Ich bitte Sie, die Unterhaltungen zwischen den Fraktionen einzustellen. Das gilt auch für Sie, Herr Röwekamp!
Ich spreche jetzt als Obmann der Linksfraktion, aber nicht mehr in meiner Funktion als Vorsitzender und Berichterstatter des Untersuchungsausschusses.
Ich bin insgesamt mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zufrieden. Ich möchte mit einigen Bemerkungen noch einmal klarstellen, warum wir zu ergänzenden Empfehlungen gekommen sind.
Im Rahmen der europäischen Freizügigkeit ist der Arbeitsmarkt insgesamt in der EU - und damit auch in Deutschland - gezielt für Zuwanderung geöffnet worden. Bereits vor dem Eintreten gab es viele politische Debatten auch in diesem Hause über die Möglichkeiten, über die Risiken und auch über die sich dadurch ergebenden Strukturen für den Arbeitsmarkt. Es gab ein von diesem Hause verabschiedetes Konzept, in dem frühzeitig schon darauf hingewiesen worden ist, dass das Risiko für Ausbeutungszusammenhänge sehr hoch ist. Genauso ist es trotz eines vorliegenden Konzepts und vorheriger Debatten gekommen.
Die betroffenen Bulgarinnen und Bulgaren haben in Bremerhaven häufig Abrufarbeitsverträge erhalten. Arbeitsverträge, in denen nur eine sehr geringe Stundenzahl festgeschrieben war. Sie wurden mit einem Auto morgens abgeholt, wenn ein Auftrag vorhanden gewesen ist. Wenn kein Auftrag vorhanden gewesen ist, mussten sich diese Personen im Zweifelsfall kurzfristig etwas anderes suchen. In den Branchen Trockenbau und Werftbereich hat unseres Eindrucks nach noch niemand etwas von Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechten für migrantische Arbeitskräfte gehört. Das ist ein skandalöser Zustand, den es hier in aller Schärfe zu kritisieren gilt.
Die Arbeitgeber, die hier Arbeitsverträge ausgestellt haben, waren häufig kleine Subunternehmen, die in einer längeren Kette weitere Subunternehmen bedient haben, an deren oberen Ende allerdings auch renommierte Unternehmen standen. Die Zeuginnen und Zeugen, die wir befragt haben, haben ausgesagt, dass sie auf Werften in Bremerhaven gearbeitet haben, auch auf der Lloyd Werft, ohne allerdings angeben zu können, bei welcher Firma sie genau zu diesem Zeitpunkt beschäftigt gewesen sind.
Wir gehen davon aus, dass es hier stetig wechselnde Arbeitsverhältnisse gab. Wir gehen davon aus, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht klar war, welche gesetzlichen Schutzbestimmungen es gegeben hat. Wir gehen auch davon aus, dass sie häufig weder über hinreichende Deutschkenntnisse noch über rechtliche Kenntnis
verfügt haben, dieses Ausbeutungssystem zu verstehen oder eine Möglichkeit zu finden, daraus auszubrechen. Ich glaube, einen solchen Arbeitsmarkt darf es im Land Bremen nicht geben. Wir müssen uns darüber unterhalten, wie wir Kontrollmechanismen entwickeln und schärfen können, um einem solchen Treiben Einhalt zu gebieten.
Es ist allerdings auch richtig, dass dieser Arbeitsmarkt eine Folge der Deregulierung ist. Es ist eine Arbeitsmarktpolitik, die ermöglicht hat, dass über Werkverträge und über Subunternehmensketten weiter Arbeit dereguliert wird und damit auf dem Rücken der Betroffenen, die in prekäre Verhältnisse gedrängt werden, ausgetragen wird. Zugewanderte werden als Billigarbeitskräfte genutzt. Arbeitgeber haben vielleicht bereitwillig ihre sogenannten Schützlinge zum Jobcenter zu begleitet, denn man konnte sich ja darauf verlassen, dass ergänzende Leistungen bezogen werden. Die Unternehmen mussten deshalb niemals auskömmliche Löhne zahlen, da hier über eine Art Kombilohnmodell sowieso abgesichert war, dass zumindest in einem bestimmten Umfang Gelder zur Verfügung standen.
Es ist möglich, diesen Bereich des Arbeitsmarkts zu kontrollieren. Wir müssten ihn kontrollieren, und wir könnten ihn kontrollieren. Deshalb haben wir verschiedene Forderungen aufgeschrieben. Einige Forderungen richten sich an die Bundespolitik. Das bedeutet, dass wir davon ausgehen müssen, dass Mitbestimmungsrechte gestärkt werden müssen und dass für den Bereich der Verwendung von Werkverträgen Kontrollen stärker ermöglicht werden müssen.
Ein Arbeitsunfall kann in einem solchen Bereich schnell eine existenzielle Krise hervorrufen, wobei das Unternehmen im Zweifelsfall keine Verantwortung übernimmt. Diese geringen Löhne werden am Ende des Tages auch noch staatlich subventioniert.
Wir richten diese Forderungen aber auch an den Senat. Wir wissen, dass viele Bereiche der Bundesebene zuzuordnen sind, dennoch sind landespolitische Handlungsmöglichkeiten vorhanden. Es gibt das Bündnis für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung im Land Bremen, das beispielsweise für den Bausektor mit den Tarifvertragsparteien Vereinbarungen getroffen hat. Solche Vereinbarungen sind nach unserer Meinung auch für den Werftenbereich und für das Reinigungsgewerbe denkbar.
Wir haben die Forderung aufgeworfen, eine ähnliche Vereinbarung mit diesen Branchen und den Tarifvertragsparteien dieser Branchen zu treffen. Aus meiner Sicht ist dies keine besonders weiterreichende Forderung, sondern nur ein Einstieg in eine Debatte über Vereinbarungen und Regulierungen. Ich bin etwas traurig und etwas enttäuscht darüber, dass diese Forderung nicht geeint werden konnte, dennoch halte ich sie für richtig. Wir werden auch in Zukunft darauf drängen, dass derartige Vereinbarungen getroffen werden.
Neben anderen Städten war auch Bremerhaven ein Ziel der Arbeitsmigration, weil in Bremerhaven Wohnraum zur Verfügung stand und günstig war. Wir haben mit der Hilfe von Grundbüchern versucht, Eigentumsstrukturen zu durchschauen. Festzuhalten ist, dass es in Bremerhaven keine große Eigentümergesellschaft gibt, die alles aufgekauft hat, sondern es ist eine sehr zersplitterte Eigentümerstruktur vorhanden. Wir haben in den Akten russische Immobilieneigentümer mit Sitz in Spanien gefunden. Wir haben die Kaimaninseln gefunden.
Wir gehen davon aus, dass die Immobilien vor Ort über Immobilienverwalter verwaltet wurden und der Zustand der Immobilien miserabel war. Trotzdem wurden diese Immobilien bewohnt, und trotzdem wurden häufig die Kosten der Unterkunft gezahlt. Gemein war allen Immobilienbesitzern, wenn man sie gefragt hat, wie sie die Höhe der Miete ermittelt haben, dass sie uns gesagt haben: Wir haben auf die Liste geschaut, haben uns den Höchstsatz für die jeweilige Bedarfsgemeinschaft herausgesucht, haben den Betrag als Mietzins eingesetzt, und wir haben diesen Betrag dann auch als Leistung erhalten.
Das, meine Damen und Herren, ist erschreckend, und das zeigt uns auch, dass hier eine mangelnde Kontrolle des Wohnraums stattfindet. Ich glaube, dass wir hier gut beraten sind, dieses Segment in den Fokus zu nehmen und in Zukunft stärker zu kontrollieren.
Anders als im Bereich Arbeitsmarkt, nehme ich durchaus wahr, dass sich in Bremerhaven die Diskussion zum Immobilienmarkt verändert hat, und zwar letztlich auch durch die Brandserie, die es gegeben hat. Dennoch gibt es Begutachtungen vor Ort und Einschätzungen der Immobilien. Aus meiner Sicht müssen die vorhandenen Instrumente, die
es ja durchaus gibt, konsequent angewendet werden, und das bedeutet: Instandsetzungsgebote, Nutzungsuntersagungen und kommunaler Ankauf von Häusern. Im Endeffekt kann es auch dazu führen, wenn Personen über einen langen Zeitraum Häuser verwahrlosen lassen und es damit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit kommt, dass eine Enteignung in Betracht gezogen werden muss.
Abschließend! Die Politik darf die Augen nicht vor der Ausbeutung verschließen, sei es auf dem Immobilienmarkt oder sei es auf dem Arbeitsmarkt. Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der den Bürgerinnen und Bürger, aber auch den Zugewanderten, die gewollt nach Deutschland kommen sollen und denen das auch nicht verwehrt werden soll, den Schutz gewährt, dass das geltende Recht, das es gibt, eingehalten wird und dass die Schutzbestimmungen ausbaut werden.
Ich möchte noch auf zwei Punkte eingehen, die eben in der Debatte genannt worden sind. Herr Dr. vom Bruch, Sie haben davon gesprochen, dem Zoll in diesem Zusammenhang weitere Aufgaben zu übertragen. Wir haben eine längere Diskussion zur Zuständigkeitsstruktur geführt, und wir haben festgestellt, dass sie nicht funktioniert hat. Ich glaube nicht, dass es besser funktioniert hätte, wenn der Zoll am Ende des Tages allein zuständig gewesen wäre. Er hat es in anderthalb Jahren nicht geschafft, der Polizei zu erkennen zu geben, dass er nicht zuständig sei. Der Zoll ist eine derjenigen Behörden, die am schlechtesten durch demokratische Institutionen, wie die Bürgerschaft eine ist, kontrollierbar ist. Er ist weder vom Bundestag noch von den Landesparlamenten gut zu kontrollieren. Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir diese Debatte in einem Parlament führen und die Möglichkeit nutzen können, um einem Untersuchungsausschuss einzusetzen und hier Beweis zu erheben.
Sie haben auch davon gesprochen, Fehlanreize zu reduzieren. In dem Zusammenhang ist beispielsweise das Stichwort Kindergeld gefallen. Ich glaube nicht, dass der Personenkreis, um den es hier geht, nach Deutschland gekommen ist, weil es hier Kindergeld gibt.
Ich bin davon überzeugt, dass die Personen, um die es hier geht, auch viele Roma, die verfolgt werden, die unter erbärmlichen Zuständen leben müssen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommen und hier darauf angewiesen sind, das anzunehmen, was sie vorfinden. Das bedeutet, dass sie in Immobilien leben, die für uns in einem unvorstellbaren Zustand sind und die dennoch besser sein können als das, was sie kennen.
Das bedeutet, dass Arbeitsverhältnisse angenommen werden, die deutlich unter dem Mindestlohn entlohnt werden, aber dennoch individuell als besser wahrgenommen werden als das, was man bisher kennt. Ich glaube, wir können - und wir sind dazu verpflichtet - diesen Menschen faire Bedingungen anbieten. Es sind die entsprechenden Regulierungsmechanismen hoch zu fahren, um einen handlungsfähigen Staat zu haben, der absichert, dass diese Menschen nicht ausgebeutet werden.
Es kann nicht das Ziel sein, hier Sozialleistungen abzusenken. Ich halte diese Aussage für eine falsche Auswertung dessen, was hier passiert ist. Ich möchte dem hier entschieden widersprechen. - Danke für die Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich möchte mich auch zu Beginn meiner Ausführungen bei allen Kolleginnen und Kollegen des Untersuchungsausschusses für die gute Zusammenarbeit und die konstruktive Arbeits- und Vorgehensweise herzlich bedanken, insbesondere beim Vorsitzenden Herrn Jansen und seinem Stellvertreter Herrn Dr. vom Bruch, meiner Kollegin Frau Grotheer und Herrn Professor Dr. Hilz. Vielen Dank, für die gute Zusammenarbeit!
Mein Dank gilt auch meinen Kolleginnen und Kollegen in meiner Fraktion, und zwar Mustafa Öztürk, Jan Saffe und Kibire Yildiz. Im Übrigen danke ich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ausschussassistenz und insbesondere unserem Mitarbeiter Thomas Wenning. Vielen Dank, Ihnen allen!
Wir haben uns alle sehr gewissenhaft mit den Fragestellungen des Einsetzungsbeschlusses auseinandergesetzt, und wir haben die angeforderten 155 Aktenordner verschiedener Behörden sowie die rund 100 Leistungsakten des Jobcenters akribisch ausgewertet und zur Vorbereitung der Beweisaufnahme genutzt.
Vor dem damaligen Hintergrund eines im Raum stehenden Sozialleistungsmissbrauchs mit einem möglichen Millionenschaden und eines dahinterstehenden massenhaften Ausbeutungssystems war es für uns im Rahmen der Beweisaufnahme besonders wichtig, eine lückenlose und alle Bereiche des Missbrauchssystems umfassende Aufklärung zu betreiben. Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Beweisaufnahme war erschreckend. In Bremerhaven war durch die beiden beteiligten Vereine über Jahre ungestört und in sehr großem Stil ein auf Sozialleistungsmissbrauch angelegtes System aufgebaut worden, ein Missbrauchssystem, von dem sehr früh sehr viele wussten, und das man über Jahre hinweg laufen ließen, ohne in die Machenschaften einzugreifen.
Verarmte EU-Zuwanderer, vor allen Dingen aus Bulgarien und Rumänien, die entweder schon in Bremerhaven gelebt haben oder aber nach Bremerhaven gelockt worden sind, erhielten fingierte Arbeitsverträge, um damit aufstockende Sozialleistungen vom Jobcenter zu erhalten. Das besonders Perfide an dieser Masche war, dass selbst von diesen den Lebensunterhalt gerade so sichernden Leistungen des Jobcenters von den Zuwanderinnen und Zuwanderern Zahlungen an die Vereine geleistet werden mussten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für uns Grüne fest, dass der organisierte Sozialleistungsmissbrauch bereits 2014 hätte gestoppt werden können. Er wurde aber nicht gestoppt, weil es bei der Zusammenarbeit aller beteiligten Behörden zu einem vollständigen Versagen gekommen ist. Beim Jobcenter in Bremerhaven, bei der Bundesagentur für Arbeit, bei der Ortspolizeibehörde Bremerhaven, dem Zoll, dem Sozialdezernenten Rosche und auch bei der Leiterin des Sozialamts, Frau Henriksen, hat es nach den Feststellungen des Untersuchungsausschusses sehr frühzeitig sehr viele und sehr genaue Hinweise auf den Sozialleistungsmissbrauch gegeben.
Meine Damen und Herren, mit großer Fassungslosigkeit musste ich im Untersuchungsausschuss zur Kenntnis nehmen, dass von all den gerade Ge
nannten sich niemand zuständig fühlte, dass niemand eingegriffen hat, sodass dieses auf Leistungsmissbrauch angelegte System unbehelligt weiterlaufen konnte, obwohl, wie bereits erwähnt, schon Anfang 2014 vielen Behörden vieles bekannt gewesen ist.
Für mich ist bis heute überhaupt nicht nachvollziehbar, dass das Jobcenter Bremerhaven trotz der Abgabe zahlreicher, sehr offensichtlicher Verdachtsfälle Anfang 2014 an den Zoll, bis zum Sommer 2015 auf eine Antwort des Zolls gewartet hat. Das bedeutet, meine Damen und Herren, anderthalb Jahre wurden weiterhin Anträge gestellt, Leistungen bewilligt und Gelder in Millionenhöhe ausgezahlt, obwohl man bereits viele Hinweise Anfang 2014 hatte.
Nun sollte man meinen, dass sich angesichts der Schadenssumme die beteiligten Behörden in der Beweisaufnahme überaus selbstkritisch zu diesem Ablauf geäußert hätten, aber nichts dergleichen. Der Gipfel der Selbstkritik war mit, „da hätte man vielleicht einmal nachfragen müssen“, sehr schnell erreicht.
Beim Sozialdezernenten Rosche und bei der Sozialamtsleiterin Henriksen gingen sehr, sehr frühzeitig viele Hinweise auf das System des organisierten Sozialmissbrauchs ein. Von diesen beiden wurde aber auch viel zu lange nichts unternommen, obwohl das Sozialamt Anfang 2014 über zugeleitete Tätigkeitsberichte der Beratungsstelle für Menschen aus den neuen EU-Ländern bereits detailliert und immer wieder auf diese Missstände aufmerksam gemacht worden ist, und zwar genau jene Missstände, die dann ein Teil der Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss waren. Die einzige Reaktion der Sozialamtsleiterin ist gewesen, dass diese Berichte nicht mehr öffentlich gemacht werden durften.
Besonders verurteilenswert ist nach meiner Auffassung ein weiterer Aspekt, auf den ich hier gern eingehen möchte. Das System des Sozialleistungsmissbrauchs hat sich auch in erheblichem Umfang auf die Mittel zur Bildung und Teilhabe erstreckt. Diese sehr sinnvollen Maßnahmen im Bereich der Bildung und Teilhabe, wie zum Beispiel die Lernförderung, sind durch den Gesetzgeber bewusst niedrigschwellig ausgestaltet worden, um auf diese Weise eine sehr breite Förderung zu erzielen. Genau diese Niedriggeschwindigkeit, meine Damen und Herren, wurde durch das System des Sozialleistungsmissbrauchs gezielt ausgenutzt. Obwohl auch für den Bereich der Lernförderung frühzeitig