Protokoll der Sitzung vom 15.06.2017

Da hilft es wenig, wenn der Senat in seiner Antwort stolz vermeldet, dass die Personalzielzahlen im Richterdienst der einzelnen Gerichte für 2017 fast schon erreicht worden sind. Das eigentliche Problem ist doch, dass die Planzahlen zu niedrig angesetzt wurden. Deshalb können die Gerichte das wachsende Fallaufkommen auch nicht mehr bewältigen. Vergessen Sie bitte nicht, es kommen jedes Jahr Hunderte, vielleicht auch Tausende Fälle neu dazu! Bei dieser Personalstärke kann das auf Dauer nicht gut gehen.

Während die Zahl der unerledigten Verfahren bei den Strafkammern in erster Instanz am Landgericht Bremen zwischen 2014 und 2016

um 42,4 Prozent stieg, wurde die Zahl der Stellen im richterlichen Dienst im gleichen Zeitraum um gerade einmal 11,5 Prozent aufgestockt. Das ist viel zu wenig. Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

(Beifall BIW)

Was der Senat immer unter den Teppich kehrt: Der Verfahrensstau bei den Bremer Gerichten ist auf die Sparorgien der Vergangenheit zurückzuführen. Jahrelang hat man bei Gerichten und Staatsanwälten Stellen eingespart, um den Haushalt zu sanieren. Nebenbei gesagt, bei der Polizei sieht es nicht anders aus, wie wir alle wissen. Nachdem die negativen Folgen dieser Personalpolitik auch für die Öffentlichkeit immer deutlicher sichtbar wurden, hat man schnell nachgebessert. Vorausschauende Planung sieht bei uns anders aus.

Klar ist, der Bearbeitungsstau und die überlange Verfahrensdauer sind nicht, wie mitunter in der Presse zu lesen ist, dem Versagen der Justiz, sondern dem Versagen der Politik geschuldet.

(Beifall BIW)

Irgendwo ist die Belastungsgrenze bei den Gerichten und den Staatsanwaltschaften einfach einmal erreicht.

In Zukunft wird die Belastung der Justiz weiter zunehmen, einerseits durch den Bedeutungszugewinn ermittlungsintensiver Straftaten wie Cyberkriminalität durch international vernetzt organisierte Banden und den Terrorismus, andererseits auch durch den verstärkten Zuzug von EU-Bürgern und Flüchtlingen. Dem muss der Senat endlich Rechnung tragen. Die aktuellen Personalzielzahlen für Gerichte und Staatsanwaltschaften in Bremen sind längst obsolet und müssen nach oben geändert werden.

Die Sanktionierung von Straftaten ist auch und gerade mit Blick auf die Verbrechensprävention umso wirkungsvoller, je kürzer der zeitliche Abstand zwischen der Tat und ihrer Ahndung durch die Gerichte ist. Das ist besonders bei jugendlichen Delinquenten wichtig, bei denen Strafe einen erzieherischen Effekt haben soll, um kriminelle Karrieren zu verhindern. Dieser wichtige Grundsatz kann in Bremen wegen der unzureichenden personellen und materiellen Ausstattung der Justiz leider immer seltener umgesetzt werden. Derzeit sind zehn Prozent der anhängigen Verfahren, bei denen es um schwere Straftaten geht, bereits 33 Monate oder länger unerledigt und noch nicht einmal in Bearbeitung.

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Besonders gefährlich wird es dann, wenn Tatverdächtige, die einer Gewalt- oder Sexualstraftat beschuldigt werden, wegen überlanger Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen. Was für ein Wahnsinn und was für eine Schmach für die Opfer!

(Beifall BIW, CDU)

Oder wenn sich die Staatsanwaltschaft gezwungen sieht, fragwürdige Deals zu verabreden, weil die Ermittlungskapazitäten nicht ausreichen, um komplexe Verfahren, etwa im Bereich der organisierten Kriminalität, bis zum Ende durchzuziehen! Ein aktuelles Beispiel ist der Prozess gegen die Mitglieder einer international agierenden Bande von Telefonbetrügern vor dem Landgericht Bremen. Sie können sich nach einer Verständigung zwischen Staatsanwalt und Verteidigung nun über ein deutlich reduziertes Strafmaß freuen. Wie verrückt ist doch unsere Welt hier Bremen!

(Beifall BIW)

Für Otto Normalverbraucher und erst recht für die zumeist älteren Opfer dieser Abzocker ist das nicht mehr begreiflich und fast wie eine zusätzliche Ohrfeige.

Bereits im Jahr 2013 beklagten 72 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Deutschland, dass sich die Bedingungen für eine gute Rechtsprechung wegen der unzureichenden Ressourcenausstattung der Justiz verschlechtert hat. 85 Prozent von ihnen meinten, dass zu wenig Personal zur Verfügung steht. Heute dürfte die Unzufriedenheit der Justizbediensteten noch größer sein, vor allem im Land Bremen.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident! Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Bremer Justiz wieder voll handlungsfähig zu machen, fordern wir, die Bürger in Wut ebenso wie die CDU, die auch sechs Richterstellen haben will, eine deutliche Ausweitung der Stellenzahl, auch bei Staatsanwälten, Justiz- und Servicepersonal, und das kurzfristig und nicht erst in einigen Jahren! Am falschen Platz sparen kann jeder, am richtigen Platz sparen können die wenigsten. - Vielen Dank, meine Damen und Herren!

(Beifall BIW)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich möchte auf das Bezug nehmen, was Herr Yazici hier vorhin deutlich gemacht hat, dass nämlich unsere Richterinnen und Richter an den Bremer Gerichten im Vergleich zu anderen Bundesländern eine sehr hohe Anzahl von Verfahren erledigen. Deshalb denke ich, dass der Bremer Justiz von uns erst einmal ein Lob und eine Anerkennung gebührt, weil sie diese Spitzenleistungen tatsächlich aufgrund ihres außerordentlichen Einsatzes erbringt!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Das finde ich erst einmal ganz wichtig, das auch noch einmal deutlich zu sagen. Schon der eine Satz in Ihrem Antrag - ich weiß, Sie meinen das nicht so! -, Armutszeugnis für die Bremer Justiz, wird dem nicht gerecht, Herr Yazici. Ich weiß, Sie meinten es nicht so, aber ich fand, dass der Satz so im Antrag steht, in der Prosa, ehrlich gesagt, nicht gut.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Wir können das än- dern in „Justizpolitik“! Daran soll es nicht schei- tern!)

Ich möchte erst einmal ein paar Fakten nennen, um gleich inhaltlich auf das zu kommen, was Sie gesagt haben, Herr Yazici, weil ich glaube, Fakten sind auch immer sehr wichtig. Die Geschäftsentwicklung bei den Strafkammern des Landgerichts in absoluten Zahlen und die Belastungssituation im Bundesvergleich und im Vergleich der Großstädte wurden uns im Oktober 2016 im Rechtsausschuss dargestellt. Ich kann mich genau daran erinnern, weil ich nicht nur den Bundesvergleich haben wollte, sondern aufgrund der Entlassung zweier Häftlinge auch den Vergleich mit Großstädten. Herr Zenner nickt. Ich habe gesagt, man muss das ja auch einmal anders vergleichen können. Anhand dieser Darstellung war für uns alle im Rechtsausschuss feststellbar, dass das Landgericht seit 2008 nicht strukturell unterausgestattet war, das haben wir alle festgestellt. Dies gilt sowohl im Bundes- als auch im Großstädtevergleich.

Im Laufe des vergangenen Jahres, meine Damen und Herren, ist jedoch in Strafsachen ein Verfahrensanstieg - auch das haben wir diskutiert - zu verzeichnen gewesen, der die Belastung extrem und deutlich erhöht hat, gerade beim Landgericht. Durch eine solche Zunahme an Haftsachen - wie Sie wissen, müssen diese innerhalb einer Frist von sechs Monaten abgeschlossen werden, ansonsten muss man die Häftlinge freilassen, wie in den genannten Fällen - ist es dazu gekommen, dass natürlich auch Altverfahren nicht abgearbeitet worden sind.

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Darauf sind Sie ja auch kurz eingegangen, Herr Yazici, aber darauf - und das haben wir auch im Rechtsausschuss erörtert - haben wir durch Personalverstärkung reagiert. Uns wurde im Rechtsausschuss erklärt, dass für das Jahr 2016 zur Bearbeitung der Altverfahren in Strafsachen eine Vereinbarung getroffen wurde, nach der das Landgericht zum Abbau dieser Verfahren eine zusätzliche Strafkammer einrichten sollte. Das fand ich richtig, und ich glaube, alle meine Kollegen im Rechtsausschuss. Diese musste aber leider aufgrund der hohen Zahl der Haftsachen, die wir vorher so gar nicht hatten und die im Jahr 2016 einen Höchststand erreicht hatte, die Arbeit dafür übernehmen und konnte dann nicht diese Altverfahren abarbeiten.

Wenn Sie sich aber ganz genau die Fragen und die Antwort des Senats anschauen, dann stellen Sie fest - ich gehe gar nicht in das Jahr 2008, sondern bleibe einmal so, wie Herr Yazici das abgefragt hat, im Jahr 2014 -: Da hatten wir 42,5 Stellen, und wir sind jetzt bei 50 Stellen. Herr Yazici, ich war genauso wie Sie - das habe ich auch erfahren - bei den Richterinnen und Richtern, erst vorgestern, und habe mich mit ihnen unterhalten. Sie haben zu mir gesagt, Frau Dogan, wenn wir wirklich diese 50 Stellen in Personen hätten, wäre das schon ganz gut.

Ich glaube, dass es wichtig ist, über den Antrag, den Sie eingebracht haben und der nach meiner Meinung eine richtige Intention verfolgt, im Rechtsausschuss ausführlich fachlich zu diskutieren, und ich kann alles teilen, was Sie gesagt haben. Folgendes finde ich aber nicht richtig: Ich kenne Frau Hoffmann, die Anwältin in dem Verfahren, die an die Medien gegangen ist, und kann Ihnen nur sagen, Frau Hoffmann ist eine, die sich jahrzehntelang für Opfer in diesem Land eingesetzt hat. Sie ist keine Anwältin, die einfach so an die Medien geht. Ich weiß, dass es ihr sehr nahegegangen ist, dass es dazu gekommen ist, dass sich dieses Verfahren so in die Länge gezogen hat und dann von dem Täter ein zweites Delikt begangen worden ist. Es war aber falsch, Herr Yazici, und das können Sie vielleicht gleich einmal korrigieren, als Sie eben Ängste geschürt und gesagt haben, 2016 seien da mehrere Sachen gewesen, und trotz dringenden Tatverdachts - diese Wortwahl haben Sie hier benutzt - habe die Bremer Justiz denjenigen freigelassen.

(Abg. Timke [BIW]: Vier Kinder sind miss- braucht worden von dem Mann! Vier Kinder!)

Herr Timke, lassen Sie mich ausreden! Das verurteile ich, ich rede das nicht schön, aber ich möchte noch einmal Folgendes klarstellen: Aus

der Antwort ging hervor, dass die Staatsanwaltschaft im Jahr 2013 einen Haftbefehl erlassen wollte,

(Zurufe CDU, BIW)

aber weil es keinen dringenden Tatverdacht gab, ist es nicht dazu gekommen. Das zum Rechtlichen! Aber mich hat dieser Fall, und das sage ich auch einmal ganz deutlich, sehr berührt und erschüttert!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Aber das reicht nicht!)

Ich glaube, jeden hier in diesem Raum, und das muss man auch einmal deutlich sagen,

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

aber erlauben Sie mir, Herr Timke, ohne dass Sie dazwischenrufen, dass ich das auch einmal rechtlich ausführe, wenn etwas nicht richtig dargestellt wird!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD - Abg. Timke [BIW]: Dann benennen Sie doch die Feh- ler!)

Ich benenne die Fehler, das sehen Sie gerade an meiner Rede, wenn Sie ihr richtig folgen!

(Abg. Timke [BIW]: Ich folge Ihnen!)

Ich sage nicht, dass es nicht richtig ist, diesen Antrag - -. Ich könnte es mir mit der SPD doch einfach machen und sagen, wir lehnen diesen Antrag ab. Das machen wir eben nicht! Wir wollen ihn überweisen, wir wollen dort auch mit den Fachleuten sprechen, und wir haben auch schon Gespräche geführt. Ich finde, das sollten wir auf jeden Fall nicht in einer Stimmungslage, in der man nur Ängste schürt, als würden jetzt nur Sexualstraftäter in Bremen herumlaufen,

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD - Zurufe CDU, BIW)

und die Bremer Richterinnen und Richter kümmern sich nicht um sie! Das stimmt nicht, und das kommt nicht gut an, auch nicht bei den Richterinnen und Richtern, für die Sie sich hier auch einsetzen wollen, meine Damen und Herren!

Wir haben an anderer Stelle auch schon über diese Themen - -.

(Glocke)

Lassen Sie mich diesen letzten Satz sagen, weil ich glaube, er eint uns auch! Wir haben schon an anderer Stelle über Verfahren geredet, die

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sich verlängern, auf die Sie sich bezogen haben, Herr Yazici und Herr Zenner, und gesagt, dass wir erwarten, dass sie so schnell wie möglich verhandelt werden, damit es zu einer Verurteilung kommt, gerade bei Sexualdelikten, bei Vergewaltigungen. Wir wissen alle - und das haben wir mehrmals debattiert -, es sind doch die wenigsten, die das anzeigen. Deshalb bitte ich alle darum, dass wir das wirklich im Rechtsausschuss ausführlich debattieren. Dann ist es, denke ich, die Aufgabe der Koalition, das auch noch einmal in die Haushaltberatungen einzubringen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, und danke, dass Sie mir eine Minute geschenkt haben, Herr Präsident!