Protokoll der Sitzung vom 15.10.2015

Die Kommission schlägt vor, die Türkei als sicheres Herkunftsland einzustufen. Herr Steinmeier verhandelt im Augenblick mit Recep Tayyip Erdogan. Wenn wir uns vor Augen führen, was in Ankara, in Cizre und Suruç passiert ist, dann glaube ich nicht, dass die Türkei ein sicherer Staat ist.

(Beifall DIE LINKE)

Die Einstufung als sicheres Herkunftsland – und das ergibt sich aus Gesetzentwürfen der Bundesregie

rung – ist allein durch den Willen getragen, Migration zu verhindern. Die Migration ist aber nicht zu verhindern, wenn die Not groß ist. Verhindert wird lediglich, meine Damen und Herren, die Integration!

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Mit diesem Gesetz wird die alte und – wie wir gesehen haben – gescheiterte Abschreckungs- und Isolationspolitik fortgesetzt.

Ein Bestandteil des damaligen Asylpakets war das Asylbewerberleistungsgesetz. Es ist ein Sondergesetz, das den geflüchteten Menschen nicht die volle Menschenwürde gewährte, zum Schluss nur noch 60 Prozent. Bestandteile waren die Sachleistungen, der Lagerzwang, die Residenzpflicht, und die Gesundheitsversorgung beschränkte sich auf akute Fälle. Heute sagen viele, die gewollte Abschreckung hat die Integration verhindert.

In Bremen wurden deswegen aus guten Gründen Gutscheine abgeschafft, die Residenzpflicht gelockert und die Wohnpflicht in den Erstaufnahmestellen reduziert.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Selbst von der CDU hört man mittlerweile Slogans wie „Integration von Anfang an“. Das soll aber nicht für alle gelten. Menschen, die aus den vermeintlich sicheren acht Herkunftsländern kommen, sollen dieses Recht nicht haben, im Gegenteil! Das jetzt vorliegende Gesetzespaket, das Sie als Asylkompromiss bezeichnen und das morgen im Bundesrat behandelt werden soll, ist kein Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, sondern es ist ein Integrationsverhinderungsgesetz.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen künftig keine Geldleistungen erhalten, sondern es sollen nur noch Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden. Damit fängt die entwürdigende Gutscheinpraxis bei Asylsuchenden wieder an. Der einzige Zweck ist Abschreckung, man könnte auch Schikane sagen. Diese Praxis war zumindest in Bremen überwunden, und das war auch gut so. Jetzt soll sie wieder eingeführt werden, und das halte ich für verfehlt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Alle Asylbewerber aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro sollen künftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen kaserniert bleiben. Das ist eine spezielle Massenunterkunftspflicht, und auch das dient der Integrationsverhinderung. Flüchtlinge, die einen Ausreisetermin genannt bekommen haben, sollen nach diesem Termin nur noch am Leben erhalten werden.

Sie haben nicht einmal mehr das Recht auf das physische Existenzminimum, sie sollen nur noch eine Unterkunft und Essen bekommen, sogar Bekleidung ist ausgenommen. Dies bedeutet die Rückkehr zu der menschrechtswidrigen Praxis, eine Menschengruppe zu definieren, für die der Staat kein Existenzminimum anerkennt.

(Glocke)

Das Bundesverfassungsgericht hat sich eindeutig geäußert: Die Würde des Menschen ist migrationspolitisch nicht relativierbar,

(Glocke)

Zitat: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken.“ Ich plädiere deshalb für die Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Tausende Menschen fliehen seit Monaten vor Krieg und Not. Sie suchen in Europa Schutz und Hilfe. Ja, Herr Röwekamp, es stimmt, wir haben im letzten Monat in der Bürgerschaft debattiert, wie wir für diese Menschen Lösung finden können, um sie sicher unterbringen zu können.

Das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention formulieren für alle, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, das Recht auf Schutz. Das Grundrecht auf Asyl ist für uns Grüne unantastbar.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Deutschland muss aber auch verfolgten und diskriminierten Minderheiten wie Roma oder Menschen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihrer Religion oder Homosexualität verfolgt oder diskriminiert werden, Schutz bieten. Das ist die feste Überzeugung der Grünen, meine Damen und Herren.

Ich gebe zu, die Dimension – und das war heute Morgen und im letzten Monat hier ein Thema – der Zuflucht Suchenden stellt uns im Augenblick vor Aufgaben in einem ungeahnten Ausmaß. Die Aufnahme der Geflüchteten ist eine neue Herausforderung für die Länder, die Kommunen und für die freiwilligen Helferinnen und Helfer, aber, meine Damen und Her

ren, humanitäre Werte müssen bei der Lösung der Herausforderung im Vordergrund stehen. Dazu gehört zum einen, auf internationaler Ebene die Hilfseinrichtungen vor Ort finanziell besser auszustatten, die Millionen von Menschen in den angrenzenden Nachbarstaaten der Krisenländer – wie in Syrien und im Irak – versorgen. Man muss sich ja immer noch vor Augen führen, dass Millionen Flüchtlinge sich in Jordanien, in der Türkei und im Libanon aufhalten, aber nicht in Europa.

Es gehört zum anderen ein solidarisches Zusammenstehen der europäischen Mitgliedstaaten dazu, und ich finde, dass das deutlich besser werden kann. Allerdings gehört das von der Bundesregierung vorgelegte Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz nicht dazu.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Heute hat in der Tat, Herr Röwekamp, der Bundestag über das vorgelegte Gesetz abgestimmt, morgen erfolgt die Abstimmung im Bundesrat. Die Grünen haben heute Morgen das Gesetz im Bundestag scharf kritisiert und dem Gesetz nicht zugestimmt. Meine Damen und Herren, ich sage ganz klar für die grüne Fraktion in Bremen: Wir lehnen dieses Gesetz ab!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Im Übrigen ist das auch das Ergebnis unserer Landesmitgliederversammlung.

Ich möchte die ablehnende Haltung begrüden. Für uns ist an erster Stelle die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer ein Knackpunkt, zu nennen sind der Kosovo, Albanien und Montenegro. Die im Gesetz vorgesehene Erleichterung der Arbeitsmigration aus den westlichen Balkanländern halten wir für sinnvoll, aber sie ändert nichts daran, dass diese Länder die Kriterien, die an ein sicheres Herkunftsland anzulegen sind, nicht erfüllen. Die geplante Einstufung der Länder als sichere Herkunftsländer wird der Realität überhaupt nicht gerecht.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

In den Ländern finden Menschenrechtsverletzungen statt, es werden Minderheiten diskriminiert, und ohne Grund sind dort nicht über 5 000 KFOR-Soldaten stationiert.

Wir kritisieren auch andere Regelungen des Gesetzes. Es sind beispielsweise die Ausdehnung des Zwangsaufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung von bis zu sechs Monaten, die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips, die Ausdehnung des Arbeitsverbots auf sechs Monate sowie – und das sehe ich persönlich als einen ganz wichtigen Punkt an – das Verbot der Vorankündigung von Abschiebungen zu nennen.

Früher war es üblich, dass die Menschen, die in Abschiebehaft kommen sollten, eine Woche vorher zumindest eine Ankündigung bekommen haben. Sie konnten sich verabschieden. Sie konnten ihr Leben hier geordnet zurücklassen. Jetzt ist es nicht mehr so. Es wird ohne Vorankündigung abgeschoben.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz löst keine Probleme vor Ort, sondern das Ziel des Gesetzes ist die Ausgrenzung von Schutzsuchenden in Deutschland, da stimme ich Frau Leonidakis zu. Das machen wir Grünen in Bremen eben nicht mit.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Auch wir finden, es ist kein Asylbeschleunigungsgesetz, sondern ein Asylverschärfungs- oder -vermeidungsgesetz. Es ist auch ein Bürokratiemonster. Stattdessen müssen wir überlegen, wie wir den Herausforderungen praktisch begegnen, was Unterkünfte angeht. Darüber haben wir heute Morgen schon lange diskutiert. Sie haben sich quasi gegen eine Gesetzgebung entschieden, die es ermöglicht, schnell Unterkünfte zu finden.

Es geht um Bildung. Es geht um Integration der Flüchtlinge. Bevor das Gesetz morgen im Bundesrat beschlossen wird, gibt es aber schon Diskussionen über weitere restriktive Maßnahmen wie Transitkorridore vonseiten der CDU/CSU. Ich frage mich, was danach kommt. Herr Seehofer will Flüchtlinge gleich wieder hinter die Grenze nach Österreich zurückbringen oder sogar inhaftieren. Mir macht es ehrlich gesagt Angst, wie zum Teil diskutiert wird.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Auf der anderen Seite weist die Kanzlerin auf das Recht auf Asyl hin. Anders als andere Staaten Europas ermutigt sie die Flüchtlinge, zu uns zu kommen. Damit hat sie bei mir ziemlich viele Sympathiepunkte gesammelt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Es ist bezeichnend, dass Sie von der CDU nicht applaudieren. Sie ist doch Ihre Kanzlerin!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Bei Ihrer Rede kann man nicht applaudieren, egal, was Sie sagen! Das ist ein solcher Unsinn!)

Bei Ihrer auch nicht, Herr Röwekamp!

Auf der anderen Seite kann der CDU ganz offensichtlich das Gesetz eben nicht strikt genug sein. Das halte ich für keine glaubwürdige und keine humanitäre Flüchtlingspolitik, Herr Röwekamp. Sie sagen, es ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Die geplante Asylrechtsverschärfung trifft bei Kirchen, bei Wohlfahrtsverbänden, bei Menschenrechtsorganisationen

und weiteren mit Flüchtlingsarbeit und Asylrecht befassten Akteuren der Zivilgesellschaft auf scharfe Kritik. Sie haben das „C“ in Ihrem Namen. Es steht für christlich. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme die im Gesetzesvorhaben avisierte und von Bund und Ländern abgesegnete Unterscheidung in Personen mit und ohne Bleiberechtsperspektive als mehr als problematisch. Dem stimmen wir zu. Es darf eben keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Breiter gesellschaftlicher Konsens, Herr Röwekamp? Der DGB lehnt die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer ab und fordert, die Gründe für eine Schutzsuche auch künftig individuell zu prüfen. Ob der Rat für Migration, ob Pro Asyl, ob Amnesty International, ob Caritas oder Diakonie Deutschland: Alle üben öffentlich massive Kritik an dem Gesetzentwurf.