Protokoll der Sitzung vom 30.01.2007

Danke, Herr Dr. Jürgens. – Dann darf ich Frau Beer für die FDP-Fraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Diskussion eben zwischen der Kollegin Sorge und Herrn Minister Corts verfolgt hat, merkt man schon: Da sind eine GRÜNE und ein Schwarzer aus Frankfurt zugange, die sich wirklich mögen. Ich hoffe für Sie beide, dass Sie in der Koalitionsrunde in Frankfurt anders miteinander umgehen,

(Gerhard Bökel (SPD): Auch wer sich mag, kann sich streiten!)

weil es doch zum Schmunzeln anregt, wenn man hier in der Diskussion hört, dass die grünen Kollegen erklären, sie träfen mit ihrer Kritik ins Schwarze, und die CDU erklärt, alles sei im grünen Bereich.

(Beifall bei der FDP – Axel Wintermeyer (CDU): Wenn Sie jetzt noch sagen würden, dass Roth gewonnen hat!)

Aber kommen wir doch zur eigentlichen Debatte und vor allem zum Sachverhalt zurück. Sehr geehrter Herr Minister,liebe Kolleginnen und Kollegen,ich kann für die FDPFraktion in diesem Hause nur begrüßen,dass der Minister heute hier, wie ich finde, sehr deutlich klargestellt hat, dass § 65 des Hessischen Hochschulgesetzes weiter Anwendung findet. Das heißt, dass jeder Studierende, der die

dort genannten Voraussetzungen erfüllt, in diesem Land an hessischen Hochschulen einen Anspruch auf Teilzeitstudium hat,auch jenseits der als solche fest vorgesehenen Teilzeitstudiengänge, sondern allein aufgrund der Belastungssituation,die § 65 des Hessischen Hochschulgesetzes definiert.

Ich glaube auch – ich hoffe, dass wir uns darin in diesem Hause alle einig sind –, dass es in der heutigen Zeit unverantwortlich wäre,Teilzeitstudien ad acta zu legen.Von daher ist das genau die richtige Reaktion, Herr Minister. Denn alle hier im Hause wollen doch, dass unsere jungen Leute schon Nachwuchs bekommen, auch wenn sie noch studieren, und nicht den Kinderwunsch erst bis zum Abschluss des Studiums aufschieben, dann in die klassische Karrierefalle gehen, indem sie sagen: „Ich starte erst im Beruf durch“, und nachher, Ende 30, überlegen, dass sie den Zeitpunkt, um Kinder in die Welt zu setzen, verpasst haben.

(Beifall bei der FDP)

Das ist etwas, was wir in der Enquetekommission Familie immer wieder gehört haben. Genauso wollen wir alle miteinander,dass Verwandte,Angehörige lieber zu Hause gepflegt,von den eigenen Angehörigen betreut werden,statt sie in Pflegeheime abzuschieben und dann so alle zwei Monate einmal am Wochenende zu besuchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso ist es Realität, dass ein ganz großer Teil der Studierenden heutzutage gezwungen ist, für seinen Lebensunterhalt neben dem Studium zu arbeiten, und trotzdem ein Studium absolvieren will. Ergo: Es wäre diesen Studierenden Steine statt Brot gegeben, heute das Teilzeitstudium abzuschaffen, egal auf welcher Verwirrung oder unklaren Regelung fußend dies geschehen sollte. Denn alle Studien, die wir heute vorliegen haben, zeigen, dass wir in diesem Land mehr Akademikerinnen und Akademiker brauchen. Ihnen stattdessen jetzt das Studium zu erschweren wäre mehr als kurzsichtig.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Von daher noch einmal:Herr Minister,wir begrüßen diese Klarstellung, die Sie eben sehr deutlich gemacht haben.

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Allerdings muss ich doch mit einem gewissen Schmunzeln sagen, dass die Erklärung, die Änderungen in der Immatrikulationsverordnung, die über das Studienbeitragsgesetz erfolgt sind, seien der Deregulierung und der Vergrößerung der Autonomie der Hochschulen gezollt, bei uns mehr als eine Art Rettungsversuch ankommt, um die Situation jetzt noch einmal klarzustellen, auch wenn wir das Ergebnis dieser Klarstellung begrüßen.

Denn man muss doch recht deutlich sagen, Herr Minister: Dass die Verwirrung gerade über diesen Gesetzentwurf zur Einführung der Studienbeiträge gekommen ist und dass diese Verwirrung auch bei den Hochschulen angekommen ist, zeigt nicht nur die Internetseite der Universität Frankfurt, die wir bis vor wenigen Tagen noch sehen konnten, sondern dies zeigt auch, dass man, wenn man angerufen hat, nicht nur bei der Universität Frankfurt, sondern allgemein, bis hin zu den Präsidialbüros, die Auskunft bekommen hat:Wir sehen uns regelrecht gehindert, weiter Teilzeitstudien anzubieten.

Wir wissen zwar auch, dass § 65 noch gilt.Aber wenn man in das Studienbeitragsgesetz der CDU schaut,das hier mit Mehrheit durch die CDU beschlossen worden ist, dann findet man in der dortigen Begründung zu der Passage, die die gesamten Regelungen zum Teilzeitstudium aus der Immatrikulationsverordnung herausnimmt, auch folgenden Satz: „Eine den bisherigen Regelungen der Immatrikulationsverordnung entsprechende Berücksichtigung individueller Studiengestaltung als Teilzeitstudium ist jedoch mit einem System allgemeiner Studienbeiträge nicht mehr kompatibel.“

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hört, hört!)

Will heißen:Teilzeitstudium ist nicht mehr kompatibel mit den Studienbeiträgen, gibt es nicht mehr. – Herr Minister, in der Begründung steht leider gar nichts drin von mehr Autonomie und von Deregulierung.

(Beifall bei der FDP)

Es wäre auch wesentlich transparenter für die Hochschulen gewesen, es so zu regeln, wie Ihnen die FDP-Fraktion das in ihrem Studiengebührengesetz vorgeschlagen hat. Wir haben nämlich ganz klar gesagt, im Gesetz soll weiter die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums verankert sein,und den Hochschulen soll die Kompetenz gegeben werden – und zwar per Gesetz, nicht erst über eine Verordnung –,

(Beifall bei der FDP)

wenn sie Studiengebühren erheben – auch das sollten sie selbst entscheiden, aber wenn sie Studiengebühren erheben –, dann auch festlegen zu können, dass sie für solche Studierenden, die nur in Teilzeit studieren, verringerte Studiengebühren erheben können. Damit wäre das Problem klar,offen,transparent für alle Hochschulen und alle Studierenden in diesem Land geregelt gewesen.

Herr Minister, leider sind Sie diesem Vorschlag nicht gefolgt. Ich glaube, das hat ein bisschen zu der Verwirrung beigetragen, weil Sie nach der jetzigen Rechtslage schon gezwungen sind – Herr Kollege Dr. Jürgens hat das juristisch noch einmal dargelegt –, über eine Verordnung aufgrund der Verordnungsermächtigung, die Sie in § 65 des Hessischen Hochschulgesetzes haben, klarzustellen, dass Sie jetzt weiterdelegieren auf die Hochschulen, weil diese Weiterdelegation in diesem Land bislang noch nicht vorhanden ist und allein durch das Streichen von § 3 Immatrikulationsverordnung auch nicht erreicht werden konnte.

Wir warten also auf diese Weiterdelegation.Aber ich kann es mir an dieser Stelle nicht ersparen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sie all die Probleme, die Sie angesprochen haben im Hinblick darauf, dass es doch ungerecht sei, als Teilzeitstudierender immatrikuliert zu sein und dann aber in Vollzeit studieren zu können, und dass Sie deswegen all diese Änderungen vorgenommen hätten, nicht hätten, wenn Sie dem FDP-Modell des Bildungsgutscheins folgen würden. Da ist nämlich ganz selbstverständlich, dass sie ihre Bildungsgutscheine so einsetzen, wie sie Seminare, Vorlesungen, Übungen oder Sonstiges besuchen, dass sie also nur das per Gutschein „bezahlen“, was sie auch in Anspruch genommen haben. Eine größere Gerechtigkeit kann ich mir kaum vorstellen.

Auch das haben Sie leider nicht gemacht. Seis drum.Vielleicht kommt hier – sage ich einmal – doch noch ein Fortschritt zustande. Wir freuen uns auf jeden Fall darüber,

dass das Teilzeitstudium weiter möglich sein soll. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Beer. – Herr Siebel, Sie haben sich als Nächster zu Wort gemeldet. Bitte.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, da die Diskussion an der einen oder anderen Stelle eine allgemeine Wendung genommen hat und über den speziellen Anlass, den Setzpunkt der GRÜNEN, hinausging, will ich darauf Bezug nehmen. Herr Staatsminister Corts, Sie haben von den segensreichen Einlassungen der Hessischen Landesregierung gesprochen und – in Übernahme der Terminologie von Frau Beer – davon, dass die Hochschulen in Ihrer Regierungszeit vom Gängelband befreit worden seien.

(Nicola Beer (FDP): Hat er schön gemacht!)

Herr Staatsminister, zu den wiederholten Nachfragen, die in den letzten Monaten an Sie, Ihr Haus, die Landesregierung und die CDU-Fraktion gestellt worden sind und bei denen es darum ging, die Grundidee der Modelluni Darmstadt an der einen oder anderen Stelle auf die anderen Hochschulen zu übertragen. Diese Grundidee wird von uns nicht bestritten. Wenn im „Darmstädter Echo“ fälschlicherweise stand – Sie haben mich darauf angesprochen –, dass das Modelluniversitätsgesetz unter der SPD-Ägide entstanden sei, so sage ich Ihnen: Es ist in Ihrer letzten Regierungsperiode entstanden.

Aber die Realität ist die, dass die Mitglieder von SPD und auch von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss immer wieder nachgefragt haben, wann die segensreichen Grundzüge des Modelluniversitätsgesetzes auf die anderen Hochschulen übertragen würden und ob Sie einen weiteren Modellversuch an der Fachhochschule GießenFriedberg starten wollten. Diese Fragen sind immer wieder verneint worden.

Die Realität ist die, dass die Mitglieder der Regierungsfraktion und der Landesregierung bis zum heutigen Tag nicht die Kraft haben, eine Diskussion darüber zu führen, was von dem Modell an allen hessischen Hochschulen weitergeführt werden kann. Sie sind in dieser Situation blockiert.Wir wollen, dass die Grundzüge des Modelluniversitätsgesetzes auf alle hessischen Hochschulen übertragen werden. Das ist der erste Punkt, den ich festhalten möchte.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt bezieht sich auf die Möglichkeiten, ein Teilzeitstudium zu absolvieren.Der Sachverhalt ist an sich relativ einfach: Die amtierende Landesregierung hat im Jahr 2006 mittels dieses schon zitierten § 65 HHG Studierenden, die berufstätig sind, die Angehörige betreuen müssen oder – wie es so schön heißt – „andere wichtige Gründe“ haben, die Möglichkeit eröffnet, in Teilzeit zu studieren, wenn mindestens während der Hälfte der Studienzeit ein Vollzeitstudium absolviert wird.

Wenn wir dieses Gesetz gemacht hätten, hätten wir erklärt, was „sonstige Gründe“ sind. „Sonstige Gründe“ – was ist denn das? „Sonstige Gründe“ – darunter fallen z. B., wie schon gesagt worden ist, die Kinderbetreuung,

die Notwendigkeit, neben dem Studium zu arbeiten, eine Behinderung oder chronische Krankheiten.

Ich finde es relativ bezeichnend,dass die Landesregierung alle diese Tatbestände – Kinderbetreuung, die Notwendigkeit, zu arbeiten, Behinderung und chronische Krankheiten – in diesem Gesetz als „sonstige Gründe“ abtut. Dass Sie es mit dem Sozialen nicht so haben, wissen wir. Aber dass es in dem Gesetz so außer Acht gelassen wird, halte ich für einen relativ bemerkenswerten Vorgang.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen doch der Realität ins Auge sehen. Ich sage noch einmal: Wir brauchen nicht weniger Studierende – das Zuhören gilt auch für den Kollegen Reißer –, sondern wir brauchen insgesamt mehr Studierende. Das heißt, wir brauchen auch diejenigen, die in Teilzeit studieren. Deshalb benötigen wir eine Förderung der Teilzeitstudiermöglichkeiten und der Teilzeitstudiengänge. Wir brauchen aber keine Behinderungen.

Wenn ich mir in Ihrem Gesetzentwurf unter Art. 4 – das ist ja ein Artikelgesetz – den Verordnungsteil anschaue, stelle ich fest, dass dort die Möglichkeit, ein Teilzeitstudium aufzunehmen, gestrichen ist. Der Weg, den Sie da eingeschlagen haben, ist falsch. Wenn die Missverständnisse aber sozusagen auf der Platte liegen, müssen sie nach meiner Auffassung nachhaltig beseitigt werden. Das ist schlicht der Hintergrund, mit dem wir es momentan zu tun haben.

Jetzt stellt sich die Frage, woran es denn liegt, dass wir dieses Dilemma haben. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären. Herr Staatsminister, Sie sind vielleicht sogar einem psychologischen Phänomen aufgesessen. Sie haben ein Interesse daran, Ihr Studienbeitragsgesetz durchzubringen. Das ist der Leuchtturm, den Sie entwerfen wollen.

Wenn man aber sein Augenmerk auf einen sehr speziellen Punkt richtet, führt das immer dazu, dass man die Realität daneben ein bisschen aus dem Auge verliert. Das ist einmal von jemandem untersucht worden. Ich weiß nicht, ob Sie die Studie kennen: Prof. Dörner hat sie durchgeführt. Im Rahmen eines Modellversuchs sollten Studierende die Situation in einem afrikanischen Land am Computer simulieren. Sie sollten z. B. Bewässerungssysteme entwerfen. Dabei ergab sich folgendes Phänomen: Fast alle Probanden haben einen bestimmten speziellen Aspekt sehr gut bearbeitet. Trotzdem mussten sie feststellen, dass daneben Probleme existierten, die nicht bewältigt werden konnten, und dass ihnen die Leute sozusagen wegstarben.

Meine Damen und Herren, das ist das Phänomen, dem auch Sie aufsitzen.Was die Einführung von Studiengebühren betrifft, so wollen Sie mit Ihrem Gesetz einen Leuchtturm kreieren.Aber auf der anderen Seite lassen Sie diejenigen, die in Teilzeit studieren müssen, weil die ökonomischen Bedingungen so sind,wie sie sind,am ausgestreckten Arm verhungern. Das ist etwas, was wir nicht akzeptieren können und was hier auch verurteilt werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt einen relativ einfachen Weg,die Missverständnisse auszuräumen:Stimmen Sie Punkt 3 und 4 des Antrags von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu. Dann sind alle Probleme aus der Welt geschafft, und dann hat man sozusagen eine Lösung generiert.Dies kann man meiner Ansicht nach solide machen.Dann sind die Missverständnisse ausgeräumt – wenn es denn Missverständnisse waren.

Aber ich glaube, im Kern liegt es daran, dass diese Landesregierung ihr Augenmerk von denjenigen abgewandt

hat, die studieren müssen und gleichzeitig Kinder aufziehen oder neben dem Studium arbeiten müssen. Dass Ihnen dieses Augenmerk abhandengekommen ist, ist der Kern des Problems, mit dem wir es hier zu tun haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Siebel. – Als Nächste hat Frau Kühne-Hörmann für die CDU-Fraktion das Wort.