Protokoll der Sitzung vom 14.09.2006

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 111. Plenarsitzung des Hessischen Landtags und heiße Sie alle recht herzlich willkommen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest und darf Ihnen zur Tagesordnung Folgendes mitteilen:

Es sind noch einige wenige Punkte offen. Das sind die Punkte 11 und 12, 14 bis 31, 34 bis 36, 38 bis 40, 42 bis 44, 46, 48 bis 52, 54 bis 66 und 68.

Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist der Dringliche Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend „Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur“ der CDU-Fraktion in klarer Abgrenzung zur Verharmlosung des Nationalsozialismus und Rechtspopulismus, Drucks. 16/6003.Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Danke!)

Der Dringliche Entschließungsantrag wird damit Tagesordnungspunkt 70 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, nach der Aktuellen Stunde zu diesem Thema ohne Aussprache aufgerufen und sofort abgestimmt werden. – Ich sehe keinen Widerspruch, dann wird das so gemacht.

Ich komme zum Ablauf der Sitzung. Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. Wir beginnen mit den Anträgen für die Aktuellen Stunden. Es gibt eine Einigung über die Redezeit. Sie beträgt fünf Minuten je Fraktion und Aktuelle Stunde. Direkt nach der Aktuellen Stunde unter Tagesordnungspunkt 54 werden die zwei Dringlichen Entschließungsanträge unter den Tagesordnungspunkten 65 und 70 aufgerufen und sofort abstimmt. Nach den Aktuellen Stunden kommen wir zum Tagesordnungspunkt 50, der zusammen mit den Tagesordnungspunkten 35 und 66 aufgerufen werden wird. Nach der Mittagspause werden wir uns dann mit Tagesordnungspunkt 17 beschäftigen. Danach geht es entsprechend weiter.

Es steht hier, dass heute Herr Staatsminister Volker Hoff zum Ende der Plenarsitzung entschuldigt fehlen wird. Im Moment ist er noch hier.Wahrscheinlich bleibt er noch ein bisschen.Wir werden dann sehen,wie es weitergeht:Wenn du gehst, bist du entschuldigt. Ansonsten bleibst du halt da.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 54 unserer Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (CDU-Fraktion darf Verharmlosung der NS-Ge- waltherrschaft kein Forum bieten) – Drucks. 16/5985 –

Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Fraktion.Es beginnt Frau Kollegin Ypsilanti.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Beifall bei Abgeord- neten der SPD)

Meine Damen und Herren der CDU, ich freue mich, dass Sie sich freuen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn sich Parteien auf die Suche nach ihren gedanklichen, theoretischen oder von mir aus auch ideologischen Wurzeln machen, dann ist das aller Ehren wert. Wenn also die hessische CDU den Versuch unternimmt, Eckpfeiler bürgerlicher Kultur zu entdecken oder diese wieder aufzurichten, dann hätte das eine spannende und zukunftsweisende Veranstaltung werden können.

Man hätte z. B. versuchen können, herauszufinden, was Patriotismus im 21. Jahrhundert in einem Land bedeuten kann, das in der Mitte eines zusammenwachsenden Europas liegt.Man hätte auch versuchen können,eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Orientierung für das politische Handeln die ethischen Grundsätze des christlichen Glaubens in der heutigen Zeit noch geben können, nämlich unter der Bedingung einer multireligiösen bzw. nicht mehr gläubigen Gesellschaft.

Herr Wagner, auf der Suche nach den Eckpfeilern einer bürgerlichen Kultur hätten man einiges finden können, etwa die Philosophie der Aufklärung, das Weltbürgertum Goethes, den Idealismus Schillers, die nicht nationale Vaterlandsliebe Heinrich Heines, den demokratischen Patriotismus Ludwig Börnes, den Antifaschismus von Thomas Mann oder die Aufklärung durch Negation der Frankfurter Schule. Stattdessen haben sich Herr Wagner und Herr Baring gesucht und gefunden.

(Ministerpräsident Roland Koch: Ein großer alter Sozialdemokrat! – Gegenruf von der SPD: Quatsch!)

Er ist wahrlich auch ein Eckpfeiler bürgerlicher Kultur. – Herr Ministerpräsident, ich finde das überhaupt nicht witzig.

(Beifall bei der SPD – Zurufe)

Herr Wagner, es ist in der Tat so: Da bin ich absolut humorlos.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Mann von einem unaufgeklärten, ganz und gar unpatriotischem Nationalismus, der bei passender Gelegenheit hervorgeholt wird, um ins Schaufenster gestellt zu werden. Man befindet sich damit in der Ecke, in der geradezu zwanghaft jede revisionistische These zum Nationalsozialismus wiederholt, bestaunt und beklatscht werden muss.Es geht dabei um die Ecke,in der Integration nur als Eindeutschung verstanden wird. Herr Baring ist seit Jahr und Tag einer der Hauptlieferanten für eine solche Haltung. Die hessische CDU gehört offensichtlich zu den Abnehmern dieser Produkte.

Herr Baring eignet sich offensichtlich vorzüglich als Chefdenker der hessischen CDU. Er denkt, und Herr Wagner applaudiert. Der Herr Ministerpräsident und Landesvorsitzende scheint das zu akzeptieren. Zumindest haben wir keine Distanzierung gehört. Wir erinnern uns auch noch alle an den Vergleich mit den Indianern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Rede des Herrn Baring bei der hessischen CDU ist also keine beklagenswerte Entgleisung, wie es, Herrn Barings Umwälzung der Wissenschaft zufolge, der Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte sein soll. Dass dieser Redner mit dieser Rede den Auftakt für die Sinnsuche der CDU machen durfte und dass diese Rede en

thusiastisch beklatscht wurde, ist es, worin das politische Problem liegt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund beschäftigen wir uns heute noch einmal damit. Denn es kann uns allen nicht gleichgültig sein, dass der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion rechtsnationalistische und die Geschichte revisionierende Thesen bestellt und beklatscht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Das ist doch Stuss!)

Das geschieht in einem Land,das sich anlässlich seines gerade anstehenden Jubiläums seiner großartigen freiheitlichen Tradition, seiner Toleranz und seiner Weltoffenheit rühmt und rühmen darf. In einem solchen Land ist das schlicht und ergreifend unerträglich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Tabubruch.Es bleibt zu fragen,ob es in der hessischen CDU nach der Ausländerkampagne des Herr Koch, nach dem Märchen von den jüdischen Vermächtnissen und nach den Eskapaden des Herrn Hohmann und des Herrn Irmer noch irgendein Tabu zu brechen gäbe. Nein, der hessischen CDU ist in dieser Hinsicht nichts fremd.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir, die Mitglieder der SPD, beharren aber darauf, dass bestimmte Theoreme, bestimmte Sätze, bestimmte Anspielungen und bestimmte Wörter in der demokratischen Auseinandersetzung und im demokratischen Spektrum tabu sein müssen und tabu bleiben müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Ypsilanti, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen den deutsch-nationalen Parolen und den dumpfbackigen Krawallen der Rechtsextremen und der Mitglieder der NPD auf der Straße. Meine Damen und Herren, haben Sie vergessen, dass während des Wahlkampfs Demokraten wieder von Neonazis angegriffen wurden?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unsere eigene Geschichte muss uns wachsam sein lassen.

Wer all das nicht weiß, der ist vielleicht belehrbar. Meine Damen und Herren, Sie haben es aber gewusst. Sie haben das billigend in Kauf genommen. Distanzieren Sie sich von diesen Thesen des Herr Baring. Legen Sie der Öffentlichkeit Rechenschaft ab, wohin Ihr Weg führen soll. Denn das beschreibt auch den Weg, den dieses Land nimmt.

Meine Damen und Herren, einen Beitrag zur bürgerlichen Kultur haben Sie mit dieser Veranstaltung sicherlich nicht geleistet.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – An- haltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Kaufmann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Donnerstag, also genau heute vor einer Woche, geschah im Hessischen Landtag etwas ziemlich Erschreckendes.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich, ein Ohrenzeuge, mochte es zunächst nicht glauben. Ich hatte auf einer Veranstaltung der CDU-Landtagsfraktion im Musiksaal des Landtags gehört, dass die zwölf Jahre der Nazidiktatur in Deutschland eigentlich als verunglückte Vergangenheit und beklagenswerte Entgleisung zu bewerten seien und dass, wer von der Einzigartigkeit der Verbrechen des Holocaust spreche, dies aus Sünderstolz tue, was eine merkwürdige Art der Überheblichkeit sei.

Im Übrigen, so wurde dort argumentiert, würde sich die Zahl der von den Diktatoren Stalin und Mao umgebrachten Menschen jeweils auch auf 60 Millionen summieren.

Bezüglich des Falles Hohmann wurde vom Festredner unter deutlicher Zustimmung des Auditoriums großes Bedauern darüber geäußert, dass er nach seiner „Tätervolk“-Rede aus der CDU ausgeschlossen wurde. Der Redner fällte das Urteil, dass dies ein klarer Fehler der Partei CDU gewesen sei.

Bisher dachte ich, es gehöre zum Konsens der Demokraten in diesem Land, dass die von den Deutschen unter der Diktatur der Nazis ins Werk gesetzte Vernichtung des jüdischen Volkes, aber auch der Sinti und Roma, in Auschwitz und in anderen nationalsozialistischen Vernichtungslagern, dass diese Vernichtung, ja, schlimmer noch, die materielle Verwertung dieser Völker aus nacktem Rassenhass,das schlechthin Böse,den puren Wahnsinn,ja, das absolut Unfassbare und damit auch Unvergleichbare in der Geschichte der Menschheit verkörpert.

Nach meinem Verständnis und,wie ich als einer der Nachgeborenen weiß, auch nach dem vieler anderer kann dieses schier unbegreifliche Geschehen durch nichts, aber auch gar nichts relativiert werden und muss für uns Deutsche immer mahnen, die Würde jedes Menschen als höchstes Gut zu achten und zu verteidigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)