Protokoll der Sitzung vom 08.03.2017

Kommen wir zur nächsten Domäne, zur Kompetenzförderung. Da kommt für Sie ja das angeblich spektakuläre Versagen. Hier spiegelt die Studie das wider, was wir aus dem IQB-Ländervergleich schon ausführlich diskutiert haben: niedrige und mittlere Testleistungen im Hinblick auf Lesekompetenz und mathematische Kompetenzen, besonders in Abhängigkeit zu Armut und einem bildungsfernen Elternhaus.

Hier bestätigt die Studie sogar, dass Bremen mit den anderen Stadtstaaten die Herausforderung teilt, die mit diesem Befund einhergeht. Das ist eine unterstützende Aussage für all jene, die den Vergleich der Flächenländer mit den Stadtstaaten infrage stellen. Zu Recht, meine Damen und Herren!

Die letzte Domäne ist die Zertifikatsvergabe. Hier wird ausdrücklich die hohe Abiturientenquote gewürdigt. Da sind wir im Ländervergleich in der oberen Gruppe.

Die drei weiteren Indikatoren, die ich jetzt einfach einmal weglasse, bewegen sich in der mittleren Gruppe.

Diese vier Domänen werden anhand von 19 verschiedenen Indikatoren in dieser Studie analysiert. Sie schaffen es, diese Debatte lediglich auf zwei bis drei Indikatoren zu verkürzen. Damit schaffen Sie ein völlig falsches Bild, Frau Steiner.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Eigentlich hätte ich mir diese Worte gespart, aber nach Ihrem Auftritt kann ich nur sagen: Das ist entweder bewusst und populistischer Aktionismus, oder es ist einfach nur Faulheit. Beides ist nicht in Ordnung. Vielleicht ist es Faulheit, weil Ihnen die Materie zu komplex ist. Sie haben in keiner Weise irgendetwas aus der Studie erwähnt. Beides ist nicht vertretbar. Beides wird dem Thema nicht gerecht. Ihre pauschale Verurteilung der bremischen Bildungslandschaft ist unfair.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Habe ich auch nicht zu- gehört! Machen Sie einmal die Augen zu! Handeln Sie doch einmal!)

Ihre Bewertungen gehen am Inhalt der Studie völlig vorbei, Frau Steiner. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In zugegeben sehr freier Anlehnung an Loriot könnte man sagen: Eine Aktuelle Stunde zum Chancenspiegel der Bertelsmann Stiftung ist möglich, aber nicht wirklich aktuell.

(Beifall CDU, SPD, DIE LINKE)

Denn der Chancenspiegel ist eine Meta-Studie, basierend auf bereits vorhandenen Studien und Zahlen, im Wesentlichen also eine Verdichtung und Zusammenfassung. Nicht mehr und nicht weniger! Vieles wurde hier schon diskutiert und angesprochen. Eine Debatte im Zuge von Maßnahmen und inhaltsbezogenen Anträgen wäre mir lieber. Da sind wir, so denke ich, auch schon ein bisschen weiter als Sie, Frau Steiner. Herr Güngör hat zu Recht darauf hingewiesen: Über die Studie haben Sie nur zum Teil gesprochen. Das sollte hier festgehalten werden.

Immerhin macht die Studie den Ernst der Lage noch einmal deutlich. Da unterscheiden wir uns vielleicht auch in der Bewertung ein bisschen, Herr Güngör, wenn das eigentlich überhaupt noch notwendig ist. In der Tat haben wir Probleme, die ich aus unserer Sicht kurz benennen möchte. Wir haben häufige und vielfältig dokumentierte Schwierigkeiten mit der Qualität, mit den dabei gemessenen Kompetenzniveaus, bezogen auf Alter und Schuljahrgänge. Bemerkenswert dabei ist, dass wir nicht nur zu viele Schwächere, sondern auch zu wenige in den Spitzengruppen haben. Es bleibt ein politischer Skandal, wenn es im Chancenspiegel heißt – darauf hat Frau Steiner denn doch zu Recht hingewiesen –:

„Beim Kompetenzerwerb in der neunten Klasse klafft ein Unterschied von mehr als drei Lernjahren zwischen Bremen und Sachsen.“

Das ist uns bleibt insbesondere deshalb ein Skandal, weil das systematisch schlechtere Chancen für unsere Absolventen bedeutet. Das ist zutiefst ungerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Das ist aber noch nicht alles. Wir haben einen hohen und offenbar eher steigenden Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und sozialem Status. Wir haben nach wie vor zu hohe Abbrecher- und Schulvermeiderquoten, offenbar insbesondere in Bevölkerungsgruppen mit migrantischem Hintergrund. Wir haben Reformvorhaben wie die Inklusion und die Ganztagsschule, die schnell eingeführt und begonnen, dann aber halbherzig umgesetzt wurden und eindeutig nach wie vor unter Ausstattungsmängeln leiden. Wir haben eine seit circa zwei Jahren deutlich erhöhte Zuwanderung mit der deutlichen Gefahr weiterer Segregation, von der einzelne Teile der Städte unseres Landes ganz besonders betroffen sind.

Meine Damen und Herren, jedes einzelne Feld ist für sich eine Herausforderung für unsere Schulen. In der Gesamtschau aller Probleme sehe ich für Schulen in einigen Regionen die Grenze der Überforderung erreicht. Das erlaubt keine weiterhin zögerliche Reaktion und Augen-zu-und-durch-Politik.

(Beifall CDU)

Auch relativierende Argumente haben sich verbraucht. Es reicht nicht, gebetsmühlenartig auf soziodemografische Struktur oder die Haushaltsnotlage zu verweisen. Ja, es ist wahr. Sie haben Einfluss. Es hilft aber niemandem auf Dauer weiter.

Diese Debatten sind vielmehr Teil eines bildungspolitischen Rituals geworden und sollen erklären, was längst niemand mehr will, nämlich Stillstand und Mangelverwaltung. Die Menschen in unserem Bundesland haben deshalb zeitnah Anspruch auf Antwort und möchten nicht, dass sich Bildungspolitik weiterhin im ritualisierten Zuhören ergeht. Rechtfertigungen auf der einen und Effekthascherei auf der anderen Seite!

Noch dringender als Problembeschreibungen benötigen wir nämlich endlich Lösungen und Lösungsgeschwindigkeit, die der Geschwindigkeit der Problementwicklung entspricht. Nein, wir benötigen endlich Aufholgeschwindigkeit. Das ist die entscheidende Forderung an die politische Verantwortung, Herr Güngör.

(Abg. Güngör [SPD]: Das ist auch nicht Bestandteil der Studie, Herr Dr. vom Bruch!)

Das ist eine Konsequenz aus dieser Studie, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Lassen Sie mich deshalb die aus meiner Sicht vordringlichen Handlungsfelder in den Blick nehmen. Ganz im Vordergrund steht dabei für mich die Stärkung der frühkindlichen Bildung. Eigentlich ist „Stärkung“ gar nicht das richtige Wort. Wir benötigen einen Paradigmenwechsel. Wir benötigen mehr vorschulischen Charakter, wo bislang der Betreuungsgedanke im Vordergrund steht. Kinder, die eingeschult werden, müssen grundsätzlich auch schulfähig sein. Das gilt für die Fertigkeiten in der deutschen Sprache, das gilt aber auch für das soziale Lernverhalten. Schulen in der Gegenwart sind viel zu sehr im Kompensationsmodus verhaftet. Das betrifft nicht nur die Grundschulen, sondern das betrifft inzwischen auch die weiterführenden Schulen.

Die sprachliche Heterogenität in den Klassen ist zumindest zum Teil einfach zu hoch, insbesondere wenn man sie in Beziehung zu den verfügbaren Personalkapazitäten setzt. Sie erlaubt gelegentlich kaum noch Unterricht, wie wir ihn uns vorstellen. Deshalb benötigen wir eine verbesserte vorschulische Prävention durch noch mehr Kita-Beteiligung insbesondere dort, wo sie im Augenblick noch unterdurchschnittlich ausgebildet ist. Das sind eben häufig die sozial schwächeren und/oder die Bereiche mit einem verstärkten migrantischen Hintergrund, die in der Studie besonders angesprochen werden.

Es muss einerseits gelingen, schneller und bedarfsdeckend im Angebot besser zu werden. Ich sage andererseits dazu spiegelbildlich auch, es erfordert mehr Verbindlichkeit und mehr Verpflichtung zur Teilnahme an diesen Angeboten im Interesse der Kinder; denn es bleibt wahr, nein, meine Damen und Herren, es ist wahrer denn je: Auf den Anfang kommt es an!

(Beifall CDU)

Eine besondere Problematik sind nach wie vor die Übergänge. Sie zeigen, dass vorhandene Defizite während der Schule zunehmend weniger aufzuholen sind, dass es sich lohnt, früh mit Prävention und Förderung zu beginnen, statt auf Nachholen und Reparatur zu setzen, was übrigens überdurchschnittlich häufig misslingt und nach wie vor zu viel zu hohen Abbrecherquoten führt. Betroffen sind häufig sozial schwache Familien und insbesondere Familien mit migrantischem Hintergrund. Ja, ich sage bewusst: Familien! Schulen haben bei Bildung, Erziehung, Integration und Berufsvorbereitung wichtige Funktionen.

Auch Eltern müssen aber gelegentlich – wenn es nottut, auch nachdrücklich – an ihre Pflichten bei der Begleitung ihrer Kinder erinnert und einbezogen

werden. Übrigens bindet das zum Beispiel durch Sozialarbeit auch Kapazitäten in den Schulen. Wichtig ist aber, Schulen benötigen die soziale Unterstützung einer Gesellschaft und einer ganzheitlichen Stadtentwicklung. Schulen – das müssen wir uns deutlich machen – sind nicht der Reparaturbetrieb für alles in dieser Gesellschaft.

(Beifall CDU)

Die Bertelsmann Studie enthält mit Bezug auf Bremen auf den ersten Blick auch positive Nachrichten. So sagt sie zum Beispiel, dass die Inklusion bei uns weit fortgeschritten sei. Leider hält hier die Realität einem zweiten Blick nicht stand. Das offenbart gleichzeitig die Schwäche der Studie. Sie bezieht sich auf Zahlen, auf Quantitäten, nimmt die Qualität der Umsetzung aber nur sehr rudimentär in den Blick.

Die Brandbriefe – man muss inzwischen schon im Plural reden – aus dem Bremer Westen sind nur ein Beispiel dafür, welche Widersprüchlichkeit ich dabei meine. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht. Das gilt im Augenblick leider im Wesentlichen für alle Reformvorhaben.

Die Inklusion war von Anfang an unzureichend vorbereitet und leidet bis jetzt an einer völlig mangelhaften Ausstattung. Wir sind im Übrigen auch dafür, dass Qualität in der Inklusion bedeutet, nicht nur defizitorientiert zu denken. Wir müssen alle Begabungen, also auch Hochbegabungen, in den Blick nehmen. Individualisierte Förderung und Leistungsforderung müssen der Kern unserer bildungspolitischen Kultur an den Schulen sein beziehungsweise werden, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU)

Bei der Schaffung neuer Ganztagsschulen zeigen sich ähnliche Probleme. Auch hier reicht es nicht, ein neues Schild mit der Aufschrift „Ganztagsschule“ an die Wand zu hängen, sondern wo „Ganztagsschule“ dransteht, muss auch Ganztagsschule drin sein.

(Abg. Güngör [SPD]: Dafür werden wir in der Stu- die ausdrücklich gelobt, besonders im Hinblick auf integrative Ganztagsschulen! Darauf kommen Sie sicherlich gleich noch!)

Ja, dazu kommen wir gleich! Das setzt in der Regel nicht nur die gebundene Form, sondern auch eine andere und anders ausgestattete Schule voraus. Die Entwicklung der Ganztagsschule gestaltet sich dagegen übrigens entgegen der anerkannten Erfordernisse in jeder Hinsicht fast quälend langsam. Wenn die Studie feststellt, dass es zumindest bundesweit beim derzeitigen Reformtempo noch mindestens drei Jahrzehnte erfordert, bis jedes Kind einen Ganztagsschulplatz hat, dann ist das eine Botschaft, die man nicht zu kommentieren braucht. Die Geschwindigkeit

ist jedenfalls geradezu umgekehrt proportional zum steigenden Problemdruck, meine Damen und Herren.

Zum Schluss lassen Sie mich sagen, es gibt auch Fortschritte, die hier nicht unerwähnt bleiben sollen. Die Handlungsfelder „Durchlässigkeit“, „Digitalisierung“ und „Berufsorientierung“ wären hier zu nennen. Dennoch blicke ich mit Skepsis auf die nahe Zukunft, auf deren Herausforderungen wir meines Erachtens nur unzureichend vorbereitet sind. Demografie und Zuwanderung sorgen für einen hohen Bedarf an Kita- und Schulplätzen. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass sich Kita und Schule – bei manchen auch zusätzlich das Wohnen – vornehmlich in Mobilbauten abspielt.

Das hintergründige Nadelöhr ist allerdings bei Weitem nicht nur die fehlende Infrastruktur oder fehlendes Geld, sondern es wird am Ende das Personal sein. Das gilt für die Bereiche Kita und Schule fast gleichermaßen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des letzten Schuljahresbeginns, wo Sie in Bremen und Bremerhaven schon circa 80 Stellen nicht besetzen konnten, scheint klar, dass die Personalfrage die eigentliche Achillesferse ist und bleiben wird, insbesondere da, wo sie – wie im Westen – schon jetzt das Hauptproblem ist. Damit zusammenhängend scheint auch die versprochene Reduzierung des Unterrichtsausfalls in weite Ferne gerückt, obwohl auch das etwas mit Qualität zu tun hat.

Deshalb bin ich nicht nur auf die Ergebnisse der Evaluation des Konsenses Ende des Jahres gespannt. Es besteht schon jetzt dringender Handlungsbedarf. Weichenstellungen werden demnächst ja auch schon vorgenommen. Die Haushaltsberatungen und das nächste Kita- und Schuljahr stehen bevor. Da stimmen mich die Situation und insbesondere die Vergangenheit nicht besonders optimistisch, wenn es Ihnen nicht gelingt, mehr Mut zur Schwerpunktsetzung, zur Verlässlichkeit, zur Vorausschau und vor allen Dingen zu mehr Geschwindigkeit bei den Reformvorhaben zu entwickeln. – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch bei dieser Debatte muss ich feststellen, dass es besser gewesen wäre, die fachpolitische Sprecherin der FDP hätte gesprochen, denn sie hätte zum Thema gesprochen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ehrlich gesagt, stört mich eines wirklich, Frau Dr. Schaefer – Frau Steiner.