfung von Straftaten helfen.

(Beifall SPD, CDU)

Möglicherweise wird nicht jede gefundene Regelung Straftaten verhindern. Ich erlaube mir aber an dieser Stelle den Hinweis, dass das Strafgesetzbuch an keiner Stelle irgendeine Straftat verhindert, sondern lediglich dazu dient, die hinterher ermittelten Täter entsprechend verurteilen zu können. Deshalb fordert auch in diesem Hohen Hause – ich mag mich irren – bisher niemand die Aufhebung des Strafgesetzbuchs.

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Nein, aber es werden immer höhere Strafen von Menschen gefordert, die glauben, damit mehr Verbrechen verhindern zu können!)

Ich glaube, wir hatten gestern eine sehr interessante Debatte, Herr Rupp, in der auch Mitglieder Ihrer Fraktion in wenigen Punkten die Verschärfung des Strafrechts gefordert haben, von denen sie glaubten, dass es dort erforderlich sei.

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Das hat doch keiner gesagt!)

Es ist also keinesfalls so, dass Sie an keiner Stelle die Strafverfolgung diskutieren, sondern immer nur dann, wenn es Ihnen gefällt. Sie haben wahrscheinlich andere Prioritäten als die Mehrheit in diesem Saal.

(Zuruf Abg. Frau Vogt [DIE LINKE])

Im Augenblick habe ich das Wort, Frau Vogt, aber nicht Sie!

Deswegen werden wir uns sicher in diesem Punkt inhaltlich nicht einigen können. Wer die richtige Rechtsauffassung vertritt, mag das Bundesverfassungsgericht das Gesetz am Ende beurteilen. Ich kann das aushalten, denn ich glaube, dass das die Demokratie nicht nur aushalten kann, sondern gerade dazu aufruft. Wir werden dieses Thema vielleicht in zwei Jahren erneut aufrufen, dann wird die eine oder andere Seite sagen, seht ihr, wir hatten recht, und dann werden wir eine neue Debatte führen.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Strunge.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich mich gar nicht mehr zu Wort melden, aber nach dem Beitrag von Frau Grotheer habe ich mich anders entschieden.

Bitte korrigieren Sie mich, wenn meine Auffassung nicht zutreffen sollte! Nach meinem Kenntnisstand steht in Ihrem Koalitionsvertrag, ich glaube, auf Seite 111, dass Sie sich gegen eine anlasslose Telekommunikationsüberwachung aussprechen. Für mich bedeutet das, das ist die Vorratsdatenspeicherung.

Außerdem gibt es einen Beschluss des Landesvorstands der SPD aus dem Jahr 2012, in dem sich der Landesvorstand ebenfalls eindeutig gegen die Vorratsdatenspeicherung ausspricht. Es mag ja sein, dass das nicht Ihrer Haltung entspricht, aber trotzdem interessiert es mich, aus welchen Gründen man einen Koalitionsvertrag aushandelt, wenn dieser Punkt für Sie plötzlich nicht mehr relevant ist. Das überrascht mich sehr.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Ich möchte noch einmal betonen, dass es mir hier vor allen Dingen um eine inhaltliche Diskussion darüber geht, ob wir für oder gegen eine Massenüberwachung von Menschen in Deutschland sind oder nicht. Aus diesem Grund stört mich einfach der Rückzug auf eine ausschließlich juristische Argumentation. Ich finde, dass diese Vorgehensweise nicht richtig ist.

Ich bitte darum, dass der Antrag der FDP-Fraktion überwiesen wird, damit eine detaillierte juristische Bearbeitung des Sachverhalts erfolgen kann! – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Zu einer Kurzintervention hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte hier nur Folgendes klarstellen: Ich habe gestern tatsächlich gefordert, dass das Sexualstrafrecht reformiert wird, und zwar aus ganz dringenden Gründen. Ich bin, ehrlich gesagt, erschrocken, dass Sie sagen, dass eine Mehrheit im Hause besteht, die das nicht will.

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Das habe ich so nicht ge- sagt!)

Ich hoffe, dass wir den Schutz der Frauen vor Sexualstraftaten hochhalten. Sie haben eben gesagt, dass

Sie das anders bewerten würden. Darum geht es mir aber gar nicht.

Der Unterschied zwischen der Vorratsdatenspeicherung und einer Strafrechtsreform ist etwas grundsätzlich anderes. Bei einer Strafrechtsreform werden konkrete Straftatbestände geregelt, aber nicht die Datenspeicherung für eine Vielzahl von Bundesbürgern oder anderen Bürgern, die in diesem Land leben – es müssen ja nicht nur deutsche Staatsangehörige sein –, ohne dass ein Tatverdacht besteht. Das ist etwas grundsätzlich Anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort Staatsrat Professor Stauch.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich noch einmal sagen, um welchen Gegenstand es geht. Die Bürgerschaft entscheidet ja heute nicht über das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Das kann sie wohl auch nicht!)

Nein, dafür ist die Bremische Bürgerschaft nicht zuständig. Der Gegenstand, um den es sich heute handelt, ist die Frage, ob der Senat verpflichtet werden soll, einen Prozess zu führen. Ich bin in meinem Leben 28 Jahre lang Richter gewesen und führe gern Prozesse, sofern sie aussichtsreich sind. Das Minimum ist – wenn einem solchen Antrag gefolgt werden soll –, dass man sich über die Erfolgsaussichten dieses Verfahrens Gedanken macht und sich noch einmal die Frage stellt, worum es geht.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Hat Frau Grotheer aus- führlich begründet!)

Es geht auch nicht um die Zweckmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung, es betrifft allein die Frage, ob denn die Vorratsdatenspeicherung, so wie der Bundesgesetzgeber das entschieden hat und wie es seit Dezember in Kraft ist, ob diese bundesgesetzliche Regelung, die ein anderes Parlament entschieden hat, verfassungswidrig ist. Also, das setzt voraus, dass ich mich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung sowie mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 noch einmal beschäftige, in der zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen eine Menge gesagt wurde.

Des Weiteren setzt es vielleicht auch voraus, dass man noch einmal in das Gesetzgebungsverfahren hineinschaut. Da sind Sachverständige auch zu der Frage der Verfassungsgemäßheit dieser Regelung angehört worden. Dazu möchte ich etwas vortragen, dann kann

man vielleicht auch sagen, ob es sinnvoll ist, ein solches Verfahren zu machen, ob es sinnvoll ist, dass man auch den Senat dazu verpflichtet.

(Präsident Weber übernimmt wieder den Vorsitz.)

Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es eine Frage der Verhältnismäßigkeit ist. Wenn ich die Provider durch die richterliche Entscheidung verpflichte, Daten vorzuhalten, auf die nachträglich zugegriffen werden kann, dann ist es eine Frage der Verhältnismäßigkeit, da muss abgewogen werden, auf der einen Seite zwischen dem Recht der Bürger – es geht um einen Eingriff in die Freiheit der Telekommunikation und nicht um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, was hier gesagt wurde, das ist nicht richtig, es geht um Artikel 10 Grundgesetz –, und auf der anderen Seite geht es um die Frage von Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr. Die Frage der Gefahrenabwehr ist gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes, hier geht es nur um die Frage der Abwägung der Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse der Bürger, sozusagen nach Artikel 10 Grundgesetz nicht berührt zu werden.

Ich möchte einen Absatz aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genau zu dieser Frage vorlesen. Das Bundesverfassungsgericht sagt zu dieser Abwägung, zu der Frage der Verhältnismäßigkeit: „Eine vorsorgliche anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten zur späteren anlassbezogenen Übermittlung an die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden darf der Gesetzgeber zur Erreichung seiner Ziele als geeignet ansehen.“ So das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010, und dann sagen sie etwas weiter später:

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Vor EuGH!)

„Dies erfordert nicht, dass das Regelungsziel in jedem Einzelfall tatsächlich erreicht wird, sondern verlangt lediglich, dass die Zweckerreichung gefördert wird.“ Das ist der verfassungsrechtliche Maßstab, der vorgegeben wird.

Jetzt muss man sich anschauen, wie das denn bisher mit der Aufbewahrung der Daten bei den Providern ist. Bisher gibt es gar keine Höchstpflichten. Die Provider könnten diese Daten jahrelang aufbewahren.

Dieses Gesetz regelt auch Höchstfristen für die Aufbewahrung bei den Providern. Nach zehn Wochen ist Schluss, sie werden dann auch verpflichtet, diese Daten zu vernichten. Diese Regelung gibt es bisher nicht. Wir haben den Paragrafen 100 g der Strafprozessordnung, der auch jetzt immer wieder den Zugriff auf diese Daten ermöglicht. Wir haben Strafprozesse mit allen Möglichkeiten, die viel weiter gehen als das jetzt in Kraft getretene Gesetz. Wenn man das aufheben würde, könnte man beständig auf diese Daten zugreifen. Wenn sie es ein Jahr oder zwei Jahre lang speichern, wären die Daten noch vorhanden.

(Abg. Hinners [CDU]: Das war früher auch so!)

Man muss sich also im Grunde die Frage stellen, ob die Position nicht vielleicht sogar verbessert wird.

Ich habe im Ganzen Bedenken, ob man wirklich so deutlich von der Verfassungswidrigkeit ausgehen kann, denn auch der Zugriff auf diese Daten ist geknüpft daran, dass es um die Verfolgung schwerer Straftaten geht, wie Mord, Totschlag, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Das ist der Katalog von Straftaten, und es ist auch genau das, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im Jahr 2010 verlangt hat. Diese Fragen muss man also zugespitzt entscheiden.