Zudem gibt es Gerüchte, dass die Landesregierung § 65 Hochschulgesetz streichen will. Herr Corts, ich wäre froh, wenn das nicht so wäre; aber dann sollten Sie sich heute hierhin stellen und sagen,dass Sie das nicht vorhaben,und erklären, dass und wie Sie die Möglichkeit aufrechterhalten wollen,alle Studiengänge auch in Teilzeit zu studieren.
Die Rechtslage sieht nämlich momentan anders aus. Das Teilzeitstudium ist in Gefahr, und das wird fatale Auswir
kungen haben. Eine Abschaffung des Teilzeitstudiums erschwert nämlich das Studieren vor allem für junge Leute mit Kindern. Studierende mit Kindern können eben nur einen Teil ihrer Zeit für das Studium aufwenden. Sie müssen nach der neuen Regelung aber in vollem Umfang Studiengebühren zahlen. Das ist ungerecht, und, meine Damen und Herren von der CDU, es ist vor allem familienfeindlich.
Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, kommen Sie jetzt bitte nicht mit Ihren sechs Freisemestern. Die sind nun wirklich nicht ausreichend,und gerade dann, wenn beide Elternteile studieren und sie sich diese sechs Semester teilen müssen, wirklich geradezu lächerlich wenig. Herr Corts und Herr Koch, ich dachte, dass Sie beim Stichwort „Leben mit Kindern“ schon weiter seien. Beweisen Sie, dass die Themen Familienfreundlichkeit und Erhöhung der Geburtenrate für Sie nicht nur Sprechblasen sind. Machen Sie die Abschaffung des Teilzeitstudiums wieder rückgängig.
Wie absurd Ihre Politik an diesem Punkt ist, beweist eine Studie, die letzte Woche veröffentlicht wurde. Dieser neuen Studie eines Bildungsforschers zufolge haben Studiengebühren negative Auswirkungen auf die Realisierung des Kinderwunsches von Leuten, die studieren, und vor allem von Leuten, die nach dem Studium Studiengebühren abzahlen müssen.Das Ergebnis dieser Studie wird sich zwangsläufig stärker realisieren, wenn Studierende mit Kindern nicht mehr in Teilzeit studieren können. Das hätte nämlich zur Folge, dass sie länger studieren müssen, dementsprechend noch mehr zahlen müssen und der Kinderwunsch wegen der hohen Kosten verschoben wird.
Die am härtesten von der Abschaffung des Teilzeitstudiums betroffene Gruppe sind die Studierenden, die neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Für sie sieht auch das aktuelle Studiengebührengesetz überhaupt keine Regelungen vor. Nach der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes sind es immerhin 66 % der Studierenden, die während der Vorlesungszeit erwerbstätig sind. Diese Studierenden müssten entweder länger studieren, weil sie nebenher arbeiten, und dadurch eben höhere Gebühren zahlen,oder sie müssten – das gibt es ja seit einigen Monaten und Jahren – einen Kredit zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts aufnehmen, entweder bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau oder bei anderen Banken,und dann müssten sie hinterher neben dem Darlehen für die Studiengebühren die doppelte Schuldenlast zurückzahlen.
Das hat zum einen eine abschreckende Wirkung gerade auf Angehörige sogenannter bildungsferner Schichten, überhaupt ein Studium aufzunehmen. Das haben wir hier schon oft diskutiert.Wir brauchen aber mehr Studierende. Sie tun mit Ihrer Politik alles dagegen, dass Menschen gerade aus bildungsfernen Schichten überhaupt ein Studium aufnehmen wollen.
Zum anderen – das finde ich fast noch eine Spur fataler – sind gerade wieder diejenigen betroffen,die von zu Hause aus kein Geld mitbringen. Dass das von Ihnen nicht ge
wollt ist, das kann mir angesichts der Politik, die Sie gegen diesen Personenkreis betreiben, keiner mehr erzählen.
Die Abschaffung des Teilzeitstudiums ist ein weiterer Schritt zu mehr Chancenungerechtigkeit. Ich fordere Sie, Herr Corts, auf, über diese Regelung noch einmal nachzudenken. Ich wäre sehr froh, wenn Sie sich eines Besseren belehren ließen und diese Regelung wieder rückgängig machen würden.
Herr Corts, nun behaupten Sie, es gebe weiterhin die Möglichkeit, in Teilzeit zu studieren. Sie verweisen auf die Teilzeitstudiengänge. Herr Corts, Sie wissen ganz genau, dass das etwas vollkommen anderes ist. Ab dem 1. Oktober 2007, also genau dann, wenn das Teilzeitstudium abgeschafft werden soll, gibt es nämlich lediglich noch die Möglichkeit, Teilzeitstudiengänge zu studieren. Auch das steht im neuen Studiengebührengesetz. Darauf verweisen Sie in Ihrer Pressemitteilung von gestern. Das ist aber Augenwischerei, und das wissen Sie ganz genau.
Teilzeitstudiengänge sind nämlich extra auf ein Teilzeitstudium ausgelegte Studiengänge. Diese müssten von den Hochschulen erst einmal eingerichtet werden. Gemäß der Antwort auf einen Berichtsantrag, den die Landesregierung im Juli 2005 beantwortet hat, gibt es in Hessen ganze zehn Teilzeitstudiengänge an drei hessischen Hochschulen. Davon sind drei Fernstudiengänge, zwei sind Aufbaustudiengänge, und einer ist ein Masterstudiengang. Meine Damen und Herren, damit Sie sich einmal ein Bild davon machen können, was das in Zukunft für die Studierenden mit Kindern, für die Studierenden, die nebenbei arbeiten müssen, und für die Studierenden, die nicht an den Hochschulstandorten Kassel,Gießen/Friedberg und Darmstadt wohnen und studieren wollen, bedeutet, sage ich: Den zehn Teilzeitstudiengängen stehen 625 sogenannte grundständige Studiengänge gegenüber. Mit einer Vielfalt des Studiums hat das gerade für diese Personengruppe wirklich nichts zu tun.
Herr Corts, Sie wissen ganz genau, wie lange es dauert, an den Hochschulen neue Studiengänge einzurichten. Sie wissen ganz genau, dass das nicht bis übermorgen möglich sein wird.Sie wissen ganz genau,wie lange es dauern wird, bis den Studierenden beispielsweise an der Uni Frankfurt – der größten hessischen Hochschule, die logischerweise die meisten Studierenden hat, von denen, weil die Lebenshaltungskosten dort sehr hoch sind, die meisten neben dem Studium arbeiten müssen – Teilzeitstudiengänge angeboten werden können. Das alles ist also Augenwischerei. Wenn Sie den Studierenden und den Studienanfängern mit solchen Augenwischer-Pressemitteilungen, wie der von gestern, etwas vormachen wollen, dann wird das fatale Auswirkungen haben. Es wirft aber auch ein schlechtes Licht auf Sie selbst.
Herr Wissenschaftsminister, ich kann Ihnen im Interesse der jungen Leute, aber auch in Ihrem eigenen Interesse nur raten, dass Sie dieses Thema ernster nehmen sollten, als Sie es bisher tun. Gerade gestern Abend habe ich mit einer Frau gesprochen, die bislang Medizin studierte und
während ihres Studiums drei Kinder bekam und im Wesentlichen auch betreute. Drei Kinder und gleichzeitig ein Medizinstudium sind eine große Herausforderung. Deshalb hat sie sich jüngst entschlossen, zum Studiengang Psychologie zu wechseln, der bislang in Teilzeit studierbar ist.Das wird aber nicht möglich sein,denn im nächsten Semester wird die Universität Frankfurt den Studiengang Psychologie nicht als Teilzeitstudiengang anbieten. Das wird noch einige Zeit dauern. Bis dato gibt es, wie gesagt, in Frankfurt überhaupt keinen einzigen Teilzeitstudiengang.
Ich frage Sie: Was würden Sie dieser Frau raten? Sie sagen, ich würde Panik machen. Das tue ich nicht. Ich weise hier auf die Realität hin, und ich mache Sie auf Ihre Fehler aufmerksam. Ich möchte von Ihnen gerne eine Antwort auf die Frage hören, was ich dieser Frau raten soll.
Wenn die Argumente Familienfreundlichkeit und Erhöhung der Geburtenrate gerade bei Akademikerinnen und Akademikern nicht schon schlagkräftig genug ist, will ich noch einmal mit der Aussage eines Instituts argumentieren, das eher aus Ihrem Mund zitiert wird, nämlich dem Centrum für Hochschulentwicklung. Im Dezember 2006, also vor relativ kurzer Zeit, hat das CHE eine Studie herausgegeben,die eindeutig belegt,wie wichtig es ist,gerade in Zeiten von Studiengebühren mehr Teilzeitstudiengänge zu schaffen. Ich zitiere aus einer „dpa“-Meldung zu dieser Studie:
Studierende in Deutschland brauchen nach Einschätzung des Centrums für Hochschulentwicklung mehr Teilzeitstudienplätze.Mehr als 12 % aller Studierenden empfänden sich als Teilzeitstudenten. Gleichzeitig machten dazu passende Studiengänge nur 2 % des Studienangebots aus.
Das CHE spricht sich dafür aus, die Studiengebühren am Umfang der tatsächlichen Nutzung der Studienangebote zu bemessen. Die Gebührenerhebung je Semester benachteilige die betroffenen Studenten, solange es keine Regelung zu Teilzeitstudenten und nur wenige offizielle Angebote gebe.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mir nicht Glauben schenken wollen, glauben Sie wenigstens einem eher konservativen Forschungsinstitut und lassen sich eines Besseren belehren.
Mir ist das Thema wirklich wichtig, weil ich glaube, dass Sie damit neben den Studiengebühren die fatalste wissenschaftspolitische Entscheidung treffen. Gerade denjenigen, um die es uns geht, um die wir werben – wir brauchen mehr Studierende, nämlich Studierende mit Kindern, Studierende,die sonst nicht oder nur mit Schwierigkeiten studieren können, und insbesondere Studierende, die neben dem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, weil sie von zu Hause kein Geld bekommen –, legen Sie neben den Studiengebühren,die eh schon hart genug sind, noch weitere Steine in den Weg. Ich fordere Sie auf, noch einmal in sich zu gehen und diese Regelung rückgängig zu machen.
Herr Corts, ich fordere Sie auf, dafür zu sorgen, dass ein Teilzeitstudium wie bisher möglich bleibt, nämlich in der Vielfalt des Angebots in allen Studiengängen und nicht nur in ausgewählten Teilzeitstudiengängen. Alles andere ist in der heutigen Zeit unverantwortlich.
Zudem fordere ich Sie auf, den Anspruch auf ein Teilzeitstudium im Hessischen Hochschulgesetz zu belassen. Dazu gehört auch, schnellstmöglich eine entsprechende Rechtsverordnung zu erlassen, zudem dafür zu sorgen, dass die Hochschulen durch Teilzeitstudiensatzungen und geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass der noch bestehende Rechtsanspruch auf ein Teilzeitstudium weiter ausgebaut wird. Meine Damen und Herren, alles andere wäre wirklich verantwortungslos.
Vielen Dank, Frau Sorge. – Als Nächster hat sich Herr Staatsminister Corts zu Wort gemeldet. Bitte sehr.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tat mittlerweile fast weh, nicht nur mir, sondern den meisten im Raum. Frau Kollegin Sorge, was Sie hier veranstaltet haben, war eine Phantomdiskussion.
Sie wissen es genau, insbesondere nachdem ich Ihnen auf dem kleinen Dienstweg habe mitteilen lassen, dass das, worauf Sie Ihre gesamte Diskussion aufgebaut hatten, zerbröselt ist, nämlich eine irregeleitete Homepage der Frankfurter Universität, die von dem Präsidenten, nachdem ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe, richtiggestellt wurde.Da Sie schon zur Pressekonferenz eingeladen hatten, konnten Sie gar nicht mehr zurück. Herr Al-Wazir hätte,ich weiß nicht,was mit Ihnen gemacht,wenn Sie eingeknickt wären, und es wäre der Verdacht einer schwarzgrünen Liaison aus Frankfurt aufgekommen.
Ich verstehe, dass Sie sich dauernd über mich aufregen müssen. Das müssen Sie, um wieder auf die Landesliste zu kommen. Ich weiß nicht, was Sie alles veranstalten müssen, damit Sie ja nicht zu nah an die Schwarzen herankommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie dürfen nicht von Roland Koch auf andere schließen!)
Aus Ihrer Sicht gesehen habe ich volles Verständnis. Nichtsdestotrotz muss ich das, was Sie gesagt haben, richtigstellen.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß nicht, wovor Sie Angst haben, aber bitte keine Projektion!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Nicola Beer (FDP) – Michael Boddenberg (CDU): Berninger hat auch einmal so angefangen!)
Ein Teilzeitstudium war bislang möglich und wird auch künftig möglich sein. Ich kann es auch noch einmal wiederholen.
Liebe Frau Sorge,Ihr fadenscheiniger Versuch,mit gegenteiligen Behauptungen Stimmung gegen das Studienbeitragsgesetz zu machen – es ist übrigens ein Studienbeitragsgesetz; auch wenn Sie Spaß daran haben: ein Studiengebührengesetz gibt es nicht, sondern es gibt ein Studienbeitragsgesetz –,
(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Michael Boddenberg (CDU): Das ist ein feiner Unterschied, Herr Al-Wazir!)
um damit die Ängste bei den Studierenden zu schüren, bewegt sich auf ziemlich niedrigem Niveau. Deswegen fordere ich Sie, die GRÜNEN, aber auch die Sozialdemokraten, an dieser Stelle auf, Schluss damit zu machen, die Ängste der Studierenden weiter zu schüren und mit ihrer Unwissenheit und ihrer Uninformiertheit zu spielen. Das ist nicht fair. Das sollten Sie als Politiker nicht machen. Es sollte wieder deutlich werden,dass ein Studium eine wichtige Investition in die eigene Zukunft ist. Unsere Studierenden brauchen Perspektiven und keine Desinformationspolitik, wie Sie sie betreiben, um diesen wichtigen Teil ihres Lebens zu bewältigen, anstatt dass Sie Angstgespenster,wie ich es heute wieder gehört habe,an die Wand malen.
Die auf der Website der Universität Frankfurt platzierte irreführende Angabe, wonach ein Teilzeitstudium ab dem Wintersemester 2007/2008 nicht mehr möglich sei, wurde unterdessen am vergangenen Freitag, nachdem ich sie darauf aufmerksam gemacht habe, richtiggestellt.