Protokoll der Sitzung vom 08.05.2019

(Beifall SPD)

nämlich Debatten, die das Land in keiner Weise voranbringen und die nur unter der Überschrift gehalten werden: Was ich immer schon einmal sagen wollte, um zu sagen, dass ich der Beste bin und alle anderen alles falsch machen. Das sind Debatten, da bin ich froh, dass ich sie nicht mehr so richtig erleben muss. Die ersten beiden Beiträge, komischerweise von links und von rechts, waren auf einer derart dünnen analytischen Basis, dass es einem schon graut, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Alles in einen Topf bis hin zu den Salafisten und das ist dann die soziale Lage in Bremen. Das kann doch nicht ernsthaft eine Auseinandersetzung sein, mit der man das Land voranbringen will.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will versuchen, die Gelegenheit zu nutzen, jenseits auch einer Fensterrede, die ich wahrscheinlich auch halte, ein paar Punkte zur Analyse beizutragen. In zwei Teilen, erst vielleicht zu den Daten und zum Zweiten vielleicht ein bisschen auch zu dem, was man wirtschafts- und sozialpolitisch und arbeitsmarktpolitisch machen kann.

Erstens, dass Armut und Reichtum ungleich verteilt sind, ist keine Frage. Das ist auch nicht neu. Das hat die WSI-Studie auch nicht erfunden. Sie vergleicht ja auch nur die Lebensbedingungen in Deutschland in den kreisfreien Städten, in den Bundesländern, über das gesamte Land. Das hat Piketty gemacht für die gesamte Welt, das hat der Deutsche Städtetag mehrfach gemacht, das hat die Bertelsmann-Stiftung gemacht. Insofern ist die WSI-Studie ergänzend, und sie ergänzt bisher Bekanntes, und das tut sie nicht schlecht. Wachsende Verteilungsungerechtigkeit ist eine zentrale Frage der heutigen Zeit, ist eine Gefahr für Demokratie und ist auch eine Gefahr für ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklungen, und es ist immer verdienstvoll, wenn man das thematisiert.

Eine gerechte Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum ist im Übrigen keine sozialistische Utopie, sondern Herausforderung an praktische Politik. Steuerpolitik, gerechtere Besteuerung hoher Vermögen, erbschaftsteuergerechte Besteuerung von Erben, gute Löhne und gute Gehälter in flächendeckender Absicherung durch Tarifverträge, daran hapert es. Da haben wir Behandlungsbedarf in der gesamten Bundesrepublik.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir hatten in der letzten Woche diese aufgeregte Debatte über unseren Genossen Kühnert, na ja. Ich finde, dass die Ungleichheit im Lande der größere Aufreger sein sollte als diese Debatte. Das vermisse ich ein bisschen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das einmal vorausgeschickt. Das alles reicht auch nicht zur Analyse, das soll aber auch im Rahmen einer Aktuellen Stunde nicht erfolgen. Es geht im Wesentlichen ja nur um die Profilierung rechtzeitig vor der Wahl. Ich glaube nur, dass die regionale Brille auch mit Blick auf die WSI-Studie nicht ausreicht, um zu Schlüssen und zu Lösungen zu kommen, die auch nur regional begrenzt sind. Das ist auch kein Ausweichen, um vordergründiger Wahlkampfprofilierung zu entgehen, sondern der Versuch, etwas auf die Füße zu stellen, was im Moment auf dem Kopf steht.

Ich plädiere für genaueres Hinsehen, und da passt es nicht, dieses holzschnittartige. Selbst eine Betrachtung der Zahlen passt nicht, dieses holzschnittartige Bremen ist wieder Schlusslicht und Bremerhaven noch mehr auf den Tisch zu legen. Es

geht um das verfügbare Einkommen, Primäreinkommen aus Erwerb und Vermögen plus staatliche Transferleistung abzüglich Steuern und Sozialleistungen bezogen auf die Zahl der Einwohner. Das heißt zum Beispiel, das, was an Wohngeld gezahlt wird, ist im verfügbaren Einkommen enthalten. Deswegen ist die Frage der Mieten schon einmal wieder zu relativieren.

Wir sehen das große Gefälle zwischen München mit 29 685 Euro und Gelsenkirchen mit 16 303 Euro. Das wissen Sie aber auch schon lange, dass München ein absoluter Ausreißer ist. Schauen wir auf die Stadt Bremen, so liegt Bremen nicht am Ende, sondern es liegt genau im Mittelfeld nach Nürnberg, Frankfurt, Köln, Bremen und noch vor Hannover und noch deutlich vor Berlin. Das boomende Berlin, die Schwarmstadt, in die alle wollen, liegt deutlich hinter Bremen.

Aber auch das sagt wenig aus. Denn verglichen werden nicht die Lebenshaltungskosten. Wenn Hamburg 3 000 Euro im Jahr mehr hat, was heißt denn das für die Wohnbedingungen in Hamburg? Ich glaube, die 3 000 Euro im Durchschnitt mehr in Hamburg, die werden gut und gern von höheren Mieten verschlungen, oder irre ich mich da?

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Noch so ein paar Auffälligkeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen: Scherzhaft hatte Kollegin Schaefer schon einen Punkt angesprochen. Starnberg. In Starnberg fällt das Einkommen um 4,7 Prozent. Müssen wir uns jetzt Sorge machen?

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Unbedingt!)

Kürzen sie denen am See dort die Sozialleistung? Ich habe gehört, das liegt ein bisschen vielleicht daran, dass der erwähnte König weggezogen ist, weil er jetzt zu Hause wieder König sein muss und nicht mehr in Starnberg in das Einkommen eingeht. Heilbronn steigt um 34 Prozent. Ich habe mir sagen lassen, die Lidls haben ihren Wohnsitz jetzt in der Stadt Heilbronn.

Wir haben eine Menge Probleme. Warum steigen die Einkommen zum Beispiel in Nordfriesland und Dithmarschen um 30 Prozent? Weil wir genau in dem Zeitpunkt der Bemessung in diesen Regionen eine enorme Ausweitung, zum Beispiel der Windenergie, haben und natürlich für die Landwirte dort

die Erstellung einer Windenergieanlage ein erträgliches Zusatzeinkommen ist und das Einkommen noch einmal deutlich gesteigert werden kann.

Das sind alles Punkte, die man einmal betrachten muss, bevor man einfach sagt: Bremen ist Schlusslicht.

Wenn der Indikator das verfügbare Einkommen pro Haushalt ist, sind Arbeitslosigkeit, Sozialleistungsbezug entscheidende Faktoren für die Stellung einer Region. Das, da haben Sie völlig Recht, Frau Kollegin Vogt, ist ein Problem der Städte. Da steht Bremen nicht allein da. Nur, Sie haben gesagt, die Arbeitnehmereinkommen in Bremen bleiben zurück. Das stimmt nicht. Die Arbeitnehmerkammer hat sehr deutlich herausgearbeitet, dass die Einkommensstatistik in Bremen deutliche Zuwächse zeigt. Wir liegen im Einkommenszuwachs.

(Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: Das ist nur ein In- dustriebereich, in den anderen nicht!)

Nein, nein, nein, nein, nein. Da lesen Sie die Studie der Arbeitnehmerkammer noch einmal genau! Wir liegen in Bremen 100 Euro über dem Bund, 280 Euro über Niedersachsen. War natürlich kein Thema für eine Aktuelle Stunde. Auch das löst die Frage nicht. Auch da lohnt sich ein Blick mehr in die Tiefe. Unser eigentliches Problem in dieser Frage sind zwei Dinge: Einmal verliert die Mitte, sie verliert, wir steigen oben, wir steigen unten, und wir verlieren in der Mitte. Im verarbeitenden Gewerbe sinkt der Anteil der mittleren Einkommen von 69 Prozent in 2000 auf 61 Prozent im Jahr 2012. Gleichzeitig steigt der Anteil der Einkommensstarken von 22 auf 26 Prozent in genau diesen Branchen.

Im Dienstleistungsbereich ist es anders. Da sinkt der Anteil der mittleren Einkommen von 64 auf 55 Prozent, und der Anteil der Einkommensstarken sinkt auch noch einmal. Das zeigt, wir haben Verschiebungen in den Branchen, im Übrigen ausweislich der Statistik am extremsten im Post- und Kurierdienst. Dort vermindern sich die Einkommen um 14 Prozent. Es wird Zeit, dass Hubertus Heil mit seinen Vorschlägen – Kollegin Aulepp hat heute Morgen im Weserkurier darüber geschrieben – durchkommt und dass die Große Koalition endlich diese unsozialen Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich beendet, damit solche Entwicklungen, 14 Prozent weniger innerhalb von 13 Jahren, nicht möglich sind.

(Beifall SPD)

Das gleiche gilt im Übrigen auch für die Pflege. Im Gesundheitsbereich steigen die Einkommen um 3,4 Prozent. Selbst im Einzelhandel steigen sie um 11 Prozent in diesem langen Bemessungszeitraum. Herr Brüderle von der FDP, als Hauptlobbyist des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, BPA, sorgt dafür, dass Tarifverträge in der Pflege nicht allgemeinverbindlich werden und dass die BPA sich überhaupt jeder Tarifverhandlung entzieht. Auch da wäre es gut, wenn man einmal ein bisschen politischen Einfluss nehmen würde.

(Beifall SPD – Zuruf Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP])

Soweit zu den Einkommen in Bremen. Richtig ist: Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle. Wir haben in Verden einen Zuwachs von 9 Prozent, wir haben in Rotenburg einen Zuwachs von 15 Prozent, wir haben in Osterholz-Scharmbeck einen Zuwachs von 8,8 Prozent. Wie ist das zu erklären? Wir haben eine Einpendelquote von 42 Prozent. Die gut verdienenden Menschen in Bremen ziehen ins Umland oder wohnen im Umland oder kommen aus dem Umland.

(Unruhe – Abgeordneter Strohmann [CDU]: Wa- rum wohl?)

Dazu komme ich gleich noch einmal.

(Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Vermutlich we- gen der CDU!)

Nein, nicht unbedingt. So großartig sind Sie jetzt auch nicht, Herr Röwekamp, dass Sie abschrecken, nach Bremen zu ziehen. Das ist in der Tat nicht so. Ein paar Thesen zu Bremerhaven: 4,9 Prozent in der Tat, das muss beachtet werden. Das muss noch einmal genau untersucht werden. Auch hier hilft ein Blick auf die Zahlen. Wenn wir einmal Bremerhaven in den Vergleich der 15 größten Städte aufnehmen und die darin angegebenen Zahlen von 2016 fortschreiben, dann würde Bremerhaven auch in einer vergleichbaren Liga spielen wie andere Städte, die mit einem so enormen Strukturwandel zu tun haben.

Auch da, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Landkreis Cuxhaven, kann mir das jemand erklären, steigen die Einkommen um 14,1 Prozent, während sie in Bremerhaven fallen. Ist die Erklärung auch da vielleicht, dass der eine oder andere aus dem Landkreis Wesermünde nach Bremerhaven hinein

pendelt und dort gut bezahlte Tätigkeiten in Bremerhaven ausübt und abends nach Hause fährt und sein Geld dort hinbringt?

(Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]: Das liegt viel- leicht daran, dass die in Cuxhaven einen Offshore Terminal haben! – Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Die haben das hinbekommen!)

Das sind typische Entwicklungen, die etwas mit einer an der Bundesrepublik von oben bis unten feststellbaren Segregationsbewegung zu tun haben. Der Deutsche Städtetag hat sehr deutlich gesagt, dass die Städte und Regionen, die strukturschwachen, stärker vom Bund gefördert werden müssen, insbesondere mit wirtschaftsnahen, kommunalen Infrastrukturleistungen, dass die Städte mehr Mittel brauchen.

Der Anteil von Menschen, die im SGB II leben, ist in Berlin höher als in ganz Bayern. Diese Zahlen muss man sich einfach einmal vergegenwärtigen, wenn man über das Verhältnis von Stadt und Land redet. Das ist kein Problem von Bremen, Bremerhaven, sondern das ist ein Problem von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, von oben bis unten.

(Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]: Das ist noch lange kein Grund, nichts dagegen zu tun!)

Dem muss man sich widmen. Zu dem, was wir dagegen tun sollten, würde ich, nachdem ich versucht habe, ein paar analytische Daten hier noch einmal aufzugreifen, im zweiten Teil kommen. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich in meiner Rede zweimal entschuldigen, einmal am Anfang und einmal wahrscheinlich mittendrin. Am Anfang möchte ich mich entschuldigen bei der Fraktion DIE LINKE, weil auch ich die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde zum Anlass nehmen möchte, das von Ihnen gewählte Thema in einen etwas größeren Zusammenhang zu stellen. Nicht nur wegen des Wortbeitrages von Herrn Timke, sondern natürlich auch, weil wir zweieinhalb Wochen vor der Wahl stehen und weil oben auf der Besuchertribüne uns eine Gruppe der AfD-Funktionäre in Bremen begleiten, also Entschuldigung dafür!

Die zweite Entschuldigung wird mir wahrscheinlich nachher die Präsidentin aufnötigen.

(Heiterkeit)

Sie können mich jederzeit unterbrechen, vielen Dank!

(Heiterkeit)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor welchem Hintergrund debattieren wir eigentlich heute diese, in der Tat, sage ich einmal, nachdenkenswerte Studie, die sich einreiht in viele Vergleichsuntersuchungen und die natürlich auch geeignet ist, am Ende eine Bilanz zu ziehen über das: Was hat sich eigentlich in den letzten Jahren in Bremen zum Besseren gewandelt und was vielleicht auch nicht?

Bevor wir das im Einzelnen tun und ich meinen Beitrag für die Fraktion der CDU dazu leiste, möchte ich am Anfang vielleicht vorwegschicken, dass wir bei alledem und gerade auch im Vorfeld der uns bewegenden Wahlen für das Europäische Parlament und zur Bremischen Bürgerschaft, zur Stadtverordnetenversammlung, den Ortsbeiräten am 26. Mai eigentlich nicht vergessen dürfen, in welchen glücklichen Umständen wir in Europa, in Deutschland und auch in Bremen und Bremerhaven über alles eigentlich leben.