Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Im Gegensatz zu den in Bremen bislang bestehenden vollschulischen doppelqualifizierenden Bildungsgängen, ist beim Berufsabitur eine Doppelqualifizierung in allen Berufen möglich. Kommen genügend Schülerinnen und Schüler einer Berufsausrichtung zusammen, wird das Zusatzangebot mit dem regulären Berufsschulunterricht verzahnt. Für alle anderen steht ein berufsübergreifendes Angebot zur Verfügung.

Der Drang zu immer höheren Bildungsabschlüssen stellt das Handwerk vor ein Problem und guter Nachwuchs ist immer schwerer zu finden. Mit dem Berufsabitur sollen – auch für das Handwerk – wieder mehr Jugendlich gewonnen werden, die gerne praktisch arbeiten und trotzdem nicht auf den hohen Berufsabschluss verzichten wollen.

(Glocke)

Ich habe noch einen Satz! – Wir fordern Bremen daher auf, mit der IHK und der Handwerkskammer jeweils zusammen eines, der von der Kultusministerkonferenz erarbeiteten Modelle für das Bremer Bildungssystem anzupassen, um dann 2019/2020 zu starten, damit Bremen als Ausbildungsstandort attraktiv bleibt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegin, ich habe Ihren Antrag und Sie so verstanden, dass Sie das Ziel haben, die duale Ausbildung zu stärken. Dieses Ziel teilen und unterstützen wir, wo wir nur können. Bei Ihrem Antrag haben wir aber deutliche Fragezeichen.

Anders als Sie glauben wir nicht, dass solch eine Maßnahme, die die duale Ausbildung, insbesondere in ihrer schulischen Dimension, grundsätzlich verändern würde, mit zwei schlanken Sätzen einfach so nebenbei einführbar ist. Wir glauben erst recht nicht, dass realistisch solch eine Maßnahme mit all ihren curricularen, personellen und strukturellen Veränderungen in weniger als einem Jahr

realisierbar wäre. Wer solch eine Veränderung tatsächlich will, muss sie anders vorbereiten, meine Damen und Herren!

Es gibt auch Zweifel in der Sache. Es wird hintergründig suggeriert, dass keine Ausbildung am Ende einen ausreichenden Eigenwert hätte,

(Abgeordnete Bergmann [FDP]: Das habe ich nicht gesagt!)

wenn sie nicht auch zum viel gepriesenen Abitur führt. Erreichen werden Sie aber genau das Gegenteil. Es führt im Ergebnis zu einer weiteren Entwertung der anderen allgemeinen schulischen Abschlüsse,

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

die wir ja stärken wollen. Deren Anschlussfähigkeit an höher qualifizierende Aus- und Weiterbildung wird durch ein Berufsabitur noch mehr relativiert. Unser Schwerpunkt muss dagegen ein anderer sein: Stärkung der dualen Ausbildung in ihrem Kern, und das ist der originäre Ausbildungsberuf und eben nicht irgendeine zusätzliche Qualifikation.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Zumal, und darauf haben Sie selber hingewiesen, in der schulisch beruflichen Ausbildung doppelqualifizierende Bildungsgänge ja bereits vorhanden sind.

(Zuruf Abgeordnete Bergmann [FDP])

Wir brauchen in der Tat eine noch verbesserte Anschlussfähigkeit der beruflichen Qualifikationen und eine höhere Durchlässigkeit. Hier sind wir noch nicht fertig, aber in den letzten Jahren erheblich weitergekommen. Es gibt viele Hinweise, dass wir auch ohne Berufsabitur ganz gut und erfolgreich geworden sind. Am Ende steht die Frage nach dem Mehrwert und den sehen wir nicht und den haben Sie hier auch nicht überzeugend darlegen können.

(Beifall CDU)

Ich glaube nicht, dass das Handwerk, Betriebe und Unternehmen durch ein Berufsabitur gestärkt würden. Das tut man substanziell nur, wenn man Berufsbilder attraktiv hält, wenn man insbesondere in den beruflichen Teil der Ausbildung investiert.

Wenn man nicht den allgemeinen Bildungsteil weiter betont und damit den beruflichen, vielleicht ohne es zu wollen, weiterhin tendenziell schwächt. Um diesen beneidet uns nämlich die Welt, auch wenn wir ihn selber immer weniger wertschätzen. Solche Wertschätzung reicht nicht als Lippenbekenntnis, Wertschätzung drückt sich auch nicht durch ständige Veränderungen und Verkomplizierungen aus.

Mängel beseitigen, ja, aber doch nicht immer gleich durch Systemwechsel und Ruf nach mehr Abitur. Das Richtige endlich richtig, und nicht zwanghaft, immer mal wieder alles anders machen. Wertschätzung muss vielmehr den praktischen Teil der beruflichen Welt in den Fokus nehmen und angemessen, das meine ich auch finanziell, honorieren. Wertschätzung drückt sich in diesem Fall in der Stärkung des Bestehenden und des insgesamt und grundsätzlich Bewährten aus und nicht in der Erfindung immer neuer Bestandteile!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wertschätzung muss sich darüber hinaus allerdings auch in der Ausstattung unserer beruflichen Schulen niederschlagen. Da sehen wir erhebliche Defizite, hier beginnen sich ausgebliebene Investitionen zu rächen.

Attraktive Berufsbilder erhalte ich nur, wenn Ausbildungen in ihrem beruflichen und insbesondere in ihrem praktischen Kern auch an den Berufsschulen technisch, zeitgemäß und herausfordernd erhalten werden. Und wenn in der Zukunft nicht endlich beruflichen Praktikerinnen und Praktikern entsprechende Anerkennung zu Teil wird – der Kern des Fachkräftemangels –, dann wird sich dieser Fachkräftemangel erhöhen und nicht verringern. Deshalb brauchen wir aufstiegsorientierte Anreize, fortbildungsorientierte Anreize, eine bessere Bezahlung. Wir brauchen eine stärkere Betonung der dualen Ausbildung in ihrem Kern und nicht eine ständige Diskussion über neue Strukturen. – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Frau Bergmann, ich habe in Ihrem Antrag zwei vermeintliche Probleme identifiziert: Das eine ist die

vermeintlich zu hohe Abiturquote, das andere ist der so genannte Fachkräftemangel. Die hohe Abiturquote, die wir heute haben, ist vor fünf, sechs Jahren oder noch länger her, in Deutschland immer wieder beklagt worden als zu geringe Abiturquote. Da sind wir vom internationalen Umfeld richtig getrieben worden. Das hat sich mittlerweile verändert. Trotzdem hat man – was ich schon damals falsch gefunden habe – bis heute nicht zur Kenntnis genommen, dass das, was wir in Deutschland mit der dualen Ausbildung, aber auch mit der Fachschulausbildung haben, durchaus zu vielen akademischen Ausbildungen im Ausland gleichwertig ist. Das heißt, diese vermeintlich geringe Abiturquote ist in Deutschland durchaus eine Stärke gewesen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bergmann?

Bitte, Frau Bergmann!

Ihrem Vorwurf, ich hätte die Höhe der Abiturquote beklagt, möchte ich widersprechen. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen die Höhe der Abiturquote, sondern ich möchte daneben stellen, dass es eben diese doppelqualifizierende Möglichkeit gibt.

Ich habe mich auf Ihren Antrag bezogen. Da leiten Sie ein, die hohen Abiturentenquoten der vergangenen Jahre stellen die Ausbildungsbetriebe in Handwerk und Wirtschaft vor ein Problem. Ich nehme das jetzt einmal so hin, ich habe die Frage nicht verstanden, von daher würde ich gern in der Fünf-Minuten-Debatte weitermachen.

Wir haben hier ein System, von dem ich glaube, dass es ein sehr gutes System ist: Mit der Berufsschulausbildung, aber auch der Fachschulausbildung Kompetenzen zu vermitteln, die tatsächlich am Ende in die Wirtschaft einfließen werden, bei einer relativ niedrigen Jugendarbeitslosigkeit. Darum beneiden uns viele umliegende Länder.

Wir haben allerdings durchaus eine gesunkene oder geringere Attraktivität in verschiedenen Berufen, da muss man gar nicht darum herumreden. Das heißt, hier ist es bei dem vermeintlichen Fachkräftebedarf sicherlich nötig, seitens der Betriebe entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, damit sich

das verändert. Das kann sowohl in der Entlohnungsstruktur, das kann aber auch in den Arbeitsbedingungen liegen.

Ich möchte mich dem, was Herr Dr. vom Bruch gesagt hat anschließen: Der Wert einer Ausbildung in Deutschland ist noch längst nicht überall bekannt und dass, obwohl die Kompetenzen, die dort vermittelt werden, durchaus reichen, um angemessen analog eines Abiturienten, einer Abiturientin anerkannt zu werden. Beide schließen ab mit DQR – Niveau 4, sowohl die Berufsausbildung als auch das Abitur. Auch die Berufsausbildung bietet einen Hochschulzugang, wenn die einzelnen Hochschulsetze dieses zulassen. Das heißt, wir haben ein System, mit dem man Durchlässigkeit organisiert, mit dem man weitergehen kann. Ich finde nur, dass ganz viele junge Leute, und auch die Eltern dieser jungen Leute, leider über die Möglichkeiten, die darin stecken, viel zu wenig informiert sind. Das müssen wir uns anlasten. Da, finde ich, müssen wir besser werden, das muss auch viel stärker kommuniziert werden.

(Beifall SPD)

In Bezug auf das vermeintliche Problem des Fachkräftemangels hilft, glaube ich, ihr Antrag überhaupt nicht weiter. Denn wenn ich einen jungen Menschen einerseits in eine Ausbildung und darüber hinaus mit zusätzlichem Unterricht anschließend durch das Abitur bringe, wird der oder die, dass versichere ich ihnen, anschließend ganz gewiss nicht in die Schreiner-Laufbahn einsteigen, sondern wird studieren. Dass damit irgendeinem Handwerksbetrieb etwas Gutes getan wird, das glaube ich nicht.

(Beifall SPD)

Wir haben in Bremen ein sehr durchlässiges System. Das ist hier auch schon gesagt worden. Ein sehr ausdifferenziertes System. Ich finde, dass die Vermittlung dieses Systems durchaus noch besser werden kann. Ich würde mir wünschen, dass viel stärker Berufsschullehrkräfte daran beteiligt werden, also Expertinnen und Experten, die auch wirklich Erfahrungen einbringen können, um diese an die entsprechenden jungen Leute und ihre Eltern weiterzugeben. Wir brauchen, ich gebe Ihnen Recht, Herr Dr. vom Bruch, eine Attraktivitätssteigerung sowohl der Berufe, als auch der Berufsschulen. Denn das, was hier in Bremen eine wirklich überregionale Strahlkraft hat, sind die Hochschulen, warum nicht die Berufsschulen?

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Es wird an den Berufsschulen trotz vieler baulicher Mängel, auch Ausstattungsmängeln, eine sehr gute Arbeit gemacht, aber das heißt nicht, dass man das nicht noch besser machen kann. Ich finde, das muss man besser machen. Da muss man über Veränderungen nachdenken, wie sie zurzeit in Rede stehen, ob es Campus-Lösungen sind, die einen Standort derartig aufwerten, dass er sowohl für die jungen Leute und ihre Eltern, aber auch für Betriebe interessant wird. Man muss darüber nachdenken, inwiefern es nicht auch sinnvoll ist, dass Berufsschulen sich an Fort- und Weiterbildungen beteiligen können.

(Glocke)

Ich glaube, dass das sehr zum Profil einer Berufsschule beitragen könnte. Zur Akzeptanz und zur Attraktivität auf jeden Fall. – Danke!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Vogt.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es uns in der Fraktion mit dem Antrag nicht so einfach gemacht, weil die FDP natürlich ein paar wichtige Probleme anspricht. Allerdings ist dieser Antrag unseres Erachtens nicht dazu geeignet, diese zu lösen.

Wir würden es natürlich generell begrüßen, wenn Bildungshürden abgebaut werden und die Zugänge zur Bildung vielfältiger würden. Die Grenzen zwischen beruflicher und gymnasialer Ausbildung sind zum Glück nicht mehr so starr wie vor 20 Jahren, und die Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsformen ist größer geworden, das ist hier auch schon gesagt worden. Das Berufsabitur könnte natürlich die Möglichkeit bieten, diese noch zu erhöhen.