Protokoll der Sitzung vom 14.10.2015

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Janßen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren jetzt über drei verbundene Anträge, die sich mit Armut sowie deren Prävention und Bekämpfung beschäftigen. Darüber freuen wir, DIE LINKE, uns. Wir sind davon überzeugt, dass diese Themen in der Bürgerschaft regelmäßig besprochen werden müssen, weil sie eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe zum Gegenstand haben, der wir uns hier ernsthaft annehmen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Schon in der 18. Legislaturperiode gab es diese Einschätzung. Daher wurde ein Ausschuss eingerichtet, der sich zum Ziel gesetzt hatte, sich mit der Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung zu beschäftigen. Nachdem er mehrere Monate lang getagt hatte, legt er einen Bericht vor. Der Bericht enthält eine ganze Reihe von Konsenspunkten, zu denen interfraktionell Einigkeit bestand. Auch im Wahlkampf war die Armutsbekämpfung durchaus ein prägendes Thema. Unterschiedliche Ansichten und Lösungsansätze wurden präsentiert.

Um zu verhindern, dass die Debatte jetzt, nach der Wahl, wieder für einige Jahre an Bedeutung und Schwung verliert, hat die Fraktion DIE LINKE bereits im Juli 2015 einen Antrag auf Wiedereinsetzung des Armutsausschusses eingereicht.

Was ist der aktuelle Stand der Debatte? Wir wissen, dass in Bremen und Bremerhaven etwa ein Viertel aller Einwohnerinnen und Einwohner entweder arm oder von Armut bedroht sind. Damit nehmen wir eine traurige Spitzenposition ein. Wir wissen auch, dass die Kinderarmut – in Bremerhaven leben nahezu 40 Prozent der Kinder in Armut – ein unhaltbares Aus

maß angenommen hat.Wir wissen auch, dass wir vor neuen gesellschaftlichen Aufgaben stehen, die uns weiter das Thema Armut auf die Tagesordnung setzen werden.

Wir begrüßen die Geflüchteten, die aus der Welt versuchen, in Bremen und Bremerhaven einzutreffen, und wir stehen in der Verantwortung, diesen Menschen nicht nur ein Willkommen, sondern auch die Möglichkeit zu bieten, neu hier anzukommen und ein neues Leben aufzubauen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir müssen aber auch die politische Initiative ergreifen, wenn wir nicht wollen, dass durch einen enger werdenden Wohnungsmarkt, neue Herausforderungen im Bildungssystem und mehr Menschen, die auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmerkt vermittelt werden müssen, die bereits bestehenden sozialen Schwierigkeiten zugespitzt werden, und wir brauchen entschlossenes politisches Handeln, um einer weiteren Entwicklung der Armut entgegenzutreten.

(Beifall DIE LINKE)

Der Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung hat in seinem doch recht umfangreichen Abschlussbericht bereits fünf Schwerpunktthemen behandelt und auch einige konkrete Maßnahmen aufgegriffen. Von Kinderarmut über Jugendarmut, über den Zusammenhang zwischen Armut und Migration sowie Bereiche der Beschäftigungspolitik und Bildungsthemen wurden zentrale Punkte, die mit Armut und Armutsbekämpfung zu tun haben, aufgegriffen und thematisiert. Unserer Auffassung nach gibt es aber zumindest drei große Themenbereiche, die deutlich vertieft werden müssen und die sich auch daraus ableiten, dass in dem Einsetzungsbeschluss zum Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung weitere Themen angedeutet wurden, die dann aufgrund der engen Zeit nicht abgeschlossen werden konnten. Dies sind zum einen die Themen der Gesundheitsvorsorge, der Altersarmut und zum anderen noch einmal der klare Fokus auf die Situation in Bremerhaven.

(Beifall DIE LINKE)

Schon in der Einleitung des Berichts wird eingeräumt, ich zitiere: „Die Erkenntnisse beziehen sich im Wesentlichen auf die Kommune Bremen.“ Allen Fraktionen in diesem Hause sollte eigentlich einleuchten, dass es angesichts der Situation, wie sie auch in Bremerhaven vorliegt, ein nicht ausreichender Bericht ist.

Ein Teil unseres Antrags ist es deshalb, den Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung wieder einzurichten, um mit einem konkreten Fokus auch auf die Situation in Bremer

haven zu beauftragen, dort nachzustellen sowie Antworten zu suchen und zu finden, wie die Situation langfristig geändert werden kann, dass wir politische Initiativen entwickeln, die dazu geeignet sind, der Entstehung von Armut entgegenzutreten und eine andere Entwicklung politisch auszuarbeiten.

(Beifall DIE LINKE)

Wir finden im Abschlussbericht auch den Hinweis darauf, dass wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Die Umsetzung der Maßnahmen liegt nun beim Senat, aber wenn der zentrale Punkt ist, dass wir ein Umsetzungsproblem haben, warum geben wir dann die Aufgabe, die Umsetzung zu begleiten, an den Senat weiter, anstatt sich hier damit zu beschäftigen, einen Ausschuss einzurichten und die Verantwortung im parlamentarischen Rahmen wahrzunehmen?

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. – Glocke)

Herr Janßen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. vom Bruch?

Aber selbstverständlich!

Bitte, Herr Abgeordneter!

Herr Kollege, sind Sie bereit einzugestehen und einzuräumen, dass das Zitat, das Sie eben brachten, ein bisschen unvollständig ist? Die Angelegenheit stellt sich wie folgt dar: Die Mechanismen von Armut sind in Bremen und Bremerhaven durchaus vergleichbar bis ähnlich. Sie sind in Bremerhaven ausschließlich graduell anders als in Bremen. Sind Sie bereit zuzugestehen, dass es insofern möglicherweise keinen besonderen Mehrwert bringt, sich des Phänomens Bremerhaven insofern anzuschließen beziehungsweise extern noch einmal anzunehmen, um herauszuarbeiten, dass es sich vor dem Hintergrund dessen, was eigentlich bekannt ist, nämlich dass in Bremerhaven die Dinge so sind wie in Bremen, nur eben noch ausgeprägter, vielleicht nicht lohnen würde, einen solchen Ausschuss einzusetzen?

Ich glaube, ich kann Ihnen zumindest bei dem Teil zustimmen, dass wir auch davon ausgehen, dass es Mechanismen für Armut und Armutsentwicklung gibt, die nicht kennzeichnend für Bremen und Bremerhaven sind. Gleichzeitig will ich aber darauf hinweisen, dass eine spezifische Situation in Bremerhaven besteht, die sich von der in Bremen unterscheidet. Meiner Meinung nach sollte darauf schon noch einmal ein Fokus gelegt werden, und ich sehe dazu auch fraktionsübergreifendes zustimmendes Nicken der Bremerhavener Abgeordneten.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme noch einmal auf den von mir gerade angesprochenen Punkt zurück. Wir legen zugrunde, dass es sich um eine Umsetzungsproblematik handelt, und deshalb gehen wir auch davon aus, dass die zentrale Aufgabe dann in einem parlamentarischen Ausschuss fortgesetzt werden würde, wie er in der letzten Legislaturperiode bereits stattgefunden hat, um diese Umsetzung zu kontrollieren, zu begleiten und um auch eine Priorisierung von unserer Seite aus vorzunehmen, statt das Ganze auf eine Berichtsbitte für den kommenden Sommer zu reduzieren,

(Beifall DIE LINKE)

denn genau das beabsichtigt eigentlich der heute vorliegende Antrag von Rot-Grün. Sie beantragen statt einer weiteren parlamentarischen und vertieften Debatte, die konkret weitere Punkte ausarbeitet, das Ganze darauf zu reduzieren, zu sagen, gut, wir möchten eine Berichtsbitte im Sommer des Jahres 2016. Ich bin zwar vielleicht neu in diesem Parlament, aber ich dachte eigentlich, wenn derart zentrale politische Fragen diskutiert werden, sei es eine Selbstverständlichkeit, dass der Senat uns darüber berichtet und wir keinen Antrag dafür benötigen, um eine Berichtsbitte für in einem halben Jahr zu erreichen. Ich finde das, ehrlich gesagt, eher traurig.

(Beifall DIE LINKE)

Wie wollen Sie denn die bestehenden thematischen Lücken füllen? Sie möchten eine Priorisierung über den Sachstand und über die Umsetzung. Aus meiner Sicht ist das ein unzureichendes Zögern, das wir uns nicht leisten können. Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen und hoffen, dass Sie sich überzeugen lassen, den Prozess weiterzuführen und den Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung erneut einzusetzen.

(Beifall DIE LINKE)

Der Ausschuss soll – wie in unserem Antrag bereits beschrieben – zum einen den Umsetzungsstand und die Evaluierung begleiten. Darüber hinaus möchten wir zum anderen bestehende thematische Lücken füllen, wir möchten die verschiedenen Programme im Bereich der Entwicklung von Armut noch einmal betrachten und ein integriertes Gesamtkonzept erarbeiten, das uns als roter Faden für die Arbeit in den nächsten Jahren dienen kann.

Wir werden die Armut auch nicht kurzfristig überwinden, das können wir wohl auch alle miteinander feststellen. Wir stehen vor einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Frage, die weder durch einen Bericht noch durch die Einsetzung eines Ausschusses zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer

Spaltung gelöst werden kann, aber wenn wir uns nicht bemühen, zusammen mit Organisationen, mit Expertinnen und Experten aus der Gesellschaft diesen Prozess zu begleiten, weiter anzustoßen und zu intensivieren, verspielen wir unsere Verantwortung und unser Vertrauen.

Wir sind es schuldig, dieses zentrale Thema als eine der zentralen Herausforderungen für die nächste Zeit zu etablieren, deshalb bitten wir in diesem Sinne um Zustimmung zu dem Antrag und darum, Armut und Armutsbekämpfung weiter als eines der zentralen politischen Themen für die nächsten Jahre zu verankern! – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zu einem zentralen Punkt gibt es in diesem Haus eine gemeinsame Einschätzung, darauf hat der Kollege Janßen schon hingewiesen. Schon während der Arbeit des Ausschusses zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung wurde deutlich, dass alle Mitglieder dieses Hauses verstanden haben, dass wir es mit einem zentralen Problem in den beiden Städten unseres Landes zu tun haben. Wir müssen uns weiterhin intensiv damit beschäftigen. Es gilt, alles dafür zu tun, dass die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden. Immerhin 88 von 131 Empfehlungen, die der Ausschuss erarbeitet hat, sind von allen Fraktionen gemeinsam, von der LINKEN bis zur CDU, getragen worden.

Herr Janßen, so sehr Sie versucht haben, inhaltliche Differenzen in den Vordergrund zu stellen, so bleibt es doch dabei, dass es zwischen dem Antrag der Koalitionsfraktionen einerseits und den beiden Anträgen der Oppositionsfraktionen andererseits nur einen zentralen Unterschied gibt. Dieser bezieht sich auf die Frage, ob wir unseren gemeinsamen Willen, der aus gemeinsamer politischer Überzeugung zu diesem Thema resultiert, am besten in einem weiteren Ausschuss umsetzen sollten oder ob dies auf andere Art und Weise geschehen sollte. Die Koalitionsfraktionen fordern keineswegs nur die Vorlage eines Berichts vom Senat, sondern wir bringen in unserem Antrag klar zum Ausdruck, dass wir die Umsetzung der Maßnahmen auch begleiten wollen. Einen weiteren Ausschuss, der in den Anträgen der Oppositionsfraktionen gefordert wird, halten wir dagegen nicht für zielführend.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Damit äußern wir keine nachträgliche Kritik an der Arbeit des Ausschusses. Im Gegenteil, ich als Mitglied und Obmann meiner Fraktion kann feststellen,

dass wir uns inhaltlich in großer Breite und Tiefe und damit angemessen dem Thema gewidmet haben. Auch was die kollegiale Zusammenarbeit über die Fraktionsgrenzen hinweg angeht, war die Arbeit dieses – nicht ständigen – Ausschusses ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man das Thema angehen kann.

In dem Antrag, den die Koalitionsfraktionen Ihnen heute vorlegen, heißt es nicht, dass ein solcher Ausschuss nicht nötig sei. Wir stellen nur fest, dass wir ihn schon hatten. Die Ausschussmitglieder haben oft getagt und intensiv gearbeitet. Am Ende haben wir einen ausführlichen Bericht vorgelegt, ich komme gleich darauf zurück. Deswegen ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll, in derselben Art und Weise die Arbeit fortzusetzen. Jetzt geht es vielmehr darum, in jeder Deputation, in jedem Ausschuss, in jedem Senatsressort, in jedem Amt, überhaupt an jeder Stelle in dieser Stadt dafür zu sorgen, dass diese Empfehlungen umgesetzt werden. Das steht im Zentrum unserer Politik.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Dazu brauchen wir keine Fortsetzung dieses Ausschusses, sondern den Willen aller Abgeordneten und Senatsmitglieder, deputations- und ressortübergreifend dieses Thema in der gesamten Legislaturperiode auf die Tagesordnung zu setzen und auf der Umsetzung der in dem Bericht genannten Empfehlungen zu bestehen.

Wir haben uns im Ausschuss intensiv mit fünf Aspekten von Armut auseinandergesetzt, der Armut von Kindern und Jugendlichen, dem Zusammenhang zwischen Migration und Armut, der Rolle der Bildung bei der Bekämpfung von Armut – ein zentraler Punkt –, den Möglichkeiten der Beschäftigungspolitik und den sozialräumlichen Instrumenten. Kollege Janßen, auch wenn Sie gefordert haben, den Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit und die Unterschiede zwischen Bremen und Bremerhaven in Bezug auf Armut stärker herauszuarbeiten, so finde ich doch, dass wir die zentralen Felder bearbeitet haben. Vor dem Hintergrund dessen, was wir zurzeit in Bremen leisten können, haben wir Aspekte der Theorie und Möglichkeiten der Praxis untersucht. Die gefassten Beschlüsse, welche Empfehlungen wir den Gremien in Bremen geben, die letztlich über die Umsetzung befinden müssen, reichen zunächst einmal aus.

Dabei sind durchaus positive Entwicklungen bei Projekten und Maßnahmen zu verzeichnen. Denken Sie nur an die Entwicklung der Ganztagsschulen! Denken Sie daran, dass wir die Möglichkeiten der U3Kinderbetreuung völlig neu geregelt und erweitert haben! Auch in vielen anderen Bereichen sind in den vergangenen Jahren positive Entwicklungen zu verzeichnen gewesen.

In dem Bericht werden zu Recht auch viele Beispiele dafür benannt – das sollten sowohl die Regierungsfraktionen als auch die Oppositionsfraktionen beach

ten –, dass Armut nach wie vor entsteht, verlängert wird oder nicht ausreichend bekämpft wird. Daher bleibt es bei der Einschätzung, dass Armut in unseren beiden Städten nach wie vor ein beherrschendes Phänomen ist.

Die Leistung, die wir mit der Erstellung des Berichts erbracht haben, sollte niemand kleinreden. Niemand kann behaupten, es existiere keine Grundlage für die weitere Arbeit. Hinzu kommen nämlich noch der Armuts- und Reichtumsbericht des Senats und die Ergebnisse der Armutskonferenz. Viele Menschen in dieser Stadt arbeiten an dem Thema „Armut und deren Bekämpfung“. Daher sollten wir in dieser Legislaturperiode die Maßnahmen priorisieren. Das ist angesichts von 131 Empfehlungen notwendig. Wir schauen, auf welche Bereiche sich die einzelnen Maßnahmen beziehen. Wir verwenden unsere gesamte politische Kraft darauf, dass die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, um den Effekt zu erzielen, den wir uns alle gemeinsam erhoffen, nämlich, soweit es in unserer Macht steht, eine stärkere Bekämpfung und – wenigstens ein Stück weit – Zurückdrängung der Armut. Das ist die entscheidende Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.