Ich glaube, dass man einfach noch viel mehr Bewusstsein schaffen kann. Ich möchte auch zwei, drei Sachen noch einmal ergänzend erläutern, warum ich mich jetzt hier in diesem Debattenbeitrag so sehr auf Bildung und Universität fokussiert habe.
Es hat tatsächlich Gründe. Ich erlebe immer wieder, dass mir Lehrkräfte in Schulen sagen: Wir haben zwar jetzt die Fortbildung am LIS, aber die Auseinandersetzung im Alltag, die müssen wir allein tragen, und wir sind teilweise darauf nicht vorbereitet.
Das betrifft bürgerliche Stadtteile, in denen jüdische Mitschüler, wenn sie sich denn als jüdische Mitschüler zu erkennen geben, durchaus immer wieder in der Frage der Nahostauseinandersetzung tatsächlich mit realem Antisemitismus und nicht mit einer Israelkritik konfrontiert sind. Wir haben das aber natürlich auch an Schulen, an denen Lehrkräfte mir sagen, sie sind überfordert, wenn man sich radikalisierende Jugendliche und Konvertiten dort hat, die dem salafistischen Spektrum angehören.
Ich finde, diese Hilferufe, die wir seit fünf Jahren hier auch immer wieder debattieren und zur Sprache bringen, zeigen mir, dass wir noch eine ganze Menge Arbeit vor uns haben.
Ich finde es gut, dass wir heute hier die verschiedenen Facetten und unsere Haltung debattieren. Ich habe mich deswegen sehr auf den Bericht fokussiert, weil ich glaube, dass wir auch im Kleinen, in der Alltagsarbeit noch sehr viel mehr leisten müssen, und das geht über die Debatte hier heute hinaus. – Dankeschön!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wann wird jüdisches Leben in Deutschland, in Bremen und Bremerhaven ganz normal sein? Wann werden wir jüdische Einrichtungen und jüdisches Leben nicht mehr gesondert schützen müssen, weil es keine Bedrohung mehr gibt? Wann werden wir den Jahrestag der Reichspogromnacht begehen und nicht wieder den Bezug zum Hier und Jetzt herstellen müssen? Ich hoffe, dass ich das noch erleben werde. Sicher bin ich mir nicht.
dafür ein. Allein aber, dass wir es tun müssen, zeigt auch, dass wir 80 Jahre nach dem Pogrom und der systematischen Vernichtung der Juden im Dritten Reich noch einen weiten, weiten Weg vor uns haben.
Gestern vor 80 Jahren, am Vormittag des 7. November 1938, feuerte der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris zwei Kugeln auf einen deutschen Diplomaten. Der Jugendliche wollte mit seiner Tat auf die Deportation der polnischen Juden im Oktober 1938 aufmerksam machen. Unter den Deportierten waren auch seine Eltern. Die nationalsozialistische Führung nutzte das Attentat als Vorwand für eine groß angelegte Welle der Gewalt, die am 9. November 1938 in dem Pogrom gegen alle Juden in Deutschland gipfelte.
Bilanz der Gewalt: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden im Deutschen Reich mindestens 91 Menschen ermordet oder in den Tod getrieben, die Hälfte aller Synagogen wurde vernichtet, fünf Bremer starben in dieser Nacht, im Schnoor ging die Synagoge in Flammen auf. In den Wohnungen standen jüdische Männer, Frauen und Kinder Todesängste aus, während der Mob auf der Straße plünderte, brandschatzte, zerstörte und mordete. In dieser Nacht kam der offene Antisemitismus in der Mitte der damaligen Gesellschaft an. Daran müssen wir erinnern. Das ist es, was nicht in Vergessenheit geraten darf!
Woher kommt der Antisemitismus heute? Nach wie vor gilt für unser Land: Antisemitismus kommt zuerst von rechts. Sich aber dabei zeitlich nur auf den Nationalsozialismus in den Jahren 1933 bis 1945 zu fixieren, ist gefährlich und verkürzt. Deutschland hat bis weit ins Mittelalter hinein eine tief verwurzelte Geschichte des christlich begründeten und des auch durch Neid und Missgunst getriebenen Antisemitismus.
Dieser Antisemitismus wird von rechten Gruppen immer wieder instrumentalisiert. Umso niederträchtiger finde ich es, dass gerade heute die politische Rechte den Antisemitismus der zugewanderten Muslime für ihre Propaganda instrumentalisiert. Um von der eigenen historischen Verantwortung und aktuellen Problemen abzulenken, zeigt
man einfach auf andere. Dieser Ansatz der politischen Rechten ist gefährlich und geschichtsverdrehend, meine Damen und Herren!
Die Warnung des Berichts, den Blick nicht einseitig auf die muslimische Bevölkerung und Geflüchtete als Träger antisemitischer Einstellung zu richten, kommt daher zur rechten Zeit. Der vorliegende Bericht hält allerdings auch fest, dass es viele Hinweise für die Annahme einer großen Verbreitung von Antisemitismus bei Geflüchteten aus arabischmuslimisch geprägten Ländern gibt. Natürlich darf man dabei nicht vergessen, dass es eine heterogene Gruppe ist und es nicht jeden Einzelnen betrifft. Für uns Freie Demokraten ist aber ganz klar, dass wir diese Form des Antisemitismus nicht tolerieren werden.
Die Herausforderungen durch diese neue Art des Antisemitismus in Deutschland an uns als Gesellschaft und vor allem, Frau Vogt hat es angesprochen, an unser Bildungssystem, sind enorm. Das Lehrpersonal und Ehrenamtliche werden immer wieder mit dieser neuen und unbekannten Form und damit auch unbekannten Argumenten konfrontiert. Hier müssen wir sie unterstützen, gesellschaftspolitisch und auch bildungspolitisch. Mit diesem Problem darf niemand allein gelassen werden, denn das Schlimmste, was in einem solchen Fall geschehen kann, ist, dass genau nichts passiert.
Aus diesem Bericht lese ich heraus, dass diese zugewanderte Form des Antisemitismus noch stärker bekämpft werden kann. Uns reichen einzelne Seminare für Lehrerinnen und Lehrer nicht aus. Wir wollen, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer, jede und jeder Ehrenamtliche, die oder der in der Arbeit mit Geflüchteten tätig ist, in die Lage versetzt wird, sich dieser Form des Antisemitismus entschlossen entgegenzustellen.
Dafür braucht es aus unserer Sicht weit mehr Weiterbildungsmöglichkeiten und -angebote, als wir sie bisher sehen. Ich glaube, die angekündigte Kooperation mit Yad Vashem ist ein sehr guter Weg.
Wir Deutsche sind in Bezug auf den Antisemitismus einen weiten Weg gegangen. Es ist es uns aber immer noch nicht gelungen, ein Ende dieser Strömung zu schaffen. Wir müssen akzeptieren, dass uns das Problem des Antisemitismus noch viele Jahre lang in der Gesellschaft begegnet. Dem müssen wir uns stellen. Antisemitische Einstellungen findet man nicht nur bei der extremistischen Rechten und Zugewanderten, Antisemitismus hat erschreckenderweise immer noch einen Resonanzboden in der Mitte der Gesellschaft.
Er ist tief in der Gesellschaft verwurzelt und kehrt in Wellenbewegungen zurück. Wir dürfen uns deshalb nicht dem Irrglauben hingeben, dass die Mahnungen an die Geschehnisse im Dritten Reich bereits genug sind, um Antisemitismus erfolgreich zu bekämpfen. Antisemitismus ist eine Konstante in unserer Gesellschaft, einmal leise, vielleicht unbewusst, in unhinterfragten Vorurteilen, die einfach übernommen werden, aber auch sehr laut mit Beschädigung von jüdischem Eigentum, mit Farbschmierereien in Form von antisemitischen und volksverhetzenden Parolen auf jüdischen Grabsteinen und/oder an Synagogen, gerade letzte Woche auch wieder hier bei uns in Bremerhaven, bis hin zu tätlichen Angriffen auf jüdische Mitbürger.
Wir alle sind gefragt, diese bedrohlichen Entwicklungen zu unterbinden und die Menschen zu schützen. Jede Form des Antisemitismus ist immer auch ein Angriff auf die Grundwerte unserer demokratischen Ordnung, unserer offenen pluralistischen Gesellschaft, unserer freiheitlichen Grundwerte. Antisemitismus geht uns alle an, Deutsche, Hanseaten, Bremer, Bremerhavener, Zugewanderte, Flüchtlinge, Anhänger aller Religionen, Atheisten, Agnostiker und natürlich – oder vielleicht auch ganz besonders – uns Politiker.
Wir stellen uns dem Antisemitismus klar entgegen. Überall, wo er auftritt, darf er nicht unwidersprochen bleiben. Es geht dabei zuallererst um die Bekämpfung von Unwissenheit, Verunsicherung oder unreflektierter Übernahme von Vorurteilen, damit Antisemitismus gar nicht erst einen Nährboden findet. Jüdisches Leben gehört für uns alle selbstverständlich zu einer vielfältigen Gesellschaft in Deutschland dazu. In unserem Land muss es jedem Menschen möglich sein, sich zu seinem Glauben zu bekennen, auch öffentlich und in aller Freiheit.
Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung sind der Boden, auf dem wir uns dabei alle bewegen. Demokratie und Religionsfreiheit sind dabei untrennbar. Eine vielseitige Gesellschaft ist auch
eine liberale Gesellschaft. Diese Vieldeutigkeit ertragen zu können, muss unser Bildungsziel sein, sagt der Bremer Senat, und das können wir als Freie Demokraten zu 100 Prozent unterstützen.
Enden möchte ich mit einem Zitat von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Sie sagte vor wenigen Wochen im Spiegel-Interview: „Antisemitismus darf sich nicht radikalisieren. Alle müssen sich auf die Fahne schreiben, Antisemitismus zu bekämpfen: Politik, Behörden, Polizei, Schulen sowie Zivilgesellschaft, gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte. Man bekämpft Antisemitismus nicht nur, indem man sich mit Antisemitismus beschäftigt, sondern auch, indem man lernt, sein eigenes Leben zu lieben und dessen Werte zu verteidigen“. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen des Hohen Hauses! Lassen Sie mich vorab für zwei Redebeiträge danken. Die Rede von Frau Dr. Müller fand ich erstaunlich ausgewogen, und auch die historischen Ausführungen von Herrn Tschöpe waren vollkommen richtig. Ich bin auch zweimal persönlich angesprochen worden, lassen Sie mich darauf antworten.
Höchst ausnahmsweise gebe ich Herrn Tschöpe recht, dass Herr Gedeon mit seiner dilettantischen Herrenmenschen-Attitüde verurteilt gehört und in der Tat auch von mir schärfstens verurteilt wird. Ich bekämpfe dieses auch öffentlich und innerparteilich. Das also höchst ausnahmsweise eine klassische Distanzierung, die ich aber auch wirklich aus vollem Herzen vornehmen kann.
Ein zweites Mal bin ich angesprochen worden vom Kollegen Röwekamp. Das war nun schon etwas weniger sinnvoll. Jeglichen positiven Patriotismus und besonders Hinweise der AfD auf die großartige, auch deutsch-jüdische Tradition, die es ja auch gibt. Die SchUM-Gemeinden Speyer, Worms und Mainz im Mittelalter sind ein Kernpunkt jüdischer Geschichte, deutsch-jüdische Geschichte und anderer Dinge, auf die die AfD beständig verweist. Das hat mit Revisionismus überhaupt nichts zu tun.
Wir entnehmen vielmehr dem Bericht des Senats, um den es heute eigentlich geht, dass linker Antisemitismus wie Boykott, Desinventionen, was auch immer das sein mag, und Sanktionen oder auch der islamisch gesteuerte, wie um drei Ecken herum von der Hisbollah in Bremen, ebenfalls ein Problem sind. Sie finden auch im Kampf gegen rechtsextremistisch orientierten Antisemitismus die AfD auf Ihrer Seite,
insbesondere die Juden in der AfD, zu deren Gründungsversammlung ich nicht ohne Grund eingeladen und bei der ich auch anwesend war.
Wir haben auch gerade mit der Fraktion der AfD aus Sachsen-Anhalt das Haus der Wannseekonferenz besucht, und ich möchte doch gerade als Historiker darauf hinweisen, dass die Auseinandersetzung mit Antisemitismus weit über das Niveau von Herrn Röwekamp in der historischen deutschen Geschichte und Geschichtsschreibung hinausgeht und eine Diffamierung der AfD nicht dazugehört.
Vielmehr ist positiv zu sagen, lassen Sie mich damit schließen, dass Israel als Staat seine Grenzen schützt und eventuell den Migrationspakt im Dezember nicht unterschreiben möchte. Das findet unsere politische Unterstützung, und Israel würde auch ohne diese politische Haltung seiner Regierung unsere Unterstützung finden.
Zweitens: Jüdische Blogger, jüdische Philosophen, jüdische Zeitungen, auch deutschsprachige jüdische Zeitung erkennen das Bemühen der AfD um einen wahrhaftigen Kampf gegen Antisemitismus an. Ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht, spielt dabei keine Rolle. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, sehr verehrte Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, hat vor wenigen Monaten, im April, mit folgenden Worten seine Besorgnis über die aktuelle Situation beschrieben, ich zitiere: „Der Antisemitismus in seiner Form, wie wir ihn im Moment erleben, ist etwas, was ich mir vor zehn Jahren in Albträumen nicht habe träumen lassen. Ich glaube nicht, dass die Zahl antisemitischer Straftaten oder Vorfälle
nennenswert gestiegen ist, allerdings eine rote Linie hat sich offensichtlich verschoben. Denn, wenn es zu tätlichen Angriffen auf Menschen kommt, nur deshalb, weil sie eine Kippa tragen, dann ist das für mich unvorstellbar.“ Zitatende.
Ich weiß, auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Bremen machen sich Sorgen über den Antisemitismus in unserem Land. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Deutschland ein Hakenkreuz auf eine jüdische Einrichtung geschmiert, eine Hassmail geschrieben, oder ein Jude angepöbelt wird. Auch bei uns in Bremen ist zu hören, dass das Wort Jude als Schimpfwort benutzt wird. Menschen, die eine Kippa tragen, werden tätlich angegriffen.
Allein im Jahr 2017 wurden bundesweit bei der Polizei 1 453 antisemitische Straftaten registriert. Das sind durchschnittlich vier pro Tag. Für Bremen, das ist hier in der Debatte schon gesagt worden, verweist die Auswertung auf 17 Straftaten. Das hört sich vielleicht harmlos an, aber das macht etwas mit der Wirklichkeit und macht etwas mit dem Lebensgefühl für die Juden in Deutschland und auch in Bremen. Deshalb ist jede Straftat zu viel, meine Damen und Herren!
Man muss dazu wissen: Nur die wenigsten Vorfälle werden öffentlich und finden Eingang in die Statistik. Doch für jedes Opfer sind sie bedrückend. Nicht nur für die direkt Betroffenen, nein, für uns alle sind solche antisemitischen Vorfälle unerträglich. Denn Antisemitismus ist keine beliebige Form der Diskriminierung, er kann nicht einfach, und auch das hat eine Rolle gespielt, nicht einfach gleichgesetzt werden mit anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das, und das will ich ausdrücklich sagen, macht der Senat auch keinesfalls, weder in dem Bericht, noch in der Praxis. Es wird damit nur auf den Zusammenhang verwiesen, dass es im Rahmen der Aufklärung, gerade auch in den Schulen, darum geht, sich über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit vertieft mit dem Antisemitismus auseinanderzusetzen. Ich glaube, wir alle wissen, dass das in unseren öffentlichen Einrichtungen, dass das in Bremen eine starke Tradition hat und gepflegt wird, und das wird auch weiter so sein, meine Damen und Herren!