Protokoll der Sitzung vom 04.05.2016

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 20. (außerordentliche) Sitzung am 04.05.16 1484

Haushaltsberatungen noch einmal jede Haushaltsstelle unter die Lupe nehmen, und die rot-grüne Koalition wird versuchen, weitere Verbesserungen über das ohnehin geplante Maß hinaus zu erreichen. Dazu gehört insbesondere, Kindern und Jugendlichen in Bremen bessere Chancen zu ermöglichen. Deshalb werden wir noch einmal jeden Euro umdrehen, um zu sehen, ob wir nicht noch mehr für die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, aber auch für die offene Jugendarbeit in den Stadtteilen erreichen können. Ob uns das gelingt, werden die Haushaltsberatungen zeigen.

Unser oberstes Ziel ist eine lebenswerte Stadt, ein lebenswertes Land mit guten Rahmenbedingungen für Familien, Jobs, Gesundheit, Bildung, und auch Bremens Eigenständigkeit zu sichern und zu erhalten. – Herzlichen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rupp.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kollegin Schaefer, Sie haben die Beschlüsse unseres Parteitages richtig interpretiert. Wir werden empfehlen, sich nicht weiter an die Sanierungsvereinbarung zu halten, und ich werde das begründen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das ist ja eine völlig neue Einstellung!)

Nein, die ist nicht neu, das ist schon immer so! Wir sind da durchaus konsequent. Keine Sorge, Herr Kollege Röwekamp, das hat Kontinuität, weil wir finden, dass es vernünftig begründet ist. Noch eines: Ich bin geduldig, aber hören Sie damit auf, so zu tun, als sei unsere Forderung nach Mehrausgaben auch auf Kosten von Krediten eine ungezügelte Neuverschuldung! Wir haben noch nie ungezügelte Neuverschuldung gefordert, sondern immer sehr präzise, so präzise wie keine andere Oppositionspartei in diesem Haus, einzelne Anträge aufgestellt, daruntergeschrieben, wie viel es unserer Meinung nach kostet und was es unserer Meinung nach nützt, und dabei kamen Summen zusammen, die bisher sogar noch im Rahmen der zulässigen Neuverschuldung gewesen sind. Das ist keine ungezügelte Neuverschuldung. Das wäre eine vernünftige politische Alternative gewesen!

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe gerade eine interessante Erfahrung gemacht. Der Kollege Röwekamp ist bekanntlich Mitglied der Christlich Demokratischen Union, und ich habe gerade gelernt, dass die Gesetze der Menschen für ihn der höchste Maßstab des Handelns sind, also das

Grundgesetz und die Landesverfassung. Da bin ich ein wenig enttäuscht! Ich war auch schon einmal Christ. Da hat man mir gesagt, nicht die Gesetze der Menschen, sondern Gott, die Zehn Gebote und insbesondere das Gebot der Nächstenliebe sind für Christen der Maßstab aller Dinge. So gesehen, Herr Röwekamp, war Ihre Rede unchristlich, denn Sie haben die Nächstenliebe nicht an erster Stelle genannt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe sehr genau zugehört. Ihre Analyse hinsichtlich der langfristigen Entwicklung insbesondere der Armut im Land Bremen, der Arbeitslosigkeit, der Jugendarbeitslosigkeit und so weiter war völlig richtig. Ihre Analyse, dass zu viele Sozialleistungen und zu hohe konsumtive Ausgaben wesentliche Ursachen für diesen Zustand sind, empfinde ich als absurd. Es ist doch jedem klar, das wissen auch Sie, dass ein Großteil der Probleme, die wir haben, insbesondere Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und in der Bildung, nicht darin liegen, dass wir zu viel für Sozialleistungen ausgegeben haben, die im Übrigen gesetzlich geregelt sind, sondern zu wenig, beziehungsweise zu wenige konsumtive Ausgaben getätigt haben, um diese Probleme zu lösen.

(Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch Quatsch! Wer wird denn damit durch Armut ge- fährdet?)

Das ist die Lösung! So gesehen ist für mich jemand, der richtig analysiert, aber ganz bewusst und gezielt eine falsche Schlussfolgerung verbreitet und für Lösungen eintritt, die das Problem verschärfen, ein Demagoge. Ich fand Ihre Rede zutiefst demagogisch, Herr Röwekamp!

(Beifall DIE LINKE)

Ja, ich neige dazu, den Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland zu beschimpfen, insbesondere weil sich in den letzten Tagen herausgestellt hat, dass eine Bank, die sogar zu 15 oder 25 Prozent staatliche Anteile hat, mitgeholfen hat, Steuern aus der Bundesrepublik Deutschland in andere Länder zu transferieren, also Steuerflucht in Höhe von ungefähr 1 Milliarde Euro begünstigt hat. Das ist Beihilfe zur Steuerflucht, und das liegt unter anderem in der Verantwortung des Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland, der verflucht noch mal endlich dafür zu sorgen hat, dass diese Formen von legaler und illegaler Steuerflucht zum Schaden der Menschen in diesem Lande aufhören!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Beschäftigen wir uns mit der Frage, ob es richtig ist, fluchtbedingte Kosten und Ausgaben aus dem nor

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malen Haushalt herauszurechnen und den Vorschlag zu machen, das nicht in den Sanierungspfad einzurechnen. Was ist an diesem Vorschlag falsch?

Was ist die Alternative? Es nicht zu tun! Dann haben wir keine Chance, überhaupt noch einmal die 300 Millionen Euro Zinsbeihilfe zu bekommen. Dann ist es im Haushalt drin, dann ist der Sanierungspfad verletzt. Allein den Eindruck zu erwecken, dieses Geld könnte man irgendwo anders wegnehmen, insbesondere in so kurzer Zeit, ist gelinde gesagt ein Trugschluss. Es gibt dazu gar keine Alternative. Wenn wir eine Chance haben wollen, diese Zinsbeihilfe von 300 Millionen Euro trotz einer tatsächlichen Verletzung des Sanierungspfades durch fluchtbedingte Kosten zu bekommen, bleibt uns nichts weiter übrig, als zu sagen: Das sind außergewöhnliche Kosten und die müssen wir aus dem Sanierungspfad herausrechnen.

(Beifall DIE LINKE)

Eine Alternative gibt es nicht. Deswegen verstehe ich nicht, dass man das hier in irgendeiner Weise als verfassungswidrig deklariert. Meinetwegen gibt es juristische Spitzfindigkeiten, durch die man möglicherweise irgendwann zu diesem Schluss kommt. Ich empfinde das als vernünftig und richtig. Es gibt keine Alternative dazu.

Kommen wir zum Thema Flucht! Erstens habe ich gesagt: Dieses Geld herauszurechnen, ist richtig. Zweitens ist die Frage: Reicht das? Es wird immer so getan, als redeten wir über Wünsche, wenn es um Ausgaben geht. Das hat auch Frau Dr. Schaefer gerade gesagt. Dann wird immer gesagt: Es reicht ja nie.

Ich mache immer Folgendes: Wenn ich ungefähr 1 600 Kinder im schulpflichtigen Alter habe, die aus Fluchtgründen nach Bremen kommen, und ich mir überlege, wie viele Lehrerinnen und Lehrer ich dann brauche, dann kann ich sagen: Mindestens ein Lehrer pro 20 Kinder, eher pro 15 Kinder. Dann nehme ich den Dreisatz, das ist die Sache mit: Drei Äpfel kosten 3 Euro, wie teuer ist ein Apfel? – Ich nehme diese 1 600 Kinder, teile durch 20 und komme auf 80. Dann weiß ich, ich brauche ungefähr 80 Lehrerinnen und Lehrer. Wenn ich aber nur Mittel für 20 Lehrerinnen und Lehrer bereitstelle, ist das zu wenig.

(Beifall DIE LINKE)

Dann gilt das Prinzip: Zu wenig ist nicht genug. Deswegen sind es nicht Wünsche oder irgendeine Form von Luxus. Bestimmte Dinge kann man am Bedarf errechnen, abschätzen, prognostizieren und entsprechend ausrichten. Wenn man 2 100 Kinder von 0 bis 6 Jahren hat und sagt: „Für ungefähr 700 Kinder schaffen wir neue Plätze, 700 Kinder quetschen wir in die vorhandenen Gruppen, und 700 Kinder gehen leer aus“, ist das genug? Ich meine, nein! Ich meine, an dieser Stelle ist wieder zu wenig nicht genug.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Aber finanziert werden muss es trotzdem irgendwie!)

Wir können das beim Wohnen fortführen. Es ist überhaupt keine Frage, dass in diesem Bundesland in einer Geschwindigkeit und einer Qualität neue Wohnungen gebaut werden, die es vorher nicht gab und die ihresgleichen suchen. Selbstverständlich! Auch da wieder: Wenn es nicht genug Wohneinheiten gibt für die Menschen, die hier sind und die hierher kommen, ist es nicht genug. Dann muss man sich überlegen, was man macht, damit es genug sind!

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen für eine erfolgreiche Integration mehr Kitas, mehr Sprachkurse, mehr Personal in Schulen, Verwaltungen und Sozialarbeit, vielleicht auch bei der Polizei, denn alles, was wir jetzt nicht aufnehmen, nicht anfangen und nicht anfassen, schafft in der Zukunft mit Sicherheit Probleme, die teurer sind als die Ausgaben, die wir jetzt machen müssen. Mit den jetzigen Ausgaben, dem jetzigen Volumen für fluchtbedingte Kosten decken wir den Bedarf nicht ab, und das erzeugt in der Zukunft Probleme. Das überlassen wir den nächsten Generationen, und das darf nicht sein. Das Problem besteht heute, und es muss heute gelöst werden. Deswegen müssen heute genug Mittel bereitgestellt werden!

(Beifall DIE LINKE)

In dem Zusammenhang hat mich etwas besonders stutzig gemacht. Ich habe einmal geschaut, wie viele Ressorts etwas aus diesen 50-Millionen-EuroIntegrationsbudget bekommen. Das Kulturressort bekommt bis auf die Volkshochschule nichts. Ich finde das komisch. Ist es nicht insbesondere eine kulturelle Frage, ob uns Integration gelingt? Das geht eben nicht nur durch Frontalunterricht in der Volkshochschule oder sonst wo, sondern wir müssen uns auch Methoden überlegen, wie wir die Menschen mit unserer Kultur vertraut machen, wie wir von ihrer Kultur lernen und wie wir auch in diesem Bereich Integration voranbringen. Deswegen werbe ich dafür, noch einmal zu prüfen, ob es nicht sinnvoll ist, auch dem Bereich Kultur, beispielsweise der freien Kunst und dem Theater, ein Budget zu geben, damit auch in diesem Bereich ein Beitrag für Integration geleistet werden kann. Ich halte das für hochwichtig.

(Beifall DIE LINKE)

Werfen wir einen Blick auf den mittelfristigen Finanzplan! Am heutigen Tag ist es vielleicht müßig, über einzelne Haushaltsposten zu reden, sondern wichtiger, zu fragen, was in der Vergangenheit war und was für die Zukunft prognostiziert wird. Dann blickt man

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in diesen mittelfristigen Finanzplan bis 2020. Es ist übrigens gut, dass es ihn gibt. Das möchte ich als Kompliment weitergeben. Was aus dem Hause Finanzen kommt, die Informationen, die Unterlagen und auch die Kooperation selbst mit unbequemen Menschen wie mir ist immer kollegial, und deswegen möchte ich mich an dieser Stelle für diese Form der Zusammenarbeit bedanken. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Mittelfristige Finanzpläne weisen ein ganz merkwürdiges Phänomen auf. In der Vergangenheit sind Steigerungsraten immer deutlich höher als in der Zukunft. Das war im letzten Finanzplan so und davor auch schon. Ich will Ihnen Beispiele nennen. In den letzten vier Jahren sind die Personalkosten für das aktive Personal um vier Prozent gestiegen, ab 2018 nur noch um 1,8 Prozent, also knapp der Hälfte. Sozialleistungen: in der Vergangenheit ungefähr vier Prozent, ab 2018 knickt das weg und sinkt auf 1,5 Prozent. Sonstige konsumtive Ausgaben drei Prozent, da ist es besonders drastisch, ab 2018 so gut wie nichts mehr, 0,6 Prozent, da gibt es keine Steigerung mehr! Wenn man das alles zusammenrechnet und dieses Phänomen tatsächlich eintritt, was eine Anomalie ist, die möglicherweise doch nicht eintritt, stehen am Ende des Finanzplans ungefähr minus 150 Millionen Euro. Das heißt, der jetzige mittelfristige Finanzplan geht nicht auf null, obwohl er das müsste.

Wenn man in der Logik des Sanierungspfades denkt, müsste man eigentlich in diesen beiden Haushalten die Bedingungen schaffen – Klammer auf, ohne Flucht, Klammer zu –, dass da im Jahre 2020 eine schwarze Null steht. Das ist aber nicht so. Wie machen wir das dann? Nach 2017 werden bestimmte Dinge noch intensiver gekürzt werden müssen als vorher, damit diese Vereinbarung eingehalten wird. Ich habe mir einmal die Frechheit erlaubt und mit den bisherigen Steigerungsraten bis 2020 gerechnet. Dann steht da nicht minus 150 Millionen Euro, sondern minus 450 Millionen Euro.

Wir sind also in einer Situation, in der die Realität zeigt: Dieser Plan geht nicht auf. Ich habe das übrigens von Anfang an gesagt, Frau Linnert. Ich habe immer gesagt, das geht sich nicht aus, oder ich habe gesagt, das Gefährliche ist, dass es sich ausgeht. Es gibt sozusagen zwei Szenarien. Es ist übrigens gefährlicher, wenn es sich ausgeht, weil dann so viel gekürzt wird, dass es kein vernünftiges Bremen mehr gibt.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt einen zweiten Effekt. Wir werden im Jahr 2020 ungefähr 1 Milliarde Euro Sozialleistungen tragen müssen und nur noch ungefähr 650 Millionen Euro Zinsen. Diese Milliarde Sozialleistungen sind soziale Schulden. Das habe ich Ihnen schon einmal vorgerechnet. Das entspricht ungefähr 30 Milliarden Euro

Schulden in Geld. Das heißt, wir schaffen durch fehlende Ausgaben Situationen, in denen Sozialleistungen in einer Weise steigen, dass der Sanierungspfad schwierig oder unmöglich wird.

Das heißt, der Sanierungspfad frisst sich gerade selbst dadurch, dass wir nicht genug Geld ausgeben. Wir haben nicht genug Geld, um die Mehrausgaben der Zukunft zu vermeiden. Das ist hier meine Analyse des jetzigen mittelfristigen Finanzplans und des Sanierungspfades; das ist sozusagen mein finanzpolitischer Grund, ihn zu kündigen.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Röwekamp hat in der Tat gesagt – das ist völlig richtig –, dass wir in ganz vielen Bereichen Nachholbedarf haben. In Kindertagesstätten und Kindergärten sind viele neue Plätze errichtet worden, es sind neue Kindergärten gebaut worden; es reicht trotzdem nicht. Es gibt keine entsprechenden Kindergartenplätze für Alleinerziehende, was ein besonderes Manko ist. In der Bildung sollen jetzt 80 Lehrer an die Tafel – ich bin überhaupt nicht sicher, ob es überhaupt noch Tafel gibt, aber egal –, 120 neue sollen eingestellt werden. Nimmt man den Dreisatz zu Hilfe, kommt man auf plus 200, also insgesamt 400 Lehrerinnen und Lehrer, die wir brauchen, ohne Flucht. In diesem ganzen Konzept sind noch nicht zusätzliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter insbesondere für die Stadtteile, in denen es ohnehin schon schwierig ist. Also auch im Bereich der Bildung wird viel gemacht, aber wenn man 100 Kilometer fahren will, braucht man auch für 100 Kilometer Sprit und nicht für 70, sonst bleibt man auf drei Vierteln des Weges stehen. Deswegen müssen wir da nachhelfen.

(Beifall DIE LINKE)

In der Jugendarbeit sieht es dramatisch aus: Insbesondere jetzt, wo viele ausländische Jugendliche, Flüchtlinge und andere in die Jugendzentren strömen, ist es sehr wichtig, sie vernünftig aufzustellen.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Es ist schon mehr Geld eingestellt als früher!)