Protokoll der Sitzung vom 23.08.2017

Wir haben im Jahr 2015 ziemlich auf einen Schlag über 2 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen gehabt. Wir mussten schauen, wie wir damit klarkommen. Jetzt haben wir eine Situation, die deutlich entspannter ist. Wir können deutlich mehr darauf schauen, welche Qualität wir eigentlich anbieten. Ich habe am Anfang der Geschichte gesagt: Container? Das ist es wirklich nicht. - Dann kamen die Turnhallen. Auch dazu habe ich gesagt, das geht eigentlich nicht. Irgendwann waren wir bei Zelten. Die Unterbringung erfolgte nicht deshalb so, weil das irgendjemand gut gefunden hätte, sondern weil es sich aus der Not heraus ergeben hatte.

Dann gab es die Diskussion, ob wir die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel auch für Jugendliche vornehmen sollten. Ich war damals

dafür, weil ich an allen Ecken und Enden gesehen habe, dass unser Jugendhilfesystem die Arbeit nicht mehr auch nur annähernd gesetzeskonform hätte leisten können.

Jetzt haben wir eine Situation, in der wir, wie ich finde, überhaupt nicht entspannt, aber doch mit etwas größerer Sorgfalt auf die Qualität in den einzelnen Bereichen schauen können. Das gilt insbesondere für die Bereiche Wohnung beziehungsweise Unterbringung. Ich wünsche mir, dass die Menschen, insbesondere Jugendliche, nur möglichst kurz in Notunterkünften bleiben müssen, und dass möglichst schnell, aber auch begleitet in eine eigene Wohnung gewechselt werden kann. Man darf aber nicht denken, dass die Jugendlichen ausziehen und das Sozialhilfesystem dann nichts mehr damit zu tun hat. Nein, man muss den jungen Menschen weiterhin helfen. Das gilt auch bei der Verselbstständigung in der eigenen Wohnung. Das heißt, wir benötigen entsprechende Kapazitäten an Betreuerinnen und Betreuern, die sich darum kümmern.

Jetzt „habe ich fertig“. - Danke schön!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Grönert das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Möhle und Herr Dr. Buhlert, wenn die Jugendlichen der Schulpflicht entwachsen sind und die Sprache nicht beherrschen, dann können sie weder eine EQ noch eine Ausbildung machen. So ist es im Moment einfach.

Es gibt zwar Anschlussmöglichkeiten, aber die Plätze dort sind nun einmal belegt. Wenn diese Jugendlichen - im nächsten Jahr werden es, wie gesagt, 1 000 sein - zuerst einmal in der Luft hängen, dann will ich gar nicht daran denken, wie viele uns im Laufe der nächsten Jahre verloren gehen und keine Ausbildung machen werden. Eine Wohnung, in der sie auf Dauer sitzen und die sie nicht einmal selbst finanzieren können, nützt ihnen dann auch nichts.

Ein paar Sätze will ich trotzdem noch zu dem Dringlichkeitsantrag sagen, der auf die Prüfung neuer Wohnformen zielt, und den die Koalition vorgestern eingereicht hat. Dieser Antrag hat mich doch einigermaßen erstaunt, weil ich einerseits den Eindruck gewonnen habe, dass Sie unsere Kritik, die wir in der vergangenen Woche in der Sozialdeputation vortrugen, gut verstanden und aufgegriffen haben. Ob ein solcher Antrag andererseits jetzt wirklich noch hilfreich ist, weiß ich nicht, Frau Görgü-Philipp. Ihre

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Senatorin hat ja in der vergangenen Woche deutlich gesagt, dass sie sich bereits - ich füge „endlich“ ein - in der Prüfungsphase befinde.

Wir finden, das alles kommt reichlich spät, Die Prüfung der Frage, wie die zunehmend leer stehenden Flüchtlingsunterkünfte auf Dauer genutzt werden sollen, wurde uns schon im letzten Jahr zugesagt. Dazu sollten längst konkrete Vorschläge vorliegen.

Aktuell leben 260 junge volljährige Flüchtlinge in stationären Jugendeinrichtungen, weil es für sie keine Wohnung gibt und die Frage der Nachnutzungsmöglichkeiten noch nicht geklärt ist. Es ist höchste Zeit, dass freie Räumlichkeiten genutzt werden, damit junge Menschen tatsächlich in die Selbstständigkeit entlassen werden können. Die stationäre Jugendhilfe ist mit Sicherheit viel teurer als das Wohnen - begleitet oder, wenn es geht, unbegleitet - in eigenem Wohnraum.

Es würde die CDU-Fraktion jedenfalls sehr freuen, wenn die Senatorin die in dem Antrag eingeräumte Frist von weiteren sechs Monaten für die Prüfung unterbieten und schnellstmöglich Ergebnisse vorlegen würde. Zustimmen werden wir dem Antrag jetzt allein in der Hoffnung, dass die Prüfungsgespräche mit etwas mehr Nachdruck geführt werden. - Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Bremen und Bremerhaven haben in den letzten Jahren viel geleistet, um junge Menschen hier aufzunehmen. Das ist uns trotz aller Widrigkeiten gemeinsam mit vielen Beteiligten sehr gut gelungen. Es lief nicht immer optimal, aber wir haben viel geleistet.

Klar ist, dass es an Vielem noch mangelt. Wir benötigen noch mehr Ausbildungsplätze für junge Geflüchtete, wir benötigen auch mehr Wohnraum. Was wir aber nicht benötigen, sind solche Reden, wie wir sie von der ganz rechten Seite dieses Parlaments gehört haben. Mich hat es vorhin echt gegruselt.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Ich erlebe nämlich etwas anderes. Ich erlebe sehr motivierte junge Menschen, die hier ankommen wollen, die die Sprache erlernen wollen, die nach Kontakten suchen, die nach Ausbildungsplätzen suchen, die aber auch über

Diskriminierungserfahrungen berichten. In der Antwort des Senats auf die Große Anfrage wird das deutlich.

Es ist weder ein Bremer noch ein Bremerhavener, sondern ein bundesweites Phänomen, dass es in der Gesellschaft große Vorbehalte gegenüber jungen Menschen gibt, die hier ohne Eltern angekommen sind und die besondere Unterstützung benötigen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir haben gemeinsam mit dem Senator für Umwelt, Bau und Verkehr die Unternehmen aufgefordert, auch in dem Segment der 1- und 2-Zimmer-Wohnungen mehr zu tun. Die Fördermöglichkeiten, die wir aufgezeigt haben, werden durchaus genutzt. Wir sind dabei, kleinere Wohnobjekte, die wir angemietet haben, umzuwandeln. Das ist in einigen Redebeiträgen schon deutlich geworden. Wir handeln! Wir unterstützen junge Leute dabei, Wohngemeinschaften zu gründen. Es sind aber noch einige, auch rechtliche, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wenn wir wirklich gemeinschaftliche Wohnformate fördern wollen. Im Augenblick benötigt man für eine geförderte Wohnung einen Wohnberechtigungsschein, auch wenn dort junge Geflüchtete leben. Der Wohnberechtigungsschein muss immer dann erneut beantragt werden, wenn eine Person aus der Wohngemeinschaft auszieht. Dafür benötigen wir andere Regelungen.

Wir benötigen auch Regelungen, was den Aufenthaltsstatus angeht. Eine Voraussetzung für das Beziehen einer geförderten Wohnung ist die Volljährigkeit. Daneben muss sichergestellt sein, dass man sich noch mindestens ein Jahr mit Genehmigung in Deutschland aufhalten wird. Die Erfüllung dieser Voraussetzung wird in der Regel durch einen Aufenthaltstitel nachgewiesen, der noch mindestens ein Jahr gültig ist. In Ausnahmefällen können eine Duldung oder die Gestattung als Nachweis ausreichend sein. Insoweit müssen wir noch einiges tun, um auch Wohnungsvermietern Sicherheit zu geben. Niemand vermietet an jemanden, der in einem halben Jahr vielleicht nicht mehr da ist. Wir sind dabei, diese Aufgaben zu lösen.

Junge Leute haben es ohnehin schwer, am Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. Man trifft jetzt in Bremen auf die Situation, dass das neue Semester an der Universität beginnt. Viele Personengruppen bewerben sich bei den Bremer Vermieterinnen und Vermietern um das gleiche Wohnungssegment. Wir reden nicht nur mit dem Wissenschaftsbereich über Wohnheime, sondern planen diese auch. Es geht um Wohnheime, in die junge Geflüchtete, aber eben auch Studenten einziehen können, damit

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auch kulturell das zusammenwächst, was zusammenwachsen muss.

Zur rechten Seite dieses Hauses sage auch ich - in den Reden von Herrn Dr. Buhlert und anderen Abgeordneten ist es schon deutlich geworden -, dass die meisten der jungen Leute, die hierhergekommen sind, hierbleiben werden. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, werden einige dieser jungen Leute Ihre Ärzte, Ihre Pfleger, Ihre Schwiegersöhne oder Ihre Schwiegertöchter. Stellen Sie sich bitte darauf ein!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Bremen ist eine vielfältige Gesellschaft. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, wir haben nur dann eine Chance, in dieser globalisierten Welt erfolgreich zu sein, wenn wir Vielfalt annehmen. Die Welt ist vielfältig und vielsprachig. Dass wir Vielfalt können, macht uns auch als Wirtschaftsstandort stark. In den Reden von der ganz rechten Seite dieses Hauses kommt immer wieder Engstirnigkeit zum Ausdruck. Das gilt auch für Ihre Zwischenrufe. Die anderen Kollegen und Kolleginnen hören diese nicht immer im Originalton, aber ich muss sie mir leider von A bis Z anhören. Das, was Sie wollen, wird uns nicht nach vorn bringen, sondern unseren Erfolg verhindern. Dessen können Sie sich ganz sicher sein. - Danke schön!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD, Neue gemeinschaftliche Wohnformate für junge Geflüchtete, Drucksache 19/1190, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abg. Frau Wendland [partei- los])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen BIW, Abg. Schäfer [LKR], Abg. Tas- sis [AfD])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats, Drucksache 19/1105, auf die Große Anfrage der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD, Drucksache 19/995, Kenntnis.

Anpassung der Mittelweser nicht aus den Augen verlieren! Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 25. April 2017 (Drucksache 19/1028)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 6. Juni 2017 (Drucksache 19/1093)

Dazu als Vertreter des Senats Senator Günthner.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, dass der Senat davon absieht.

Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen erfolgt eine Aussprache, wenn dies die Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen. Ich frage, ob wir in eine Aussprache eintreten wollen. - Das ist der Fall.

Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Grobien das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum zweiten Mal in diesem Jahr debattieren wir hier im Parlament über den Ausbau der Mittelweser.