Protokoll der Sitzung vom 21.09.2016

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir grundsätzlich, so wie wir das im Armutsausschuss getan haben, darauf verzichten, dass die Koalition

sagt: „Na ja, der Schäuble war’s!“, und die CDU sagt: „Die Sozis regieren schon seit Achtzehnhun dertsoundsoviel!“,

(Abg. Senkal [SPD]: Ewigkeiten! Ewigkeiten!)

und die LINKE sagt: „Die Grünen sind doof!“, wenn wir grundsätzlich darauf verzichten bei einem so drängenden, emotional besetzten Thema – dass Kinder montags in den Kindergarten kommen und erst einmal die ganze Platte leeressen, weil sie am Wochenende nichts zu essen bekommen haben; das ist ja die Re alität von Armut –, wenn wir dieses Thema adäquat behandeln, nämlich der Sache nach, dann glaube ich, dass wir über kurz oder lang, völlig unabhängig davon, wer in diesem Land regiert, auch Erfolge ha ben werden. Wenn wir es als Thema zerreden, um uns kurzfristig politisch zu profilieren, befürchte ich, wird das nicht passieren. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als Nächste hat das Wort die Ab geordnete Frau Kohlrausch.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern war der Weltkindertag, aber heute vor 62 Jahren wurde er von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen.

Die Ausgangslage für Kinder im Land Bremen ist leider nicht die beste. Wir haben die höchste Quote bei den Sozialhilfeempfängern, fast die höchste Ar beitslosenquote und mit die höchste Quote bei den Alleinerziehenden. Die Anzahl der Kinder, deren Familien Leistungen nach dem SGB II beziehen, ist zwischen 2011 und 2015 in Bremen um ganze 2,8 Prozent gestiegen. Damit rangiert Bremen auf dem peinlichen ersten Platz im Ländervergleich.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Hört, hört!)

Die Ursachen von Armut und fehlender Teilhabe möglichkeit sind vielfältig, und die Armut der Kinder spiegelt die Armut der Eltern wider.

Bisher ist es dem rot-grünen Senat in den vergange nen neun Jahren nicht gelungen, mit entsprechenden Maßnahmen und Initiativen Armut zu reduzieren und die Teilhabechancen zu verbessern. Bremen und insbesondere der Bremer Senat liefern hier kein gutes Bild ab.

(Beifall FDP)

Auch beim Bildungsmonitor rangiert Bremen auf Platz zwölf von 16. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann doch nicht unser Anspruch sein! Wir Freien Demokraten erwarten mehr. Viele Eltern, die Leistun

gen aus dem SGB II beziehen, befinden sich in einem Teufelskreis. Der Armutsfalle können sie nur durch Erwerbstätigkeit entkommen, doch um zu arbeiten, muss zum einen ihre Qualifizierung für den Ausbil dungs- und Arbeitsmarkt gegeben und zum anderen natürlich die Kinderbetreuung sichergestellt sein. Diverse Maßnahmen sind notwendig, um die Situation von Kindern in Armut zu verbessern. Sie sollen wie Zahnräder ineinandergreifen und aufeinander abge stimmt sein. Aus der Sicht der FDP-Fraktion ist eine verlässliche und flexible Kinderbetreuung eine dieser Maßnahmen. Dabei geht es bei der Kinderbetreuung nicht nur um die reine Betreuung, sondern vor allem um einen wichtigen Teil der frühkindlichen Bildung. Hier können Grundlagen geschaffen werden, die für das ganze Leben wichtig sind.

(Beifall FDP)

Außerdem ist gerade beim Einstieg in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt eine flexible und vor allem auch verlässliche Kinderbetreuung das A und O. Eine verlässliche Betreuung in den Tagesrandzeiten wird dringend benötigt, und dieses Thema begleitet uns auch in der Bildungsdeputation. Eine weitere Maßnahme ist der zeitnahe Ausbau der Ganztags schulplätze in ausreichender Zahl.

(Beifall FDP)

Bremen läuft dem Bedarf in diesem Jahr schon wie der hinterher, und es ist leider absehbar, dass es im kommenden Schuljahr nicht viel besser wird. Ein ganz wichtiger Baustein bei der Armutsbekämp fung ist es, dass auch bildungsferne Familien verste hen, wie wichtig Bildung für die Kinder ist. Dieses Bewusstsein muss in der vorschulischen und schuli schen Bildung vermittelt werden. Bildung findet nun einmal vor allem in unseren Schulen statt, und jeder Euro, den wir heute in Bildung investieren, zahlt sich später mehrfach für die Gesellschaft aus.

(Beifall FDP, ALFA)

Dabei ist das Fördern, aber auch das Fordern als Prinzip wieder stärker in den Fokus zu nehmen. Es kann doch nicht sein, dass mir ehemalige Kollegen berichten, dass Schülerinnen und Schüler ohne be sonderen Förderbedarf nach der vierten Klasse oft noch nicht einmal über die nötigen Kernkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen verfügen. Diese sind die Grundvoraussetzungen für den weiteren Bildungsweg und auch für das spätere Erwerbsle ben notwendig. Wichtig sind eine intensive Betreu ung der Schülerinnen und Schüler und passgenaue Förderangebote für Schülerinnen und Schüler, die Lerndefizite aufweisen. Unabdingbar ist eine gute Versorgung mit Lehrerinnen und Lehrern, auch, um dem Unterrichtsausfall entgegenzuwirken.

(Beifall FDP)

Uns würde eine Auswertung der Entwicklung in einigen Stadtteilen interessieren, in denen es gute Unterstützungsmodelle gibt. Hier wäre eine zügige Auswertung der Maßnahmen angebracht, um beson ders erfolgreiche Angebote auszubauen.

(Beifall FDP)

Sicher spielen hier Leuchtturmschulen, wie unter an derem die Gesamtschule Ost, eine wichtige Rolle. Die Übertragbarkeit in andere Stadtteile sollte auf jeden Fall geprüft und gegebenenfalls unterstützt werden.

(Beifall FDP)

Bildung ist der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben, fern von staatlichen Unterstützungsleistungen. Ermöglichen wir den Kindern, dass sie ihre Zukunft selbst gestalten können! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nun endlich Zeit, nicht nur ambitionierte Reden zu schwingen, sondern es ist Zeit, zu handeln. Eines ist mir in dieser Diskussion besonders wichtig: Der zum Teil hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migra tionshintergrund ist nicht schuld an den schlechten Bremer Bildungsergebnissen.

(Beifall FDP)

Meine Enkelinnen gehen in Stuttgart auf eine Ganz tagsschule mit einem neunzigprozentigen Anteil von Mitschülern und Mitschülerinnen mit Migrati onshintergrund. Es ist erstaunlich, welche positiven Leistungen an dieser Schule durch intensives Fordern und Fördern erzielt werden. Daran konnte sich meine Schule in Schwachhausen ein Beispiel nehmen. Und ja, die Schulen in Baden-Württemberg sind natürlich anders als die Schulen in Bremen, aber wer sich auf dem Status quo ausruhen möchte, der sollte Platz machen für Menschen, die etwas bewegen wollen.

(Beifall FDP)

Eine weitere Maßnahme ist, die Eltern wieder in Arbeit zu bringen, denn Kinder, die von ihren Eltern den Wert von Erwerbsarbeit vermittelt bekommen, wachsen eher in einem Umfeld auf, das ihnen auch gute Bildungs- und Aufstiegschancen ermöglicht. Wenn wir schon davon sprechen, Eltern wieder in Ar beit zu bringen, dann sprechen wir neben einer guten Wirtschaftspolitik auch von zielgerichteten Aus- und Weiterbildungsangeboten speziell für Eltern, um sie wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Da kann man dann auch auf mehrfache Bewerbungstrainings verzichten. Auch diese Programme können aber nur dann zum Erfolg führen, wenn sie in Verbindung mit ausreichend Betreuungsplätzen für Kinder stattfinden.

Beim Jobcenter gibt es bereits ein spezielles Angebot für Alleinerziehende, das genau auf ihre Lebensre alitäten zugeschnitten ist. Somit wird der Einstieg oder Wiedereinstieg der Alleinerziehenden in den Job passgenau unterstützt. Erhebungen zeigen auch, dass Erwerbstätigkeit für Alleinerziehende ohnehin ein fester Bestandteil ihres Lebensentwurfs ist. Hierbei sollten wir alles dafür tun, dass der Wiedereinstieg gelingen kann.

(Beifall FDP)

Die einfache und kurzsichtige Forderung nach einer Erhöhung der Sozialleistungssätze ist volkswirt schaftlich unsinnig und stuft unserer Meinung nach die Leistungen der Eltern, die ihren Unterhalt aus eigener Kraft bestreiten, massiv herab.

Zum Schluss möchte ich aus einem Artikel der „Frank furter Allgemeinen Zeitung“ vom 16. September 2016 zitieren:

„Wer wirklich daran interessiert ist, Kindern den Weg zu einem Leben ohne Abhängigkeit vom Sozialstaat zu weisen, sollte sich auf zwei Ziele konzentrieren: zum einen eine gute Schul- und Bildungspolitik und zum anderen darauf, dass möglichst viele Eltern in die Lage kommen, aus eigener Kraft für einen aus reichenden Lebensunterhalt zu sorgen.

Dies gilt im Übrigen für Einheimische wie für derzeit 440 000 anerkannte Flüchtlinge im Hartz-IV-System, unter ihnen 115 000 Kinder.“

Wir Freien Demokraten fordern, dass sich der Senat vorrangig um diese Bereiche kümmert und endlich handelt. Dabei muss man das Rad nicht einmal neu erfinden. Ich rate dem Senat, sich einmal ein wenig bei den anderen Ländern schlauzumachen, welche Erfolgsrezepte sie haben: zum Beispiel in Sachsen, wo man es geschafft hat, den Anteil der Kinder aus Familien im SGB-II-Bezug von 2011 bis 2015 um 3,2 Prozent zu senken – übrigens unter einer schwarzgelben Landesregierung.

Wir Freien Demokraten sind überzeugt: Die bessere Sozialpolitik ist Bildungs- und Wirtschaftspolitik anstelle der sozialen Gießkanne. – Ich danke Ihnen!

(Beifall FDP, CDU – Zuruf des Abg. Rupp [DIE LINKE])

Okay, Sie sind ja dann dran.

Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich auf der Besuchertribüne noch Gruppen herz lich begrüßen, nämlich Teilnehmer von den drei Projekten, und zwar Hauptschulabschlussprojekt HASA im Förderzentrum Jugend, BIWAQ-Projekt Huckelriede – lebendig! und Frauenprojekt Tessa von bras e. V. – arbeiten für bremen.

Seien Sie alle ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Janßen.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir ehrlich sind, so hat sich eigentlich nichts geändert.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Genau! Es ist nur schlech ter geworden!)

Was wir in diesen Statistiken sehen, ist das, was wir in den Statistiken der Arbeitnehmerkammer, in den Berichten des Senats und in den Berichten der Wohlfahrtsverbände sehen.

(Abg. Hinners [CDU]: Schon vor zehn Jahren!)

Das sehen wir jetzt auch bei der Bertelsmann-Stiftung.

Wir leben in Deutschland in einem Land, das nach wie vor keine kinderfreundliche Gesellschaft ist. Es ist nicht nur so, dass die Familienarmut die Armut der Eltern ist. Das ist richtig, aber Kinder drängen Familien und Alleinerziehende auch zunehmend in Armut. Kinder sind ein Armutsrisiko, und das ist für eine Gesellschaft ein untragbarer Missstand.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü nen)