Protokoll der Sitzung vom 13.07.2006

Aber wie alle Rechtspolitiker in diesem Hause wissen, ist die unzumutbare Arbeitsbelastung bei den Staats- und Amtsanwaltschaften ein Dauerbrennerthema. Die Gewerkschaften ver.di, NRV und Deutscher Richterbund machen regelmäßig auf diese Arbeitssituation aufmerksam. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf den letzten Brandbrief aus diesem Kreis vom März des vergangenen Jahres hinweisen.

Das zeigt sich natürlich auch an den Zahlen.Bis 2007/2008 werden bei der Staatsanwaltschaft hier in Hessen 89 Stellen abgebaut,davon 19 Staatsanwaltsstellen,rund 7 % des Personals. Hinzu kommt, dass grundsätzlich kein neues Personal eingestellt wird.

Das erkennt man auch an den Daten der Arbeitsbelastung. Mittlerweile liegt sie bei den Staatsanwälten bei durchschnittlich 135 %. Bei der Amtsanwaltschaft ist sie sogar noch höher, nämlich durchschnittlich 163 %.

Damit korrespondiert nun ein Anstieg der Eingangszahlen. Ich möchte hier die Daten des Ministers nehmen, die wir dieser Hochglanzbroschüre „Moderne Justiz 2004“ entnehmen können. Hatten wir im Jahr 1999 mit 358,5 Staatsanwaltschaftsstellen etwa 300.000 Verfahren zu bearbeiten, so waren es im Jahr 2004 nur noch 354,8 Staatsanwaltschaftsstellen – also weniger –, die gleichzeitig mehr Verfahren, nämlich nach dieser Broschüre, Zahlen Ihres Hauses, Herr Banzer, 350.000 Verfahren bearbeiten mussten.

Herr Banzer, ich kann Ihnen nur sagen, den Staatsanwaltschaften in Hessen steht in der Tat das Wasser bis zum Hals. Diese hohe Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften, die jeder von seinen Besuchen kennen müsste, gefährdet – ich benutze hier bewusst einen weichen Begriff – eine effektive Strafverfolgung in unserem Land. Da reicht es auch nicht, wenn die Landesregierung gebetsmühlenhaft auf die Arbeitszeitverlängerung hinweist, denn die hat keine zusätzlichen Kapazitäten gebracht.

(Axel Wintermeyer (CDU):Haben Sie eben von einer Arbeitszeitverlängerung gesprochen?)

Wir haben dort bereits ein an sich hohes Arbeitslevel von 50 bis 60 Wochenstunden gehabt.

Die Modernisierung der Justiz, die keiner in diesem Hause kritisiert, führt zu einer Arbeitserleichterung, nicht aber zu einer Arbeitsentlastung. Ganz klar muss man natürlich auch sagen, dass die Kriminalitätsentwicklung zugenommen hat. Ich möchte beispielsweise an die Computerkriminalität erinnern, an betrügerische Verfahren bei eBay. Einzelne Deliktstypen sind schwieriger zu verfolgen, und deshalb haben beispielsweise Verwaltungsarbeiten zugenommen. Ich möchte auch an das Berichtswesen erinnern. Aber auch bestimmte Aufgaben haben zugenommen, beispielsweise DNA-Analysen; oder ich erinnere an die Vollstreckungen.

Deshalb wollen wir als SPD-Fraktion hier in Hessen eine effektive Strafverfolgung sicherstellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Es wird auch Zeit, dass Sie sich uns einmal anschließen!)

Wir wollen, dass auch bei einer angespannten Haushaltslage gerade bei den Staatsanwaltschaften die bestehenden PVS-Vermerke gestrichen werden, damit es dort zu einer personellen Entlastung kommt. Denn wir müssen die Strafverfolgungsbehörden in Hessen stärken, statt sie zu schwächen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein paar wenige Anmerkungen zu dem – das ist jetzt ironisch gemeint – „wegweisenden“ FDP-Zusatzantrag sagen. Er schlägt vor, die internen Arbeitsabläufe zu optimieren. – Meine Damen und Herren, Sie können doch davon ausgehen, dass jeder Behördenleiter und natürlich auch das zugehörige Personal stets darauf achtet, dass die internen Arbeitsabläufe und Strukturen optimiert werden. Davon müssen wir in diesem Hause ausgehen.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Zu Ihrem Vorschlag, mehr Sonderdezernate zu schaffen: Schauen Sie sich beispielsweise die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main an. Dort sind von 18 Dezernaten bereits heute schon 13 Sonderdezernate.

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Ich komme gleich zum Schluss.

Auch der letzte Aspekt, das Lieblingskind der FDP – eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftssachen –, würde natürlich, selbst wenn man sie einführen würde, nicht zu einer nennenswerten Entlastung der Staatsanwaltschaften führen,

(Nicola Beer (FDP): Natürlich, aber sicher, Frau Kollegin!)

sondern nur in einem bestimmten Bereich.

Deswegen fordere ich Sie auf, unserem Antrag zur Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung hier in Hessen Ihre Zustimmung zu erteilen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Nicola Beer (FDP): Das wird wohl nichts!)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgens, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Staatsanwaltschaft ist insgesamt mit zunehmenden Fallzahlen belastet. Ich glaube, diese Tatsache ist in diesem Hause unbestritten.

Der Innenminister erzählt uns immer wieder – und lobt sich dafür selbst –, dass die Aufklärungsquote laut Kriminalitätsstatistik steigt. Gleichzeitig aber fallen bei der Staatsanwaltschaft weiter Stellen weg. Meine Damen und Herren, das passt nicht zusammen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir alle ein Interesse daran haben, dass nach der Aufklärung einer Straftat durch die Polizei die Straftat auch verfolgt, der Täter vor Gericht gestellt und verurteilt wird, dann ist Personalabbau bei den Staatsanwaltschaften und den Gerichten nicht zu vertreten.

Sie haben es ja mitbekommen: Erst in der letzten Woche hat der Präsident des Landgerichts Frankfurt in einer

Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass bei seinen Strafkammern seit dem Jahr 2002 die Eingangszahlen um 52 % gestiegen sind. Natürlich steht hinter jeder dieser Anklage – die bei den Strafkammern in der Regel sehr umfangreiche Ermittlungstätigkeiten und Schreibarbeiten erfordern – immer ein Staatsanwalt. Auch in der Hauptverhandlung muss ein Staatsanwalt sitzen. Sie aber wollen bei zunehmender Arbeit Stellen zurückfahren. Das wird nicht hinhauen. Das kann nicht klappen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU-Landtagsfraktion hat im letzten Jahr bei den Haushaltsberatungen aus guten Gründen bei der Arbeitsgerichtsbarkeit und bei der Sozialgerichtsbarkeit zusätzliche Stellen beschlossen. Nun haben wir eigentlich – ich sage: aus guten Gründen; denn die Eingangszahlen sind evident gestiegen – die gleiche Situation natürlich auch bei den Staatsanwaltschaften. Die Arbeitsbelastung ist dort mindestens so hoch. Frau Hofmann hat darauf zutreffend hingewiesen. Deswegen ist es völlig unverständlich, dass dort nicht nur keine zusätzlichen Stellen geschaffen,sondern weitere Stellen abgebaut werden sollen.

Der Justizminister hat ebenfalls erst in der letzten Woche zu Recht darauf hingewiesen, dass die Arbeit der Eingreifreserve beim Generalstaatsanwalt sehr erfolgreich läuft. In der gleichen Presseerklärung hat er erklärt – das hat mich noch sehr gewundert –, dass die Eingreifreserve personell verstärkt werden soll. Bei dem derzeit bestehenden Personaltableau aber wird es nicht so sein, dass für die Eingreifreserve neue Staatsanwälte eingestellt werden, sondern es wird so sein, dass Stellen von anderen Dienststellen abgezogen werden, um die Eingreifreserve zu verstärken.Aber die Eingreifreserve ist natürlich nicht dazu da, die Personalnot bei den anderen Dienststellen zu entschärfen, sondern um ihre eigene Arbeit zu erledigen, und dieses Personal fehlt dann an anderer Stelle.Das aber ergibt überhaupt keinen Sinn.Sie verschärfen nur die Personalnot, wenn Sie das so machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst kürzlich hat uns die CDU-Fraktion als Ergebnis ihrer vorgezogenen Haushaltsklausur mitgeteilt,

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Wieso vorgezogen?)

dass sie zusätzliche Mittel für die Polizei, die Strafkammern und für die Vollzugsanstalten einstellen will. Das verkaufen Sie dann als eine Verbesserung der Strafverfolgung. Das bedeutet aber, die Verhältnisse von den Füßen auf den Kopf zu stellen – wenn Sie die Behörde,die für die eigentliche Strafverfolgung zuständig ist, nämlich die Staatsanwaltschaft, bei dieser Überlegung außen vor lassen.

Die Polizei kann so viel ermitteln, wie sie will. Wenn der Staatsanwalt nicht anklagt, kommt nichts zu Gericht. Das Gericht kann nur entscheiden, was die Staatsanwaltschaft angeklagt hat. Und die Justizvollzugsanstalten können nur vollstrecken, was die Staatsanwälte zuvor angeklagt, die Gerichte ausgeurteilt und die Staatsanwälte letztlich zur Vollstreckung gebracht haben. Das heißt, die Staatsanwaltschaft ist die entscheidende Behörde für die Intensivierung der Strafverfolgung.Wenn Sie die außen vor lassen – alle anderen stärken, die aber reduzieren –, dann ist das in der Tat nicht eine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der Strafverfolgung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heike Hofmann (SPD))

Wenn Sie die Belastung der Staatsanwaltschaft nicht auf ein vertretbares Maß herunterbringen, dann bekämpfen Sie die Kriminalität nicht wirkungsvoll, sondern Sie kapitulieren vor ihr. Das ist doch das Ergebnis.

Es ist inzwischen offenkundig, und wir haben teilweise auch – Frau Hofmann hat die Berichte in der Öffentlichkeit erwähnt – immer wieder Hinweise darauf, dass die Staatsanwaltschaften durch die Personalnot zwischenzeitlich oft nicht mehr in der Lage sind, überhaupt ausreichend Ermittlungen durchzuführen. Sozusagen günstigstenfalls führt das dazu, dass die Gerichte das im Zwischen- oder im Hauptverfahren nachholen müssen. Aber das belastet dann natürlich die Gerichte und führt zu einer Verlängerung der Verfahrensdauern. Schlimmstenfalls führt das dazu, dass Beweise überhaupt nicht mehr erhoben werden können,sondern verloren gehen,und dadurch Täter nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können – nur deswegen, weil eine angemessene Personalausstattung der Staatsanwaltschaften nicht gewährleistet ist.

Aus unserer Sicht ergibt es keinen Sinn, darüber erst zu reden, wenn Täter aus der U-Haft entlassen werden müssen, weil Ermittlungsverfahren zu lange dauern, sondern jetzt, in der gegenwärtigen Situation, müssen Sie dafür sorgen, dass eine angemessene Ausstattung der Staatsanwaltschaften erfolgt.

Der Antrag der FDP hat in seinem ersten Teil in der Tat – das sehe ich ähnlich wie Frau Hofmann – einen Hauptmangel. Sie wollen die unzumutbare personelle Situation erhalten und verweisen nur auf irgendwelche Binnenoptimierungen.

Aber in der Tat ist es eine Binsenweisheit, dass interne Strukturen und Arbeitsabläufe ständig überprüft und möglichst verbessert werden müssen. Allerdings geht auch hier der Weg der Landesregierung eher in die andere Richtung.

Ich darf noch einmal an den offenen Brief des Deutschen Richterbundes, der Neuen Richtervereinigung und ver.di vom März 2005 erinnern. Darin wurde geschildert, dass Staatsanwälte wegen fehlenden Personals inzwischen selbst ihre Akten transportieren, Post bearbeiten, Unterlagen verteilen müssen usw.Natürlich kann kein Staatsanwalt, der Post verteilt, ermitteln, und wer am Kopierer steht, kann keine Anklageschrift absetzen. Also, da ist noch viel an Binnenoptimierung möglich, aber vor allem muss die Landesregierung ihrer Verantwortung gerecht werden und die Staatsanwaltschaften personell angemessen ausstatten. Alles andere ist zweitrangig und wird sich sicherlich finden.Das ist aber die Notwendigkeit,und deswegen stimmen wir dem Antrag der SPD zu. – Danke schön.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Das Wort hat nun Frau Kollegin Beer für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsanwaltschaften sind insgesamt betrachtet besonders belastet. Da besteht überhaupt keine Frage. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das hat die PEBB§Y-Studie ein

deutig belegt, und deswegen ist es richtig, dass wir hierauf ein besonderes Augenmerk richten.

Anders allerdings als die Kolleginnen und Kollegen, die gerade eben gesprochen haben, ist die FDP-Fraktion nicht der Meinung, dass die Staatsanwaltschaften wie die Justiz generell grundsätzlich von notwendigen Sparanstrengungen auszunehmen sind.

Allerdings, Herr Minister, gibt es einen verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gewährleistung einer wirksamen Strafrechtspflege. Es handelt sich hierbei nicht nur um ein Gebot der Gerechtigkeit.Vielmehr sind wir auch den Opfern schuldig, dass Strafrechtspflege auf einem hohen qualitativen Standard stattfindet. Und da kommen wir langsam in eine brenzlige Situation.

Wir kommen aufgrund der Belastung, die wir bei den Staatsanwaltschaften vorfinden, dahin, dass die Qualität der Arbeit der Staatsanwälte – nicht etwa, weil sie diese Qualität nicht leisten könnten, sondern weil sie einfach überbelastet sind – zu leiden anfängt. Das betrifft, wie uns berichtet wird – Frau Hofmann, wir reden, bevor wir solche Anträge schreiben, mit den entsprechenden Institutionen und nehmen das nicht nur aus irgendwelchen Pressemitteilungen –,

(Heike Hofmann (SPD):Wir auch!)