Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Fecker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gelegentlich frage ich mich schon, ob eigentlich alle die hier vorn stehen oder standen genau wissen, worüber sie im Kern reden. Ich will das einmal ganz deutlich machen, weil hier

der Eindruck entstanden ist, als müsse man hier nur an die Tür des Jugendamtes klopfen und sagen: Hallo, ich bin 16 Jahre alt, nehmt mich auf und setzt mich in die Jugendhilfe. Das ist grober Unfug.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Um es sehr deutlich zu sagen, es ist auch nicht so, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes dann hingehen und die La-Ola-Welle machen und sagen: Auf dich haben wir jetzt gerade gewartet und deswegen schätzen wir dich auch für 16 ein. Sondern da gibt es ein Verfahren eines Interviews, das ist umstritten, das weiß ich, das habe ich zur Kenntnis genommen, dass es unterschiedliche Aussagen dazu gibt. Es ist aber nicht so, dass leichtfertig in irgendeiner Weise irgendeine Mitarbeiterin oder irgendein Mitarbeiter des Jugendamtes diese, für die jungen Menschen existenziell wichtige, Frage entscheidet. Da ist ein mehrstündiges Interview vorgeschaltet, das auf Basis von mehreren Kriterien, über die man im Einzelfall gern streiten kann, stattfindet. Diese Polemik, die hier gerade stattgefunden hat, von wegen im Rot-Grünliberalen Bremen kommet nur alle, wir nehmen euch auf, sie ist einfach in der Sache falsch.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wissen Sie, wenn dem so wäre, dann würden jetzt diejenigen, die da draußen demonstrieren, nämlich gar nicht demonstrieren, weil wir es an dieser Stelle in der Hand haben, dass diese jungen Menschen sagen: Wir sind minderjährig, obwohl das Jugendamt nach Befragung eine andere Aussage getroffen hat. Wenn dem so wäre, wie Sie hier suggerieren, gäbe es diese Demonstration nicht und gäbe es auch nicht die weitergehenden Forderungen.

(Unruhe FDP)

Jetzt kommen wir dazu, dass nicht 100 Prozent derjenigen, die sagen, ich bin minderjährig auf einmal als minderjährig eingestuft werden, die Zahlen kennen Sie doch, meine Damen und Herren. Sie behaupten hier weiterhin wahrheitswidrig, in Bremen wird jede Person durchgewunken. Nein, das ist ein kompliziertes Verfahren, das aus unserer Sicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes mit hoher Sorgfalt und hoher Gewissenhaftigkeit durchführen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Dann ist es auch nicht so, dass in Bremen in Zweifelsfällen überhaupt keine ärztlichen Untersuchungen stattfinden. Das ist auch nicht der Fall. Das heißt, auch dieses Instrument wird angewandt. Was wir nicht tun, das ist vollkommen richtig, dass wir persönlich sagen, jede Person, die hier durch die Tür kommt, muss sofort medizinisch untersucht werden. Warum? Weil wir vorher ein qualifiziertes Verfahren haben, das genutzt wird. Zweitens: Es gab ja eben ein bisschen Gelächter, als Kollegin Sahhanim Görgü-Philipp über das Recht auf körperliche Unversehrtheit gesprochen hat, aus der Ecke des rechten Randes. Meine Damen und Herren, Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes finde ich persönlich nicht lachhaft, sondern durchaus beachtenswert.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Wissen Sie, was mich an mehreren Redebeiträgen wirklich massiv gestört hat, war der Umstand, dass wir über die Haushaltsbelastung für das Land Bremen, dass wir über erschütterte Rechtsstaatlichkeit geredet haben, dass aber ganz, ganz wenig von denjenigen, die hier diese ärztliche Untersuchung gefordert haben, über die jugendlichen Menschen selbst gesprochen wurde, was die erlebt haben und warum sie vielleicht auch gerade so sind, wie sie sind.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Sie haben sich mit keinem einzigen Wort, gerade Sie, Herr Timke, mit keinem einzigen Wort mit diesen jungen Menschen und ihrer persönlichen Situation befasst und das ist, finde ich, schon überhaupt keine Ausgewogenheit mehr.

(Zuruf CDU: Das hat doch mit der Altersfeststel- lung nichts zu tun!)

Nein, überhaupt nicht. Jetzt sind wir bei der Frage angekommen, es gibt eine Zahl von Menschen die sagt, sie ist minderjährig, wo das staatliche Verfahren in Bremen sagt: Du bist nicht minderjährig. Und auch staatliche Verfahren in anderen Kommunen sagen: Du bist nicht minderjährig.

(Unruhe)

Ich freue mich immer, wenn ich zu Diskussionen anrege. Ich würde gerne noch einmal mit Ihnen über Rechtsstaatlichkeit sprechen, denn was ist das für ein Staat, der abweicht von dem, was die Rechtsstaatlichkeit abzeichnet bei uns, nämlich die

Unschuldsvermutung, und die gilt in diesem Land auch für nicht deutsche Staatsbürger.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Wo ist eigentlich der Aufschrei, der Antrag über die vielen fehlerhaften Bescheide vielleicht bei der Altersfeststellung zuungunsten der jungen Menschen. Wo sind da die Qualitätsansprüche, wo sind da die Anforderungen der Fraktion der CDU, der Gruppe Bürger in Wut und anderer? Ich habe die bisher nicht wahrgenommen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Bleibt noch die Frage der Altersfeststellung und der Schwankungen. Ich habe eben wahrgenommen, dass zugestanden wird, jawohl zwei Jahre, sagen selbst die Freunde der Altersfeststellung, ist eine Schwankung. Ja, natürlich, wenn Sie da den 26jährigen nehmen, dann ist das in der Tat eine klare Sache, wenn der dann nur 24 ist. Ich würde allerdings behaupten, dass wir diese Fälle mit dem bisherigen System auch schon hervorragend herausfiltern. Also sind wir doch bei den Grenzfällen. Wollen Sie jemanden, der sagt: Er oder sie ist 17? Ja, da ist das dann schon ein eklatanter Unterschied, ob diese Person dann 19 ist plus zwei Jahre oder sogar erst 15 minus zwei Jahre. Das heißt, Sie werden niemals zu ganz präzisen Feststellungen kommen. Ich finde, auch das gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, die ich mir heute an diesem Tag hier gewünscht hätte.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Insgesamt finde ich, sollten wir wesentlich mehr Vertrauen in die staatlichen Systeme haben, dann wird nämlich auch nicht ständig an diesen staatlichen Systemen herumgeschraubt. Wer erschüttert denn die Rechtsstaatlichkeit? Diejenigen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ständig vorwerfen, dass sie eben nicht nach Recht und Gesetz handeln und diejenigen, die das nicht tun, die fallen doch auf, das ist Ihnen in letzter Zeit doch auch klar geworden. Ich würde mir deutlich mehr Vertrauen in die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes wünschen, die handeln nach Recht und Gesetz, aber die haben auch das Kindeswohl im Auge. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Herr Kollege Fecker, würden Sie bitte ganz kurz meine Frage beantworten, ob Sie noch Zwischenfragen der anderen beiden

Kollegen zulassen würden? – Also möchten Sie das nicht. Herr Schäfer, möchten Sie eine Kurzintervention? Bitte schön.

Ich möchte nur daran erinnern, dass es der Senat war, der eine Initiative gestartet hat, ich weiß gar nicht, war das Ende 2015, Anfang 2016, dass der Königsteiner Schlüssel auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen angewendet wird, weil eben eine überproportional große Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ausgerechnet nach Bremen gekommen ist. Ich wollte den geschätzten Kollegen fragen, ob er sich erklären kann, warum Bremen damals so beliebt war?

Herr Kollege Hinners, es ist leider laut unserer Geschäftsordnung immer nur eine Kurzintervention nach einem Debattenbeitrag möglich, nach der nächsten Debatte können Sie wieder eine Kurzintervention machen.

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht erlaubt Herr Fecker mir zu antworten. Es ist nicht so, dass nur Bremen Ziel war, sondern es waren insgesamt die Großstädte. Das liegt auch auf der Hand, denn Großstädte haben andere Infrastrukturen, haben andere Beratungsmöglichkeiten und haben einfach eine andere Struktur, das ist völlig logisch und das ist kein Anlass für Spekulationen. Das einmal nebenbei.

Ich wollte noch etwas zu Herrn Tassis sagen: Herr Tassis, Sie haben in ihrem Antrag ganz fein in Berlin abgeschrieben. Das haben Sie sehr gut gemacht. Ich möchte noch einmal sagen, in Berlin werden Sie ja nicht gewollt, da gab es einen großen Protest und auch hier bleiben Sie natürlich nicht ohne Widerspruch. Das ist richtig, denn die AfD hat, glaube ich, mit ihrem Beitrag und auch mit ihrem Antrag ihre Gesinnung sehr deutlich gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Herr Schäfer allerdings auch.)

Herr Schäfer allerdings auch, und auch Herr Hinners. Man merkt was passiert, wenn Innenpolitiker solche Debatten führen. Ich halte das nicht für zielführend.

(Zuruf Abgeordneter Hinners [CDU])

Herr Hinners –Sie stehen als Initiator unter dem Antrag – wenn Sie von Quoten sprechen, wonach 40 Prozent angeblich ein falsches Alter angegeben haben – –. Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, wie so etwas zustande kommt. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahl haben, aber möglicherweise kann folgendes dahinter stecken: Stellen Sie sich vor, wir reden jetzt aus der Perspektive eines Jugendlichen: Sie sind 15, kommen aus Afghanistan, kommen über die Türkei, brauchen Monate und sind irgendwann in Griechenland.

(Abgeordneter Schäfer [LKR]: Dann muss man ei- nen Antrag stellen!)

Das sind Personen, von denen Sie gesagt haben, es gibt ein Problem mit illegaler Migration. Ich weise darauf hin, es gibt keine legale Migration für diese Menschen –,

(Beifall)

sie sind gezwungen. Diese Flucht wird illegalisiert und das ist der Skandal, nicht das Problem der angeblichen illegalen Migration, Herr Schäfer.

(Beifall DIE LINKE)

Dann sind Sie in Griechenland oder in Bulgarien. Sie wissen ganz genau, wenn Sie jetzt sagen, Sie sind minderjährig, dann kommen Sie in eine miese Unterkunft in der Sie über Jahre ohne Bildung oder eine angemessene adäquate Jugendhilfe und ohne adäquate Betreuung sein werden. Sie werden dort festgehalten in Unterkünften, die einfach unzumutbar sind. Das wissen wir aus vielen, vielen Berichten aus der Presse, von der Europäischen Kommission und so weiter und so fort. Die die Zustände dort sind unzumutbar, insbesondere für Minderjährige. Was machen Sie dann. Sie sagen, dass Sie volljährig sind und reisen weiter, weil Sie dann eben nicht festgehalten werden wie Minderjährige, die natürlich in Obhut zu nehmen sind, aber dann dort schlechte Bedingungen haben.

(Abgeordneter Schäfer [LKR]: Ja, genau!)

Ich kenne solche Beispiele. Dann kommen Sie hier an, in Rosenheim, in Bayern, werden von der Polizei kontrolliert und die hat dann den Treffer. Weil Sie in Griechenland gesagt haben, dass Sie volljährig sind, werden Sie in Griechenland als Volljähriger geführt und das ist dann der Beweis, dass Sie volljährig sind. Das ist Ihr angeblicher Beweis. Das passiert, wenn man Polizeistatistik als Indiz dafür nimmt, ob jemand volljährig ist.

(Zuruf Abgeordneter Hinners [CDU])

Doch, sehr wohl, Herr Hinners, so kommen solche Statistiken zustande. Ich sage: Wesentlich für die Frage der Minderjährigkeit und der Jugendhilfe ist doch der Jugendhilfebedarf, meine Kolleginnen und Kollegen. Da bin ich mit Herrn Möhle ausnahmsweise einmal einer Meinung, da ist es egal, ob jemand 17,5 oder 18,5 Jahre alt ist. Wichtig ist, ob es Jugendhilfebedarf gibt.

(Beifall DIE LINKE)

Und im Übrigen – und auch das ist teilweise ein Problem, wenn Innenpolitiker sozialpolitische Themen diskutieren – Jugendhilfe gibt es bis 27 Jahre. Das muss man sich auch einmal klarmachen. Jugendhilfe erkennt eben an, dass es pädagogische Bedarfe über den Tag des 18. Geburtstages hinaus geben kann und das ist auch richtig so.

(Beifall DIE LINKE)