Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

Weil wir davon überzeugt sind, dass Bildung ein Gut ist, das allen Menschen, egal welcher Herkunft, also auch den Arbeiterkindern,zur Verfügung gestellt werden muss,und weil wir die geistigen und kreativen Potenziale aller Kinder so nötig brauchen, werden wir dieses Gesetz mit allen Mitteln bekämpfen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Das Wort hat Frau Kollegin Sorge für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zuruf: Keine Antwort?)

Es muss nicht geantwortet werden, Herr Kollege Kahl. Sie haben doch gesehen, dass er sich nicht gemeldet hat. – Frau Sorge hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Corts, die Art und Weise, wie Sie Ihre Rede hier vorgetragen haben, fand ich extrem arrogant.

(Zuruf von der SPD: Ja, zynisch!)

Anhand zweier Beispiele will ich ausführen, dass Sie anscheinend von Ihrem eigenen Gesetzentwurf keine Ahnung haben. Er ist nämlich alles andere als sozial ausgewogen.

Herr Corts, die Anerkennung der Härtefälle, von denen Sie immer erzählen und mit denen Sie sich brüsten, sind – mit Ausnahme der sechs Freisemester für Studierende,die Kinder haben – alle den Hochschulen freigestellt. Das heißt, allein die Hochschulen können darüber entscheiden. Im Gesetz gibt es außer den Studierenden, die Kinder haben, keine weiteren Härtefälle als Ausnahmen. Das ist das Erste.

Das Zweite. Sie stellen sich hierhin und führen den Soziologiestudenten an, der dann Taxifahrer wird, oder was weiß ich, und sagen, der müsse nicht zurückzahlen. Sie tun gerade so, als müsste man erst ab der Einkommensgrenze des Chefarztes zurückzahlen. Dazu will ich Ihnen jetzt einen Auszug aus Ihrem Gesetzentwurf vorlesen. Da heißt es:

Dem Darlehensnehmer ist auf Antrag Stundung des Rückzahlungsanspruchs einschließlich der Zinsen zu gewähren, solange sein monatliches Einkommen einen Betrag nach § 18a Abs. 1 Satz 1 bis 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zuzüglich 100 c nicht übersteigt.

Erstens ist diese Einkommensgrenze wirklich wahnsinnig niedrig – ein Taxifahrer in Frankfurt wird die mit Sicherheit erreichen.

Zweitens. Herr Corts, hier steht ganz klipp und klar, dass das Darlehen auf jeden Fall zurückgezahlt werden muss, wenn der Betreffende in späteren Jahren mehr verdient.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der Fischer hat als Taxifahrer auch mehr verdient! Er müsste jetzt zurückzahlen!)

Herr Corts, das ist alles andere als sozial.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ich Ihnen aber auch noch sagen muss:Ich bin ja heute schon mit Ihnen aufgewacht –

(Heiterkeit und allgemeine Zurufe)

bevor ich die „Rundschau“ gelesen hatte, kam es durchs Radio. – Das war nur die Stimme im Radio; so weit ist es jetzt in Frankfurt noch nicht.

(Heiterkeit)

Da sagen Sie, die Studierenden hätten kein Interesse an sachlichen Informationen, sondern sie würden die gesamte Situation künstlich anheizen, weil sie einfach nur protestieren wollten.

Dazu muss ich Ihnen wirklich sagen: Sie haben erstens von der Lebenswelt der Studierenden, zweitens aber auch von der heutigen Studierendengeneration – die sehr wohl ein Interesse daran hat,ihr Studium relativ schnell und ordentlich durchzuführen und nicht nur auf die Straße zu gehen und zu protestieren – überhaupt keine Ahnung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben lange spekuliert, und glücklicherweise haben wir jetzt auch den Entwurf des angekündigten Studiengebührengesetzes auf dem Tisch. Wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass Sie nicht nur der Hessischen Verfassung widersprechen – auch das ist meiner Ansicht nach der Fall –, sondern dass Sie wirklich sozial unausgewogen sind und auch – aber das habe ich hier schon wiederholt vorgetragen – dem Wissenschaftsstandort Hessen schaden.

Denn alle internationalen Studien – das ist auch nichts Neues – sind sich in einem einig: Deutschland braucht mehr Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Das ist eine Frage der volkswirtschaftlichen Vernunft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ein Land, dessen alleinige Ressource aus gut ausgebildeten Menschen besteht, kann sich nicht weiter so geringe Studierendenzahlen leisten. Bei allen vergleichbaren europäischen Wirtschaftsnationen hat sich das Bildungsniveau in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, sodass mehr junge Menschen einen Hochschulabschluss erlangen konnten. Aber nicht so in Deutschland. Hier stagniert das Bildungsniveau oder geht sogar zurück. Das ist ein Alarmsignal, wie zumindest ich finde.

Wie ist Ihre Antwort auf das meiner Ansicht nach in der Bundesrepublik Deutschland drängendste Problem? Gucken wir es uns an: allgemeine Studiengebühren. Damit werden Sie es nicht schaffen, die Studierendenzahlen zu steigern. Im Gegenteil, die Studiengebühren werden Abiturientinnen und Abiturienten von einem Studium abhalten. Herr Corts, Sie verspielen damit leichtfertig die Zukunfts- und Innovationskraft unseres Landes – nicht nur die der Studierenden, sondern unseres gesamten Landes. Anstatt bei den Studierenden abzukassieren, wäre eine deutliche Erhöhung der Ausgaben in Sachen Bildung geboten, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Corts, Sie schreiben und sagen immer wieder, dass nur durch Studiengebühren eine erhebliche Steigerung der Qualität der Lehre möglich wäre. Ich muss sagen: Es ist ein Armutszeugnis, wenn Sie sich als Wissenschaftsminister selbst quasi eine Bankrotterklärung für Ihren Gestaltungswillen ausstellen. Wer es politisch will, der kann eine deutliche Verbesserung der Studienbedingungen an den Hochschulen erreichen,ohne den Studierenden in die Tasche zu greifen. Anstatt sinnlose Projekte, wie beispielsweise den Ausbau des Flugplatzes Kassel-Calden, voranzubringen,

(Michael Boddenberg (CDU):Ach,jetzt kommt die Nummer!)

sollten wir besser in die Köpfe unserer Kinder und Jugendlichen investieren, denn das sind Investitionen, die sich lohnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Corts,Sie betonen auch immer wieder,dass Ihre Studiengebühren angeblich verfassungskonform seien, da sie sozial verträglich seien.Wenn ich mir jedoch die Regelungen Ihres Gesetzentwurfes anschaue, muss ich feststellen,

dass wir wohl grundverschiedene Ansichten von sozialer Verträglichkeit haben. Sie behaupten, dass niemand von einem Studium abgehalten wird, und verweisen gönnerhaft auf die Studienkredite der Landestreuhandstelle.Genau hier liegt der Hund begraben. Denn die Studienkredite, die Sie hier als sozialpolitische Großtat anpreisen, sind weder sozial, noch werden sie den Bedürfnissen der Studierenden gerecht. Während nämlich Studierende aus wohlhabenden Elternhäusern die Studiengebühren sofort begleichen können, stehen Absolventinnen und Absolventen aus ärmeren Elternhäusern nach ihrem Studium einem riesigen Schuldenberg gegenüber.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): So ist es!)

Sie müssen zusätzlich zu den Gebühren eine Zinslast von bis zu 7,5 % tragen. Sie setzen damit weiter auf eine Politik nach dem Motto: Den Reichen wird gegeben, und den Armen wird genommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Michael Bodden- berg (CDU): Mann, Mann, Mann! – Norbert Schmitt (SPD): Das ist die Wirklichkeit!)

Meine Damen und Herren, diese Studiengebühren werden vor allem junge Leute aus sozial schwachen Familien von einem Studium abhalten.Das ist eine Art von sozialer Selektion, die wir so nicht hinnehmen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe es eben schon einmal gesagt, ich sage es noch einmal: Der Gesetzentwurf zeigt auch ganz deutlich, dass Sie von der Lebenswelt der Studierenden in Hessen keine Ahnung haben.

(Lachen bei der CDU)

Ein Studierender in Frankfurt braucht für seinen Lebensunterhalt beispielsweise etwa 800 c im Monat.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Damit gehört Frankfurt zu einem der teuersten Studienstandorte in Deutschland.Zwei Drittel aller Studierenden müssen nebenher jobben, um sich ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Denn BAföG bekommen nur wenige. Nur 44 % der BAföG-Bezieherinnen und -Bezieher, also derjenigen, die BAföG bekommen, bekommen den Höchstsatz von 585 c, was ohnehin weniger ist als die 800 c, die man in Frankfurt braucht. Mehr als die Hälfte der BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger werden mit weit weniger als dem Höchstsatz unterstützt. Das heißt, sie müssen ebenfalls nebenher noch jobben gehen. Herr Corts, dies sind die sozialen Realitäten von Studierenden in Hessen. Wie sie dann noch zusätzlich das Geld für die geplanten Studiengebühren finanzieren sollen, frage ich mich wirklich.

Der Gipfel des Unsozialen ist aber die Regelung,dass Studierende von außerhalb der EU künftig bis zu 1.500 c pro Semester zahlen müssen. Die Vereinigung der türkischen Studierendenverbände hat dies mit Recht als diskriminierend bezeichnet. Studierenden aus ärmeren Ländern wird damit der Hochschulzugang versperrt. Gerade die Gebührenfreiheit war ein hervorragender Standortvorteil,

der Studierende aus ärmeren Ländern dazu brachte, in Hessen ein Studium aufzunehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zudem ist die Qualifizierung von Fachkräften aus Ländern der Dritten Welt bisher einer der Schwerpunkte der hessischen Entwicklungshilfe gewesen. Auch hier stellt sich die Frage, ob das nicht kontraproduktiv für Ihre eigene Politik ist.