Protokoll der Sitzung vom 13.12.2006

Meine Damen und Herren, Hessen braucht daher in diesem Bereich von anderen keine Nachhilfe. Guten Rat nehmen wir immer auf. Ich begrüße, dass wir in den zuständigen Ausschüssen über eine Reihe von Vorschlägen, die Sie gemacht haben, weiter diskutieren werden. Da wird sich zeigen, dass Teile der Debatte und mancher Vorschlag nicht neu sind und dass wir eine schwierige Entscheidung zwischen gelegentlich hilflosem Aktionismus und wirklich kluger,weiterführender Arbeit zu treffen haben.Wenn Sie nicht nur die Debatte in unserem Land verfolgen, sondern auch das, was z. B. die Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt nun seit Jahren engagiert diskutieren und tun, und feststellen, dass auch sie keinen Königsweg gefunden haben, dann zeigt das, dass wir uns auf der Basis dessen,was ich bewusst an den Anfang gestellt habe, in einem ständigen Bemühen befinden.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, der wir uns stellen, und zwar engagiert stellen. Der Kollege Schäfer-Gümbel hat die Weimarer Republik bemüht. Ich möchte einen Satz, der diese damalige Zeit besonders gut trifft und oft zitiert wurde, hier einführen: Die Demokratie braucht entschiedene Demokraten. Sie braucht die klare und saubere Trennung gegenüber den extremistischen Rändern, und zwar nach allen Seiten. Und sie braucht die Gemeinschaft der Demokraten, dass sie nicht um des billigen Tagesvorteils willen sich wechselweise vorwirft,sie sei auf diesem oder jenem Auge blind.– Wenn wir in diese Debatte abrutschen, dann haben wir den Kampf gegen die Extremisten schon im Ansatz verloren.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb müssen engagierte Demokraten, die in der Sache über vieles zu streiten haben – was auch der Sinn einer Demokratie ist –, in dieser Frage beieinander bleiben. Ich habe es mitgeschrieben – ich kann nur auf einige Facetten eingehen und verweise im Übrigen auf die sehr ausführliche Antwort –: Der Extremismus der Mitte – so haben Sie das bezeichnet – sei ein Sachverhalt, der uns besonders besorgen muss.

Dem will ich nicht widersprechen. Ich kann, ehrlich gesagt, mit dem Begriff nicht sehr viel anfangen. Dieser Begriff gibt mehr Fragen als Antworten.Wenn Sie einmal in unsere Nachbarländer schauen – schauen Sie nach Frankreich, Italien, Österreich, Polen, Ungarn; ich könnte noch viele andere nennen –, machen wir dort interessanterweise sogar unabhängig von der gesellschaftlichen Grundform, sprich: kommunistisches System oder jetzt freiheitliches System, überall die Erfahrung, dass wir in nahezu allen Gesellschaften immer einen rechtsextremistischen Rand haben. Sie bemühen sich alle, dem entgegenzutreten. Aber ich glaube, die Dinge liegen ein bisschen tiefer.

Diese von Ihnen zitierte Studie der Ebert-Stiftung, die eine von vielen ist, sagt uns eigentlich nichts wirklich Neues.Was sagt sie denn im Kern? Dass es immer wieder eine Menge Menschen gibt,die im Grunde genommen die Verheißung, die sie im weitesten Sinne von Politik verlan

gen, darin sehen, dass der starke Mann, dass ein starker Führer die Dinge ordnet. Dieser Glaube an den Führerkult ist häufig das Spiegelbild der Enttäuschung über das, was diese Leute an Demokratie erleben oder glauben,wie Demokratie nur fehlerhaft oder nicht hinreichend funktioniert.

Wenn Sie eine andere Untersuchung hinzunehmen – gerade aus jüngerer Zeit –, wie der Zuspruch zu unserer Staatsform Demokratie ist, dann haben wir den außergewöhnlich bedrückenden Befund, dass sowohl im Westen als auch ganz stark in den neuen Bundesländern auf die Frage: „Halten Sie die Demokratie für die richtige Staatsform?“, von Jahr zu Jahr die Zustimmungsrate sinkt.

Das hat viele Gründe.Ich denke,es ist jetzt im Rahmen einer kurzen Aussprache vermessen, das im Einzelnen auszuführen.Aber ich versuche, dieses Phänomen des Extremismus – heute reden wir über Rechtsextremismus – ein bisschen einzuordnen. Das sollten wir nach meiner Überzeugung tun.

Wenn wir Gelegenheit haben,in den Ausschüssen darüber zu sprechen, werden wir sehr schnell sehen, dass wir weder vor ganz neuen Fragen stehen, noch – so fürchte ich – auf all diese Fragen Antworten haben, jedenfalls heute schon, die entscheidend weiterführen. Das enthebt uns nicht davon, uns um diese Frage zu mühen, und zwar auf allen Ebenen. Ich sage einmal sehr schlicht: Was den Bereich der Repression angeht, sind wir in Hessen absolut führend.Aber ich füge auch hinzu:Was die Frage der Prävention angeht, kenne ich kein Land, in dem so viel geschieht. Es ist eine Fülle gemacht worden.

(Beifall bei der CDU)

Ich muss ausdrücklich entgegenhalten: weder Tunnelblick noch Randphänomen. Wenn Sie einmal schauen – es ist erwähnt worden – von Ikarus über „Wolf im Schafspelz“, über, über, über, zeigt gerade der Einsatz über die jeweiligen Ressorts hinaus, dass wir das als zentrale Aufgabe sehen.

Zu dem, was die immer richtige Forderung angeht, in Bildung und Erziehung etwas zu tun, und nicht nur etwas, sondern eine Menge, möchte ich Sie darauf hinweisen – ich kann das im Ausschuss vielleicht noch detaillierter vortragen –: Es gibt außer uns kein Land, in dem es eine Aktion wie „Wolf im Schafspelz“ an den Schulen gegeben hat, 1.200-fach, mit CDs, mit Plakaten, mit Diskussionen, mit Vorführungen.Wahr ist allerdings auch, das hat keine großen Schlagzeilen produziert. Es war trotzdem richtig, und wir werden es weiterführen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb möchte ich mich bei denen herzlich bedanken, die diese Arbeit leisten. Ich muss sagen, gerade bei „Netzwerk gegen Gewalt“ haben wir das Glück,sehr engagierte Mitarbeiter zu haben, um diese besonders scheußliche Form des Extremismus zu bekämpfen.

Wir sind uns darüber einig: eine Daueraufgabe. Ich hatte neulich in der Haushaltsdebatte gesagt,wir müssen immer aufpassen, dass die Sache nicht zum billigen Jakob verkommt – natürlich. Wenn wir gemeinsam einen Weg finden,was wir klugerweise noch alles tun können,dann sollten wir auch die Frage bedenken, ob wir dazu die Mittel haben. Mit 250.000 c können Sie dieser Herausforderung nicht ernsthaft begegnen.

Ich akzeptiere das aus oppositioneller Sicht. Ich kann Ihnen sagen – weil Sie mich gebeten haben, dazu Stellung zu

nehmen –: Das, was wir machen, ist finanziert. Wenn wir gemeinsam zu noch Klügerem und noch Besserem kommen, lassen Sie uns darüber reden. Aber das Thema verträgt es nicht, auf der Ebene von 250.000 c diskutiert zu werden. Ich verstehe es, aber es geht mir um mehr.

Wenn wir darüber sprechen – ich will ausdrücklich Frau Kollegin Wagner beitreten –, dann sehen wir, wie quer durch die Parteien gelegentlich nicht immer mit neuen Ideen, aber immer wieder im anderen Gewande darüber diskutiert und überlegt wird, wie man diesem Phänomen begegnen kann. Die Debatte um ein Verbot der NPD hat im Moment wieder Aktualität. Die frühere Landesregierung von CDU und FDP hatte sich seinerzeit entschlossen, diesem Verbotsantrag nicht beizutreten. Dies war nachweislich richtig. Die jetzige Landesregierung wird dies auch nicht tun, sonst würden wir neben den sicherheitsfachlichen Fragen, die dagegen sprechen, Märtyrer schaffen.

Wir würden den Extremisten sozusagen noch das Futter für ihre Argumentation geben, wenn wir versuchen würden, an Gerichten, an der Besetzung des Verfassungsgerichts und anderem herumzubasteln, um diesem Phänomen zu begegnen. Sie werden erleben, dass solche Aktivitäten eher dazu führen, dass sie noch mehr Zulauf bekommen. Deshalb halte ich die Ideen des Kollegen für relativ falsch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich denke, wir haben Gelegenheit, das in den Ausschüssen im Einzelnen detailliert zu besprechen. Ich freue mich über das Lob und den Dank. Vielleicht können wir gemeinsam die Sache so formulieren. Ich habe vor etlichen Jahren in diesem Hause – damals noch als Oppositionssprecher – auf eine Persönlichkeit Bezug genommen, die sich in Hessen große Verdienste erworben hat und die auch sehr umstritten war.Aber ich finde, sie passt hierher.

Wir haben in Hessen eine besondere Geschichte im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Ich will zwei Namen nennen, die aus meiner Sicht in besonderer Weise zu nennen sind. Der eine ist Wilhelm Leuschner, dessen wir jedes Jahr gedenken, der im Kampf gegen den Rechtsextremismus und die Nazis sein Leben ließ.Das war vor dem Krieg.

Der andere ist unser früherer Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich gegen massivste Widerstände der Aufarbeitung dieser Untaten gewidmet hat. In der Zeit, in der er arbeitete, ist er oft missverstanden worden. Wir sind heute 40 Jahre weiter.

Ich glaube, ich kann für das ganze Haus sprechen: Diese Tradition, die wir in Hessen haben, verlangt Sensibilität, sie verlangt Entschiedenheit und Entschlossenheit im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf allen Ebenen. Das war die Leitlinie der Landesregierung,und das wird sie auch bleiben.– Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Rudolph.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine Debatte, die dem Ernst der Sache angemessen geführt wird. Herr Innenminister, ich möchte den Fokus auf ein, zwei andere Punkte lenken – Thema: Finanzierung der Rechten und deren Aktivitäten, Stichwort: Was tun wir, was tun Sie, wenn es in Hessen um die Gemeinnützigkeit etwa von Burschenschaften geht? – Die Innenminister haben sich vereinbart, in die Finanzstrukturen zu schauen.Wie finanziert sich beispielsweise die NPD? Den rechten Gruppen muss der Nährboden zur Finanzierung ihrer Aktivitäten entzogen werden. Deshalb muss genau hingeschaut werden, was passiert. In dieser Hinsicht besteht noch Aufklärungs- und Handlungsbedarf, Herr Innenminister. Das ist deswegen ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Sie sagen, mit diesen 250.000 c könne man nichts bewirken. Die schwarz-rote Bundesregierung hat 4 Millionen c draufgelegt; sie wollte ursprünglich Kürzungen vornehmen. Diese Mittel können von den Kommunen für spezielle Programme abgerufen werden. Ja, das ist richtig.

Ein zentraler Ansatz bei der gesamten Thematik ist, dass sich etwas in den Strukturen verändert. Der Anteil der rechten Personen, die das Dritte Reich noch persönlich miterlebt haben, wird biologisch abnehmen, und es rücken die jungen nach. Wir haben in Hessen einen NPDVorsitzenden aus dem Bereich Butzbach. Wir wissen, wie sich die Strukturen und Agitationen verändern. Deswegen müssen wir auch diesen Herausforderungen gerecht werden. Das wird und darf an der Stelle mehr Geld kosten.

Wir müssen versuchen, an die jungen Leute heranzukommen, die Infiltrationen erlegen sind. Wenn vor Schulen CDs verteilt werden – von neun oder zehn Liedern sind sieben, acht unproblematisch, eins, zwei eindeutig mit rassistischem Hintergrund und Fremdenfeindlichkeit –, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Wir brauchen – Frau Kollegin Wagner ist jetzt nicht mehr hier – die Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Das fehlt mir zu einem Teil.

Herr Bouffier, an einer Stelle haben Sie völlig Recht: Rechtsextreme Tendenzen gab es schon in den letzten Jahren. Das ist kein neues Phänomen. – Wenn Sie sich die Studie der Ebert-Stiftung anschauen, stellen Sie fest, Hessen liegt in bestimmten Bereichen über dem Schnitt anderer Länder, beispielsweise beim Ausländerextremismus. Gerhard Schröder hat vor Jahren bei einer großen Demonstration einmal den Satz von dem Aufstand der Anständigen geprägt.Wir brauchen die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen mit dem Thema des Rechtsextremismus. Das ist eine Debatte, die zum Teil unangenehm ist. Zum Teil wird sich weggeduckt. Das kann so nicht gehen.

Ich bin sehr kritisch zur Diskussion um die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes in Berlin und ein neues NPD-Verbot. Ich bin sehr dafür, die politische Auseinandersetzung auf allen Ebenen des demokratischen Rechtsstaates mit diesen Gruppierungen zu suchen. Das halte ich für den besseren Weg, als über ein neues Verbotsverfahren in Karlsruhe zu gehen – eine ganz klare Position.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben das auch in Berlin auf einer Tagung von SPDSprechern aus Bund und Ländern deutlich gemacht. Ihr innenpolitischer Sprecher Bosbach hat heute Morgen erklärt, man sei gesprächsbereit.

Wir teilen also nicht alles automatisch, was hierzu diskutiert wird. Dieses Thema ist mir viel zu ernst, als dass wir jetzt juristische Auseinandersetzungen darüber führen. Wir müssen die politische Auseinandersetzung auf allen Ebenen führen, die uns zur Verfügung stehen. Besonders problematisch sind die Rezepte, die einfachen Lösungen. Das ist diese perfide Argumentation gerade auch der Rechten, für die junge Leute besonders anfällig sind. Deswegen brauchen wir auch eine bessere Vernetzung in die Schulen. Dort muss mehr getan werden.

Ich glaube, auch die Hessische Landeszentrale für politische Bildung kann in diesem Bereich noch mehr tun. Es muss uns gemeinsam gelingen, diese Problematik ernst zu nehmen – und heute war das eine sehr ernsthafte Debatte –, ohne dass wir deswegen andere extremistische Bedrohungen vernachlässigen. Diese rechtsextremistischen Tendenzen gibt es im Osten wie im Westen. Die Formen ändern sich, aber es bleibt genauso subtil. Die Methoden der Skinheads werden sich ändern, aber die Parolen sind die gleichen. Es ist der gleiche braune Sumpf, der heute manchmal in Schlips und Kragen daherkommt. Das ist gleichzeitig das Gefährliche.

Deswegen denke ich, wir sollten dazu eine Anhörung im Innenausschuss unter der Beteiligung anderer Ausschüsse durchführen. Das Thema ist zu ernst für parteipolitische Auseinandersetzungen.

Ich glaube,das war heute eine gute,sachliche Debatte.Wir sollten diesen Weg gemeinsam weitergehen, im Interesse der Demokratie. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache beendet, die Große Anfrage ist besprochen.

Was machen wir mit dem Antrag unter Tagesordnungspunkt 71?

(Axel Wintermeyer (CDU): Dem Innenausschuss überweisen!)

Okay, den überweisen wir dem Innenausschuss. Ich stelle fest, wir überweisen den Antrag unter Tagesordnungspunkt 71 zur weiteren Behandlung dem Innenausschuss. – Das ist somit beschlossen.

Meine Damen und Herren, damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 38:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend Religionsfreiheit und Tierschutz sind kein Gegensatz – Drucks. 16/6557 –

Gemeinsam damit rufe ich Tagesordnungspunkt 66 auf:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend unnötiges Leiden von Tieren verhindern – Drucks. 16/6694 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Als Erste hat Frau Abg. Lannert für die Fraktion der CDU das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Religion kann und darf kein Deckmantel für Verletzungen des Tierschutzes sein.