Ich meine schon, denn es geht um Menschen, die ernsthaft unter der Reduzierung der staatlichen Leistungen leiden, weil kaum noch etwas zum Leben bleibt. Die Kürzungsquote beim Jobcenter Bremen lag in den letzten Jahren für unter 25-Jährige bei 26 Prozent, beim Jobcenter Bremerhaven bei 24 Prozent, also rund ein Viertel wird gekürzt.
Auch aus diesem Grund halten wir die Diskussion über die Sanktionspraxis für zwingend geboten. Hier ist Politik gefragt, neue Antworten zu geben. Das ist gerade für uns in Bremen wichtig. Es kann und darf nicht sein, dass eine sozialstaatliche Institution wie das Jobcenter zunehmend als angstmachend erlebt wird, wie es Untersuchungen von Bertelsmann, Böckler, Böll und Ebert belegen. Das hohe Maß an Fremdbestimmung, das an Hartz IV geknüpft ist, ist mit Kontrollverlust verbunden und daher angstauslösend.
Zudem scheint mir, dass hier immer noch ein veraltetes Erziehungsideal am Werk ist: Wer nicht hören will, muss fühlen! Das erschreckt mich wirklich.
Gerade, wenn es um die jungen Heranwachsenden geht, denn sie haben ihr Leben noch vor sich. Ihnen müssen wir eine Perspektive bieten. Dafür benötigen wir keine Bestrafungen, sondern verlässliche und gezielte Begleitung.
Diese müssen an den Bedürfnissen der Jugendlichen ansetzen und sich zum Beispiel dem Thema Übergang Schule/Ausbildung widmen. Wir Grüne wollen Anreize schaffen, den Jugendlichen verdeutlichen, welche Wege zum Ziel führen und zu ihnen passen. Wir wollen diese Jugendlichen nicht verlieren. Die Praxis aber zeigt: Junge Erwachsene, denen die Leistungen gestrichen werden, brechen häufig den Kontakt zum Jobcenter ab und suchen den Weg in die Schwarzarbeit. Das darf nicht passieren!
Die jüngsten Zahlen für Bremen zeigen, zuletzt gab es im Land Bremen mehr Sanktionen gegen HartzIV-Empfänger als im Bundestrend. Im ersten Halbjahr 2018 wurden knapp 6 500 Personen in Bremen/Bremerhaven die Leistungen gekürzt. Den Ursachen müssen wir dringend nachgehen. Den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes das Existenzminimum zu nehmen, geht gar nicht! Das Existenzminimum ist ein Grundrecht, und ein Grundrecht darf nicht gekürzt werden!
Zum Thema Existenzminimum, das sei nur am Rande noch einmal erwähnt, haben wir in der letzten Bürgerschaftswoche einen Antrag verabschiedet, der eine Neuberechnung einfordert. Das halte ich nach wie vor für zwingend nötig. Mit Blick auf das Jobcenter braucht es aus unserer Sicht einen Kulturwandel. Wir benötigen eine Beratungs- und Betreuungskultur auf Augenhöhe und ohne Erpressbarkeit. Wir Grüne setzen auf positive Erwerbsanreize anstatt auf ein Klima der Angst.
Wir sehen eine echte Chance darin, zukünftig den Beratungsauftrag des Jobcenters von der Auszahlung der Leistungen zu trennen. Arbeitslosengeld II, Wohngeld und Kinderzuschlag sind so eng verknüpft, dass sie zusammengefasst und automatisch vom Finanzamt ausbezahlt werden sollten. Das würde eine reale Entbürokratisierung bedeuten.
Das wird aber leider nicht von heute auf morgen gehen. Wir brauchen auf dem Weg, Hartz IV zu überwinden, Zwischenschritte, die auch, das gebe ich zu, etwas kosten werden. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, die für alle Kinder gleich hoch ist und eine Garantie für das Existenzminimum gibt. Das umfasst für mich unbedingt auch die gesellschaftliche Teilhabe, die für Kinder und Jugendliche so wichtig ist. Mit einer Kindergrundsicherung für jedes Kind wird sich Erwerbsarbeit auch bei Geringverdienern wieder deutlich mehr lohnen als noch heute.
Damit schaffen wir mehr Sicherheit für die Eltern. Diese Sicherheit kommt, da bin ich mir sicher, bei den Kindern an. Am Thema Kindergrundsicherung arbeitet unsere Sozialsenatorin bereits mit ihren Amtskollegen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Hier ist der Bund nun gefragt. Wir brauchen dringend die Zusammenführung der verschiedenen familienpolitischen Leistungen in eine Kindergrundsicherung. Ebenfalls brauchen wir auf Bundesebene die Einführung einer neuen Garantiesicherung. Da sehen wir Grüne die Zukunft.
Zum Schluss möchte ich an die Zusammenhänge von Hartz IV und eine mangelnde Altersabsicherung erinnern. Altersarmut ist zudem überdurchschnittlich weiblich. Gerade aus sozialpolitischer Sicht ist dieses Thema nicht zu vernachlässigen. Es geht hier um die Absicherung aller Altersgruppen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Erst im Dezember haben wir hier über die Hartz-IV-Sanktionen debattiert und das war auch nicht das erste Mal. Alle Argumente sind eigentlich schon ausgetauscht und jeder weiß inzwischen recht gut, wo die politischen Mitstreiter stehen. Das hat aber die Fraktion DIE LINKE nicht aufgehalten, das Thema heute erneut aufzurufen.
heute zu keinem anderen Ergebnis kommen. Natürlich ist es nie falsch, die Praxis von Hartz IV in Bezug auf die Höhe, der Umsetzung vor Ort und mitsamt den Sanktionen auf den Prüfstand zu stellen. Da bin ich auch gern dabei. Aber weder ich noch die CDU sind grundsätzlich gegen Sanktionen bei fehlender Mitarbeit.
Das, was die LINKEN, die Grünen und auch Teile der SPD für erwerbslose Menschen fordern, entspricht quasi bereits dem bedingungslosen Grundeinkommen. Das lehnen wir entschieden ab, weil wir der festen Überzeugung sind, dass niemandem, ohne eigene Anstrengung oder wenigstens dem Willen zur eigenen Anstrengung, eine solidarische Versorgungsleistung zugestanden werden kann.
Im Dezember haben sich die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen deshalb auch nur für eine Entschärfung und für eine weitere Reduzierung von Sanktionen ausgesprochen, statt deren komplette Abschaffung zu fordern. Das haben die Grünen aber heute anders gemacht.
(Abgeordnete Böschen [SPD]: So ist das manchmal! – Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ja! Wir bewegen uns weiter!)
Da die Sanktionsquote deutschlandweit bei nur rund drei Prozent liegt, in Bremen aktuell sogar darunter, sprechen wir auch nicht über ein Massenphänomen. Von Sanktionen sind demnach gerade einmal drei von 100 Langzeitarbeitslosen betroffen. Bei den unter 25-Jährigen sind es etwas mehr, aber meines Wissens nicht 25 Prozent, Frau Görgü-Philipp. Doch, und das ist die zweite Seite der Medaille, wissen alle, dass es die Sanktionen gibt, und das halten wir grundsätzlich auch für sinnvoll. Denn dadurch können kaum Zweifel daran aufkommen, dass Mitarbeit, Zuverlässigkeit und auch der Wille zur Aufnahme einer Arbeit wichtig sind.
Ich sage aber in jeder dieser Debatten ganz deutlich, so auch heute, dass ich mich von ganzem Herzen gegen willkürliche und ungerechtfertigte Sanktionen ausspreche.
Sanktionen sind mit Augenmaß einzusetzen, doch nach den gesetzlichen Vorgaben regelmäßig dort, wo Leistungsempfänger Regeln unentschuldbar
verletzen. Man kann von Menschen, die nicht arbeiten, nicht krank sind und auch keine anderweitigen Hindernisse vorweisen können, erwarten, dass sie Verabredungen mit dem Jobcenter einhalten oder sich rechtzeitig entschuldigen.
Anfang des Jahres 2017 hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das IAB, die Sinnhaftigkeit von Sanktionen durch seine Forschungsarbeit sogar bestätigt. Die Forscher stellten fest, dass der Nutzen von verhängten Sanktionen weitaus größer sei, als hier und dadurch leider auch entstehende Nachteile. Bereits nach der ersten Leistungskürzung wurde die Suche nach einer Arbeit von vielen Betroffenen viel intensiver betrieben als vorher.
Diese Forschungsarbeit hat sich zwar auf den Kreis der unter 25-Jährigen beschränkt, lässt sich aber mit gewissen Einschränkungen sicher auch auf viele über 25-jährige Hartz-IV-Empfänger übertragen. Selbst Fachleute, wie der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, Sozialdemokrat und ehemaliger Sozialsenator von Hamburg rät strikt von einer Abschaffung der Sanktionen ab. Er sagt ganz überzeugt: Wenn Sie falsch parken, werden Sie auch abgeschleppt.
(Abgeordneter Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Mit Kinderexistenzminimum ist das schon ein toller Vergleich! – Unruhe)
Zum Beispiel: Ist es wirklich sinnvoll, und wenn ja, in welchen Fällen, auch die Kosten für die Unterkunft zu sanktionieren und somit womöglich Obdachlosigkeit zu fördern, statt sie zu verhindern? Inwieweit können Sanktionen eventuell durch Sachleistungen aufgefangen werden? Ist es sicher, dass Sanktionen nur gegenüber Menschen ausgesprochen werden, von denen man das gewünschte Verhalten auch wirklich erwarten kann? Offensichtlich psychisch – –.
(Zuruf Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grü- nen] – Zuruf Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen])
Offensichtlich psychisch völlig überforderte Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine oder noch keine Krankschreibung vorlegen können, sollte man nicht ohne Aussicht auf Erfolg sanktionieren. Eine Frage ist auch, wie man es alleinerziehenden Müttern ermöglichen kann, sich trotz Arbeit angemessen um ihre Kinder zu kümmern, weshalb sie über längere Zeit auch nur Teilzeit oder vielleicht sogar nur im Minijob arbeiten können.
Sanktionen sollten nach meiner Meinung auch möglichst immer nach dem Vier- oder besser sogar Sechs-Augen-Prinzip verhängt werden. Man kann auch prüfen, ob sie in der jetzigen Form, in der sie verhängt werden, mit Blick auf die Länge und auf die Prozente angebracht sind. Man muss auch prüfen und immer wieder hinschauen, ob schärfere Sanktionen bei unter 25-Jährigen auf Dauer mehrheitlich ihr Ziel erreichen.
Ich bin zudem auch der Überzeugung, dass wir noch stärkere Instrumente brauchen, um verstärkt positive Anreize für eine Arbeitsaufnahme zu schaffen. Die Hinzuverdienstgrenze für Hartz-IVBezieher könnte zum Beispiel gleitender gestaltet werden, um das Argument – Mehr arbeiten lohnt sich nicht! – gezielt auszuhebeln. Ich fände auch verstärkte finanzielle Anreize zum Durchhalten für Langzeitarbeitslose, die eine Weiterbildung, Umschulung oder Ausbildung machen, dringend nötig.
Wir sollten aber mit keiner Maßnahme den Abstand zwischen denen, die arbeiten und denen, die nicht arbeiten, noch mehr verkleinern. Wer arbeitet, muss deutlich mehr im Portemonnaie haben als jemand, der nicht arbeitet.
Mit dem neuen Teilhabechancengesetz oder manche sagen auch einfach, sozialem Arbeitsmarkt, hat der Bund mit Beginn dieses Jahres ein Instrument geschaffen, mit dessen Hilfe die Wiedereingliederung von langzeitarbeitslosen Menschen in den ersten Arbeitsmarkt, bis zu fünf Jahre, erheblich gestärkt wird. Arbeitgeber, die jemanden aus der Zielgruppe einstellen, erhalten auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns oder eines gezahlten Tariflohns in den ersten beiden Jahren 100 Prozent
erstattet. Danach wird die Lohnübernahme langsam gesenkt. Im Bundeshaushalt stehen dafür 4 Milliarden Euro für mehr als 100 000 Plätze zur Verfügung. In diesen fünf Jahren wird man erkennen können, wie erfolgreich das Programm ist und sich dann auch Gedanken über eine Fortsetzung machen.