Protokoll der Sitzung vom 24.08.2016

Der Senat sagt ganz klar, dass dort nichts geplant ist. Wenn man sieht, mit welcher Intensität bestimmte Sachen vorangetrieben werden, fragt man sich, warum die bekannten und existierenden Lücken in diesem System nicht aufgefüllt und ausgeglichen werden. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Fries.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wie schon in der Debatte vielfach erwähnt, müssen wir für jeden einzelnen Jugendlichen das richtige Angebot und im Zweifel auch die richtige staatliche Reaktion finden. Das setzt ein sehr breites Spektrum voraus. Es beginnt beim ambulanten Setting und reicht über verschiedene stationäre Angebote – dabei ist umstritten, ob auch welche geschlossen sein müssen, darauf komme ich gleich noch – im Extremfall bis zum Knast. Ich finde es deswegen schade, wenn sich die Debatte sehr auf einzelne Elemente in dieser Kette reduziert. Ich finde es wichtig, die ganze Breite zu betrachten.

Ich möchte zurückweisen, dass wir als Bremen völ lig blank sind. Gerade im Bereich des ambulanten Settings, aber auch bei der Nutzung von stationären Angeboten außerhalb von Bremen sowie über die Netzwerkarbeit im Bereich „Stopp der Jugendge walt“ kann man sagen, dass wir gut aufgestellt sind.

Wir müssen aber auch ehrlich zur Kenntnis nehmen, dass insbesondere mit einer sehr kleinen Gruppe von umA auch neue Herausforderungen auf uns zuge kommen sind. Nicht alle Konzepte funktionierten so, wie wir uns das vorgestellt haben. Die ambulanten Settings waren nicht immer die richtige Antwort, ebenso wenig die Art der pädagogischen Arbeit. Der

Bericht von Kannenberg im Jugendhilfeausschuss ist schon mehrfach zitiert worden. Er zeigt, dass man Konzepte vollständig umgestalten und anders ausrichten muss, um eine Zielgruppe anzusprechen, die überwiegend kein Deutsch spricht, eine lange Fluchterfahrung und keinerlei familiären Hintergrund hat. Bestimmte pädagogische Konzepte sind eben nicht eins zu eins zu übertragen.

Von meinem Besuch in Hamburg beim Bullerdeich weiß ich, dass auch die Hamburger gesagt haben, wir müssen alles Bestehende zuerst einmal beisei telegen, neue Wege ausprobieren und schauen, wie wir damit umgehen.

Die geschlossene Unterbringung ist immer der Punkt, der die größten Emotionen hervorruft. Für den Senat kann man eindeutig sagen, es gibt eine klare Be schlussfassung. Das Sozialressort ist beauftragt, mit den Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg eine solche Einrichtung voranzutreiben. Es gibt einen regelmäßigen Austausch mit Hamburg und eine Ab arbeitung der Planungsschritte. Hier gibt es für den Senat – soweit sich die politische Auftragslage nicht ändert – auch keinen Grund, daran zu zweifeln. Das wird auch nicht durch irgendwelche Zwischenrufe oder ein Agieren von Ex-Staatsräten verändert. Der einzige Grund für eine Änderung wäre eine veränderte politische Meinungsbildung. Diese ist mir persönlich nicht bekannt.

Die Kette der einzelnen Maßnahmen hat für uns den Kooperationspool als wichtigen Punkt. Wir werden in den nächsten Tagen den entsprechenden Vertrag mit der LAG unterschreiben. Er sieht ein Zusammen wirken der Träger gerade dort vor, wo die einzelnen Maßnahmen der Träger allein nicht in der Lage sind, für komplexe Hilfebedarfe Angebote zu schaffen. Durch das Zusammenwirken der Träger und Akteure sollen maßgeschneiderte Lösungen gefunden und Angebote gemacht werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir dadurch frühzeitig eingreifen können und weitere Maßnahmen überflüssig machen.

Wir sind auch der Auffassung, dass weitere Schrit te verschiedener stationärer Angebote notwendig sind. Besonders die Haftvermeidung wurde hier diskutiert. Sie ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Bestandteil, weil sie gerade die Schnittstelle zum Ju gendvollzug darstellt. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn unmittelbar Haft droht, also ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl existiert und sozusagen noch eine letzte Chance für die Jugendlichen besteht, in einer pädagogischen Einrichtung die notwendigen Entwicklungsschritte zu machen. Dann entsteht Druck, sich an die Auflagen zu halten, die der Richter dafür gemacht hat, dass der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt bleibt. Das zentrale Mittel ist nicht die Ausübung von bestimmten Zwängen, wie es unterstellt worden ist,

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Das steht da drin!)

sondern die Übermittlung, ob sich die jeweiligen Ju gendlichen an die Auflagen halten. Wenn die Auflage lautet, das Gebäude in der ersten Zeit nur begleitet zu verlassen, ist das die Voraussetzung dafür, dass sie weiterhin in dieser Einrichtung bleiben und der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt bleibt.

Wir müssen noch nach Wegen suchen, um pädago gische Antworten zu finden. Wir als Jugendressort haben den Anspruch, die Leute möglichst niedrig schwellig zu erreichen. Wir haben aber auch die Verantwortung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Wir müssen wissen, dass es Jugendliche gibt, bei denen pädagogische Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen. Letztlich hilft dann das Gefängnis. Innerhalb dieser Kette müssen wir unsere Maßnahmen bewerten. Es ist unsere Verantwortung, möglichst viele Jugendliche zu erreichen, damit sie nicht ins Gefängnis müssen. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen lie gen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 19/425, auf die Große An frage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.

Zugang zum deutschlandweiten einheitlichen und kostenfreien Notruf für Frauen und Mädchen weiter verbessern Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 15. März 2016 (Drucksache 19/342)

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Es ist die Überweisung zur Beratung und Bericht erstattung an die staatliche Deputation für Soziales, Jugend und Integration, federführend, und an den Ausschuss für die Gleichstellung der Frau vorgesehen.

Wer der Überweisung des Antrags der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der DrucksachenNummer 19/342 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Entkriminalisierung von Flucht – Entlastung für Polizei und Justiz Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 6. Juni 2016 (Neufassung der Drucksache 19/349 vom 17. März 2016) (Drucksache 19/632)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort – –. DIE LINKE ist Antragsteller. Es wäre ganz gut, wenn sich vielleicht einer von der LINKEN melden würde. Sonst liegt keine Wortmeldung vor, und ich muss die Beratung schließen.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Doch, doch, ich melde mich!)

Frau Vogt, Sie haben dann das Wort!

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Es tut mir leid, Herr Präsident!)

Eine schöpferische Pause, sozusagen!

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss mich dafür entschul digen. Ich hatte Frau Dr. Schaefer etwas wegen der Sitzung in der Mittagspause gefragt und hatte den zeitlichen Ablauf hier nicht auf dem Zettel.

Kommen wir zum vorliegenden Antrag und zur Ent kriminalisierung von Flucht: Der Antrag ist schon etwas älter. Unsere Motivation haben wir hier schon in diversen Debatten deutlich gemacht. Wenn man sich die Situation von Polizei und Justiz ansieht, muss man an diversen Stellen schauen, wo das Strafrecht eigentlich noch zeitgemäß ist. Wir haben diese De batte hier schon bei der Frage des Schwarzfahrens geführt. Wir haben die Debatte aber auch zu anderen Punkten wie BtMG-Geschichten geführt. Natürlich müssen wir sie auch in der Debatte um das Strafrecht beim Ausländerrecht, dem Aufenthaltsrecht, führen.

Unserer Meinung nach müssen Gesetze verhältnismä ßig, erforderlich und geeignet sein, um ein bestimmtes Problem zu lösen oder zu lindern. Deswegen möchten wir genau an dieser Stelle heute eine Liberalisierung des Aufenthaltsrechts. Wir fordern an dieser Stelle ganz klar eine Entlastung für Polizei und Justiz und eine Verbesserung für geflüchtete Menschen.

(Beifall DIE LINKE)

Paragraf 95 des Aufenthaltsgesetzes enthält Vor schriften, die nicht geeignet, nicht notwendig, aber auch nicht verhältnismäßig sind. Wir möchten aus folgendem Grund eine möglichst weitreichende Li beralisierung der darin enthaltenen Strafvorschriften:

Momentan gibt es für Flüchtlinge keine legalen Einreisemöglichkeiten nach Deutschland, auch nicht für Menschen, die später Schutz und Aufenthaltsti tel erhalten. Das muss man sich in der praktischen Situation vergegenwärtigen: Flüchtlinge verlassen ihre Heimat nicht freiwillig. Das ist hier oft debattiert worden. Auch die Fluchtrouten sind schwierig. Sie fliehen notgedrungen und oft auch unter Zwang.

Wer aus Syrien flieht, kann dort nicht in eine deutsche Botschaft oder in ein deutsches Konsulat gehen, um ein Visum zu beantragen, das eine legale Einreise ermöglichen würde. Wer auf die Seite des Auswär tigen Amtes geht, liest dort:

„Die Botschaft Damaskus ist bis auf Weiteres für den allgemeinen Besucherverkehr geschlossen.“

Flüchtlinge aus Syrien müssen also fast immer ohne deutsches Visum die Grenze übertreten. Damit – jetzt kommen wir zu unserem Hauptanliegen – machen sie sich schon strafbar, denn sie machen sich der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts in Deutschland schuldig. Beides steht in Paragraf 95 des Aufenthaltsgesetzes und wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

2015 wurden in der Stadtgemeinde Bremen 2 951 Strafanzeigen wegen dieser Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht geschrieben. Das ist ein Anstieg um 136 Prozent binnen eines Jahres und hat natürlich den Hintergrund in der großen Fluchtwelle des letz ten Jahres. Bundesweit waren es insgesamt 700 000 Strafanzeigen. Der überwiegende Teil davon betraf Minderjährige. Für die Polizei, deren Personalmangel wir hier schon oft genug diskutiert haben, ist das ein ganz erheblicher Mehraufwand.

Wie kommt dieses Problem konkret zustande? Das Jugendamt gibt die Daten von allen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen an die Polizei. Dazu ist es verpflichtet. Diese führt dann eine erkennungs dienstliche Behandlung mit Foto, Fingerabdrücken und so weiter durch. Eine Fallakte wird angelegt, und es wird eine Strafanzeige gegen den Jugend lichen oder die Jugendliche wegen des Verdachts der eben genannten aufenthaltsrechtlichen Verstö ße geschrieben. Anschließend übergibt die Polizei diese Strafanzeigen an die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft verzichtet aber fast immer auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

An dieser Stelle fragen wir uns natürlich, ob es wirk lich sinnvoll ist, alle hier ankommenden Jugendlichen pauschal zuerst einmal zur erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Polizei zu schicken, weil es so Gesetz ist, und anschließend gegen sie zu ermitteln. Wir sind davon überzeugt, das ist nicht das, was uns allen guttut. Es entspricht nur leider der aktuellen Gesetzeslage.

Kommen wir zur Polizei. Alle großen Gewerkschaf ten, so der Bund Deutscher Kriminalbeamter und die Gewerkschaft der Polizei, fordern übereinstim mend eine Entkriminalisierung von Flucht und eine

Liberalisierung des Aufenthaltsgesetzes in Paragraf 95. Ich möchte das hier nicht noch einmal zitieren. Wir haben in unserem Antragstext alle relevanten Aussagen dazu zitiert.

Die Polizei hat wegen dieser Strafvorschriften einen enormen Arbeitsaufwand und möchte diese Verstö ße gegen das Aufenthaltsrecht, die mit der Einreise zwangsläufig verbunden sind, wie gesagt, eigentlich nicht strafrechtlich verfolgen.

Von daher kann ich abschließend sagen: Wir fordern, dass sich Bremen auf Bundesebene im Bundesrat, in der Justizministerkonferenz für eine möglichst weitgehende Reform des Paragrafen 95 des Auf enthaltsgesetzes einsetzt, damit der Tatbestand der illegalen Einreise und der Tatbestand des illegalen Aufenthalts abgeschafft werden.