Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis ist umso dramatischer, weil die Gesundheitsreform die Messlatte der großen Koalition war.Wir müssen feststellen:Diese Messlatte ist gerissen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben es wieder nicht geschafft, die Lohnnebenkosten zu senken. Im Gegenteil, im nächsten Jahr werden die Beiträge 15 % der Bruttolohnkosten erreichen. Das ist einzigartig in der deutschen Geschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Die privaten Krankenversicherungen mit ihrem Privileg der Versicherung junger gesunder Männer ohne Kinder werden nicht in die Solidargemeinschaft geholt, sondern

weiter in ihrer Existenz gestärkt. Zwischen den Kassenärzten und Kliniken wird es nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb geben, und – die absolute Härte – statt Bürokratieabbau schaffen Sie eine neue Behörde, eine Einheitskasse, den so genannten Gesundheitsfonds. Meine Damen und Herren, das darf doch wohl nicht mehr wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wir haben hier die Exponenten der Kopfpauschale,Herrn Koch, und Frau Lautenschläger, und der Bürgerversicherung. Was am Ende herauskommt, ist ein Konstrukt, das die Nachteile aus beiden Systemen zusammenfasst, nur damit die beiden großen Parteien ihr Gesicht nicht verlieren. Geschröpft wird dafür der Versicherte in diesem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben eine völlig absurde Finanzierungsweise erhalten. Der Patient zahlt jetzt in den Gesundheitsfonds. Der Gesundheitsfonds zahlt in die Kasse. Die Kasse zahlt in die Kassenärztliche Vereinigung. Die Kassenärztliche Vereinigung, wenn sie nicht die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ist, zahlt an den Arzt. Das nennen Sie Transparenz und Wettbewerb. Meine Damen und Herren, das darf doch alles nicht mehr wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Zum Sieg der Lobbyisten lassen Sie mich ein Beispiel aus Hessen nennen. Außer den Kassenärztlichen Vereinigungen selbst glaubt nämlich keiner mehr, dass sie eine weitere Existenzberechtigung haben. Aber statt die Kassenärztlichen Vereinigungen abzuschaffen, werden sie in ihren Kompetenzen gestärkt, erhalten zusätzlich die Qualitätssicherung und sollen als Dienstleister für ihre Mitglieder auftreten.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Kassenärztliche Vereinigung Hessen angucken. Die KV Hessen ist bereits jetzt mit ihren Aufgaben überfordert. Diese Landesregierung ist nicht in der Lage,dafür zu sorgen,dass sie ihren Aufgaben nachkommt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Hauptaufgabe ist die Honorarverteilung. Das ist wirklich die Hauptaufgabe. Man fragt sich, wozu sie sonst noch gut ist.Aber das ist ihre Hauptaufgabe.Vor wenigen Wochen hat Staatssekretär Krämer im Sozialpolitischen Ausschuss gesagt: Seit dem zweiten Quartal 2005 ist die Kassenärztliche Vereinigung Hessen nicht in der Lage,die Honorare an die Ärzte auszuzahlen. – In einer solchen Situation wird in der großen Koalition in Berlin die Kassenärztliche Vereinigung mit zusätzlichen Aufgaben betraut. Dass darf doch bitte schön nicht wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, die gerade weiter gestärkt wird, weigert sich, den Sicherstellungsauftrag in der ambulanten Versorgung überhaupt anzugehen.Wir haben eine Überversorgung in den Ballungsgebieten und eine Unterversorgung im ländlichen Raum. Das wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen weigert sich, sich mit diesem Thema zu befassen, und die Landesregierung ist nicht in der Lage, sie zu zwingen, den Sicherstellungsauftrag durchzu

führen. Meine Damen und Herren, das darf doch alles nicht mehr wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Denzin (FDP))

Die Kassenärztliche Vereinigung stellt sich in einer Sendung im „Stadtgespräch“ im Hessischen Rundfunk hin und beleidigt den Staatsanwalt, der in Hessen damit befasst ist, die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen.Was passiert? Diese Landesregierung geht nicht einmal hin, um diesen Staatsanwalt vor den Angriffen der Kassenärztlichen Vereinigung in Schutz zu nehmen. Meine Damen und Herren, das darf doch alles nicht mehr wahr sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die große Koalition hat mit der Gesundheitsreform ihre Legitimation infrage gestellt. Wir brauchen auch für die Wählerinnen und Wähler rational nachvollziehbare Reformschritte. Dazu gehört eine Bürgerversicherung, in die alle Bürger einzahlen, damit der Patient weiß, dass das System als solches gerecht ist. Das ist es im Moment nicht,durch diese Reform erst recht nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen transparente Leistungsangebote, damit jeder Patient weiß, was ihm zusteht.Auch das ist im Moment nicht der Fall, und das wird auch mit dieser Reform nicht der Fall sein.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum letzten Satz. – Die Qualität der Leistungen muss für die Patientinnen und Patienten nachvollziehbar sein. Meine Damen und Herren, davon sind wir jetzt weiter entfernt als jemals zuvor. Es ist wirklich ein Skandal, was Sie uns als große Koalition geboten haben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank.– Das Wort hat der Kollege Florian Rentsch, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schulz-Asche, ich teile zwar in vielen Punkten Ihre Kritik an dem „Reformwerk“, wenn man das so sagen darf – Reformwerk ist vielleicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt –, bei dem, was die große Koalition vorgelegt hat.Aber ob Sie mit Ihrem Modell unbürokratischer und effizienter wären und mehr Wettbewerb in das System gebracht hätten, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, die Gesundheitspolitik bleibt ein Risikofaktor. Die große Koalition ist in der Gesundheitspolitik an ihre Grenzen gestoßen. SPD und Union

sind an ihrem Vorhaben gescheitert,die unterschiedlichen Positionen zu einem überzeugenden und langfristig tragfähigen Finanzkonzept der Krankenversicherung zusammenzuführen. Die beiden wichtigsten Ziele der Reform – Sicherung der Finanzierung der Gesundheitskosten einer alternden Gesellschaft auf der einen Seite und die Entlastung des Arbeitsmarktes auf der anderen Seite – werden nicht erreicht. „FAZ“ am 04.07.2006:

Das ist der maximale Einstieg in einen nationalen Gesundheitsdienst, bei dem der Gesetzgeber selbst die Leistungsbeschreibung, Gebühren und Beitragsskala festlegen will. Der Einfluss des Staates auf das Gesundheitssystem wird an diesem und an vielen anderen Beispielen noch tief greifender sein als bisher und die Entmündigung der Versicherten und ihrer Behandler noch größer.

Dr. Jürgen Weitkamp,Vorsitzender der Bundeszahnärztekammer.

Meine Damen und Herren, das Paket von Zitaten und Kommentierungen zu diesem Gesundheitswerk ist so umfassend auf allen Seiten, bis hin zu den gesetzlichen Krankenkassen, dass man nicht von einem großen Wurf sprechen kann. Das Schlimme ist, das viele in diesem Raum – Frau Ministerin, da kann ich Sie nicht aussparen – genau wissen, dass dieses Reformwerk den Namen „Reform“ nicht verdient.

(Beifall bei der FDP)

Es ist ein Rückschritt, was Sie hier vorgelegt haben. Das Schlimme ist – das sage ich auch als Bürger in diesem Land –, dass sich die CDU mit ihren Forderungen, mit denen sie in den Wahlkampf gegangen ist, an fast keiner Stelle durchgesetzt hat.

(Zuruf der Abg.Andrea Ypsilanti (SPD))

Ich frage mich, was die Wählerinnen und Wähler, die die CDU in Deutschland gewählt haben

(Michael Denzin (FDP): Dabei gedacht haben!)

Kollege Denzin –, dabei gedacht haben. Das ist die erste Frage.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Vielleicht haben sie sich dabei gedacht, dass die CDU das, was sie in ihrem Wahlprogramm stehen hat, umsetzt. Das war vielleicht die einzige Hoffnung, die sie hatten. Aber bei dieser einzigen Hoffnung sind sie auch noch enttäuscht worden.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Was haben Sie von Ihrem Planprogramm denn umgesetzt?)

Herr Kollege Boddenberg, diese große Koalition hat in trauter Zweisamkeit eine Gesundheitssystematik auf den Weg gebracht, die zweierlei erreichen wird: Erstens. Sie wird die Gebühren und Steuern deutlich erhöhen. Zum 01.01.2007 steigt nicht nur die Mehrwertsteuer, sondern auch die Rentenversicherung und der Krankenkassenbeitrag, dieser um mindestens 0,5 bis 0,8 Prozentpunkte. Das ist die größte Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge, die wir in diesem Lande je hatten. – Zweitens. Die Lohnzusatzkosten werden steigen, sodass die Arbeitnehmer noch mehr belastet werden. Es war Ihr Ziel – gemeinsam mit uns –,die Lohnzusatzkosten herunterzufahren.Haben Sie das geschafft? – Nein.

(Beifall bei der FDP – Michael Boddenberg (CDU): Richtig! Wo seid ihr denn? Wo ist die FDP? – Jörg-Uwe Hahn (FDP), an Michael Boddenberg (CDU) gewandt: Ihr habt doch geschwächelt!)

Herr Kollege Boddenberg, die Kollegen sitzen hier.Wir sind präsent. Die Frage ist, wo Sie in der Diskussion waren.– Man muss weiterhin klar feststellen,dass Sie mit der neuen Systematik keinerlei Wettbewerb in das System gebracht haben. Denn auch das war ein Ziel: der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Institutionen.

Frau Kollegin Schulz-Asche, da bin ich nicht bei Ihnen. Was dieses System angeht, haben wir eine andere Auffassung. Es ist aber klar, dass die gesetzliche Krankenversicherung mehr kann, als sozusagen einen Einheitstarif anzubieten, der überall gleich sein soll, der keinerlei Möglichkeiten hat, für die Bedürfnisse der Versicherten unterschiedliche Tarife anzubieten.Was Sie machen,ist letztlich der Weg in die Einheitsversicherung. Herr Kollege Boddenberg, was Sie vorgeschlagen haben, ist doch genau der Weg, zu sagen: Wir brauchen in Deutschland nur noch eine Krankenversicherung. – Dann machen Sie das doch auch.

(Beifall bei der FDP)

Tarnen Sie dieses Modell à la DDR

(Norbert Schmitt (SPD):A la DDR, Florian!)