Protokoll der Sitzung vom 07.12.2017

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Tuchel.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bleibe zum

Schluss der Debatte auf jeden Fall sehr sachlich und nicht emotional.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das Thema bleibt nicht belanglos. Frau Grönert, das ist ja genau - -. Die Große Anfrage wurde ja hier an dieser Stelle gestellt mit der Bitte um die Antwort, und wir diskutieren heute über die Mitteilung des Senats. Wir haben ja gestern den ganzen Tag über den Haushalt diskutiert und dann beschlossen, zu diesem Thema, aber auch für andere Maßnahmen im Bereich der Integration unglaublich viel Geld zur Verfügung zu stellen. Wenn Sie heute von Maßnahmen sprechen, also von staatlichen Maßnahmen, die gibt es nicht. Die gesellschaftliche Veränderung findet ja bei uns statt, jeden Tag entwickeln sich neue Angebote, und ein Bestandteil und unser grundsätzliches Ziel ist ja auch die Integration von Anfang an. Eine der größten Herausforderungen ist ja heute für alle Bereiche der Anspruch, die weitere Zuwanderung und auch den Umgang mit Zuwanderung zum Bestandteil eines regelhaften Systems werden zu lassen.

Bei dieser Großen Anfrage der Koalition, „Perspektiven junger Männer mit Migrationshintergrund in Bremen in Bremerhaven“, über die wir heute diskutieren, geht es um die Frage, welche Lösungsansätze das Land Bremen bisher verfolgt hat und künftig verfolgen wird. Das haben Sie übersehen, also zum Thema belanglos: Sie haben ja auch keinen Antrag auf den Weg gebracht. Sie haben das Thema so gar nicht wahrgenommen,

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Was unterstellen Sie ge- rade?)

dass diese Menschen diskriminiert werden und dass es Handlungsbedarf gibt, und das haben Sie auch! Sowohl junge Männer als auch Männer sind benachteiligt. Das klingt für Sie vielleicht harmlos und belanglos, aber es ist tatsächlich so, und diese Große Anfrage beziehungsweise die Antwort darauf macht es deutlich: Es ist so!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Frage ist, wie junge Männer mit entsprechenden Unterstützungsangeboten und spezifischen Maßnahmen unterstützt werden können. Diese Große Anfrage hat das Ziel, die Bedarfe der verbesserten Handlungsperspektiven festzustellen und die Möglichkeiten der Teilhabe in den Bereichen wie Ausbildung, Arbeit, aber auch im sozialen Umfeld zu bewerten. Dabei gewinnt dieses Thema

durch die aktuelle Entwicklung eine immer stärkere Bedeutung.

Meine Damen und Herren, eine zentrale Frage stellt sich in diesem Zusammenhang: Wie kann man den Zugang von jungen Männern mit Migrationshintergrund zu Behörden, Diensten, aber auch Einrichtungen verbessern? Dabei ist der Prozess als eine Weiterentwicklung der Strategie zu sehen, und im Zentrum der Antwort steht ja eine Veränderung des Systems, das sich an die Menschen anpassen muss, das formuliert auch die Anfrage ganz klar. Aus der Antwort des Senats wird deutlich, dass Bremen und Bremerhaven hier durchaus unterschiedliche Wege gehen und unterschiedliche Angebote haben.

Über die Maßnahmen der Antidiskriminierung hinaus gibt es in Bremen die Betroffenenberatung soliport für Menschen, die Erfahrungen mit rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt et cetera gemacht haben, sowie eine Reihe von weiteren Beratungsstellen. Auch im Bereich des Sports haben sich interkulturelle Qualifizierungsmaßnahmen als besonders hilfreich bei der Begegnung mit Problemstellungen im Sport erwiesen. In Bremerhaven gibt es eine Reihe von spezifischen Freizeit- und Bildungsangeboten für Jugendliche in schwierigen persönlichen Situationen.

Aus der Antwort des Senats geht auch hervor, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendeinrichtungen mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorgelegte Antwort des Senats formuliert differenzierte Ansätze, um die Ausgrenzung und Diskriminierung im gesellschaftlichen und im Verwaltungshandeln im Blick zu haben beziehungsweise abzubauen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim Senat beziehungsweise ausdrücklich bei der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport bedanken, und mein herzlicher Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beratungsstellen in Jugendeinrichtungen sowie den ehrenamtlich Engagierten, die aktuell Enormes leisten und sehr professionell mit Flüchtlingen beziehungsweise mit der heutigen Situation in der Praxis umgehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Noch einmal, ich möchte hier Folgendes zu dieser Debatte beitragen: Es ist ein Thema, das uns wirklich am Herzen liegen sollte, weil es in der Tat so selten gesehen worden ist, und insofern ist es hier zu Recht von der Koalition angemahnt worden, damit wir uns darüber noch einmal Gedanken machen.

Natürlich gibt es nicht viele Lösungen, die wir jetzt schon kennen, sondern nur einige, und wir müssen weiter darüber reden, welche Lösungen denn gefunden werden, und natürlich muss das weiter diskutiert werden, denn wir haben nur wenige Stellen - darauf ist Frau Müller eingegangen -, die sich damit befassen und Beratung machen. Das JungenBüro ist überlaufen, und wir müssen uns in der Tat die Frage stellen, ob wir neben der vielen Mädchenarbeit auch die Jungenarbeit verstärken müssen, damit Jungen mit Gewalterfahrungen und mit sexuellen Gewalterfahrungen auch entsprechende Hilfen bekommen. Das ist in der Tat wichtig.

Man muss an dieser Stelle aber genau auf den einzelnen Jugendlichen schauen, denn gerade mit den Aussagen, die ich hier von Frau Grönert gehört habe, dass ja auch Gewalt von Jungen mit Migrationshintergrund ausginge, begeht man doch den Fehler, den wir in der Debatte immer wieder erleben: Man schaut nicht auf das Individuum, es wird gesagt, es gibt von dieser Gruppe auch Gewalt. Ja, es geht nicht um Gruppen, es geht um den Einzelnen, und das muss hier endlich gesehen werden!

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Hinweis auf die Gruppe führt doch gerade dazu, dass wir den Einzelnen übersehen, und dann wird sehr schnell gesagt, ja, der gehöre ja dazu und sei so oder so. Das ist genau der Fehler.

Wenn wir wollen, dass wir in einer Gesellschaft alle zusammenleben und möglichst viele Menschen integrieren - es mag den einen oder anderen geben, der das nicht will, aber es geht um die, die hier sind und integriert werden wollen -, inklusiv in unserer Gesellschaft dabei haben, weil sie dazugehören, weil sie hier mit uns leben wollen und eine Chance für unsere Gesellschaft sind, dann müssen wir den Einzelnen sehen und auf diesen eingehen. Ich glaube, das ist ganz wichtig, und das liegt uns Freien Demokraten sehr am Herzen.

(Beifall FDP)

Es liegt auch auf der Hand: Wer Diskriminierung und Frustration erfährt, der tut sich schwer und wird im Zweifelsfall aggressiv. Das muss aufgefangen werden, und da sind wir als Gesellschaft gefordert, gerade weil es sich um junge Menschen handelt, weil sie noch viel Zeit vor sich haben und eine große Chance für unsere Gesellschaft sind. Darum müssen wir dafür sorgen, dass wir keinen abhängen. Dafür brauchen wir dann in der Tat vielleicht mehr Daten, aber wenn wir wissen, wie lang die Warteliste beim JungenBüro ist, ist das vielleicht ein Ansatz, bei dem wir dann auch darüber nachdenken müssen, noch mehr zu machen.

Wir Freien Demokraten sind gern dazu bereit, wir müssen ja nicht beim female empowerment stehen bleiben. Wir können uns an der Stelle auch für die Jungenarbeit einsetzen und dafür sorgen, dass wir eine inklusive Gesellschaft sind, bei der gerade auch diese Gruppe teilhaben kann und nicht ausgegrenzt wird. - Herzlichen Dank!

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Herr Kollege, es tut uns leid! Wir bitten um Entschuldigung, dass wir Sie nicht rechtzeitig gesehen haben!

Kein Problem, Herr Präsident, es geht ja um Diskriminierung und Männer mit Migrationshintergrund!

(Heiterkeit, Beifall - Zuruf Abg. Dr. Buhlert [FDP])

Ich weiß jetzt aber nicht, ob der Kollege mit Migrationshintergrund nicht richtig lesen kann, weil er irgendwie Probleme hatte oder - -. Nein, Scherz beiseite! Natürlich kann das passieren, Herr Präsident! Das kann passieren.

Also, die Große Anfrage spricht ein sehr wichtiges Thema an, und ja: Welche Perspektiven haben junge Männer mit Migrationshintergrund in Bremen und Bremerhaven? Es ist notwendig und gut, dass wir uns in der Bürgerschaft mit diesem Thema beschäftigen. Junge Menschen mit Migrationshintergrund machen einen beachtlichen Teil der gesamten Menge junger Menschen in Bremen aus, und etwa die Hälfte davon ist männlich. Wenn sich deren Perspektiven systematisch von anderen jungen Menschen unterscheiden, zum Beispiel von jungen Deutschen ohne Migrationshintergrund,

dann ist das sehr relevant, meine Damen und Herren.

Allerdings beschäftigt sich die Anfrage nur mit einem wichtigen Teilbereich der gesamten Fragestellung, nämlich der Frage nach den besonderen Diskriminierungserfahrungen junger Männer mit Migrationshintergrund und deren Hilfesystem, das sie dafür in Anspruch nehmen können. Die Antworten des Senats bleiben notgedrungen recht allgemein: Es gibt bundesweite Untersuchungen, die klar zeigen, dass junge Männer mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und in der Freizeit häufig Diskriminierungserfahrungen machen, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es in Bremen nicht so ist. Da hätten wir gern noch mehr erfahren: Welche Diskriminierungen finden da genau statt? Wie häufig sind sie? Wovon sind sie abhängig? Welchen Einfluss haben sie auf die Perspektiven junger Männer mit Migrationshintergrund? Leider ist danach nicht gefragt worden, und das sollten wir vertiefen, liebe Frau Müller.

Eigenständige Dokumentationen für Bremen soll demnächst die Betroffenenberatung soliport für Betroffene von rechter Gewalt erstellen, darunter könnten auch Diskriminierungserfahrungen fallen. Sie dürfen aber nur einen geringen Teil der Beratung von soliport ausmachen. Interessant ist der Hinweis auf das Bremische Gaststättengesetz, in dem wir im Jahr 2015 einen Passus beschlossen haben, der ethnische Diskriminierung verbietet. Nach wie vor ist es eine absolut gängige Erfahrung junger Männer mit Migrationshintergrund, in Diskotheken in Bremen rein aufgrund ihres ausländischen Aussehens abgewiesen zu werden. Trotzdem gab es in diesem Bereich nur eine Anzeige, die auch noch abgewiesen wurde. Offensichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir also in der Bürgerschaft ein gut gemeintes Gesetz beschlossen, das jedoch ein völlig zahnloser Tiger ist.

(Beifall DIE LINKE)

Da ich also sagen und behaupten kann, dass ich in diesem Bereich mehr Erfahrung habe, weil ich da seit 13 Jahren auch arbeite, kann ich genau zu diesem Punkt sagen, dass ich vor Kurzem in meiner Bürgersprechstunde drei oder vier junge Männer mit Migrationshintergrund zu Besuch hatte, die eine Liste hatten, auf der mindestens 30 Namen von jungen Leuten mit Migrationshintergrund standen, die hier in Bremen in Diskotheken abgewiesen wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen,

da sollten wir uns dann noch genauer überlegen, wie wir das verhindern können.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Tatsächlich gibt es eine fast verwirrend große Anzahl von Beratungseinrichtungen, an die sich auch junge Männer mit Migrationshintergrund wegen Diskriminierung wenden können. Es gibt auch wichtige Bemühungen, der Diskriminierung in verschiedenen Bereichen entgegenzuwirken, zum Beispiel im Sport. In Bremen gibt es auch kulturelle und sportliche Angebote, die kostenfrei sind, allerdings gibt es praktisch kein Angebot, das sich speziell um junge Männer mit Migrationshintergrund kümmert. Liebe Frau Grönert, ich sehe es anders: Wenn es Probleme gibt, wenn sie diskriminiert oder benachteiligt werden, dann bin ich auch der Meinung, dass wir uns speziell auch um diese Gruppe kümmern sollten.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Außerdem gehören zur Perspektive für junge Männer mit Migrationshintergrund noch weitere Fragen, die über Diskriminierungserfahrungen hinausgehen: Wie steht es mit ihrem Bildungserfolg, mit ihrem Erfolg in der Berufsausbildung oder im Studium? Hier sollten wir in Zukunft noch genauer hinschauen und uns intensiver damit beschäftigen. Es ist ein sehr wichtiges Thema, das Sie hier eingebracht haben. Ich hoffe, dass wir dann auch gemeinsam konkrete Angebote machen können und den jungen Leuten so schnell wie möglich ermöglichen, sich in Bremen zu integrieren und weiter auch an der Gesellschaft teilzuhaben. - Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Fries.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für die Große Anfrage, die einen Fokus auf ein Feld gelegt hat, das vielleicht in unseren alltäglichen Debatten etwas zu kurz kommt. Auch wenn es in Bremen keine quantitativen Erhebungen zu Diskriminierungserfahrungen von jungen Männern mit Migrationshintergrund gibt, so spricht doch vieles dafür, dass die Ergebnisse der Studien auch auf Bremen zutreffen. In einer Studie ist es auch noch einmal qualitativ beschrieben, nämlich, ich zitiere: „Offenbar wirkt sich die Erfahrung der jugendlichen ste

reotypen Negativ-Zuschreibungen aus - bedrohlich, gefährlich, gewalttätig -, negative Zuschreibungen, die in besonderer Weise auf männliche Jugendliche gerichtet sind.“ Damit mag das Problem nachher eines sein, bei dem wir jeden Einzelnen sehen, es ist aber nicht nur eine Wahrnehmung, wie sie einzeln, sondern wie sie auch in der Gruppe wahrgenommen werden, dass sie nämlich von der restlichen Gesellschaft als Bedrohung empfunden werden, obwohl sie sich selbst als ausgeschlossen erleben, was einen gefährlichen Teufelskreis initiieren kann.

Die Frage der Angebote werden wir sicher weiter diskutieren müssen. Auf ein paar Punkte, die wir in der Antwort schon benannt haben, möchte ich trotzdem hier schon einmal hinweisen. Wir haben bei der Integrationsbeauftragten eine Ombudsfunktion gegen Diskriminierung, um eine Ansprechpartnerin gegen alle Formen von Diskriminierung im Alltag zu haben und um dort auch Betroffene beim Vorgehen zu unterstützen. Wir haben weiter mit soliport eine Beratungsstelle insbesondere für diejenigen, die von rechter rassistischer oder antisemitischer Gewalt betroffen sind.

Des Weiteren möchte ich auf die besondere Rolle des Sports hinweisen, der gerade in diesem Bereich Ansprechpartner bietet, Angebote unterbreitet und den Jugendlichen hilft, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und zu entwickeln. Neben dem Fußball spielen hier auch die Kampfsportangebote eine große Rolle. Es ist an dieser Stelle ein langes Loblied über den organisierten Sport gesungen worden. Gerade hier ist es wichtig, sich Angebote im Rahmen von Vereinen anzuschauen, die auch die Qualifizierung der Trainer sowie das Umfeld haben, und es nicht in einem unkontrollierten Umfeld passieren zu lassen. Insgesamt ist es ein Thema, das wir weiter diskutieren müssen, von daher danke ich für diese Initiative!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

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