Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Nicht grün!)

nicht einig, aber ich spreche ja hier für die Grünen in Bremen. Aus diesem Grund haben wir das FünfPunkte-Programm der grün mitregierten Länder und

des Bundes- und Fraktionsvorstands der Grünen auch nicht mitgetragen, und ich habe Ihnen hier dargelegt, wie wir Grünen in Bremen die Asylpolitik bewerten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe mich aber eigentlich gemeldet, um nicht auf Sie, Herr Röwekamp, einzugehen, sondern weil ich finde, dass die Rede von Herrn Tassis nicht einfach so ohne Erwiderung hier im Raum stehen bleiben kann.

Herr Tassis, Sie haben gesagt, das geistige Niveau der anderen Redebeiträge wäre unterirdisch gewesen. Ich glaube, alle Rednerinnen und Redner, die hier vorn standen, haben sich sehr ausführlich mit der Asylpolitik in Deutschland beschäftigt, Sie haben sich die Gründe, die Zahlen, die Probleme angeschaut und überlegt, wie wir die Probleme lösen können. Hier jedoch mit platten und flachen Parolen das geistige Niveau der anderen Redebeiträge zu bemängeln, das, finde ich, ist schon ein starkes Stück, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE)

Wenn Sie Herrn Orbán als Vorbild haben, dann kann ich nur sagen, das lässt tief blicken. Ein Mensch, der Menschen in Not zurücklässt, der den Menschen, die Hilfe benötigen, diese Hilfe verweigert, der Grenzen schließt und nationalen Ideen und Interessen den Vorrang gibt, der ist, glaube ich, für alle anderen hier kein Vorbild.

Des Weiteren zu sagen, 70 Prozent der Menschen, die hier Zuflucht suchen, wären verantwortungslos hereingeholte Leute, das, finde ich, ist schon eine Verdrehung der Tatsachen, ein Verschließen der Augen vor den realen Problemen in dieser Welt, und das kann man wirklich so nicht akzeptieren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE)

Sie haben gesagt, die AfD oder Ihr Beitrag trage zur Buntheit in der Bürgerschaft bei. Es gibt hier rot, rotgrün, schwarz, gelb, aber eines sage ich Ihnen: Bei solchen Redebeiträgen wie Ihren verzichte ich sehr gern auf die Farbe der AfD hier in diesem Parlament! – Danke!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mir ist klar, dass dies heute eine lange

Debatte ist, und mir ist auch klar, dass gleich Mittagspause ist. Trotzdem will ich zu ein paar Aspekten noch etwas sagen.

Herr Röwekamp, Sie haben aus meiner Sicht durchaus recht. Nicht immer ist der Weg über das Asyl der richtige Weg, aber derzeit haben wir keinen anderen. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass Sie vielleicht erst dann in der Frage eine Gemeinsamkeit entwickeln können, wenn wir ein vernünftiges Einwanderungsgesetz haben, das genau diesen Weg eröffnet, den wir derzeit eben nicht haben.

Zu den, wie ich finde, deutlich rechtslastigen bis rechtsradikalen Äußerungen von Herrn Tassis! Das ist, ehrlich gesagt, genau das, was ich vorhin meinte: In den Niederungen dieser Gesellschaft tummelt sich so manch braunes Zeug, und zwar nicht nur im Internet, sondern offensichtlich auch hier in der Mitte der Bürgerschaft.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Nein, am Rande, nicht in der Mitte der Bürgerschaft!)

Am Rand, ist mir recht, aber auf jeden Fall hier in der Bürgerschaft! Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir es gemeinsam nicht dulden, dass solche Redebeiträge hier in der Form gehalten werden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Zu Lencke Steiner möchte ich sagen: Wenn man gegen den Mindestlohn ist und meint, man müsse bei jedem Thema noch einmal darauf hinweisen, dann wird das der Debatte in diesem Zusammenhang überhaupt nicht gerecht.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Buh- lert [FDP]: Es ging an der Stelle um Praktikanten!)

Sie betonen immer, dass Sie Unternehmerin sind, das sagt ja noch nicht, ob Sie eine gute oder eine schlechte Unternehmerin sind.

(Beifall SPD)

Das ist in der Diskussion, ob der Mindestlohn nun gut oder schlecht ist, wenig hilfreich. Sie versuchen, dort ein bestimmtes Klientel zu bedienen, und ich sage Ihnen aus sozialpolitischen Gründen und nach langen Diskussionen: An dieser Stelle den Mindestlohn anzugreifen, halte ich für ziemlich unterirdisch. – Danke für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich nach dem Bei

trag von Herrn Röwekamp noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich glaube, dass man noch ein bisschen verdeutlichen muss, wie Asylverfahren in Deutschland laufen.

Vorweg möchte ich aber sagen, dass ich die Diskussion nicht nur heute in der Bürgerschaft, sondern auch bundesweit in den letzten Wochen ziemlich bemerkenswert finde, weil sie aus den unterschiedlichsten Ecken und Parteien die unterschiedlichsten Vorschläge hervorruft, sieht man einmal von dem ab, was Herr Röwekamp eben zu Recht als rechtsradikales Gedankengut tituliert hat, das wir zuletzt in der Bürgerschaft hatten, als die DVU hier einen Sitz hatte. Das gehört in diese gesellschaftliche Debatte überhaupt nicht hinein.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich werde auf diesen geistigen „Dünnsinn“, um ein anderes Wort zu vermeiden, auch nicht weiter eingehen, das kann man draußen machen, da muss man Menschen überzeugen, die dem anhängen. Ich weigere mich, hier auf solch ein Niveau zu sinken.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme noch einmal auf Ihren Beitrag zurück, Herr Röwekamp! Was die Frage der Roma angeht, haben Sie eben etwas ganz Interessantes gesagt, nämlich dass wir in Europa einen anderen Weg finden müssen, wie wir mit dieser Problematik umgehen und vor allen Dingen mit der Situation, dass Roma in vielen Ländern Verfolgung und in den meisten Ländern Stigmatisierungen ausgesetzt sind, auch innerhalb Deutschlands, auch innerhalb Frankreichs. Das wissen wir, wir kennen die ganzen Bilder und Geschichten.

Aber wenn Sie all diese Anerkennungszahlen herunterrasseln, dann verzerrt das ein wenig das Bild, wie Asylverfahren laufen. Ich habe gerade eben schon gesagt, im Grunde gibt es in Deutschland eigentlich nur ein eingeschränktes Recht auf Asyl, weil Deutschland in den Neunzigerjahren die Drittstaatenregelung eingeführt hat. Das habe ich eben plastisch dadurch signalisiert, dass niemand mit dem Fischkutter hier in Wilhelmshaven ankommt. Es gibt aber natürlich Lageberichte des Auswärtigen Amtes – darauf beziehe ich mich – nach denen bestimmte Länder eingestuft werden, und die Menschen aus diesen Ländern genießen dann Asyl. Es gab ein paar Jahre, in denen so gut wie kein Zielstaat von den Lageberichten des Auswärtigen Amtes eingestuft worden ist. Es gab lange Jahre, in denen in Deutschland tatsächlich nur Asylbewerber anerkannt wurden, die aus dem Iran kamen, und gelegentlich – je nachdem, woran die EU interessiert war – Kurden aus der Türkei.

Wenn Sie jetzt all diese Anerkennungsquoten herunterrasseln, dann muss man dazu auch sagen, das ist vielleicht nicht der richtige Weg – das habe ich hier auch schon einmal gesagt – für die Menschen, die

aus den Balkanländern nach Deutschland oder Europa kommen, um hier Arbeit zu suchen, teilweise sogar noch temporär. Die Berichte aus Albanien und aus Serbien über die Frauen kennen wir doch, die sagen: Wir wollen nur jetzt nach Deutschland, weil wir hier eine Ausbildung haben, hier werden Krankenschwestern gesucht, und wir wollen uns dann anschließend mit dem Geld zu Hause etwas aufbauen. Dass wir dafür andere Wege finden müssen, sehe ich genauso.

Ich will aber auch noch einmal sagen, für bestimmte Länder ist das Asylverfahren verkürzt worden, und dementsprechend gering sind die Anerkennungsquoten. Aber natürlich haben diese Menschen, die in den verkürzten Asylverfahren abgelehnt worden sind, noch die Möglichkeit, ein Gericht anzurufen, denn es gibt eben nicht nur die zielstaatsbezogenen und die personenbezogenen Abschiebungshindernisse, die nach einem Asylverfahren noch hinzukommen, sondern es gibt auch noch die Möglichkeit, in einem Asylverfahren einen individuellen Verfolgungsgrund geltend zu machen. Das muss man mit einbeziehen, solange wir diese Gesetzgebung haben.

Deswegen sage ich, ich finde den Weg falsch, zu sagen: Die Familien dieser Kinder sollen so lange von Integrationsleistungen ausgeschlossen sein, denn selbst nach einer Ablehnung im Gerichtsverfahren kann eine Frau aus einem Land im Balkan, die eine schwere Form von Diabetes hat, immer noch nicht abgeschoben werden, und ist dann immer noch hier. Sollen die Kinder dafür bestraft werden, dass sie aus einem bestimmten Land kommen, und dann hier nicht zur Schule gehen? Das kann es nicht sein!

(Beifall DIE LINKE)

Ansonsten habe ich hier auch einige Fragen gestellt, auf die ich gern Antworten erhalten hätte, nämlich wie Bremen zukünftig zu der Sanierungsvereinbarung beziehungsweise unter diesen veränderten Voraussetzungen überhaupt zu den Annahmen steht,

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das diskutieren wir ja morgen!)

denn das hat natürlich etwas damit zu tun, wie unser Bürgermeister morgen in die Ministerpräsidentenkonferenz geht. Darauf hätte ich auch gern ein paar Antworten bekommen.

Allerdings hätte ich auch von der CDU gern eine Antwort darauf gehabt, wie sie zu dem Dublin-Abkommen steht,

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das habe ich doch gesagt!)

denn das Dublin-Abkommen führt ja zu diesen Unwuchten. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind aus Syrien jeweils 2,5 Millionen Menschen geflohen. Sollen sie alle in Griechenland oder Italien unterkommen? Das besagt nämlich das Dublin-Abkom

men. Das kann es doch nicht sein, Herr Röwekamp! Da muss man natürlich eine andere europäische Asylpolitik verfolgen.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Röwekamp [CDU]: Eben, Quoten! Das habe ich doch alles gesagt!)

Das andere ist – diese Frage haben wir hier noch nicht berührt, aber wir müssen sie auch ansprechen –: Zumindest wir vier Fraktionen sind uns einig, dass die Menschen, die zum Beispiel aus Syrien kommen, sicher als Asylbewerber anerkannt und auf Dauer hier bleiben werden. Sie können auch gar nicht zurückkehren, weil das, was im Nahen Osten und insbesondere in Syrien geschieht, total dramatisch ist, da wird ja auf Dauer eine ganze Region entvölkert. Das heißt, wir wissen, dass diese Menschen dann dauerhaft hier sind, das sind auch dauerhaft Neubremer.

Das heißt, wir müssen nicht nur die Fragen nach Aufenthalts- und Asylgesetzgebung sowie dem Einwanderungsgesetz stellen, sondern auch die Frage nach der Einbürgerung. Müssen diese Menschen, wenn sie hier eine Asylanerkennung haben und wir wissen, dass sie dauerhaft hier sind, acht Jahre warten, bis sie hier ihre demokratischen Rechte wahrnehmen können? Auch diese Diskussion müssen wir führen, auch wenn es die Bundesgesetzgebung betrifft.

(Beifall DIE LINKE)