Protokoll der Sitzung vom 10.07.2003

Denn auch Sie sind so locker darüber hinweggegangen. Aber die Haushaltssperre minimiert nicht nur die soziale Infrastruktur dieser Gesellschaft, sie ruiniert sie sogar.

(Michael Boddenberg (CDU):Was wollen Sie denn jetzt? – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geht an die Strukturen!)

Dies gilt zumindest für wichtige Teile. Herr Kollege Boddenberg, es bleibt zu fragen, ob das nicht Ihre Absicht ist.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sollen wir jetzt sparen, oder sollen wir nicht sparen?)

Ich werde Ihnen das erläutern. Sie erklären immer, Subsidiarität und ehrenamtliches Engagement seien ganz besonders wichtig. Mit „Sie“ meine ich jetzt die Vertreter der CDU und die Mitglieder der Landesregierung. Wenn eine Aufgabe von einem Träger mit viel ehrenamtlichen Engagement übernommen wird, anstatt dass sie durch staatliches Personal erledigt wird, dann wird das von Ihnen positiv gewürdigt.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ja!)

Aus unserer Sicht wird dies übrigens auch positiv bewertet.Was bewirkt jetzt eine Haushaltssperre in diesem Fall? Sie trifft den Träger unmittelbar und sofort. Seine Finanzierung bricht augenblicklich zusammen. Denn selbstverständlich erwartet er dafür, dass er seine Arbeit macht, Zuwendungen. Diese Zuwendungen decken, wie wir wissen, selten 100 % der Kosten. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn die Arbeit von Bediensteten des Landes gemacht würden, wäre das selbstverständlich von der Haushaltssperre ausgenommen.

In einer Sitzung des Haushaltsausschusses ist dann obendrein Folgendes geschehen. Der Finanzminister hat dort erklärt, die Träger müssten die Haushaltssperre halt mit eigenen Mitteln überbrücken. Er ignoriert dabei nicht nur seine eigenen Bewilligungsvorschriften. Die verbieten es nämlich, dass ein Träger Rücklagen bilden darf. In unseren Augen ist das zudem auch noch extrem zynisch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist genau das Problem. Erstens. Aus der Erfahrung heraus wissen wir, dass man mit der Haushaltssperre am Ende kein Geld einsammelt. Zweitens macht man aber gerade das, was besonders effektiv ist, damit kaputt. Man ruiniert es. Wenn es dann erst einmal hin ist, bekommt man es auch nicht wieder zum Leben.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, stand auch Rot-Grün vor diesem Problem. Deswegen gab es damals das Sozialbudget. Mit diesem wurde Existenz- und Planungssicherheit für bestimmte ausgewählte Bereiche gerade der sozialen Infrastruktur auch bei schwieriger Haushaltslage gewährleistet. Man wollte nämlich nicht so unfair sein, den Trägern Aufgaben zu überantworten, die eigentlich die Gesellschaft erledigen muss, und ihnen dann auch noch sagen: „Das finanzielle Risiko musst du aber allein übernehmen“, obwohl man dafür überhaupt keine Reserven aufgebaut hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Kollege Boddenberg, daran sieht man wieder einmal, dass sich auch die Haushaltspolitik in kleinen Punkten auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Es nützt doch nichts, wenn Herr Koch und andere Mitglieder der Regierung in Sonntagsreden die Bedeutung des Ehrenamtes beschwören, aber im Alltag die Funktion des Ehrenamtes durch Haushaltssperren ausgetrocknet wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): 100.000 Stunden Unterricht haben Sie ausfallen lassen!)

Meine Damen und Herren, ich möchte dabei noch einmal betonen: Solche Haushaltssperren bringen am Ende keinen relevanten Gewinn für den Haushalt.

(Frank Gotthardt (CDU): Sollen wir es also lassen?)

Das Vorlegen eines Nachtraghaushaltsgesetzentwurfs verweigern Sie. Das wird von uns seit Mai 2003 gefordert. Denn Sie wollen das Parlament bei dem Treffen der Entscheidungen zur Bewältigung der Haushaltskrise aussperren. Wir haben gerade gehört, dass selbst ihr ehemaliger Partner in der Regierung darauf verweist – es ist noch nicht so lange her, dass er es war –, dass man dies gemeinsam machen muss und dass die Verantwortung, die der Haushaltsgesetzgeber Landtag dabei hat, von Ihnen nicht so ignoriert werden darf. Dies gilt insbesondere, weil wir uns zur Bewältigung der Haushaltssituation zumindest darum bemühen müssen, Ausgaben und Einnahmen in Ausgleich zu bringen. Ein solches Bemühen ist bei Ihnen überhaupt nicht zu erkennen. Das Parlament wollen Sie nicht mit dabeihaben. Es gibt auch keine Aussagen darüber, was die Landesregierung vorhat. Daraus wird deutlich, dass dies offensichtlich nur geschieht, um zu verschleiern, was Ihre wahren Absichten sind.

Auch an dieser Stelle werden die Maximen der Haushaltswirtschaft des Herrn Weimar deutlich: windig, wirr und unüberlegt. Deshalb ist der Inhalt des Dringlichen Entschließungsantrags der Fraktion der SPD, Drucks. 16/338, auch völlig richtig. Der Dringliche Entschließungsantrag beschreibt die wahre Situation. Wir geben uns aber keinen Illusionen hin.Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, am Ende werden Sie mit Ihrer Mehrheit wieder gegen die Feststellung der Wahrheit stimmen.

Wie die SPD-Fraktion trauen wir es dem Finanzminister ebenso wenig zu, mit unserem Haushalt in näherer Zukunft wirtschaften zu können. Das ist leider die traurige Erfahrung. Deshalb ist der nachfolgend beschriebene Ansatz vom Prinzip her genau der richtige. Er ist auch notwendig. Das Parlament sollte selbst initiativ werden und eingreifen. Es sollte Eckdaten für die Aufstellung des Haushaltsgesetzentwurfs vorgeben. Denn die gestrigen Bemerkungen des Ministerpräsidenten können nun wahrlich nicht die Erwartung nähren,dass nunmehr plötzlich Solidität in die hessische Haushaltswirtschaft Einkehr halten werde. Herr Kollege Milde, Sie haben darauf Bezug genommen. Sie meinten, dies hier darstellen zu müssen. Die Einmischung des Herrn Koch in die Finanzpolitik zieht nach dem, was wir bisher erlebt haben, höchstens eine weitere Steigerung der Wirrnis, Sprunghaftigkeit und fehlender Seriosität nach sich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Erinnern wir uns doch. Erst forderte er eine Steuersenkung. Jetzt blockiert er. Erst hat er den Abbau von Subventionen gefordert. Jetzt lehnt er jeden Vorschlag ab. Er verweigert es, eigene Vorschläge vorzulegen. Er geißelt die Neuverschuldung, steigert sie selbst aber ständig. Das sind die politischen Richtlinien. Das zeigt, dass Sie keine Problemlösung wollen. Möglicherweise dient dies anderen Zielen. Es dient aber nicht einer soliden hessischen Haushaltswirtschaft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Es tröstet dabei nur wenig, dass der Ministerpräsident seine eigene Partei auf diesem typischen Schlingerkurs eines Brummkreisels nicht hinter sich hat. Denn mit dieser Politik trägt er massiv dazu bei, dass sich die finanzielle Lage des Landes weiter verschlechtert.Wir brauchen endlich eine klare und transparente Haushaltspolitik, die den ersten und wichtigsten Grundsatz der Haushaltswirtschaft wieder ins Zentrum rückt. Das ist der Ausgleich. Einnahmen und Ausgaben müssen zueinander in das richtige Verhältnis gebracht werden. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ja, das ist Arbeit. Das zu tun erfordert Schweiß. Manchmal fließen dabei sogar Tränen. Aber das zu tun ist genau der Job des Finanzministers. Das macht er aber nicht. Das macht er nicht erst seit gestern nicht. Wir haben schon mehr als vier Jahre dieser Peinlichkeit hinter uns.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jürgen Walter und Norbert Schmitt (SPD))

Gestern hat sich der Ministerpräsident hierhin gestellt und sein Nein zu der vorgezogenen Steuersenkung erklärt. Er hat dies mit einer angeblichen Rücksichtnahme auf die nachfolgenden Generationen begründet.

(Lachen des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das tut er, der nicht nur zusammen mit seinem von ihm selbst so bezeichneten prima Finanzminister

(Heiterkeit des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

die Nettoneuverschuldung in Rekordhöhe zu verantworten hat. Außerdem wird er auch noch immer mehr neue Schulden anhäufen. Wir kennen die Zahlen. Herr Ministerpräsident, Ihre Worte entsprechen nicht Ihren Taten.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Deswegen kann man sagen, dass Sie auch nicht ehrlich sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich wende mich noch einmal an die Vertreterinnen und Vertreter der Mehrheitsfraktion. Herr Kollege Milde, wird es Ihnen nicht auch allmählich angesichts dieses finanzpolitischen Veitstanzes zu heiß? Schon jetzt kann Hessen nicht einmal mehr einen einzigen Euro zum Zahlen der Zinsbelastung aus dem laufenden Haushalt heraus erwirtschaften. Wir befinden uns bereits in der Schuldenfalle. Wir nehmen mehr neue Kredite auf, als uns die bereits angehäuften jährlich kosten. Das heißt, wir befinden uns bereits in der Spirale nach unten. Deswegen ist eine Umkehr in der Finanzpolitik so dringend notwendig.

Ein erster Schritt dahin wäre das Gegensteuern, wie es in dem Antrag, Drucks. 16/259, beschrieben wird. Herr Kollege Milde, auch wenn Ihnen die dort aufgeführten Parameter nicht gefallen sollten, sollten Sie sich nicht hierhin stellen und sagen: Wir lehnen das ab. – Vielmehr sollten Sie sich hierhin stellen und sagen: Okay, auch wir sehen, dass etwas getan werden muss.Unsere Vorschläge sind die und die.Wir wollen mit diesen und jenen Vorgaben in die Gespräche gehen. – Aber Sie haben nur abgewiegelt und gesagt, anderen Ländern gehe es ebenso. Das haben wir gerade eben gehört. Sie haben die Schuld dafür nach Berlin, Brüssel oder irgendwohin verschoben. Das hilft nicht weiter.Wir brauchen Handeln und keine Ausreden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Kaufmann, ich darf Sie bitten, langsam zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Herr Präsident, ich bin auf dem Wege zum Ende meiner Rede. – Wir brauchen Taten, mit denen der Landeshaushalt in Richtung auf ein Gleichgewicht hin geschoben wird. Zugleich brauchen wir Taten, damit die zarten Keime der sich bessernden Konjunktur zum Erblühen gebracht werden. Um das zu erreichen, muss sich ganz besonders die Fraktion anstrengen, die hier die Mehrheit hat. Herr Kollege Milde, Ihre Fraktion trifft oder verhindert mit ihrer Mehrheit die entsprechenden Entscheidungen. Deswegen sind Sie auch dafür verantwortlich. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Kaufmann, vielen Dank. – Das Wort hat der Herr Finanzminister.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jetzt kommt das wandelnde Delta!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich rechne mit einem deutlichen Anstieg der Nettoneuverschuldung, eine Haushaltssperre macht aber in der gegenwärtigen Situation keinen Sinn.

Das sagte Herr Eichel. Das war Originalton.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es sind immer die anderen!)

Es wird von mir zu erläutern sein, was wir machen. Das werde ich Ihnen hier vortragen.Aber ich möchte mich gegen zwei Dinge wehren, die hier passieren.

Erstens. Das betrifft insbesondere Herrn Schmitt, der sein Amt neu übernommen hat.Er ist sich offensichtlich seiner Verantwortung für das Land Hessen noch nicht bewusst.

(Widerspruch bei der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mein lieber Mann!)

Herr Schmitt, Sie haben in einer diffamierenden Art und Weise die Situation des Landes Hessen dargestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das kann nicht sein.Das kann man nicht akzeptieren.Das ist auch nicht im Sinne des Hessischen Landtags. Dies tut insbesondere auch nicht der Außenwirkung dieses Bundeslandes gut.

Herr Schmitt, mit Verlaub gesagt, es ist auch nicht wahr. Das macht das Ganze so schlimm.