So ist es, ja! Es geht nicht um Prestigeprojekte. Der Zentralbeirat der Eltern schreibt es hier. Lesen Sie es, Herr Tschöpe. Hier geht es um Kinder. Hier geht es um unsere Zukunft.
Liebe Kollegen, wir haben hier Gäste auf den Besucherrängen. Ich glaube, wir geben hier gerade kein Vorbild ab.
(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Frau Böschen [SPD]: Da hätte man Interesse an der Sache und nicht am Klamauk haben müssen!)
Wenn Staatsrat Pietrzok sagt, wir seien auf einem guten Weg, dann sage ich Ihnen, wenn wir den Kilimandscharo besteigen wollen, dann stehen wir gefühlt noch am Bremer Flughafen. So ist es leider. So kann und darf es nicht weitergehen.
Frau Dr. Bogedan, ganz ehrlich, es grenzt schon fast an Heuchelei, wenn auf der Homepage zur Bildung Bremens steht, wir seien zukunftsfähig. Ich glaube, wir sind es noch lange nicht. Sie haben jetzt aber die Macht, es zu ändern. Sie haben die Riesenchance. Tun Sie es endlich!
berufsagentur wirbt im Moment mit einem bestimmten Slogan. Diesen sollten Sie sich zu Herzen nehmen: „Arsch hoch!“
(Beifall FDP – Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Es geht immer noch ein Stück tiefer! – Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Man sollte eigentlich gar nicht darauf reagieren!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es macht Sinn, sich noch einmal die Überschrift zu dieser Aktuellen Stunde anzuschauen. Wir reden hier über die Studie der Bertelsmann Stiftung zur Chancengleichheit. Ich habe Ihren Aussagen, Frau Steiner, überhaupt nichts zur Studie entnommen und muss leider sagen, ich glaube, Sie haben diese Studie überhaupt nicht gelesen.
Es tut mir auch leid, dass ich eben vielleicht etwas emotional geworden bin. Ich möchte versuchen, ein bisschen Sachlichkeit in diese Debatte zu bringen. Lassen Sie uns versuchen, uns wirklich die Studie anzuschauen. Während zum Beispiel der Nationale Bildungsbericht, den wir hier auch schon diskutiert haben, Auskunft über verschiedene Parameter des Bildungssystems gibt, konzentriert sich der Chancenspiegel auf ein zentrales Thema, nämlich die Chancengerechtigkeit der Schulsysteme in Deutschland. Dafür nutzt der Chancenspiegel Informationen aus dem Amtlichen Statistiken, Länderstatistiken, Ländervergleichsstudien, IGLU, IQB et cetera. Im Unterschied zu den anderen Berichtssystemen spiegelt der Chancenspiegel diese Ergebnisse anhand wichtiger wissenschaftlich-theoretischer Überlegungen zur Gerechtigkeit von Schule.
Wenn man Ihrer Rede zugehört hat – das haben wir fast geduldig getan –, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie nicht zum Chancenspiegel gesprochen haben, sondern vielleicht ansatzweise zur Ländervergleichsstudie IQB, über die wir im Übrigen auch hier im Parlament schon diskutiert haben.
„Deutschlands Schulsysteme wurden in den vergangenen 15 Jahren modernisiert, aber die Bundesländer haben sich sehr unterschiedlich entwickelt.“
„Der Chancenspiegel attestiert allen Bundesländern, ihre Schulsysteme insgesamt leistungsstärker und chancengerechter gemacht zu haben – wenn auch auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlichen Schwachstellen.“
Allen Bundesländern! Hier gibt es keine Ausnahme, wie Sie es hier implizieren. Auch Bremen gehört dazu; denn insgesamt gibt es in Deutschland mehr bessere Schulabschlüsse, weniger Wiederholer – die Leistungen haben sich verbessert –, mehr Inklusion und mehr Ganztag. Das können Sie alles in der Studie nachlesen.
Nachlesen kann man im Übrigen auch, dass die soziale Herkunft der Schüler immer noch erheblich die Chancen beeinflusst. Das ist das eigentliche Problem, welches wir in den Schulsystemen in Deutschland haben. Die Chancen benachteiligter Schüler haben sich zwar in dem betrachteten Zeitraum verbessert, es bleibt in Deutschland aber die zentrale Herausforderung für die Schulpolitik. Trotzdem wird in der Studie festgehalten:
„‚Bei zunehmender Vielfalt in den Klassenzimmern gibt es in den Bildungssystemen aller Bundesländer Verbesserungen. Das ist ein Verdienst von Politik und Lehrern‘, sagt Jörg Dräger, Vorsitzender der Bertelsmann Stiftung.“
Diese Entwicklung kann man auch einmal würdigen und ansprechen. Das hätte ich mir auch von der FDP gewünscht. Sicherlich gilt das für die Schulen in Bremen und Bremerhaven auch, meine Damen und Herren.
Es ist auch nicht so, dass sich die Schülerschaft seit PISA sehr einfach weiterentwickelt hat. Das muss man in dieser Debatte auch erwähnen. Alle Bundesländer haben sich mit vernünftigen Empfehlungen von Schulexperten für mehr Durchgängigkeit von Schulen entschieden und Abschied von dem starken Sortieren der Kinder genommen. Selbst die früheren Gegner von gemeinsamer Beschulung gestehen heute, dass moderne Pädagogik ein gemeinsames Lernen besonders voneinander mit sich bringt. So lässt sich in der Studie auch lesen:
„Die Analyse schulstatistischer Daten von 2002 bis 2014 zeigt, dass alle Bundesländer trotz gewachsener Herausforderungen ihre Schulsysteme insgesamt leistungsstärker und chancengerechter gemacht haben.“
Frau Steiner, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, die Studie in den Fokus Ihrer Debatte zu stellen, würden Sie auch den Rahmen beschreiben, mit dem die Studie versucht, Chancengerechtigkeit darzustellen. Diese Worte sind in keiner Weise irgendwo in Ihrer Rede erwähnt worden. In der Studie steht nämlich:
„Ein Schulsystem, das sich diesem Anspruch stellt, muss integrieren, durchlässig sein, Kompetenzen vermitteln und Leistungen durch entsprechende Zertifikate anerkennen.“
Auf diese vier theoretisch hergeleiteten Dimensionen von Chancengerechtigkeit wird im Chancenspiegel fokussiert, also auf Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und eine entsprechende Zertifikatsvergabe.
Betrachten wir jetzt einmal Bremen genauer, und zwar aus der Studie „Chancenspiegel“, dem Thema der Aktuellen Stunde. Daran haben Sie völlig vorbeigesprochen. Wir halten zuerst einmal fest, wenn man sich das Chancenprofil Bremens anschaut: Schülerzahl 2005/2006: 71 907 Schüler, Schülerzahl 2010/2011: 67 046 Schüler, Schülerzahl 2014/2015: 63 807 Schüler. Die Schülerzahlen sind in den letzten zehn Jahren gesunken. Alle, die bis heute immer noch in der Öffentlichkeit erzählen, es hätte keine demografische Rendite gegeben, können sich diese Zahlen gern noch einmal anschauen. Es sind 8 000 Schüler weniger. 4 000 Schüler sind es seit Beginn der Schulreform weniger. All diese Mittel sind unter Rot-Grün im Schulsystem geblieben. Das war auch richtig, meine Damen und Herren.
Kommen wir zur Studie zurück! Die Studie konzentriert sich auf die genannten vier Domänen. Die erste Domäne ist, wie gesagt, die Integrationskraft. Ich zitiere wieder aus dem Bericht. Hören Sie jetzt genau zu:
„Bremen gehört bezogen auf die Indikatoren der Integrationskraft häufig zu den erfolgreichen Ländern Deutschlands:“
„Der Stadtstaat wird seit dem Schuljahr 2002/03 immer wieder in der oberen Gruppe verortet. Im Hinblick auf den Inklusionsanteil ist dies sogar durchgehend der Fall.“
Keiner streitet ab, dass wir auch Probleme in der Inklusion und einige Standorte haben, an denen es besonders schwierig ist. Das haben wir an keiner Stelle getan. Zur Wahrheit gehört aber eben auch, dass
ein Großteil der Kinder, die angeblich lernbehindert sind – wofür die es immer noch keine wissenschaftlich vernünftige Definition gibt –, erfolgreich inklusiv beschult wird. Das gehört zur Chancengerechtigkeit. Das wird in dieser Studie ausdrücklich positiv dargestellt, meine Damen und Herren.
Auch der Anteil der Schüler im Ganztag und der Schüleranteil im gebundenen Ganztag sind im Ländervergleich in der mittleren oder oberen Gruppe.
Die Domäne Integrationskraft ist also im Ländervergleich eine durchaus erfolgreiche, die Sie aber, meine Damen und Herren von der FDP, versäumen, entsprechend zu würdigen.
Die zweite Domäne ist die Durchlässigkeit. Auch hier ist Bremen, bezogen auf die Wiederholerquote, dem Wechsel zwischen den Schularten und dem Anteil an Neuzugängen im dualen System, im Ländervergleich in der mittleren und in der oberen Gruppe. Lediglich die Übergangsquote von Grundschulen auf Gymnasien liegt im Ländervergleich in der unteren Gruppe. Das ist aber seit der Schulreform statistisch einfach zu erklären, denn seit der Einführung der Oberschule und dem Auflösen der Schulzentren ist der Wert seit 2010 gesunken. Das hat aber weniger Relevanz, weil die Oberschulen genauso wie die Gymnasien alle Abschlüsse, inklusive Abitur, anbieten.
Kommen wir zur nächsten Domäne, zur Kompetenzförderung. Da kommt für Sie ja das angeblich spektakuläre Versagen. Hier spiegelt die Studie das wider, was wir aus dem IQB-Ländervergleich schon ausführlich diskutiert haben: niedrige und mittlere Testleistungen im Hinblick auf Lesekompetenz und mathematische Kompetenzen, besonders in Abhängigkeit zu Armut und einem bildungsfernen Elternhaus.