Protokoll der Sitzung vom 30.08.2018

Liebe Kolleginnen und Kollegen und insbesondere Herr Erlanson, Sie sind ja auch Kollege im Rechtsausschuss: So richtig verstehe ich nicht, warum wir das hier in der Bürgerschaft noch einmal debattieren, weil wir uns eigentlich alle einig sind – das haben ja die Vorrednerin und die Vorredner auch gezeigt –, dass wir im Rechtsausschuss daran arbeiten, dass wir das Justizressort gebeten haben, da noch einmal intensiver Fragen zu beantworten. Diese Beantwortung ist jetzt auf dem Weg. Auch die Frage, welche Rolle das StadtTicket Extra spielt, sehen wir uns da an, und gern wollen wir da auch noch einmal überlegen, welchen externen Sachverstand wir in dieser Diskussion heranziehen können. Deswegen, finde ich, hätte es dieser Debatte hier eigentlich nicht bedurft, und es hat ein bisschen den Charakter von Schaufensterreden.

Sei es aber, wie es ist, wir reden jetzt darüber, und deswegen möchte ich an der Stelle einfach auch noch einmal deutlich sagen: Die schlichte Umwandlung einer Straftat in eine Ordnungswidrigkeit hilft nicht, sondern kann im Gegenteil sogar schaden. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen hat kürzlich auch genau darauf hingewiesen, dass Vollstreckungsmöglichkeiten im Strafrecht, insbesondere im Jugendstrafrecht, es zum Teil einfacher als im Ordnungswidrigkeitenrecht machen, die Menschen zu erreichen.

Ganz kurz noch zur behaupteten Arbeitserleichterung: Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist bei dem Thema nicht das Einsparen von Arbeit im Vordergrund, sondern die Frage, wie wir Menschen eine Inhaftierung ersparen und die dahinter verborgenen Bedürfnislagen und Probleme lösen. Daran arbeiten wir gemeinsam im Rechtsausschuss mit. Der jetzige Vorschlag der schlichten Umwandlung der LINKEN ist plakativ, aber an der Stelle nicht zielführend. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen. Ich freue mich aber auf die weitere Zusammenarbeit im Rechtsausschuss, wie gewohnt sachorientiert und konstruktiv! – Ich bedanke mich!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will nicht noch eine Schaufensterrede anschließen, aber kurz erwähnen, dass sich auch die FDP zu diesem Thema Gedanken gemacht hat. Kurz zusammengefasst: Erstens, wir haben den Straftatbestand der Beförderungserschleichung, er gilt, und dann haben sich auch alle an dieses Gesetz zu halten. Wir reden hier nicht über ganz hohe Beträge. Es gibt Monatskarten, es gibt Zehnerkarten, und auch mit geringem Einkommen sind diese Preise für den einen oder anderen doch leistbar.

Die Umwandlung in eine Ordnungswidrigkeit bringt erst einmal überhaupt nichts. Im Übrigen wird man strafrechtlich nicht gleich beim ersten Verstoß belangt, sondern da muss dann schon ein weiterer, dritter oder vierter Versuch hinzukommen, bevor dort überhaupt strafrechtlich geahndet wird, aber unabhängig davon: Wenn wir das als Bußgeld herabstufen, dann machen wir uns darüber Gedanken, welcher Unwertgehalt darin liegt.

Ich will jetzt nicht sagen, dass man sich an der Straßenbahn bereichern will – dafür sind die Beträge zu gering –, aber wir haben in der Palette der Personen, die nicht bezahlen, ganz unterschiedliche Leute. Das sind nicht nur Personen, wie Sie sie beschrieben haben, die das Geld nicht aufbringen können, die arm sind, wie Sie es formuliert haben. Es gibt noch andere, die durchaus das Geld haben, es aber einmal darauf ankommen lassen, obwohl sie persönlich mit anderen Mitteln ausgestattet sind.

Mit dieser Frage kommen wir letztlich nicht weiter, zumal der Aufwand im Ordnungswidrigkeitenverfahren für den Staat der gleiche ist. Sie versuchen eigentlich nur – wie soll ich sagen? –, die Ersatzfreiheitsstrafe und den Aufwand, den es dadurch gibt, durch die Umwandlung in das Ordnungswidrigkeitenrecht mit der dann folgenden Erzwingungshaft und der richterlichen Überprüfung vielleicht vom Ergebnis her für die Leute, für die Sie hier sprechen wollen, zu mindern, aber das kann nicht unsere Lösung sein. Wer sich sozialwidrig gegenüber anderen verhält, muss entsprechend einen Denkzettel bekommen, und deswegen hatten wir vorgeschlagen, in dieser Konstellation muss auch die Möglichkeit oder vielleicht auch verpflichtend eingeführt werden, dass dann Arbeitsleistungen für die Gemeinschaft erbracht werden, um das wieder auszugleichen, was hier an Unwertgehalt vorliegt.

(Beifall FDP)

Das Zweite ist, wir müssen genau schauen, woran es liegt, dass der eine oder andere schwarzfährt. Wer fast unverschuldet in diese Situation gekommen ist, wer psychische Defekte hat und sich nicht entsprechend sozialkonform verhalten kann, für den ist es in der Tat sinnvoll, mit Programmen zu arbeiten, um für die Zukunft so ein Verhalten zu vermeiden, da stimmen wir also voll überein.

Wir sollten das Thema Ersatzfreiheitsstrafe – und das war ja die Einigung, die wir im Rechtsausschuss gefunden haben – jetzt nicht nur auf dieses Thema fokussieren, sondern etwas breiter angelegt diskutieren und dann schauen, ob es Lösungsmöglichkeiten für Ersatzfreiheitsstrafen allgemeiner Art gibt, die man vielleicht auch in eine verwaltungsrechtliche gesetzliche Regelung bringen kann. Das ist der Weg, der nur richtig sein kann, und daran werden wir uns beteiligen, aber die Debatte von hinten aufzuziehen und quasi gewissen Bevölkerungsgruppen die Fahrt zu ersparen, weil wir über eine Erzwingungshaft vielleicht in dem einen oder anderen Fall nicht zum Ende kommen,

das ist nicht der richtige Weg. Das ist sozial nicht verträglich, das findet nicht unsere Zustimmung. Deswegen lehnen wir den Antrag ab und hoffen, dass wir mit den Ersatzfreiheitsstrafen oder auch mit Arbeitsleistung hier die entsprechend richtige Lösung finden. – Danke schön!

Als nächster Redner hat das Wort Staatsrat Schulz.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Fraktion DIE LINKE möchte, dass der Straftatbestand Beförderungserschleichung in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt wird und fordert den Senat auf, eine entsprechende Bundesratsinitiative einzubringen. Zumindest möchte ich kurz darauf hinweisen, dass es den Straftatbestand Beförderungserschleichung so nicht gibt.

Die Vorschrift des § 265a StGB lautet vielmehr „Erschleichen von Leistungen“ und umfasst mehr als die Beförderung durch ein Verkehrsmittel, zum Beispiel auch den Zutritt zu einer Veranstaltung.

Ich möchte auch keine juristische Vorlesung halten, aber trotzdem vielleicht einfach noch einmal: § 265a StGB Erschleichen von Leistungen: „Wer die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes,“ und jetzt: „die Beförderung durch ein Verkehrsmittel oder den Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu errichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr“– Frau Dogan, nicht nur Geldstrafe! – „oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwerer Strafe bedroht ist.“

Nun noch ein Hinweis: Geldstrafe bedeutet fünf Tagessätze, maximal 365 Tagessätze, und die Höhe des Tagessatzes wird nach dem Einkommen bestimmt, aber die Mindesttagessatzhöhe beträgt einen Euro und die höchste 30 000 Euro.

Das heißt, ein Gericht wird auch immer auf die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten Rücksicht nehmen müssen, weil es nun einmal so angelegt ist. Das heißt, man kann sich ohne Weiteres vorstellen, bei einer erstmaligen Verurteilung, dass eine Strafe von fünf Tagessätzen zu je einem Euro herauskommt. Das sind fünf Euro, um es auch nur einmal so klarzumachen.

Schon da stellt sich die rechtspolitische Frage, warum gar die Beförderungserschleichung, das sogenannte Schwarzfahren, aus der Strafbarkeit herausgenommen werden sollte. In dem Antrag der Fraktion DIE LINKE wird auf die Kosten der Strafverfolgung hingewiesen. Kosten dürften allerdings nach meiner Überzeugung nicht darüber entscheiden, ob eine Tat verfolgt wird oder nicht. Im Übrigen wäre auch kostenmäßig nichts gewonnen, wenn man die Beförderungserschleichung von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabstufen würde.

Auch hier würden die Kosten entstehen. Zum einen durch gerichtliche Verfahren, wenn die Betroffenen Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid einlegen, zum anderen kann das Gericht dann, wenn ein Bußgeld nicht bezahlt wird, Erzwingungshaft anordnen, das ist hier auch schon ausgeführt worden. Die Fälle, die zurzeit zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen führen, würden dann auf eine Vollstreckung von Erzwingungshaft hinauslaufen.

Ob ein Bußgeld zu bezahlen ist oder eine Geldstrafe, macht für den Betroffenen daher letztlich auch keinen Unterschied. Wenn die Geldstrafe nicht bezahlt wird, sieht das Gesetz in letzter Konsequenz die Vollstreckung der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe vor. Dieses Instrument muss als Motivation die Geldstrafe zu bezahlen nach unserer Auffassung aufrechterhalten bleiben. Wichtig ist aber auch, dass die Justiz ein Interesse daran hat, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen möglichst zu vermeiden. Dies vor allem aus rechtspolitischen Gründen, da die Betroffenen eben nicht zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind.

Natürlich haben wir auch den Kosten- und Verwaltungsaufwand in der Justizvollzugsanstalt im Blick. Deshalb wurde in Bremen ein umfassendes und gut funktionierendes System zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen geschaffen. Lassen Sie mich dazu nur kurz sagen, dass Ratenzahlungen vereinbart werden können, dass gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden kann und dass die Betroffenen auch nach ihrem Haftantritt, wenn es also doch so weit gekommen ist, innerhalb der Justizvollzugsanstalt die Zeit der Inhaftierung durch Arbeit verkürzen können.

Das Justizressort finanziert einige erfolgreich arbeitende Projekte in diesem Bereich. Ich möchte hier beispielhaft das Stichwort StadtTicket Extra erwähnen, und auch im nächsten Rechtsausschuss, der am 5. September tagen wird, wird das auf der

Tagesordnung stehen. Wir hatten ja gesagt, dass wir an der Stelle noch einmal nachbessern wollen, jedenfalls um Zustimmung dafür werben wollen.

Festzuhalten bleibt also, dass die Herabstufung der Beförderungserschleichung von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit nach unserer Auffassung nichts bringen würde, auch nicht kostenmäßig, und dass wir das, was wir zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen tun können, auch wirklich bemüht sind, zu tun.

Abschließend eine persönliche Bemerkung von mir: Wenn das Thema Beförderungserschleichung angegangen wird, ist es letztlich eine Frage, die kurzzeitig einmal in den Medien auftauchte aber sofort totgeschwiegen worden ist. Ob es jedoch trotzdem gute Gründe gibt, einen ÖPNV kostenfrei anzubieten? Da gibt es nicht nur die Systeme der Beförderungserschleichung, es gibt sehr wohl gute Gründe auch ökonomischer und ökologischer Art, darüber nachzudenken.

Ich glaube, die Verkehrsbelastung bei einem gut funktionierenden ÖPNV würde in den Städten eine ganz andere sein, was auch zu einer Verdichtung des ÖPNV führen könnte. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/1130 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE, Abgeordnete Wendland [partei- los])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, BIW, Abgeordneter Patrick Öztürk [SPD, frak- tionslos], Abgeordneter Schäfer [LKR], Abgeordne- ter Tassis [AfD])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von dem Bericht und Antrag des Rechtsausschusses, Drucksache 19/1571, Kenntnis.

Sicherheit statt Koalitionskrach – Eine handlungsfähige Polizei benötigt eine zeitgemäße Rechtsgrundlage – Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes Antrag der Fraktion der CDU vom 26. Juni 2018 (Drucksache 19/1732) 1. Lesung

Wir kommen zur ersten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet.

Die Redezeit ist heute nach Geschäftsordnung.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDUFraktion hat diesen Gesetzesänderungsantrag gestellt, um einen Auftrag zu erfüllen, den das Parlament dem Senat am 8. November 2017 erteilt hat.

Auf Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen und der Sozialdemokraten hat das Parlament am 8. November 2017 beschlossen, ich zitiere aus der Bürgerschafts-Drucksache 19/1113: „Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, zur Beschlussfassung im vierten Quartal 2017 eine Novellierung des Bremischen Polizeigesetzes vorzulegen, die eine möglichst technologieunabhängige Telekommunikations- und Medienüberwachung zur Abwehr erheblicher Gefahren ermöglicht, orientiert an einer gefahrenabwehrenden bundeseinheitlichen Regelung die Möglichkeit zur Anordnung aufenthaltsüberwachender technischer Maßnahmen schafft, die stationäre und mobile Videoüberwachung in Bremen bedarfsgerecht ausbaut und neu ordnet.“

Meine Damen und Herren, dieser Beschluss des Parlaments ist nicht zu interpretieren. Er ist ein eindeutiger Auftrag an den Senat, und selbst wenn er nicht im vierten Quartal 2017 erfüllt worden ist, so hätte er längst erfüllt werden müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren vom Senat, Sie haben nicht geliefert!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass die rot-grüne Landesregierung das Regieren schon seit längerer

Zeit eingestellt hat. Es wird keine Gewerbeflächenentwicklung geben. Heute war zu lesen, dass es wieder zu einer erheblichen Abwanderung oder Nichtzuwanderung von Arbeitsplätzen gekommen ist. Meine Damen und Herren, so regiert man ein Land eben gerade nicht! Man kann nicht ein Jahr vor der Wahl aufhören, politische Entscheidungen zu treffen.

(Beifall CDU, FDP, BIW)