Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Ich freue mich, dass jetzt durch den Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung anscheinend vieles auch etwas in das Bewusstsein anderer gelangt ist, das so vorher noch nicht vorhanden war. Wenn ich nämlich zum Beispiel an den Ausbau der Kinderbetreuung denke, der maßgeblich wichtig für existenzsichernde Einkommen gerade bei Alleinerziehenden, bei Frauen ist: Ich kenne viele Fraktionen, die sich durchaus gesperrt und lange gebraucht haben, bis sie diesen Weg mitgegangen sind. Ich will dies nicht kritisieren; es ist gut, dass sie jetzt auch so weit sind. Dann der Ausbau von Ganztagsschule! Ja, wie lange mussten wir denn kämpfen, bis es zu einem Ausbau von Ganztagsschulen kam?

(Abg. Frau Ahrens [CDU] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. – Glocke)

Frau Böschen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Ahrens?

Frau Ahrens, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen beantworten, sondern würde die kurze Redezeit gern nutzen, weiterzumachen.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Zehn Minuten sind kurz? Das wusste ich gar nicht! Das ist eine Debatte mit einer Redezeit nach der Geschäftsordnung!)

Es ist alles in Ordnung, Frau Ahrens!

So, und wenn wir uns anschauen, was wir im Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung getan haben: Wir haben diesen Ausschuss als Möglichkeit begriffen, hier jetzt tatsächlich über die Politikfelder hinweg das Thema Armutsbekämpfung stärker in den Fokus zu nehmen, das war gut und richtig, wir haben es gemeinsam getan. Wir haben Erkenntnisse gewonnen, und zwar einerseits über die Ursachen von Armut, die weiß Gott nicht ausschließlich in Bremen liegen, sondern in einem großen Umfang bundesrepublikanisch sind, aber andererseits haben wir auch Kenntnis darüber bekommen, welche vielen Maßnahmen wir bereits in Bremen in der Vergangenheit getroffen haben.

Eigentlich hat uns dieser Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung doch gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind,

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Nein, gerade nicht!)

dass unsere Haltung, hier in sogenannte benachteiligte Stadtteile deutlich mehr zu investieren, damit die Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg und auch einer existenzsichernden Beschäftigung, die ja an deren Ende steht, aufgehoben wird.

(Beifall SPD)

Wenn ich mir des Weiteren ansehe, wie wir zugelegt haben bei dem Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Quote der Studierenden, wie wir glücklicherweise eine Reduzierung der Abbruchquote oder der Abgangquote im Bereich der Schulen erreicht haben, dann genügt das nicht, um mich glücklich zu machen, das sage ich ganz ehrlich. Wir sind noch lange nicht am Ende, denn es sind viele Dinge, die wir weiterhin tun müssen, aber diese werden wir auch tun.

Zu sagen, jetzt muss endlich gehandelt werden, da frage ich mich, wo lebe ich denn?

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das frage ich mich auch seit Jahren!)

Was tun Sie denn? Was tun Sie, Frau Ahrens? Sie sind so lange wie ich in der Bürgerschaft!

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Genau!)

Was haben Sie in der Vergangenheit getan? Genau das haben wir in den letzten Jahren intensiv betrieben, da sind wir noch lange nicht soweit, dass wir damit zufrieden sein können, dafür braucht es natürlich Geld und zum Teil andere Strukturen,

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Von 30 auf 34 Prozent Kin- derarmut! Damit kann man doch nicht zufrieden sein!)

denn Geld allein bewirkt nicht alles, da gebe ich Ihnen auch durchaus recht. Wir haben in Bremen eine vielfältige Landschaft von Pilotprojekten und Maßnahmen, die auch nicht immer koordiniert sind und vielleicht auch nicht immer am selben Strang ziehen – selbstverständlich muss man da hinschauen –, aber das haben wir doch ermittelt. Diesen Auftrag geben wir ja an den Senat.

Jetzt irgendwie infrage zu stellen, dass der Senat handelt – meine Güte! –, was wollen Sie?

(Zuruf Abg. Frau Ahrens [CDU])

Wollen Sie jetzt anfangen, irgendwie konkret in den Einrichtungen umzusetzen? Ehrlich gesagt, das verstehe ich überhaupt nicht, denn als Parlamentarierin ist mein Verständnis, dass ich den Senat kontrolliere, und wenn ich der Meinung bin, dass er nicht zielgerichtet in die Richtung arbeitet, wie wir es beschlossen haben, dann sind wir hier als Parlament in der Lage, Anträge zu verabschieden, um das Handeln des

Senats zu beeinflussen. Nur, hier jetzt zu glauben, dass ein weiterer Ausschuss das Ganze vorantreiben könnte, tut mir leid, dafür fehlt mir der Glaube.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Armut zu bekämpfen sehen auch wir als zentrale Aufgabe an. Es ist vor allem die zentrale Aufgabe Bremens.

(Beifall FDP)

Die Politik muss zu deren Bewältigung alle vernünftigen Mittel ausschöpfen und darf sich vor allem nicht wegducken. Es muss nicht nur etwas passieren, sondern es muss mehr passieren.

(Beifall FDP)

In der Vergangenheit ist hier viel in die falsche Richtung gelaufen oder versäumt worden. Man hat zugelassen, dass sich in Bremen Armutsghettos bilden konnten.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das lag unter ande- rem daran, dass wir keinen Mindestlohn hatten!)

Man hat zugelassen, dass viele Menschen in die Perspektivlosigkeit abgeglitten sind. Wir verzeichnen als Resultat die höchste Quote an Hartz-IV-Empfängern. Bei uns ist fast jeder vierte Einwohner von Armut bedroht.

Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir mit dieser Situation umgehen und wie wir sie verbessern können. Wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Die Flüchtlingskrise, die wir aktuell erleben, hat das große Potenzial, die Armut weiter zu verschärfen. Für uns Freie Demokraten liegt der Schlüssel, um dieser Situation endlich Herr zu werden, darin, dass wir eine sehr gute Bildungs- und Wirtschaftspolitik betreiben.

(Beifall FDP)

Die Bekämpfung der Armut ist eine Querschnittsaufgabe aller Ressorts, das heißt eine ressortübergreifende Aufgabe. Wir brauchen viel weniger Symptombekämpfung und dafür viel mehr Ursachenbekämpfung.

(Beifall FDP)

In der 18. Legislaturperiode ist dieser Ausschuss eingerichtet worden. Er hat offensichtlich sehr gut ge

arbeitet. Das zeigen die enorm vielen Lösungsvorschläge. 88 fanden sogar die Zustimmung aller damals in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen.

Wir sind absolut der Meinung, dass es sinnvoll ist, die Ergebnisse der Arbeit dieses Ausschusses zu sichern und endlich umzusetzen. Uns fehlt wieder einmal das Element des Handelns. Stattdessen wird von einigen Fraktionen vorgeschlagen, von der Bedeutung der Umsetzung abzulenken und einfach wieder einen Ausschuss zu bilden. Für uns Freie Demokraten ist das nicht der richtige Weg. Wir sollten stattdessen mit der Umsetzung der Ergebnisse anfangen. Die Koalition und der Senat müssen endlich handeln. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir wieder nur alles ausdiskutieren und uns darum Gedanken zu machen, was jetzt eigentlich fertig ist.

(Beifall FDP)

Anscheinend ist noch nicht bekannt, wie mit den Ergebnissen und Handlungsempfehlungen des Ausschusses der 18. Legislaturperiode verfahren wurde. Deswegen schließen wir uns dem Antrag an, den Sachstand zu erheben. Es ist wichtig zu wissen, welche Maßnahmen mit welchem Ergebnis umgesetzt wurden. Die Vorlage des Sachstandsberichts unterstützen wir. Der erneuten Einrichtung dieses Ausschusses stimmen wir definitiv nicht zu.

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Frau Steiner, ich rate Ihnen an, alle Protokolle des Ausschusses, insbesondere die der Anhörungen, zu lesen. Dann wüssten Sie, dass es für verfestigte Armut bestimmte Ursachen gibt, an denen das Bundesland Bremen überhaupt nichts ändern kann. Zu den Ursachen gehören unter anderem die Auseinanderentwicklung der Löhne und der Privatvermögen sowie die Steuersenkungen. Angesichts der unzureichenden staatlichen Einnahmen sind die Länder nicht mehr in der Lage, wirksame Maßnahmen zur Prävention von Armut, insbesondere im Bildungsbereich, und damit zur Herstellung von Gerechtigkeit zu ergreifen. Sie sollten sich das alles durchlesen. Wir haben uns nämlich nicht nur mit den Möglichkeiten der Landesebene beschäftigt, sondern auch damit, welche Schritte auf Bundesebene zu gehen sind. Klar ist jedenfalls, dass bestimmte Weichenstellungen, die der Bund in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommen hat, wesentlich dafür verantwortlich sind, dass wir eine so hohe Kinderarmut und generell eine so verfestigte Armut im Bundesland Bremen haben.

Ich brauche Sie nicht in diesem Ausschuss und bin auch froh, dass wir Sie in der vergangenen Legisla

turperiode nicht dabeihatten. Das sage ich vor allem angesichts dessen, was Sie in den letzten Wochen zum Besten gegeben haben. So wollten Sie als erste Antwort darauf, dass viele Flüchtlinge zu uns kommen, den Mindestlohn abschaffen.

(Abg. Frau Steiner [FDP]: Sie haben unseren Vorschlag wirklich nicht verstanden!)

So kommen wir hier überhaupt nicht weiter.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir brauchen auch keinen Bericht des Senats zu überprüfen.

Ich komme noch einmal zu unserer Begründung, weshalb wir diesen Armutsausschuss brauchen. Ja, der Ausschuss der 18. Legislaturperiode hat 131 Empfehlungen abgegeben, davon 88 in parteiübergreifender Einigkeit. Aber ich möchte wissen, ob endlich etwas passiert. Ich sage Ihnen, warum ich darauf bestehe. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht von 2009 enthielt an die 120 Empfehlungen. Umgesetzt worden sind ganze zwei! Wir haben das im vergangenen Jahr erfahren, weil wir im Mai eine entsprechende Anfrage gestellt hatten. Genau deshalb misstraue ich dem Senat. An dieser Stelle will ich die parlamentarische Kontrolle haben. Deswegen brauchen wir die Verstetigung dieses Ausschusses.