Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Frau Senatorin, dass Sie die Antwort des Senats, Drucksache 19/1004, auf die Große Anfrage der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD nicht mündlich wiederholen möchten.
Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.
Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum beschäftigen wir uns andauernd mit den Fragen der Psychiatrie, hier wieder mit der Frage, wie es mit der Psychiatriereform weitergeht? Wir finden eben nach wie vor, dass es dort Verbesserungsbedarf gibt.
Worum geht es konkret in dieser Großen Anfrage? Es geht um die Menschen, die sonst so gut wie keine Stimme und nach wie vor eine sehr geringe Lobby haben, nämlich um Menschen mit schweren und chronischen seelischen Erkrankungen. Insgesamt haben seelische Erkrankungen nicht mehr das Stigma, das sie noch vor einigen Jahren und Jahrzehnten hatten. Die Versorgung ist insgesamt deutlich besser geworden; der Zugang zur Psychotherapie ist viel besser geworden. Es ist nicht mehr peinlich zu sagen: Ich gehe zur Psychotherapie.
Auch in den allgemeinen Medien hat sich das Wissen um seelische Gesundheit und seelische Erkrankungen deutlich verbessert. Da gibt es also eine ausgesprochen positive Entwicklung. Menschen mit schweren und chronischen seelischen Erkrankungen haben aber nach wie vor eine zu geringe Lobby. Sie haben nicht nur in Bremen, sondern bundes- und weltweit einen schlechteren Zugang zu guter Versorgung als gesündere Menschen.
Darum hat sich der bundesdeutsche Gesetzgeber ausgedacht, diesen Menschen ein Hilfesystem zur Seite zu stellen, das in aller Regel in kommunaler Trägerschaft liegt und das wir Pflichtversorgung nennen. So ist es auch hier in Bremen. Es ist richtig, dass man eine Pflichtversorgung beschlossen hat, damit diese Menschen eben nicht hintenüber fallen.
Wir erinnern uns alle, dass wir den entsprechenden Bürgerschaftsbeschluss 2013 in großer Einigkeit gefasst haben und wir uns über vier Punkte einig waren, die sich bei der psychiatrischen Versorgung verbessern müssen:
Die Menschen, die schwer und chronisch psychisch krank sind, sollen besser behandelt werden. Wir haben den Grundsatz „ambulant vor
Wir haben beschlossen, dass wir mehr Vernetzung zwischen ambulanten und stationären Angeboten und eine ganz klare Patientenorientierung haben möchten. Das heißt, es wird vom Patienten her geschaut, aber es werden auch das Wissen und die Expertise von Menschen in die Versorgungs- und Therapieplanung einbezogen, die etwas vom Hilfesystem verstehen, weil sie es schon einmal am eigenen Leib erfahren haben. Das wird in Bremen inzwischen vorbildlich als ein großer Fortschritt in dieser psychiatriereformerischen Bewegung umgesetzt. Die sogenannten Expertinnen und Experten aus Erfahrung, der EXINler, werden einbezogen. Es ist wirklich toll, was da in Bremen inzwischen auf den Weg gebracht wurde.
Auch Bestandteil dieser Großen Anfrage ist die Frage, wie der Senat zur Einführung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Menschen mit psychischen Erkrankungen steht. So etwas haben wir in Bremen noch nicht. Der Senat sagt, generell sei das richtig. Ich würde sagen, es ist notwendig, eine solche unabhängige Beschwerdestelle zu etablieren. Es gibt Anträge bei der „Aktion Mensch“. Es gibt ein Konzept von einer Vereinigung - EXPA heißt sie in Bremen -, die einen Antrag bei der „Aktion Mensch“ gestellt hat. Ich hoffe, dass er durchkommt. Wenn das nicht funktioniert, muss man tatsächlich noch einmal schauen, ob es nicht doch möglich ist, das über Haushaltsmittel zu regeln, wie es der Großen Anfrage zu entnehmen war und wie Sie das beantwortet haben, Frau Senatorin. Diese sind aber im Moment eben noch nicht eingestellt. Ich erkläre für meine Fraktion: Wir halten eine unabhängige Beschwerdestelle für psychisch Kranke für notwendig.
Bremen hat die Chance, mit all dem, was wir in Bremen zur Verfügung haben, ein hervorragendes psychiatrisches Hilfesystem zu etablieren. In unserem kleinen Bundesland mit den beiden Städten haben wir kurze Wege, sodass sich fast alle Akteure gegenseitig kennen. Dadurch hätten wir die Chance, leuchtturmmäßig in der Bundesrepublik das beste psychiatrische Hilfesystem zu etablieren. Dafür wäre es sinnvoll, wenn man etwas macht, das es bisher in dem Ausmaß noch nicht gab, nämlich eine wissenschaftliche Bedarfsanalyse darüber, was wir in dieser Stadt für wen benötigen, was wir schon haben und wie man die Angebote und Bedarfe zusammenbringen kann. Wir haben hier ein
exzellentes Institut für Public Health. Diese Idee möchte ich heute in die Diskussion geben, Frau Senatorin. Ich glaube, das wäre ein sehr guter Zweck.
Ich möchte abschließend erklären, dass das für mich meine letzte psychiatriepolitische Debatte ist, weil ich dieses Thema, das mir so am Herzen liegt, meinem Kollegen Jan Saffe übergebe. Er ist schon sehr gut in diese Diskussion eingearbeitet. Ich freue mich sehr, dass er das übernimmt und mit Herzblut weiter verfolgen wird. - Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Psychiatrie ist ein Thema, das uns mittlerweile kontinuierlich begleitet. Ich glaube, das hat das Thema auch verdient. Ich bedanke mich ganz herzlich beim Senat für die ausführliche Antwort auf unsere Große Anfrage und möchte noch einmal betonen, dass hier auch ein Gesamtüberblick gegeben wird.
Wir haben uns besonders zu Beginn des Jahres sehr viel über das Klinikum Bremen-Ost und die Missstände dort unterhalten. Das ist ein besonders wichtiger Akteur im Bereich der Psychiatrie. Mittlerweile liegt die Strategie vor, wie es weitergehen soll. Sie wurde auch in der Deputation ausführlich diskutiert. Das haben wir alle miteinander gemacht. Wir haben Positives festgestellt; wir haben aber auch Kritik und viele Fragen geäußert. Wir wurden in der Deputationssitzung, die gerade stattfand, über die Erwartung des Aufsichtsrats der Gesundheit Nord informiert, dass diese Hinweise aus der Deputation und aus der Begleitgruppe zur Umsetzung der Psychiatriereform in der Umsetzung und in der Weiterentwicklung des Konzepts berücksichtigt werden. Darüber bin ich sehr froh. Ich glaube, das ist auch für uns als Abgeordnete zumindest schon einmal ein sehr gutes Zeichen.
Wir haben in der Antwort auf die Große Anfrage insgesamt ein Bild darüber bekommen, was wir in der Psychiatrie haben und was positiv ist. Davon möchte ich ein paar Dinge nennen, weil ich glaube, dass bei aller Kritik einiges schon da ist und sich gerade in den letzten Monaten entwickelt hat. Wir haben mittlerweile 20 sozialversicherungspflichtig angestellte Genesungsbegleiterinnen und Genesungsbegleiter.
Dass Menschen, die selbst schon Erfahrung mit psychiatrischer Behandlung haben, eingebunden werden und Erkrankte auf ihrem Weg begleiten, kann noch weiter ausgebaut werden kann. Wir sind da aber schon richtig weit.
Mittlerweile haben alle Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher, die es in den Krankenhäusern und gerade in der Psychiatrie gibt, die Möglichkeit, einen ganz direkten Draht zur Behörde zu nutzen, um dort ihre Kritik und ihre Anregungen loszuwerden. Sehr schön finde ich auch - vor allen Dingen, weil ich dort als Sprecherin gewählt wurde -, dass der Landespsychiatrieausschuss neu eingesetzt wurde. Das ist auch richtig und wichtig.
In der Umsetzung sind auch die sogenannten Hilfeplankonferenzen, bei denen ganz unterschiedliche Akteure zusammenkommen, um zu schauen, wie man einem Patienten oder einer Patientin weiterhelfen und die Behandlung noch besser aufeinander abstimmen kann, sodass den Menschen bestmöglich geholfen wird.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den ich auch gut finde. In Bremen-Nord wurde eine Landkarte mit einer Übersicht regionaler psychiatrischer Angebote erstellt. Ich glaube, so etwas hilft den Menschen auch weiter.
Der Großen Anfrage entnehmen wir an unterschiedlichen Stellen einen Ausblick. Auch dazu habe ich mir ein paar Punkte notiert, die wir parlamentarisch weiter im Auge behalten und begleiten sollten. Das eine ist - das finde ich sehr wichtig -, dass es demnächst einen Patientenfürsprecher speziell in der Forensik geben soll. Dort sind ja ganz besondere Patientinnen und Patienten, die dann einen Ansprechpartner haben, um ihre Anliegen vorzubringen.
Wir haben auch die Erweiterung der Begleitgruppe um drei externe Expertinnen und Experten, die Sachverstand von außerhalb Bremens hineinbringen und die uns helfen können, damit wir einen guten Gesamtblick haben, wie die Psychiatriereform voranschreitet. Das war auch eine Forderung aus der SPD heraus.
Monate deutlich geworden ist, dass wir gemeindepsychiatrische Verbünde brauchen, und zwar in allen fünf Stadtregionen. Je schneller wir diese auf den Weg bringen, desto besser.
Auch das Thema „Arbeit und psychische Erkrankung“ wird in der Antwort auf die Große Anfrage angesprochen. Es ist natürlich nicht leicht für Menschen mit einer psychischen Erkrankung, einer Arbeit nachzugehen. Manchmal ist es ihnen unmöglich, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder dort zu bleiben, und sie benötigen spezielle Angebote. Ich habe mich sehr gefreut, als ich gelesen habe, dass zusätzlich zu den schon vorhandenen Inklusionsprojekten weitere von freien Trägern initiiert werden. Wir wollen eben nicht psychisch kranke Menschen irgendwo an ganz anderen Orten haben oder sie aus dem Arbeitsleben ausschließen. Sie sollen so dabei sein, wie es geht, auch wenn es dafür spezielle Angebote braucht. Dann müssen wir diese anbieten. Auch da ist es wichtig, einen Schritt voranzukommen.
Wir haben demnächst die Novellierung des PsychKG. Dann werden wir noch einmal intensiv diskutieren. Hier sollen Qualitätskriterien im Sinne des Verbraucherschutzes beschrieben werden, was ich sehr positiv finde.
Bald muss auch das Medizinische Zentrum für Erwachsene mit mehrfacher und geistiger Behinderung kommen, das wir unbedingt als Fortsetzung der Versorgung für behinderte Kinder und Jugendliche brauchen. Ich habe das bislang sehr eng begleitet und werde das auch weiter tun. - Herzlichen Dank!