Es gibt mehr Geld als früher, aber mehr Geld als früher ist nicht das Maß! Das Maß ist: Wie viel brauchen wir, um dort eine vernünftige Arbeit machen zu lassen für die Zukunft und für die Jugendlichen, die dort hingehen?
Ich wollte noch einsagen, warum ich nicht nur einen finanzpolitischen Grund habe: Meine Partei, meine Fraktion stellt auf jeden Fall die Lebensbedingungen
Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 20. (außerordentliche) Sitzung am 04.05.16 1487
der Menschen in diesem Bundesland in den Mittelpunkt des Interesses, und ihre Lebenslage ist das, was uns fordern lässt, nicht unser eigener Stolz, sondern diese Menschen. Wir nennen es Solidarität, Christen würden es Nächstenliebe nennen. Denn wir müssen Armut bekämpfen; wir müssen dafür sorgen, dass die hohe Sockelarbeitslosigkeit sinkt! Wir müssen dafür sorgen, dass Alleinerziehende hier eine Perspektive haben! Wir müssen dafür sorgen, dass es mehr Ausbildungsplätze gibt! Wir müssen dafür sorgen, dass Flüchtlinge in diesem Land integriert werden! Deswegen muss meines Erachtens Armut bekämpft werden.
Betrachtet man einmal die letzten Jahre, legt neben den Sanierungspfad die Indikatoren für Armut in Bremen, muss man doch unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass unter den Bedingungen des Sanierungspfads Armutsbekämpfung nicht möglich ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden so etwas machen, denn es hat keine Verbesserung unter den Bedingungen des Sanierungspfads gegeben. Deswegen sage ich: Es gibt eine Wahl, wir sind an einem Scheideweg. Entweder entscheidet man sich für eine Fortsetzung des Sanierungspfads, dann entscheidet man sich gegen eine wirksame Armutsbekämpfung, oder man entscheidet sich gegen den Sanierungspfad und für eine vernünftige Armutsbekämpfung. Ich sage: Meine Fraktion steht für Letzteres, für eine Armutsbekämpfung, die den Namen verdient, die Menschen aus Armut herausführt! Wir wollen uns nicht abhängig machen vom Knebelvertrag eines Sanierungspfads. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen! Seit 48 Stunden liegt uns als Opposition ja nun dankenswerterweise endlich der Haushaltsentwurf und daran gekoppelt gleich das Gutachten eines durchaus angesehenen Professors der LMU München vor. Wie sollen wir das eigentlich verstehen? Ist das gleich eine Art Entschuldigung dafür, dass Sie den Konsolidierungspfad verlassen? Oder ist es sogar eine bestätigte Rechtfertigung, bevor wir überhaupt darüber gesprochen haben? – Das hat aus unserer Sicht hier definitiv „ein Geschmäckle“.
Fakt ist: Dieser Haushaltsentwurf belastet definitiv das Verhältnis zum Bund und vor allem auch zu den anderen Ländern massiv. Sie verlangen, dass sich der Bund an seine Vereinbarung hält und weiterhin jährlich 300 Millionen Euro überweist, liefern aber sel
ber nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Die Grenze der Neuverschuldung wird um 272 Millionen Euro überschritten, und die Rechtfertigung dafür gibt es gratis gleich dazu, sogar gleich die Möglichkeit der Klage – wie es in dem Gutachten steht –, wenn der Stabilitätsrat es eben doch anders sehen sollte als von Ihnen kalkuliert. Ich kann, ganz ehrlich, unseren Finanzminister Schäuble verstehen, dass er darüber nicht wirklich begeistert ist.
Seien wir doch mal ehrlich: Unter dem Deckmantel der Flüchtlingskrise bereiten Sie die Abkehr vom Konsolidierungskurs vor, und in Ihrer eigenen mittelfristigen Finanzplanung steht es rot auf weiß: Auch ohne die Kosten der Flüchtlingskrise können Sie ab 2018 die Schuldenobergrenze nicht mehr einhalten. Bei aller Nächstenliebe und auch Verständnis für die Sondersituation, die wir absolut verstehen; es ist auch verständlich, dass man darüber nachdenkt, diese Flüchtlingskosten herauszurechnen. Liebe Koalitionäre, wir befinden uns auch in Zeiten der Nullzinsphase, in Zeiten der Rekordsteuereinnahmen und in Zeiten der Rekordbeschäftigung, und auch das gehört zu dieser Wahrheit dazu. Auch das ist eine Sondersituation, und wann, wenn nicht jetzt, können wir diese positiven Zeichen für uns nutzen, um Bremens Eigenständigkeit zu sichern?
Genau darum geht es nämlich, um die Eigenständigkeit unseres schönen Bundeslandes Bremen, und die ist in großer Gefahr, wenn Sie ab 2018 keine Konsolidierungshilfen vom Bund mehr bekommen, weil Sie die Defizitobergrenze nicht einhalten können. Da nützt Ihnen auch kein Gutachten oder die Anerkennung der Flüchtlingskrise als Sondersituation, sondern hier geht es wirklich darum, dass Sie Ihren Kernhaushalt auch dann nicht in Ordnung halten können, wenn die Flüchtlingskrise herausgerechnet wird. Zudem übrigens gibt Berlin mit 50 000 Flüchtlingen 600 Millionen Euro aus, und wir mit 12 500 Flüchtlingen lagen bei 316 Millionen Euro. Da fehlt jegliche Relation, zumal wir wissen, dass die Flüchtlingszahlen, jedenfalls vorübergehend, zurückgehen werden.
Ich schließe mich Ihrer Meinung an, dass uns die Flüchtlingskrise vor eine enorme Herausforderung stellt – absolut. Auch deswegen ist es bemerkenswert und muss, finde ich, an dieser Stelle erwähnt werden, wie Anja Stahmann es mit ihrem Team und vor allem auch den ehrenamtlichen Helfern eben ohne riesige Budgets geschafft hat, die Menschen bei uns aufzunehmen und auf schnellstem Wege zu integrieren.
Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 20. (außerordentliche) Sitzung am 04.05.16 1488
Wir haben nur auch in Bremen seit Jahren eine immer stärker werdende Schicht von Transferhilfeempfängern – Herr Röwekamp, Sie haben es angesprochen, wie schlecht sich die Zahlen da entwickelt haben –, die eben auch massiv unter dem fehlenden Wohnungsbau der vergangenen Jahre, unter zu wenigen integrierenden Arbeitsplatzangeboten und unter der Haushaltsnotlage leiden. Was sollen die denn nun denken? Dass auf einmal Milch und Honig fließen, aber sie bekommen davon nichts ab? – Das, befürchte ich, ist Nährboden für die radikalen Alternativen!
Dieser Haushaltsentwurf zeugt von Kreativ- und Disziplinlosigkeit für echte Aufgabenkritik. Neue Wagnisse kann ich darin auch nicht erkennen. Übrigens kann man auch durch eine Prozessoptimierung und keine automatische Nachbesetzung von Stellen sparen, und umso erschreckender ist es, dass die Investitionsausgaben nach wie vor weit unter den Zinsausgaben liegen, obwohl wir in der Nullzinsphase sind. Vor allem ist erschreckend, dass die Ausgaben noch weit unter dem Vorkrisenniveau 2008/2009 liegen, obwohl wir dies wirtschaftlich bei Weitem wieder erreicht oder zum Teil sogar überschritten haben.
In unseren Augen nutzen Sie diese Niedrigzinsphase zur Refinanzierung aus, ohne auch nur einen Pfennig an den Bürger, der überhaupt keine Chance mehr zu sparen hat, zurückzugeben. Dann wird noch nicht einmal für Bremens Bürger investiert, sondern nur eine Neuverschuldung produziert, unter der kommende Generationen noch extrem leiden werden!
Ich habe den Eindruck, Sie haben weder den Mut noch die Kraft, wirklich etwas zu bewegen und zu verändern.
Lieber Herr Bürgermeister Dr. Sieling, ich habe mich gefreut, als Sie, vor allem als bekannter Finanzexperte, von Berlin nach Bremen gekommen und Bürgermeister geworden sind. Aber dass Sie sich jetzt darauf verlassen, dass Schäuble dem Vorschlag der Ministerpräsidenten zum Länderfinanzausgleich zustimmt, und bis dahin einfach so weitermachen, empfinde ich persönlich als fahrlässig. Bremen braucht einen weitsichtigen Bürgermeister und eben kein Phantom von Bremen, das besonders dadurch in Erscheinung tritt, Botschafter zu begrüßen, Cheerleader zu begrüßen, bunte Luftballons steigen zu lassen und tolle Empfänge zu veranstalten!
Es scheint das Werk eines Verpackungskünstlers, das von den eigentlichen Herausforderungen wie unzureichender Bildung, sich verfestigender Armut und steigender Kriminalität ablenkt. Ich kann mich noch
gut an die Zeit erinnern, als wir hier über das Sicherheitsgefühl im Land Bremen gesprochen haben. Wir haben eine Erhöhung und vor allem die Erfüllung der Zielzahl von 2 600 Polizisten für Bremen und 486 für Bremerhaven gefordert. Wir wurden von Ihrer Finanzsenatorin abgekanzelt, das sei ein LobbyAntrag. So wird hier mit den Gefühlen und Sorgen von Bürgern umgegangen! Keine zwei Monate später werden Stimmen aus der Koalition laut, wir brauchten nun endlich rund 2 600 Polizisten in Bremen. Wie schön, dass auch Sie zur Einsicht gekommen sind! Mir ist es im Prinzip egal, wer sich dafür feiert – Hauptsache, es wird angegangen. Im Übrigen stehen wir beim Thema innere Sicherheit noch am Anfang.
Mit der Erreichung der Zielzahl ist es noch lange nicht getan. In unserer schönen Stadt gibt es nach wie vor noch Gebiete, die man nicht frohen Muts betreten kann. Die Gegend rund um den Bahnhof wurde gefühlt von der Polizei aufgegeben und scheint zum rechtsfreien Raum zu mutieren.
(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist jetzt wirklich nicht wahr! Da ist so viel Polizei!)
So weit darf es auf gar keinen Fall kommen! Wir müssen jetzt gegensteuern, und wir müssen Wege schaffen, dass wir wieder mit gutem Gefühl abends Straßenbahn fahren und dabei entspannt auch zwischen einer Gruppe junger Männer sitzen können. Sicherlich spielt die Zielzahl dabei eine große Rolle. Wir brauchen wieder mehr sichtbare Polizisten, eben eine Polizei zum Anfassen, den berühmten Freund und Helfer. Es gibt nach wie vor unheimliches Optimierungspotenzial.
Die Digitalisierung innerhalb der Polizeiverwaltung würde große Kapazitäten freiwerden lassen. Zusätzliche Schreibkräfte, nicht im Rang eines Kommissars oder höher, sondern ganz normale Angestellte, würden unserer Polizei Luft zum Atmen lassen und vor allem wieder mehr Wertschätzung und Respekt durch Präsenz und aktive Hilfestellung ermöglichen. Auf diese Weise können kurzfristig sogar Kosten eingespart werden. Ich wünsche mir wieder ein Bremen, in dem ich zu jeder Zeit befreit durch die Stadt laufen kann, ein Land, in dem ich ausgelassen tanzen gehen kann, ohne angegrapscht und belästigt zu werden, und ein Land, in dem mir nicht gleich vor der Haustür Drogen angeboten werden!
(Beifall FDP – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/ Die Grünen]: Bei Ihnen zu Hause! Das glaube ich, dass da Drogen angeboten werden!)
Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 20. (außerordentliche) Sitzung am 04.05.16 1489
Es ist genau unsere Aufgabe als Politik, den Menschen dieses Sicherheits- und Freiheitsgefühl zurückzugeben, und lange genug hat der Innensenator die falsche Ausbildungspolitik von Herrn Röwekamp fortgesetzt. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln und die Zielzahl deutlich anzuheben. Auch gerade im Hinblick darauf, was Sie und Frau Linnert ansprachen – dass unsere Stadt deutlich wächst –, müssen Zielzahlen eher als Mindestzahlen verstanden werden. Diesen Neustart dürfen Sie auch als Senat wagen.
Dieser Neustart darf übrigens auch in der Wirtschaftspolitik beginnen. Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag klangen zumindest im Hinblick auf das Gründertum positiv und innovativ. Geliefert wurde bisher leider zu wenig. Sie haben mit neuen Richtlinien für Vergabe einen richtigen Weg eingeschlagen, diesen aber im selben Zug mit der Tarifbindung wieder konterkariert. Wie schade! Die Überlegung, wieder „Heuschrecken“ einzuführen – wir hatten ja gestern das Vergnügen, Herr Tschöpe; er ist nicht da –, der Stellenwert des Mittelstands mit drei Zeilen im gesamten Koalitionsvertrag und die Auslassungen einiger Koalitionäre über das Unternehmertum zeigen doch, ganz ehrlich, was Sie vom Mittelstand in diesem Land halten, und das ist absolut erschreckend.
Die Bremer Wirtschaft ist nämlich unser Grundgerüst und vor allem das Grundgerüst dieser stark einnahmeorientierten Politik. Sie verlassen sich immer darauf, dass die Unternehmen und ihre Mitarbeiter die Steuern schon heranschaffen werden, und haben ihnen gegenüber gefühlt keinerlei Wertschätzung. Gepampert werden große Konzerne mit Tausenden Mitarbeitern, vergessen werden aber Handwerker, Einzelhändler, Logistiker und viele mehr. Der Mittelstand stellt doch in unserem Land die Jobs, bildet aus und ist in diesem Land auch dementsprechend verwurzelt.
Wenn sich das Klima verbessern würde, würden noch mehr kommen und feststellen, wie schön Bremen ist, mit Freude hier wohnen, Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen.
Wir sehen noch viel Potenzial auf diesem Feld, gerade im Hinblick auf die Gründerschaft. Die Antwort des Senats auf die Anfrage von uns in Bezug auf Gründerdichte, Ausgestaltung, Branchen und so weiter war durchaus unheimlich: Nahezu jede Antwort begann mit: Dazu liegen uns keine statistischen Daten vor.
Lieber Herr Bürgermeister Dr. Sieling, das ist wirklich schade, denn gerade in diesem Gebiet steckt unheimlich viel Potenzial, und wir haben in Bremen
vieles angegangen. Sie haben mit der B.E.G.IN eine unglaublich tolle Initiative, und auch der Unternehmensservice ist eine super Einrichtung. Aber ganz ehrlich – da geht bestimmt noch sehr viel mehr. Unser Ziel ist es, Bremen zum Gründerland Nummer eins in Norddeutschland zu machen. Das ist eine Vision, und dafür brauchen wir vereinfachte Rahmenbedingungen: Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden, Gewerbeschein online beantragen – dieses Projekt läuft ja, glaube ich, schon nahezu vier Jahre. Schön wäre auch, das Kfz online beantragen zu können und eine transparente Förderstruktur. Das wären echte USPs für die Region, die uns auch für Gründer attraktiv machen würden.
Im Zuge dessen begrüßen wir auch die Initiative zur flächendeckenden Versorgung mit WLAN im öffentlichen Raum. Im Rahmen der Digitalisierung ist der Breitbandausbau ein entscheidender Standortfaktor. Da ist Bremen gut, aber es geht noch besser. Unternehmen und Privatpersonen sind darauf angewiesen, große Datenmengen zu versenden und auch herunterladen zu können. Diese Anforderung wird insbesondere deutlich, wenn wir uns die veränderte Arbeitswelt anschauen: Immer mehr Menschen arbeiten flexibel von unterwegs und von zu Hause aus.