Die Leistung, die wir mit der Erstellung des Berichts erbracht haben, sollte niemand kleinreden. Niemand kann behaupten, es existiere keine Grundlage für die weitere Arbeit. Hinzu kommen nämlich noch der Armuts- und Reichtumsbericht des Senats und die Ergebnisse der Armutskonferenz. Viele Menschen in dieser Stadt arbeiten an dem Thema „Armut und deren Bekämpfung“. Daher sollten wir in dieser Legislaturperiode die Maßnahmen priorisieren. Das ist angesichts von 131 Empfehlungen notwendig. Wir schauen, auf welche Bereiche sich die einzelnen Maßnahmen beziehen. Wir verwenden unsere gesamte politische Kraft darauf, dass die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, um den Effekt zu erzielen, den wir uns alle gemeinsam erhoffen, nämlich, soweit es in unserer Macht steht, eine stärkere Bekämpfung und – wenigstens ein Stück weit – Zurückdrängung der Armut. Das ist die entscheidende Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.
Die Quintessenz des Berichts, den wir vorgelegt haben, bilden nicht nur die 131 Empfehlungen, sondern auch die Aufforderung an jede Deputation und jeden Ausschuss der Bremischen Bürgerschaft, an den Senat, an jeden in Bremen und Bremerhaven, daran mitzuarbeiten, dass die bittere Realität der Armut in unseren beiden Städten zurückgedrängt wird, wenigstens soweit es in unserer Macht steht.
Jetzt stehen wir vor der Verfahrensfrage, ob wir – wie in der 18. Legislaturperiode – in einem nicht ständigen Ausschuss zusammenkommen sollten, das heißt, ob dies die effektivste Plattform für die Umsetzung der Maßnahmen wäre – ich bezweifle das stark –, oder ob wir nach unserer übereinstimmenden Beschreibung und Analyse der Probleme nicht auseinandergehen sollten, damit jeder an seinem Platz für die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen kämpfen kann. Das Verfahren sehen wir also anders als Sie von der Opposition. Unsere Ziele sind jedoch identisch, es geht uns allen um die Bekämpfung der Armut.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist einstimmig der Meinung, dass der in dem Antrag der Koalitionsfraktionen ausformulierte Ansatz der richtige ist. Wir kommen aus voller Überzeugung – nicht, weil der Antrag von den Oppositionsfraktionen kommt und deshalb „naturgemäß“ abgelehnt werden müsste – zu dem Ergebnis, dass eine Verlängerung dieses Ausschusses nicht zielführend für die Bekämpfung der Armut ist.
Wenn die Opposition vorträgt, dass dies mit einem Ausschuss, in dem die Themen gebündelt behandelt werden, besser möglich sei, so kann ich das zwar
nachvollziehen. Ich kann allerdings auch auf meine persönlichen Erfahrungen mit themenübergreifenden Ausschüssen im Landtag zurückgreifen. Ich betone, wir hatten in der 18. Wahlperiode einen Ausschuss, in dem wir den wesentlichen Teil der Zeit auf die Analyse, die Anhörung von Expertinnen und Experten und die Formulierung von Empfehlungen verwendet haben. Dieses Vorgehen ist richtig gewesen. Ich stand – wie meine Fraktion – voll dahinter.
Es wäre aber etwas anderes, wenn wir kontinuierlich so arbeiten würden. Der Ausschuss für Fragen der Migration und Integration und andere interdisziplinäre Ausschüsse haben sich immer dann, wenn sie zur Routine wurden, nicht mehr als zielführend erwiesen. Wir haben sie wieder abgeschafft. Die konzentrierte Arbeit in den ständigen Ausschüssen und Deputationen der Bürgerschaft erweist sich als sinnvoller. Das ist eine andere Philosophie als die, die in den Anträgen der Oppositionsfraktionen zum Ausdruck kommt. Die Koalition ist der festen Überzeugung, dass die Armut am besten bekämpft werden kann, wenn wir die Ärmel hochkrempeln und daran gehen, die Empfehlungen des Berichts jetzt umzusetzen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Dr. Güldner, wenn die Begründung, die Sie am Schluss Ihrer Rede geliefert haben, zuträfe, dann müssten Sie auch den Antrag stellen, den Gleichstellungsausschuss sofort aufzulösen. Die Begründung wäre nämlich genau die gleiche.
Herr Dr. Güldner, Ihre Argumentation ist nicht zielführend. Sie ist auch inhaltlich verkehrt. Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel geben, obwohl ich es eigentlich erst am Schluss meiner Rede bringen wollte. Der Antrag, den wir in der 18. Legislaturperiode beschlossen haben – übrigens interfraktionell, nachdem die Idee zuerst bei den Grünen geboren worden war –, Kindern aus soziokulturell benachteiligten Stadtteilen die Natur näherzubringen, damit sie zum Beispiel lernen, dass die Kuh nicht lila ist und Äpfel nicht in der Schale bei „real“, sondern am Baum wachsen, ist bis heute nicht umgesetzt worden. Ich betone, dass wir den Antrag interfraktionell beschlossen haben. Das zeigt, wir müssen das Heft des Handelns in der Hand behalten.
Wir dürfen es nicht an den Senat abgeben, der dann wie bei so vielen Anträgen, die wir hier beschlossen haben, nichts tut.
Wenn wir das Thema nicht engmaschig begleiten, dann – ich sage es etwas salopp – machen die auf der Regierungsbank das, was sie wollen, aber nicht das, was wir wollen. Deswegen sagen wir, dass es einen weiteren Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung geben muss.
Ich komme zurück auf das, was Sie, Herr Dr. Güldner, dargestellt haben. Wir haben 88 Empfehlungen gemeinsam beschlossen. Alle Mitglieder dieses Hauses tragen sie mit. Von denjenigen, die nach der Wahl dazugekommen sind, wissen wir es noch nicht; wir können es aber vermuten. Angesichts dieser Übereinstimmung muss es doch heißen: Umsetzen! Ran! Wir müssen schauen, dass wir das Ganze auf die Bahn bekommen. Zur Begleitung brauchen wir den genannten Ausschuss. Nur dann können wir auch den Erfolg unserer Maßnahmen feststellen.
(Beifall CDU – Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/ Die Grünen]: Dafür braucht man doch keinen Aus- schuss!)
Ich will Ihnen unserer Position auch aus der Historie heraus begründen. Im Jahr 2009 hatten wir in Bremen laut damaligem Armuts- und Reichtumsbericht – ich trage Ihnen die Zahlen noch einmal vor – eine Kinderarmutsquote von 30 Prozent. Heute, im Jahr 2015, sind es 34 Prozent. In Bremerhaven lag die Kinderarmutsquote damals bei 40 Prozent, heute sind es immer noch 40 Prozent. Man muss den Bremerhavenern an dieser Stelle einen Riesenerfolg bescheinigen, weil sie es geschafft haben, diese desaströs hohe Zahl wenigstens stabil zu halten. Wir müssen feststellen, dass Bremen, was die Kinderarmut angeht, schlechter geworden ist, und das, obwohl die Koalition die Überwindung der sozialen Spaltung schon in ihrem Koalitionsvertrag von 2011 als eines der Kernanliegen formuliert hatte.
Zusammenfassend kann ich feststellen, dass wir die Situation kennen und genau wissen, worum es geht. Schon im Jahr 2009 wurde übrigens die Erkenntnis gewonnen, dass Armut vor allem bei Alleinerziehenden – vor allem bei alleinerziehenden Frauen – auftritt. 96 Prozent aller damaligen Hartz-IV-Empfängerinnen waren Aufstocker. Das ist keine neue Erkenntnis. Spätestens seitdem wissen wir, dass wir insoweit etwas tun müssen.
Wir wissen, dass überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund betroffen sind. Wir wissen um die Probleme, die aus Langzeitarbeitslosigkeit resultieren. Dennoch mussten wir schon in der vergangenen Legislaturperiode zur Kenntnis nehmen, dass ausgelaufene Bundesprogramme zur Beratung und Unterstützung von Alleinerziehenden bei ihrer Rückkehr in den Beruf in Bremen nicht fortgesetzt, sondern eingestellt wurden. Frau Bernhard und ich,
wir waren damals die Einzigen, die sich für die Beibehaltung aussprachen, weil wir genau um das Problem, das heißt um das Armutsrisiko Alleinerziehender, wussten.
Besorgniserregend ist auch die soziale Spaltung, die sich durch die Städte Bremen und Bremerhaven zieht. Auch das ist nicht neu, auch das ist klar. Die Bewohner von Horn haben ein durchschnittliches Einkommen von etwa 108 000 Euro, in der Neuen Vahr Nord sind es nur knapp 16 000 Euro. Wenn Sie sich diese Situation dann wieder in Bezug auf die Alleinerziehenden ansehen, stellen Sie fest, viele Alleinerziehende – in Gröpelingen, Hemelingen, Kattenturm, Osterholz-Tenever, Huchting, Blumenthal, in der Vahr, in Burglesum und in Vegesack – können Sie auch übersetzen als Menschen in soziokulturell benachteiligten Stadtgebieten, oder die „Bild“-Zeitung würde „Brennpunkte“ titeln. Das ist nichts Neues. Dort gibt es preiswerten Wohnraum, finden sich die entsprechend in diesen Problemlagen befindlichen Menschen wieder, und da müssen wir eine ganze Menge mehr tun, meine Damen und Herren!
Das setzt sich auch fort mit dem – ich komme einmal wieder auf ein gemeinsames Thema, das uns beide umtreibt – Kindergartenausbau. Dazu habe ich Ihnen bereits deutlich dargestellt, dass wir beim Ausbau der Kindergärten bis zu den Jahren 1919/1920 eben wiederum zu großteilig denken sowie ausgerechnet erneut eigentlich gerade die von Armut bedrohten Gebiete außen vor lassen.
In der letzten Sitzung der Stadtbürgerschaft hat Julie Kohlrausch ja nicht umsonst eine Frage gestellt und gesagt, was passiert da eigentlich in der Vahr? Wir wissen, dass wir dort wesentlich mehr Kindergartenplätze benötigen, aber wir erhalten die Begründung, weswegen genau in der Vahr der Kindergarten nicht gebaut werden kann. Es tue einem leid, da müsse noch der Bebauungsplan geändert werden, dafür brauche man jetzt drei Jahre. Das ist ein Witz! Dafür wird dann der Kindergarten in Schwachhausen gebaut, super!
Ich muss Ihnen sodann an der Stelle sagen, hier geht es genau um diesen Ausschuss, der auch exakt in seinen Empfehlungen diese Punkte mit angesprochen hat.
Wir haben es ja im Gegensatz zu dem, was der Senat bis dato nicht erreicht hat, geschafft, hier ganz konkrete, mehrheitsfähige Empfehlungen und Entscheidungen vorzulegen. Während das Bündnis gegen Armut von Herrn Bürgermeister Böhrnsen damals nicht fähig, nicht willens war oder es nicht erreicht hat oder wie auch immer nicht in der Lage war, konkrete Punkte vorzulegen, haben wir das doch hier geschafft, und das, meine Damen und Herren, ist doch auch ein sehr großer Erfolg, zu dem ich Herrn Dr. vom Bruch, der das Ganze geleitet hat, auch noch einmal
ein riesiges Dankeschön aussprechen müsste, denn es hat sehr viele Stunden an Arbeit gekostet, die da investiert wurden!
Wenn ich mir dann anschaue, dass hier jetzt gesagt wird, wir warten das einmal ab, geben das hin, und in einem Jahr wird ein Bericht vorgelegt, dann ist uns das zu wenig. Ich habe es bereits eingangs erwähnt, dass wir dann irgendwann traurig, wieder übereinstimmend und fraktionsübergreifend zur Kenntnis nehmen werden dass sich leider nichts geändert hat für die betroffenen Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt, und das wollen wir als CDU-Fraktion definitiv nicht.
Wir wollen deshalb, dass hier auch die zum Teil unbequemen Empfehlungen – ich gebe Ihnen völlig recht, sie sind unbequem – umgesetzt werden. Wir wollen kein bloßes „Weiter so“. Wir wollen, dass ein Ausschuss fest die Zügel in der Hand hält, und wir wollen agieren, meine Damen und Herren! Wir wollen aus dem Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung heraus die Maßnahmen, die wir fraktionsübergreifend beschlossen haben, priorisieren, zügig in interfraktionellen Anträgen umsetzen und engmaschig begleiten, ob das auch passiert, was wir einfordern.
Wir beabsichtigen auch auf keinen Fall abzuwarten, was der Senat in dieser Angelegenheit zustande bringt. Ich habe Ihnen ein Beispiel, wo es im Sande verlaufen ist, aufgezeigt und erinnere noch einmal, im Jahr 2009 betrug die Kinderarmut in Bremen 30 Prozent, aktuell liegt sie bei 34 Prozent. Es ist höchste Zeit, umzusteuern.
Ich sage Ihnen auch, im Gegensatz jetzt, also die Abgrenzung zwischen der CDU und der LINKEN an dieser Stelle ist, dass wir wissen, dass wir nicht überall das Geld mit der Gießkanne verteilen können. Wenn wir ein Blumenbeet haben, und wir haben wenig Wasser in der Gießkanne, ist es besser – –.
(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Wir haben nie von der Gießkanne gesprochen! Das haben wir doch immer kritisiert! Dann hätten Sie jede Sitzung des Armuts- ausschusses vergeuden können! Das war unser Kern- punkt: kein Gießkannenprinzip! Jetzt werde ich lang- sam wirklich sauer!)
Gut, wunderbar! Dann sind wir doch einer Meinung, es wurde mir an der Stelle anders berichtet. Wichtig ist uns, dass wir da gezielt vorgehen. Wir brauchen eine kontinuierliche Bearbeitung des Themas. Die Mechanismen von Armut sind hinlänglich bekannt, jetzt geht es darum, sie nachhaltig abzustellen. – Danke schön!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin schon sehr beeindruckt, gerade von dem letzten Debattenbeitrag, und ich sage einmal, das Selbstverständnis des Parlaments oder einiger Abgeordneter lässt mich fragen, ob wir da wirklich einer Meinung sind.
Ich möchte jedoch noch einmal zurückkommen. Uns allen ist bekannt, dass Armut eine Lebensrealität in Bremen ist, aber zur Armut gehört auch der Reichtum, das sollten wir bitte nicht vergessen.
Wir wissen auch, dass es einen Anstieg von Armut gegeben hat, aber das eben nicht nur in Bremen, sondern in ganz Deutschland, und dafür gibt es natürlich vielfältige Gründe, die auch gerade im Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung dargestellt und diskutiert wurden. Unter solche Gründe fallen nicht, sage ich einmal, die existenzsichernden Löhne, aber dazu gehört, dass die Vermögenseinkommen deutlich stärker gestiegen sind als eben die Reallohneinkommen in Deutschland und somit natürlich auch in Bremen. Daher bedarf es einer ganzen Menge an Veränderungen auf der Bundesebene, das wollen wir doch an dieser Stelle, wenn wir denn schon über die Einrichtung eines entsprechenden Ausschusses reden, nicht ganz ausblenden.
Der Mindestlohn – eine Maßnahme, die hier maßgeblich zur Verbesserung beigetragen hat – ist nur eine Regelung. Natürlich braucht es Veränderungen in der Besteuerung, nämlich bei den großen Einkommen und Vermögen, aber es bedarf auch einer Veränderung im Länderfinanzausgleich, darüber haben wir gesprochen, dass nämlich die Großstädte mit dieser speziellen Armutsproblematik eine andere Förderung brauchen als andere Bereiche.
Nichtsdestoweniger benötigen wir auch zum Beispiel eine Aufhebung des Kooperationsverbots im Bereich Bildung.
Trotzdem sind wir selbstverständlich in Bremen gehalten, mit dieser Situation umzugehen, und ich bin, ehrlich gesagt, verwundert über den Eindruck, der hier erweckt wird, als geschehe das erst, seitdem ein Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung eingerichtet wurde. Ich weiß nicht, wie lange sind wir denn Parlamentarie
rinnen und Parlamentarier? Solange ich hier in der Bürgerschaft bin, sind Bildung und Gleichstellung meine zentralen Politikfelder, und dabei stand immer die Bekämpfung von Armut ganz oben auf der Agenda meines politischen Handelns.
Ich freue mich, dass jetzt durch den Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung anscheinend vieles auch etwas in das Bewusstsein anderer gelangt ist, das so vorher noch nicht vorhanden war. Wenn ich nämlich zum Beispiel an den Ausbau der Kinderbetreuung denke, der maßgeblich wichtig für existenzsichernde Einkommen gerade bei Alleinerziehenden, bei Frauen ist: Ich kenne viele Fraktionen, die sich durchaus gesperrt und lange gebraucht haben, bis sie diesen Weg mitgegangen sind. Ich will dies nicht kritisieren; es ist gut, dass sie jetzt auch so weit sind. Dann der Ausbau von Ganztagsschule! Ja, wie lange mussten wir denn kämpfen, bis es zu einem Ausbau von Ganztagsschulen kam?