Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Parlament wird gleich das Wahlrecht ändern. Konsequenz ist, die Parteiliste wird dadurch gestärkt, die Personenstimmen werden geschwächt, so hat es der nicht ständige Ausschuss „Erhöhung der Wahlbeteiligung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ entschieden. Mit dieser für mich indiskutablen Entscheidung erwartet die Mehrheit des Ausschusses, dass das Parlament zukünftig das Spiegelbild der Menschen in Bremen ist und mehr
Frauen und jüngere Abgeordnete im Parlament sitzen. Selbst wenn, muss deshalb das Wahlrecht geändert werden? Muss deshalb das von vielen unterstützte Volksbegehren gekippt werden, das im Jahr 2016 das jetzt aktuelle Wahlrecht eingefordert hat und dabei von über 70 000 Bremern unterstützt wurde?
Gewollt war, dass die Wähler mehr Einfluss auf das Kandidatenkarussell bekommen, dass sie spezielle, nämlich ihre Kandidaten mehr unterstützen können, die zuhören und ihnen eine Stimme im Parlament geben. Zwei Wahlen haben gezeigt, das ist genutzt worden, das ist gewollt. Also, warum machen Sie das? Um den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen? Ich empfehle den Parteien, mehr Frauen weiter vorn auf der Parteiliste zu platzieren. Mehr jüngere Abgeordnete im Parlament? Mein Vorschlag: Setzen Sie jüngere Kandidaten auf sichere Listenplätze!
Also, was ist der Grund? Für mich geht es schlicht darum, den elitären Parteiklüngel in ausbaldowerten Parteilisten wieder zu stabilisieren und die Macht in den Parteizentralen zu stärken, denn es läuft doch so: Als Erstes sichert sich der elitäre Zirkel untereinander ab,
dann werden die Seilschaften bedient, und es wird sich auf Kandidaten verständigt, die wie Parteisoldaten zu agieren haben.
Genau das wurde mit dem neuen Wahlrecht ab 2011 aufgebrochen, das war Sinn und Zweck des Volksbegehrens, eine notwendige Initiative, um die Demokratie zu beleben.
Meine Damen und Herren hier im Parlament, glauben Sie tatsächlich, dass das Parlament ein Spiegelbild der Bevölkerung wird, wenn Sie die Parteiliste wieder stärken, dass der Arbeiter aus Hemelingen oder die alleinerziehende Mutter aus Bremerhaven-Lehe in die Bürgerschaft einzieht, wenn die Parteiliste wieder mehr Macht hat? Auf keinen Fall! Wenn man schon das Wahlrecht ändert, dann bitte so, dass der Einfluss der Bürger noch weiter gestärkt wird! Das war ja das Ziel des nicht ständigen
Ausschusses: eine Weiterentwicklung des Wahlrechts! Ich konstatiere, Sie beschließen einen Rückschritt.
Ursprünglich wollten Sie mit der Änderung des Wahlrechts die Parteienverdrossenheit bekämpfen, und was machen Sie? Sie kippen das Volksbegehren und stärken den Einfluss der Parteispitzen; ein Schachzug, um Ihre Macht zu festigen. Das zeigt sich daran, dass bisher keine einzige Maßnahme, keine Strategie darüber vorliegt, wie mit den vielen Nichtwählern aus abgehängten Stadtteilen umgegangen werden soll. Es war ja das wesentliche Ziel des Ausschusses, das Befinden der Nichtwähler ernst zu nehmen und sie wieder für unsere Demokratie zu gewinnen, denn nie war die Wahlbeteiligung in einem westdeutschen Bundesland geringer als im Jahr 2015 in Bremen.
Es sind die Menschen mit wenig Geld, mit wenig Bildung und ohne Arbeit, die nicht wählen gehen. Ganze Stadtteile wie Tenever, Gröpelingen und Bremerhaven-Lehe sind Nichtwähler-Hochburgen, in denen die Verankerung der Parteien längst aufgebrochen ist. Sie, meine Damen und Herren, befeuern mit der Änderung des Wahlrechts genau den Trend, dass die repräsentative Demokratie immer mehr an Legitimität verliert, und Sie befeuern den Eindruck, dass die Politiker sich sowieso nicht mehr um die Probleme des einfachen Volkes kümmern.
Der Verein „Mehr Demokratie“ kämpft vergeblich, um das Wahlrecht zu bewahren. Er wird jetzt erneut ein Volksbegehren starten, um ein viel stärker personalisiertes Wahlrecht einzuführen, das ich voll und ganz unterstütze.
Und was tun Sie? Sie sichern Ihren elitären Zirkel über starre Parteilisten ab, gegen die Befindlichkeit der Wähler, und ich werfe Ihnen vor, Sie fördern nicht mehr Demokratie, sondern weniger Demokratie.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Wendland, ich bin deshalb ein bisschen nachsichtig mit Ihnen, weil Sie ja über
haupt erst in einer Spätphase der Arbeit des Ausschusses dazugestoßen sind. Wären Sie früher dabei gewesen, dann hätten Sie natürlich auch die gesamten Debatten mitbekommen, und vor allen Dingen hätten Sie die Debatten über die Maßnahmen gegen die Wahlmüdigkeit mitbekommen.
Lassen Sie mich aber bei aller Nachsicht eine Sache sagen, die mich persönlich ein Stück - wie soll ich sagen? - echauffiert: Wer glaubt, dass Demokratie dann am besten gewährleistet ist, wenn Individual- und Partikularinteressen in den Vordergrund gerückt werden, der hat in der Tat ein völlig anderes Demokratieverständnis als die Mehrheit des Hauses.
Wer dann bewusst verkennen will, dass das System, das wir bisher haben, deshalb ein Problem ist, weil der Wähler gar nicht weiß, wen er bei der Abgabe einer Personenstimme wählt, und wer nicht einmal bereit ist, darüber zu diskutieren - denn Sie haben hier gesagt, es wäre eine völlig indiskutable Entscheidung -, dem muss ich ganz ehrlich sagen, Frau Wendland: Vielleicht wäre es ganz gut, noch einmal ein wenig darüber nachzudenken, was Demokratie eigentlich ist. Sie sind kein Paradebeispiel für eine demokratische Einlassung gewesen.
Ja, anders als Sie nehme ich die Einwendungen der Lobbyorganisation „Mehr Demokratie“ ernst. Ja, es ist so, dass am Ende durch mathematische Auslegungen manche Leute beim nächsten Mal nicht in das Parlament einziehen werden, die dieses Mal eingezogen sind, das ist richtig. Diesen Befund muss man abwägen damit, dass es ohne Zweifel so ist - und da nenne ich einmal ein Beispiel aus der SPD-Fraktion -,
Jetzt bin ich anders als Sie in der Tat offen dafür zu diskutieren, ob das eigentlich richtig ist oder nicht. Ich ziehe für mich den Schluss, dass ein Wähler wissen muss, was er mit seiner Stimme erreicht. Wenn ein Wähler das nicht weiß und wir den Fall hatten, dass ein Kollege nicht unter uns sitzen würde, wenn nicht jemand anderes zurückgezogen hätte, weil er Personenstimmen bekommen hat, und sich dann hinzustellen und zu sagen, dass dieses System richtig und demokratisch ist, dann halte ich das für falsch. Ich halte die Änderung für völlig angemessen, und so sollten wir sie auch heute beschließen. - Danke!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich auch für die CDU-Fraktion zu einigen Punkten etwas sagen, die bereits hier angesprochen worden sind!
Als Erstes möchte ich mich aber wirklich ganz herzlich beim Ausschussvorsitzenden für seine Arbeit bedanken und natürlich auch bei Herrn Weiß.
Es waren nicht immer einfache Debatten, die wir geführt haben, es waren teilweise auch sehr kontroverse Debatten, die wir geführt haben, aber ich finde, es war sehr fair, wie wir uns im Ausschuss damit auseinandergesetzt haben.
Ich fange einmal mit anderen Themen an, die hier schon teilweise eine Rolle gespielt haben, das Erste ist der gemeinsame Wahltermin. Um es auch ganz deutlich zu sagen, wir haben diesen abgelehnt aus dem einen Grund, den Matthias Güldner erwähnt hat, aber insbesondere, weil wir nicht wissen, wie eine 40-prozentige Wahlbeteiligung bei einer Europawahl einer 50-prozentigen Wahlbeteiligung bei einer Bürgerschaftswahl automatisch helfen soll. Im Gegenteil: Wir haben ein anderes Wahlsystem, wir haben andere Stimmzettel, und insbesondere, dass man sich auch stärker mit Personen auf den Listen der Parteien auseinandersetzen muss, wird mit einer parallel stattfindenden Europawahl für den Wähler deutlich erschwert. Aus diesem Grund haben wir diesen gemeinsamen Wahltermin von Anfang an abgelehnt.
Gott sei Dank ist es ja bei der vierjährigen Wahlperiode geblieben, sodass wir das nächste Mal erst im Jahr 2039 über einen gemeinsamen Wahltermin sprechen müssen, und insofern passiert dieses Unglück eventuell nur im Jahr 2019. Wir hätten es gern gehabt, wenn wir die Bürgerschaftswahl auch weiterhin als ein Alleinstellungsmerkmal in unserem Land gehabt hätten.
Ich will damit auch zum zweiten Problem kommen, das noch nicht erwähnt wurde, nämlich zum Auszähltempo. Ich finde es sehr unbefriedigend, dass es in Hamburg gelingt, mit einem sehr ähnlichen Wahlsystem den Menschen die Ergebnisse am Montagnachmittag präsentieren zu können und wir in Bremen häufig eine Woche auf das Ergebnis der Bürgerschaftswahl warten müssen. Das ist tatsächlich rückständig. Wenn wir jetzt noch die Europawahl damit vermischen, dann schauen wir uns einmal an, wie lange die Auszählung beim nächsten Mal dauern wird, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wird eigentlich zuerst ausgezählt? Vermutlich die Europawahl, das heißt, wir werden noch länger auf die bremischen Ergebnisse warten müssen. Auch dies ist für uns ein Punkt, der im Ausschuss nicht befriedigend geregelt wurde.
Ich möchte zum dritten Punkt kommen, der Heilungsklausel! Wir finden es unbefriedigend, dass Rot-Grün sich dort offensichtlich auf kein System verständigen konnte. Wir hätten es gut gefunden, wenn der Wählerwille deutlich erkennbar ist, dass wir dies auch hätten heilen können, ich finde, da hätte man sich zu einem Kompromiss durchringen können. Wenn dort aus irgendeinem Grund zum Beispiel 5 Stimmen auf der Liste und dann noch irgendwo ein Kreuz gemacht wurde, ist ein Wählerwille deutlich erkennbar, und wenn noch irgendwo ein Kommentar dazu steht, dass diese Stimmen dann auch verloren gehen, man sich auf der anderen Seite aber über den hohen Anteil der ungültigen Stimmen beschwert, nämlich dass dieser mit 3 Prozent zu hoch ist, dann passt das nicht zusammen. Wir hätten eine Heilungsklausel gebraucht, schade, dass Rot-Grün sich da nicht verständigen konnte, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Dann will ich auf den letzten Punkt, die Personen- und Listenstimmen eingehen, und auch auf die Kandidatenlisten! Mir geht es ja ähnlich wie Matthias Güldner: Wir haben das im Landesvorstand ausführlich besprochen, der Landesvorstand hat sich mit Mehrheit entschieden. Ich gehörte in
dem Fall nicht zu denen, die die Position der Mehrheit vertreten haben. Das gehört aber auch zu einer Demokratie dazu. Man muss ganz deutlich sagen, Frau Wendland, wir haben in diesem Land zunächst einmal noch eine Parteiendemokratie, das darf man nicht vergessen, und insofern ist es auch völlig legitim, dass die Parteien natürlich auch einen Einfluss auf ihre Liste nehmen sollen. Das ist nichts Ehrenrühriges, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern das ist selbstverständlich und völlig normal, und das muss man an dieser Stelle noch einmal betonen.
Ich will auch deutlich sagen, warum gesagt wird, wenn jetzt die Personenstimmen in den Vordergrund gerückt werden, dass das automatisch eine Benachteiligung des Systems mit den Personenstimmen ist, das verstehe ich beim besten Willen nicht! Ich bin froh, dass wir vor einigen Jahren in Bremen zum Kumulieren und Panaschieren gekommen sind, und ich bin froh, dass die Menschen das nach 2 Wahlen bereits so angenommen haben, dass wir ungefähr zur Hälfte, teilweise sogar noch eher Personenlisten haben, die ziehen, als die Listen der Parteien. Ich finde das gut, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Insofern ist es doch selbstverständlich - und das ist übrigens auch eine Aufforderung an jeden Abgeordneten und jede Abgeordnete im Parlament, sich weiter zu engagieren und vor Ort zu zeigen -, dass dann natürlich auch die Personenstimmen im Mittelpunkt stehen müssen und als Erstes ziehen.
Wenn jemand 5 000, 8 000 oder 20 000 Stimmen bekommt, dann muss dies natürlich entsprechend berücksichtigt werden. Wenn man sich anschließend die Verteilung anschaut, zum Beispiel bei den Grünen, bei denen es nachher tatsächlich um eine, 2 oder 3 Stimmen ging, dann bin ich mir nicht sicher, ob das nachher nicht eher das Zufallsprinzip ist und nicht zum Beispiel ein Parteitag der Grünen über ein langjähriges Engagement seiner Mitglieder vielleicht auch eher beurteilen kann -