Protokoll der Sitzung vom 05.10.2006

Antrag der Abg. Fuhrmann, Dr. Pauly-Bender, Eckhardt, Habermann, Schäfer-Gümbel, Dr. Spies (SPD) und Fraktion betreffend Hessisches Gleichberechtigungsgesetz zeitgerecht novellieren – Regierungsentwurf zurückziehen – Drucks. 16/5909 –

Die Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Zunächst erteile ich zur Einbringung des Gesetzentwurfs Frau Ministerin Lautenschläger das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu dem, was die SPD fordert, nämlich den Entwurf zurückzuziehen, bringen wir ihn gerne ein, denn wir wollen damit sicherstellen, dass das Gleichberechtigungsgesetz zum Ende dieses Jahres nicht ausläuft, sondern in novellierter Form fortgesetzt wird.

Das Hessische Gleichberechtigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 war eines der ersten Gleichberechtigungsgesetze Deutschlands. Im Jahr 2003 haben wir die Experimentierklausel als Möglichkeit der Erprobung und Weiterentwicklung aufgenommen, und jetzt, mit dem Auslaufen des Gesetzes, legen wir einen neuen Gesetzentwurf vor, der vor allem drei Aspekte berücksichtigt. Er baut auf einem bewährten Instrument auf, entwickelt es aber weiter, denn unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung, die seit 1993 stattgefunden hat, wird jetzt das Prinzip der Chancengleichheit von Frauen und Männern, des Gender-Mainstreaming, nach dem Grundsatz des Vertrags von Nizza in dem Gesetz verankert.

Dementsprechend sollen die Dienststellen im Geltungsbereich des Gesetzes alle Entscheidungen unter Einbeziehung dieses Leitprinzips prüfen. Das ist einer der wichtigsten Grundsätze, der auch im Regierungsprogramm der Landesregierung verankert war und der hiermit umgesetzt werden kann.

Zweiter Punkt. Die Experimentierklausel, die wir im Jahre 2003 eingeführt hatten, wird in diesem Gesetzentwurf als Experimentierklausel zurückgeführt und in den § 5,in den Inhalt des Frauenförderplans,übernommen,sodass Modellvorhaben nicht mehr als Experimentierklausel eingebracht werden müssen, sondern automatisch in die Frauenförderung aufgenommen werden. Das ist eine grundsätzliche Neuerung dieses Gesetzentwurfes, die aus unserer Sicht auch im Vergleich mit anderen Ländern ganz wichtig ist. Denn wir haben dort ein Höchstmaß an Flexibilität. Die Frauenbeauftragte kann daran mitwirken und durch die ehemalige Experimentierklausel neue Wege bei der Frauenförderung gehen.

Der dritte Punkt ist die explizite Einführung der Personalentwicklung mit dem Ziel, personelle Ressourcen im Sinne der Ziele des Gesetzentwurfes, also der Grundsätze, effektiv zu nutzen. Dazu gehört selbstverständlich Chancengleichheit, die Frage, wie Personalentwicklung gemacht wird, auch in Zeiten, in denen Stellen nicht immer neu ausgeschrieben werden, sondern innerhalb eines Hauses darüber geredet werden muss, wie Frauen explizit

gefördert werden – und das unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Margaretha Hölldobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Als vierten Punkt stellt der Gesetzentwurf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf eine breite Grundlage, indem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit – damit auch diejenigen,die sich für Familie entscheiden,Chancen haben – als explizites Ziel in diesen Gesetzentwurf aufgenommen wird. Ich weiß, das ist immer ein Kritikpunkt der Opposition von SPD und GRÜNEN. Wir halten es nach wie vor für richtig, dies unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit, gerade mit dem Schwerpunkt Familie, auch im Gesetz zu verankern. Denn Frauen mit Kindern – ebenfalls Männer mit Kindern, aber besonders die Frauen – brauchen ein Mehr an Chancengleichheit. Sie brauchen die Chance, genauso in Führungspositionen vorstoßen zu können.Deswegen haben wir genau diesen Bereich in den Gesetzentwurf aufgenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in diesen Gesetzentwurf einige wenige Änderungen aufgenommen und einige Klarstellungen vorgenommen. Aber wir sind nicht von einer grundsätzlichen Basis abgerückt. Denn nach wie vor hat das Hessische Gleichberechtigungsgesetz ein hohes Niveau. Wir haben die Hochschulen mit im Gesetz verankert.Wir haben verbindliche Zielvorgaben im Gesetz verankert. Das haben nur wenige Gleichstellungsgesetze der Länder. Aber wir haben auch die Möglichkeit, sie so flexibel anzupassen,

(Petra Fuhrmann (SPD): Dass sie nicht mehr so verbindlich sind!)

dass man hiermit sehr vernünftig Frauenförderung vor Ort betreiben kann. Ein weiterer Punkt ist das Widerspruchsrecht der Frauenbeauftragten. All das sind Punkte, die im hessischen Gesetzentwurf vorhanden sind. Ich will Ihnen nur sagen: Wenn Sie über den Rhein schauen, was Sie sonst so gerne machen, dann stellen Sie fest, dass wir vieles bestehen lassen und in das hessische Gesetz aufgenommen haben, was viele andere Gesetze so nicht haben.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Zumindest das müsste ein Konsenspunkt mit Ihnen sein, weil es ganz wichtige Punkte sind, an denen wir in bewährter Struktur festhalten.

Wir haben klar gesagt: Wenn es – außerhalb des öffentlichen Dienstes – Regelungen der Privatisierung gibt, dann gelten dort die Spielregeln der Privatwirtschaft. Dorthin haben wir das Hessische Gleichberechtigungsgesetz nicht ausgedehnt. Im Übrigen ist auch dort interessant, wenn Sie über den Rhein schauen: Rheinland-Pfalz macht das ebenfalls nicht.

Beim Thema der öffentlichen Ausschreibung haben wir eine Formulierung aufgenommen, die die interne Ausschreibungsregelung hervorhebt.Wir halten es für richtig, dass so ausgeschrieben wird. Aber wir sind dort davon weggegangen, dass alles auch öffentlich ausgeschrieben werden muss. Im Übrigen haben diese Regelung, die wir in unserem Gesetzentwurf jetzt verankert haben,auch aus Gründen der guten Durchführbarkeit – weil Kommunen und andere mit diesem Punkt immer wieder an uns herangetreten sind –, auch die Länder Baden-Württemberg,

Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, das Saarland oder Sachsen-Anhalt. Das zeigt, dass wir mit vielen anderen Bundesländern dort gemeinsam arbeiten. Wir haben aber auch viele Regelungen, die klar zeigen, dass Hessen mit der Zeit gegangen ist. Das Ziel der Chancengleichheit wird jetzt mit diesem Gesetzentwurf so, wie es im Vertrag von Nizza festgeschrieben ist, mit aufgenommen.

Der Regierungsentwurf hat sowohl auf die europarechtlichen Konsequenzen reagiert als auch das Bewährte übernommen. Wir haben eine umfassende Evaluation durchgeführt. Wir haben eine Anhörung mit den Verbänden gemacht. Ich weiß, ein Kritikpunkt von Ihnen ist, dass der Sachstandsbericht noch nicht vorliegt. Der wird kommen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Aber es ist auch klar: Das hat es auch in Ihrer Regierungszeit schon gegeben. Das sage ich sehr deutlich. Es sind viele Rückmeldungen eingegangen. Sie sind noch nicht endgültig ausgewertet. Klar ist aber auch, dass die Antworten z. B. aus 98 Gemeinden nicht so sind, dass man diese quantitativen Zahlen auf das gesamte Land übertragen kann. Wir haben in der Kabinettsanhörung die Frauenbeauftragten intern eingebunden sowie die unterschiedlichen Behörden und die Spitzenverbände angehört.Wir haben dort viele Rückmeldungen bekommen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Proteste!)

Ich denke, mit diesem Gesetzentwurf ist es gelungen, auf der Basis aufzubauen, das Gesetz aber auch so fortzuentwickeln,

(Petra Fuhrmann (SPD): Dass es nicht mehr so verbindlich ist!)

dass das Prinzip der Chancengleichheit so weiterentwickelt werden kann, dass auf der einen Seite Experimentiermöglichkeiten verstetigt werden und auf der anderen Seite moderne Personalentwicklung, Chancengleichheit, Gender-Mainstreaming im Gesetz verankert sind, sodass es einer modernen Personalentwicklung entspricht, aber vor allem Frauen künftig in der Verwaltung fördert. Der wichtige Grundsatz für die Landesregierung, dass gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf weitere Frauenförderung betrieben werden muss, wird festgeschrieben.

Wir halten den Gesetzentwurf für eine gute Grundlage für die gemeinsamen Beratungen.Es ist ein moderner Gesetzentwurf. Wir wollen es auch über den 31.12.2006 hinaus weiterentwickeln und festschreiben, sodass hier tatsächlich Chancengleichheit und Frauenförderung weiter betrieben werden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin für die Einbringung. – Wir kommen zu der Aussprache. Die Redezeit beträgt 15 Minuten.Als erste Rednerin hat sich Frau Dr. Pauly-Bender für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vermisse ich meinen Wahlkreiskollegen, Herrn Lortz, der gelegentlich hier präsidiert, weil er mir

nachher als Beweismittel dient. Aber darauf komme ich noch zurück.

(Michael Boddenberg (CDU): Brauchen Sie ihn dafür persönlich?)

Ich möchte jetzt gleich zur Aussprache übergehen. – Sie können ihn herbeirufen.

(Minister Volker Bouffier: Ich nicht, Sie können es!)

An den Beginn der Beratung Ihrer sogenannten HGlGNovelle stellt die SPD-Fraktion sieben übersichtliche Aussagen, die ich im Folgenden kurz begründen will. Im Laufe des Beratungsprozesses werden wir im Detail auf die Punkte Ihrer Novelle zurückkommen.

Punkt eins. Die hessische CDU und ihre Landesregierung haben grundsätzliche Probleme mit Gleichheitspolitiken. Egal bei welchem Thema, die hessische CDU tut sich schwer mit einer zeitgerechten Antidiskriminierungspolitik. Mit Gleichheitspolitiken haben Sie Probleme genereller Art. Chancenungleichheit ruft Sie nicht zum Handeln auf.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erinnern uns an die von Ihrer Seite in diesem Hause überaus hässlich geführte Debatte zum deutschen Antidiskriminierungsgesetz. Über Monate haben Sie – man sollte es benennen – in wirklich abstoßender Vordergründigkeit der Argumentation dagegengehalten, noch bis hin zu den Kritiken am AGG-Entwurf der Großen Koalition.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Meine Damen und Herren, dabei wäre es an Ihnen gewesen, für diesen dringend notwendigen europäischen Impuls zum Aufbau einer breiten Antidiskriminierungskultur in allen europäischen Einzelländern und auch in Hessen zu werben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Meine Damen und Herren, für Ihre Politik der systematisch betriebenen Bildungsbenachteiligung gilt Entsprechendes. Wir haben heute zwei Debatten dazu geführt. Seit Anbeginn des sogenannten hessischen Schulkampfes stehen Sie für das immer gleiche Konzept: die strukturkonservative Verteidigung eines möglichst undurchlässigen Bildungssystems. Gegebene Bildungsbenachteiligungen sollen systematisch anstehen, ja verstärkt werden – siehe Studiengebühren.

Ein Drittes steht uns vor Augen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wenden uns gegen Ihre nur vordergründig korrekte, tatsächlich nur sogenannte Integrationspolitik. In immer gleicher Manier geht es im Kern um dauernde Neuauflagen Ihrer hessenweit unvergessen gebliebenen Kampagne: „Wo unterschreibt man hier gegen Ausländer?“

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Mit dieser haben Sie sich an die Macht geschlichen. Ich persönlich vergesse das nicht. Sie üben sich in Neuauflagen.

(Beifall bei der SPD)

Belege sind Ihre spezifische Kopftuchdebatte, Ihre Deutsch-Kampagne, Ihre Leitbild-Kampagne, Ihre Einbürgerungstest-Kampagne und Ihr neues, ganz spezielles

Frauenrechtsinteresse nur für Migrantencommunities, Frau Lautenschläger.

Meine Damen und Herren, Ihr Umgang mit dem Thema einer staatlich verantworteten Frauenförderung im öffentlichen Bereich gehört ausdrücklich in dieses Gesamtszenario. Dazu unsere Aussage Punkt zwei: Die hessische CDU und ihre Landesregierung hatten von Anfang an nichts am Hut mit dem HGlG und seiner verbindlichen Frauenförderung.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Das Frauenfördergesetz von 1993 – wenn Sie heute darin gute Teile finden, dann ist das unser Produkt gewesen – hatten Sie von Anfang an bekämpft.Am 01.01.1994 war es erst in Kraft getreten, noch am Ende desselben Jahres haben Sie es vor den hessischen Staatsgerichtshof gezerrt. Meine Damen und Herren,Verfasser der Klageschrift: die CDU-Abgeordneten Badeck und andere.Sie haben abgelehnt, was damals als besonders modern galt.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Richtig!)