Zum Zweiten möchte ich feststellen, dass der Bericht der Arbeitnehmerkammer nicht nur Negatives, sondern auch positive Entwicklungen feststellt. Väter haben mehr Zeit für ihre Kinder. Die Vollzeitquote ist auf 70 Prozent gesunken. Man muss aber auch an dieser Stelle etwas Wasser in den Wein schütten. Bei den Vätern ist nicht nur mehr Teilzeitanteil festzustellen, sondern auch mehr Arbeitslosigkeit, die Reduzierung der Vollzeit durch Arbeitslosigkeit.
Immer mehr Mütter nehmen ihre Berufstätigkeit auf. Vor allem Mütter von jüngeren Kindern arbeiten mehr und häufiger, auch weil seit 2013 der Rechtsanspruch besteht. Die Erwerbsbeteiligung von verheirateten Müttern ist innerhalb von zehn Jahren von 31 Prozent auf 43 Prozent gestiegen. Das ist positiv, weil es das
Risiko der weiblichen Altersarmut mindert. Auch hier gehört aber wieder etwas Wasser in den Wein. Das liegt wohl mit daran, dass häufig ein Einkommen nicht mehr zum Überleben reicht.
Insgesamt muss man aber nach der Lektüre des Berichts zur sozialen Lage sagen, dass die Situation der Familien in Bremen alles andere als rosig ist. Paare mit Kindern sind doppelt so oft arm wie Paare ohne Kinder. Eltern, die ihre Kinder allein großziehen und Eltern von mehreren Kindern sind weit überdurchschnittlich armutsgefährdet. Am stärksten zugenommen hat die Armutsgefährdung der Alleinerziehenden. Das sind in Bremen immerhin 17 000 oder jede vierte Familie. 2012 waren noch 40 Prozent von ihnen armutsgefährdet. 2015, also nur drei Jahre später, waren es 56 Prozent. Das ist eine massive Steigerung in einem sehr kurzen Zeitraum. Eine ähnliche Armutsgefährdung gilt für Familien mit drei oder mehr Kindern mit 45 Prozent Armutsgefährdung.
Dass es anders laufen kann, zeigt die Zeit davor. Die Zahl der erwerbstätigen Alleinerziehenden stieg bis 2010 stetig in Bremen innerhalb von 15 Jahren um 15 Prozentpunkte auf 70 Prozent. Danach aber bricht die Kurve ein. Seit 2011 geht die Erwerbsbeteiligung erheblich zurück. Die Verbesserungen von Mitte der Neunzigerjahre bis 2010 wurden in nur sechs Jahren fast komplett zunichte gemacht. Seit 2010 ist Bremen bundesweit das Schlusslicht mit einer Erwerbstätigenquote von Alleinerziehenden von 58 Prozent. Die Kluft geht auseinander, das zeigen die Grafiken in der Studie.
Die Folge ist, dass über die Hälfte der Alleinerziehenden auf Sozialleistungen angewiesen ist und das zu 60 Prozent seit mehr als vier Jahren. Hier besteht also nicht mehr nur die Gefahr, sondern hier bestehen dauerhafte Armutsspiralen. Das muss aufhören, meine Damen und Herren!
Bremen versagt offensichtlich auf ganzer Linie dabei, gerade den Eltern, die die Unterstützung am dringendsten benötigen, nämlich denen, die die Erziehung allein schultern oder viele Kinder erziehen, diese Unterstützung auch zukommen zu lassen. Wir haben hier kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Aufgabe der Politik ist es, Lösungen umzusetzen, und genau daran hapert es gewaltig.
Ich möchte ein paar konkrete Vorschläge benennen, die nicht neu sind, die aber weiterhin ein Schubladendasein fristen. Es geht zum Beispiel um die Teilzeitqualifizierung. Es gibt viel zu wenig Angebote, und genau das ist wichtig für Alleinerziehende, denn sie können häufig nicht in Vollzeit Qualifizierungsmaßnahmen wahrnehmen. Es gibt zu wenig, und wenn es welche gibt, sind sie wohnortfern. Ich kenne Beispiele, dass Alleinerziehende über eine Stunde für eine Fahrt und noch einmal eine Stunde für die
Rückfahrt unterwegs sind, um zum Ausbildungs- oder zum Qualifizierungsort zu kommen. Sie sind effektarm.
Ein Beispiel habe ich aus der Praxis gehört: Eine Absolventen des JobKick-Programms hat ein Praktikum im Einzelhandel absolviert. Der Betrieb wollte sie übernehmen. Offensichtlich mochte man sich gegenseitig, und es hat gepasst. Die Alleinerziehende konnte das Angebot des Arbeitgebers – es ist ein Einzelhandelsbetrieb – aber nicht annehmen, denn der Arbeitgeber forderte eine Flexibilität für einen Teilzeitjob von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Das konnte sie natürlich nicht gewährleisten. Insofern scheitern diese Programme an der betrieblichen Praxis.
65 Prozent der erwerbstätigen Alleinerziehenden wünschen sich einen Teilzeitjob, aber die Betriebe nehmen keine oder kaum Rücksicht, insbesondere, wie erwähnt, im Einzelhandel, in der Alten- oder Krankenpflege. Am Montag gab es eine Veranstaltung in der Arbeitnehmerkammer zur Schichtarbeiterunvereinbarkeit, die gezeigt hat, dass selbst in stadteigenen Betrieben wie der GeNo Alleinerziehende nach der Elternzeit quasi verschwinden und die Berufstätigkeit nicht wieder antreten, weil der Schichtdienst immer eine individuelle Aushandlungssache ist, wie man das mit dem Arbeitgeber und vor allem mit den Kindern vereinbart. Auf Bundesebene wird gerade über ein Rückkehrrecht auf Vollzeit diskutiert. Nötig wären aus unserer Sicht familienkompatible Arbeitszeiten, insbesondere in den Schichtbetrieben.
Weil es hier keine gesetzlichen Regelungen und keinen gesetzlichen Anspruch gibt und weil natürlich die Kita-Öffnungszeiten nicht darauf ausgelegt sind, bleibt vielen Alleinerziehenden nichts anderes übrig, als die Arbeitszeit zu reduzieren. Angesichts der Geringschätzung der sogenannten Frauenberufe fallen sie damit fast automatisch in die Armut. Jede dritte Alleinerziehende im Leistungsbezug stockt in Bremen auf. Nebenbei noch einmal bemerkt – das sei mir am Frauentag gegönnt – sind 24 Prozent Gehaltsunterschied ein Skandal, den man nicht nur heute erwähnen muss.
Wenn Alleinerziehende Arbeitszeit nicht reduzieren möchten oder können, haben sie bei Vollzeit fast automatisch ein Betreuungsproblem. Der VAMV, der Verband alleinerziehender Väter und Mütter, hat vor einigen Tagen einen Hilferuf über seinen Verteiler geschickt, in dem eine Mutter, eine alleinerziehende Apothekerin, zweimal in der Woche eine Betreuung bis 18.30 Uhr für ihr Kind benötigt, ansonsten verlöre sie ihren Job. Es gibt keine institutionelle Betreuung, und es gibt keine Tagespflegeperson, die dafür infrage kommt.
Genau das ist wieder ein konkretes Beispiel aus der Praxis, dass es einen großen Bedarf an Ankereinrichtungen in Stadtteilen gibt, die erweiterte Öffnungszeiten haben. Sie wissen ganz genau, in welchen Stadtteilen das notwendig ist. Das sind hauptsächlich die prekären, die ärmeren Stadtteile. Die Koalition hat sich jetzt – Frau Dr. Bogedan ist nicht anwesend, aber die Koalitionäre sind da – darauf geeinigt, dass bei der Erweiterung der Öffnungszeiten erst einmal eine Bedarfsanalyse stattfinden soll, dann ein Modellversuch und dann wird das irgendwann auf die Fläche ausgeweitet. Ich glaube, wir wissen ganz genau, wo was nötig ist. Man könnte dort schneller tätig werden. Das würde den Alleinerziehenden konkret helfen.
(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Sie waren doch selbst in dem Ausschuss! Das verstehe ich nicht!)
Ja, das werden wir im Ausschuss auch sagen, Kollegin Dr. Schaefer! Momentan müssen sich Mama oder Papa schon froh schätzen, überhaupt einen Krippen- oder Kita-Platz zu bekommen. Selbst für den Fall, dass die Stadt Bremen die 1 766 noch unversorgten Kinder bis zum 1. August in Mobilbauten versorgen kann, hinkt die Stadt schon wieder hinter den eigenen Ausbauzielen hinterher.
Für die Einhaltung der Ausbauziele, die laut Arbeitnehmerkammer auch schon nicht reichen, müssen bis Sommer noch weitere 83 Einrichtungen geschaffen werden. Schaffen wird der Senat, das haben wir im Unterausschuss frühkindliche Bildung gehört, von den 83 Nötigen ganze sechs. Das bedeutet, dass insbesondere der aufholende Ausbau in den benachteiligten Stadtteilen wieder zumindest teilweise aufgeschoben wird, denn die sind es, wo die Versorgungsquoten am niedrigsten sind und nicht erreicht werden. Der aufholende Ausbau hat aber keine Zeit mehr, denn es gibt einen enorm hohen Ausbaubedarf, wenn man sich einmal anschaut, dass es in Gröpelingen eine Versorgungsquote von 19 Prozent im Vergleich zu Horn-Lehe mit 54 Prozent gibt.
Gerade in den ärmeren Stadtteilen muss massiv investiert werden. Die Weichen dafür werden gerade gestellt. Was uns hier fehlt, ist vorausschauende Planung. Schon lange wird die Bedeutung der Familienzentren in der politischen Debatte, im Armutsausschuss, in der Wissenschaft, in anderen Städten diskutiert, denn Familienzentren leisten konkrete Armutsprävention im direkten Lebensumfeld der Familien. Jetzt will Bremen massiv bauen, sogar in den ärmeren Stadtteilen, denkt aber diese Bedarfe, die Kitas, die 55 Einrichtungen, die jetzt gebaut werden sollen, auch wirklich zu Kinder- und Familienzentren auszubauen, genau wieder nicht mit. Vorausschauende Planung wäre, diese Kita-Bauten jetzt schon konzeptionell als Familienzentren zu denken und zu planen.
Es müssen aber nicht nur Kitas gebaut, sondern es muss auch die Qualität verbessert werden. Die Kitas in den ärmeren Stadtteilen fangen zum großen Teil die Folgen von Armut oder Migration auf. Sie brauchen eine bessere personelle Ausstattung, und zwar durch die Regelfinanzierung, nicht durch ein paar Euro, die noch hinzukommen. Deswegen möchten wir in den Haushaltsberatungen – wir halten das für erforderlich –, dass die Indexmittelausstattung angepasst wird – sie wurde schon jahrelang nicht mehr angepasst – und dass die Stadtteile auch wirklich nach den Sozialindikatoren ausgestattet werden. Das wäre dringend nötig.
Ich komme zurück zu den Alleinerziehenden! Wir haben im letzten Monat über die Bedarfsprüfung bei der Aufnahme von Kindern bei Alleinerziehenden gesprochen. Wir haben damals darüber diskutiert. Wir haben beantragt, dass die Bedarfsprüfung abgeschafft wird. Die Kollegen Güngör und Dr. Güldner haben gesagt, dass es nicht finanzierbar sei, weil dadurch der Kita-Ausbau ausgebremst werde und sich die Mittel in die Quere kämen.
(Abg. Güngör [SPD]: Sie sprechen von zwei unter- schiedlichen Dingen! Ja, gut, aber sie haben dabei offensichtlich einen Widerspruch, Kollege Güngör! Frau Senatorin Dr. Bogedan ist der Auffassung, dass es schon so ge- schieht, wie sie gesagt hat, dass die Bedarfe bei Alleinerziehenden nicht geprüft werden. Ich muss hingegen etwas anderes feststellen. Ich habe einen Bescheid aus der jetzigen Anmeldephase gesehen, in dem steht: „Für die Zusage eines sieben- oder achtstündigen Angebots gilt die folgende Einschränkung. In der Regel erteilen wir für diese Angebotsform nur in den (A) (C)
Fällen eine Zusage, in denen Eltern alleinerziehend und berufstätig sind oder sich in einer Ausbildung befinden beziehungsweise beide Elternteile berufstätig sind oder sich in Ausbildung befinden.“
Das ist der Originalton eines Bescheides. Offensichtlich prüfen die Einrichtungen doch den Bedarf auch von Alleinerziehenden und bewilligen keinen Vollzeitplatz. Wenn die Senatorin der Meinung ist, dass es notwendig wäre – sie sagte, es passiert sogar, dass man den Bedarf nicht prüft –, wäre es jetzt an der Zeit, hier Klarheit zu schaffen und den Einrichtungen deutlich zu machen, dass sie die Bedarfe nicht prüfen sollen.
Das waren eben ein paar konkrete Vorschläge. Zusammenfassend muss man sagen, dass Bremen eine soziale Infrastruktur braucht, die den Bedarfen von Familien entspricht. Bremen braucht vorausschauende Planung und eine Gesamtstrategie zur Armutsbekämpfung, die als Querschnittsaufgabe begriffen wird. Neben den infrastrukturellen Familienleistungen muss man aber auch die monetären Leistungen anschauen.
Grundsätzlich muss die Familienförderung vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die ärmsten Familien müssen am stärksten gefördert werden. Aktuell ist das andersherum. Davon profitieren vielleicht die Freundinnen von Frau Kollegin Lencke Steiner, die sie hier in der Debatte um den Kinderzuschlag erwähnt hat, aber nicht die 30 Prozent der armen Kinder in Bremen.
(Abg. Frau Steiner [FDP]: Frau Leonidakis, diese Scheiß-Neiddebatte geht einen so auf den Senkel! Allen Ernstes! Bleiben Sie doch einmal sachlich!)
(Abg. Frau Steiner [FDP]: Was Sie hier erzählen, was Sie wünschen! Machen Sie das doch für alle gleich, und fangen Sie nicht an, irgendwelche Vorurteile zu schüren!)
Das haben Sie selbst hier gesagt, Frau Steiner! Unsere Mindestanforderung ist, dass das Kindergeld nicht mehr auf Hartz IV angerechnet werden darf, wie es Schwarz-Gelb eingeführt hat, dass das Kindergeld genau bei den ärmsten Familien auch noch abgezogen wird.
Das wäre eine Mindestanforderung zur Armutsbekämpfung. Perspektivisch brauchen wir eine bedarfsgerechte Kindergrundsicherung. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, Frau Leonidakis! In vielen Teilen stimme ich Ihren Positionierungen zu. Ich glaube, dass ich an gewissen Stellen eine andere Akzentuierung habe. Das würde ich gern darstellen.
Erst einmal möchte ich mich aber bei der Arbeitnehmerkammer für diesen interessanten Bericht bedanken,
der noch einmal aufweist, an welcher Stelle wir unsere Arbeit verändern und den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Sie haben in großer Genauigkeit ein paar Dinge dargestellt. Ich will nur einmal eben zwei Punkte nennen.
Das eine ist, dass wir eine Abkehr vom traditionellen Familienbild haben, was erst einmal nicht schlecht, aber faktisch einfach so ist. Die traditionelle Familie, in der ein Mann arbeitet und die Frau zu Hause bleibt und die Kinder hütet, gibt es nicht mehr so. Das ist auch in Ordnung.