Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne die 119. Plenarsitzung. Ich heiße Sie alle herzlich willkommen und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend drohende Schließung von hessischen Standorten der Bundespolizei, Drucks. 16/6693. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann ist dieser Dringlicher Antrag Tagesordnungspunkt 65.Wir müssen noch die Redezeit vereinbaren. – Fünf Minuten. Danke.
Weiterhin eingegangen ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend unnötiges Leiden von Tieren verhindern, Drucks. 16/6694. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das stelle ich so fest. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 66 und kann mit Tageordnungspunkt 38 aufgerufen werden. – Dem wird nicht widersprochen.
Dann haben wir vorliegen den Dringlichen Antrag der Fraktion der SPD betreffend mehr Einsatz für Ticona-Beschäftigte und Nachtflugverbot, Drucks. 16/6695.Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 67. Die Redezeit beträgt fünf Minuten.
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Meilenstein zur Schaffung von 100.000 Arbeitsplätzen – hessische Standortpolitik startet durch, Drucks. 16/6696. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 68 und wird mit den Tagesordnungspunkten 67 und 41 aufgerufen.
Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend verlässliche Rahmenbedingungen für das Modellprojekt „Selbstverantwortung plus“ schaffen, Drucks. 16/6697. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 69 und kann mit Tagesordnungspunkt 44 aufgerufen werden. – Das ist demnach beschlossen.
Dann gibt es noch den Dringlichen Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Absicherung des Risikos bei Lebendspendern, Drucks. 16/6698.Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 70 und wird zusammen mit den Tagesordnungspunkten 10 und 11 aufgerufen. – Somit beschlossen.
Zu guter Letzt ist eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ein Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Bekämpfung des Rechtsextremismus in Hessen, Drucks. 16/6708. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Das ist der Fall. Dieser Dringliche An
trag wird Tagesordnungspunkt 71 und mit Tagesordnungspunkt 25 aufgerufen. – Damit ist das so beschlossen. Die Tagesordnung ist damit offiziell ergänzt.
Meine Damen und Herren, die Ausschüsse haben gestern Abend die entsprechenden Beschlussempfehlungen abgegeben, sodass die dritten Lesungen am Donnerstag plangemäß stattfinden können. Gibt es hierzu schon Vereinbarungen hinsichtlich der Redezeiten?
(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! – Reinhard Kahl (SPD): Moment! Zehn Minuten zu dem Gleichberechtigungsgesetz! – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))
Herr Präsident! Wir hatten, was die Haushalte angeht, für die dritte Lesung des Nachtragshaushalts fünf Minuten Redezeit und für die dritte Lesung des Haushalts zusammen 15 Minuten Redezeit vereinbart. Das macht zusammen die gleiche Zahl, wie vorhin von Ihnen benannt.
Vielen Dank. Das war klar und deutlich. – Meine Damen und Herren, dann teile ich noch mit, dass wir den Nachtrag noch bekommen. Wir tagen heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde.
Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 25, der Großen Anfrage der SPD-Fraktion betreffend Rechtsextremismus. Dann folgt Tagesordnungspunkt 38, der Antrag der Fraktion der CDU betreffend Religionsfreiheit und Tierschutz sind kein Gegensatz. Für alle, die das wissen wollen: Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 41.
Große Anfrage der Abg. Faeser, Hartmann, Hofmeyer, Rudolph, Schäfer-Gümbel, Siebel, Waschke (SPD) und Fraktion betreffend Rechtsextremismus in Hessen – Drucks. 16/6093 zu Drucks. 16/5052 –
Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Bekämpfung des Rechtsextremismus in Hessen – Drucks. 16/6708 –
Die Redezeit beträgt 15 Minuten. Wir beginnen mit der Aussprache. Das Wort hat Herr Abg. Schäfer-Gümbel für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchten wir uns recht herzlich für die Be
antwortung unserer Großen Anfrage zum Thema Rechtsextremismus in Hessen bedanken.Es hat ein bisschen länger gedauert, aber die Antwort ist auch umfangreich geworden. Auf jeden Fall sage ich herzlichen Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Zweitens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Dringlichen Antrag der GRÜNEN will ich eine kurze Bemerkung machen, weil ich meine, dass man das vor die Klammer ziehen kann. Die vorgeschlagene Anhörung zum Thema Prävention in diesem Bereich wird aus unserer Sicht ausdrücklich begrüßt.Ich glaube,es ist ein kluger Vorschlag, sich mit dieser Frage noch einmal vertieft im Rahmen einer solchen Anhörung zu beschäftigen.
Diese beiden Vorbemerkungen vorangestellt, möchte ich zu unserer Bewertung kommen. Vor über 80 Jahren, genau am 25. Juni 1922, fand im Deutschen Reichstag aus Anlass der Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau eine erregte Debatte statt, in deren Verlauf der dem Zentrum angehörende Reichskanzler Joseph Wirth die klassischen Sätze sagte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ Das Protokoll der Sitzung verzeichnet „stürmischen, lang anhaltenden Beifall und Händeklatschen in der Mitte und links und auf sämtlichen Tribünen“ sowie „große, lang andauernde Bewegung“.
Meine Damen und Herren, 84 Jahre später, nach dem Untergang der ersten deutschen Demokratie und nach dem Aufstieg und Fall einer Diktatur, die das entsetzlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte vollbracht hat, und auch nach nunmehr 60 Jahren Nachkrieg und Frieden bleiben die Worte Joseph Wirths gültig: Der Feind, der sein Gift in die Wunden des Volkes manchmal träufelt, manchmal verspritzt, dieser Feind steht immer noch rechts.
Es geht wieder einmal um den Rechtsextremismus. Zunehmende rechtsradikale Tendenzen und schleichende Akzeptanz geben uns wieder einmal Anlass, dass wir uns heute mit diesem Thema befassen müssen. Der Rechtsextremismus in all seinen wandelbaren und doch immer gleichen Erscheinungsformen, Spielarten und ideologischen Versatzstücken ist nach wie vor präsent und damit auch noch immer der Gegner aller Demokratie schlechthin.
Rechtsextremismus, Neofaschismus, Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus: Das waren und sind seit Anbeginn einzeln und zusammen die Feinde jeden zivilisatorischen,kulturellen Fortschritts,die Feinde von Aufklärung, Toleranz und Liberalität, von Rechtsstaat und Demokratie, kurz: die Feinde all dessen, was unter mühevollen und opferreichen Auseinandersetzungen und manchmal eben auch Kämpfen errungen worden ist und was zu verteidigen unser aller vorrangige und vornehmste Aufgabe ist. Wenn es in Deutschland eine Staatsraison gibt, dann diese.
Wir werden alles unternehmen, womit wir verhindern können, dass die Gesellschaft aus diesem Grund auf dem rechten Auge erblindet. Deshalb widmen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten der Bekämpfung des Rechtsextremismus seit jeher große Aufmerksamkeit.
Dazu verpflichtet uns nicht nur die Bedeutung der Aufgabe, sondern auch das Vermächtnis der Verfolgten und Ermordeten. Dazu zählen auch die Verfolgten und Ermordeten aus unseren eigenen Reihen.
Deswegen haben wir diese Große Anfrage gestellt, und deswegen wollen wir heute über die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage debattieren.Wir verbinden damit die Hoffnung, dass wir dadurch die Auseinandersetzung über die Notwendigkeit der Bekämpfung des Rechtsextremismus und die Möglichkeiten, die es dazu gibt, ein Stück weit voranbringen können. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein.
Um es vorweg zu sagen: Die Antwort der Landesregierung ist informativ. Sie ist eine viele Themen berührende Fleißarbeit und als solche durchaus verdienstvoll. Aber sie greift in vielfacher Hinsicht zu kurz, weil es – so meine These – an einem tieferen Verständnis für die Bedeutung des Problems mangelt.
Meine Damen und Herren von der Regierung und von der Regierungsfraktion,das Kernproblem ist,dass Sie den Rechtsextremismus nach wie vor als ein Randphänomen betrachten, nicht aber als die große gesellschaftspolitische Herausforderung, die er tatsächlich ist.
Anders ausgedrückt: Für Sie ist Rechtsextremismus etwas, was sich an den pathologisch-kriminellen Rändern von Gesellschaft und Politik abspielt und daher vor allem mit repressiven polizeilichen Mitteln bekämpft werden muss und auch – so der Glaube und die Hoffnung – bekämpft werden kann.Das ist insoweit unstreitig,als es den Rechtsextremismus des „Narrensaums“ und der kriminellen Subkulturen tatsächlich gibt und er beobachtet und entschieden bekämpft werden muss. Deshalb gilt unser Dank auch all jenen Kräften in Verfassungsschutz, Polizei und Justiz, die diese nicht einfache Arbeit tagaus, tagein unter nicht einfachen Bedingungen machen.
Aber wer sich mit dieser Betrachtung begnügt, ist entweder ignorant oder glaubt, diese Welt bestehe nur aus Schwarz und Weiß. In jedem Fall übersieht er all die Graustufen und subtilen Tendenzen der Erscheinungsformen des modernen Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus. Zum Beispiel übersieht er den „Extremismus der Mitte“, wie Seymour Martin Lipset den Nationalsozialismus genannt hat. Den Extremismus, der paradoxerweise in den Herzen und in den Kernbereichen unserer Gesellschaft verankert ist,bekämpft man mit solchen Mitteln nicht. Von diesem Extremismus ist in Ihrer Antwort leider nicht die Rede. Dieser „Extremismus der Mitte“ existiert in zweierlei Hinsicht.
Erstens. Wir wissen seit vielen Jahren, dass ein erheblicher, seinem äußeren Erscheinungsbild und seiner Selbstwahrnehmung nach vollkommen normaler Teil der Bevölkerung ein praktisch geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild besitzt. Wohlgemerkt, das sind Millionen von Menschen, die weder Mitglieder noch Wähler der in Ihrer Antwort aufgezählten Parteien oder Organisationen sind – also Menschen wie du und ich.
Das hat bereits die 1979/1980 durchgeführte und 1981 veröffentlichte Sinus-Studie deutlich gemacht. Dramatisch zeigt das auch die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die in diesen Tagen veröffentlicht wird. Hier befindet sich der alltägliche Nährboden auch für den virulenten und den – wenn man so will – extremen Extremismus. In diesen Biotopen blüht und gedeiht er immer von Neuem.
Der zweite Punkt steht damit durchaus im Zusammenhang: Es gab schon immer – das gibt es nach wie vor – ein gut etabliertes braunes Netzwerk, dessen Wortführer unter anderem die Ideen jener konservativen Revolution der Zwanzigerjahre propagieren, die damals das „Dritte Reich“ vorbereitet haben. Ein kluger Beobachter hat vor einiger Zeit unter der Überschrift „Deutschland driftet – und zwar nach rechts!“ gesagt:
Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert, die linke dagegen dämonisiert – so werden rechtsradikale und konservative Revolutionäre salonfähig. Dann beanspruchen sie ihren Platz im demokratischen Verfassungsspektrum, dann verschiebt sich die Mitte nach rechts. Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.