Protokoll der Sitzung vom 07.03.2007

Wir brauchen hier keinen Streit darüber, ob es nun 500 oder 600 mehr sind. Wir brauchen eine für die Planung verbindliche Grundlage in den Zahlen. Natürlich hat der Anteil der betreuten Kinder zugenommen. Wir haben auch einen Rückgang der Zahl der Kinder dieser Altersgruppe. Wir haben auch eine Zunahme an Betreuungsplätzen. Aber auch das ist in allen Bundesländern passiert.

Meine Damen und Herren, das Problem in Hessen ist: Sie versuchen, sich hier als Leuchtturm hervorzureden, aber in Wirklichkeit sind Sie Durchschnitt. Deswegen sind weitere Anstrengungen notwendig, statt mit Schönfärberei zu argumentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kinder sind uns lieb und teuer. Deswegen brauchen wir keine verwirrenden Zahlenspiele von einer Presseerklärung zur nächsten. Wir brauchen auch keine falschen Behauptungen, wie es in der letzten Woche vonseiten der SPD geschehen ist, mit einer Betreuungsquote von 5 %. Auch das trifft natürlich nicht zu und hat mit seriöser Argumentation nichts zu tun.

Wir gehen davon aus, dass Frau von der Leyen recht hat, dass wir heute einen Betreuungsbedarf haben, der ungefähr bei 30 % der unter Dreijährigen liegt, und dass wir bis zum Jahre 2013 mindestens für 25 % der Kinder unter drei Jahren einen Platz zur Verfügung stellen müssen.

Wir können genau sagen, was das bedeutet. In Hessen werden im Jahre 2013 152.000 Kinder unter drei Jahre leben. Das ist die Prognose des Statistischen Landesamtes. 35 % davon heißt 53.200 Plätze. Wenn wir derzeit von 15.100 oder meinetwegen auch 16.000, 17.000, 18.000 ausgehen, brauchen wir zwischen 30.000 und 40.000 neue Plätze. Wir müssen jetzt sehen, welches Finanzierungskonzept wir von Kommunen, Bund und Land zusammenbekommen, um genau diese Plätze wirklich bereitstellen zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in Hessen tragen derzeit die Kommunen die finanziellen Hauptlasten der Kleinkinderbetreuung. Das war schon immer so. Das hat sich aber auch durch das BAMBINI-Programm nicht geändert. Der Löwenanteil der Finanzierung kommt aus dem Kommunalen Finanzausgleich, nur wenige zusätzliche Landesmittel haben sich in den letzten Jahren leicht erhöht. Aber alle Mittel reichen nicht aus, um die notwendigen 30.000 bis 40.000 neuen Plätze zu schaffen.

Vor diesem Hintergrund ist es natürlich eine Unverschämtheit von Ministerpräsident Koch, lediglich auf Berlin zu zeigen und zu sagen: Dort muss jetzt Geld herkommen. – Es ist doch logisch. Natürlich brauchen wir Mittel vom Bund. Aber wir brauchen auch zusätzliche Mittel vom Land Hessen für diese gesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie mögen es gebetsmühlenartig wiederholen. Herr Milde hat es gerade wieder versucht. Unter Rot-Grün wurde in Hessen die Betreuungsgarantie für Kindergartenkinder umgesetzt – 60.000 neue Plätze für 750 Millionen c. Statistisch war dieser Rechtsanspruch umgesetzt, als Sie 1999 die Regierung übernommen haben.

Dann standen – da haben Sie recht – im Landeshaushalt 3,6 Millionen c. Anstatt aber nun weiter in den Ausbau der Kleinkindbetreuung zu investieren, haben Sie 50 Millionen c aus den kommunalen Mitteln für Betriebskosten und Investitionen gestrichen. Frau Lautenschläger, wenn Sie Frau Ypsilanti vorwerfen, sie könne nicht lesen, dann kaufen Sie sich eine Bifokalbrille, damit Sie die Gesamtheit der Mittel im Land Hessen überblicken können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine seriöse Datenbasis. Frau von der Leyen – das ist auch schon gesagt worden – erspart sich alle lästigen Details, um überhaupt nicht über Finanzierung zu sprechen. Die SPD hat sich wenigstens die Mühe gemacht, darüber nachzudenken.

(Michael Boddenberg (CDU): Großartig! – Ministerpräsident Roland Koch: Vier minus!)

Aber der Vorschlag, das durch einfaches Aussetzen der Kindergelderhöhung zu finanzieren, ist eine im tiefsten Maße unsoziale und ungerechte Maßnahme.

(Michael Boddenberg (CDU): Frau Ypsilanti hat nach Steuererhöhungen gerufen!)

Meine Damen und Herren, die Kleinkindbetreuung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht auf Kosten von Familien mit älteren Kindern gehen. 10 c mehr für ein Kind mag für die Meister der einfachen Wahrheiten nur eine lächerliche Summe sein. Aber für ein Kind aus ärmeren Verhältnissen stellt sich die Frage:

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Sportverein ja oder nein? Kinobesuch ja oder nein? Letztendlich Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ja oder nein? – Wenn wir für ärmere Kinder etwas erreichen wollen, ist die Teilnahme am öffentlichen Leben eine ganz zentrale Frage der Gerechtigkeit. In Deutschland leben 10,2 % der Kinder in Armut.

(Michael Boddenberg (CDU): Deshalb will die SPD das Kindergeld kürzen! – Ministerin Silke Lautenschläger: Michael, sie unterstützt uns!)

In diesen Bereich einzugreifen, halte ich wirklich für ungerecht. Es ist sicher richtig, sich darüber Gedanken zu machen, ob das Kindergeld tatsächlich in Kinder investiert wird. Aber das Einfrieren des Kindergeldes, wie es die SPD in Berlin vorschlägt,

(Ministerin Silke Lautenschläger: Und in Hessen!)

ist ein Vorschlag sozialer Kälte.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU)

Hingegen ist an den SPD-Vorschlägen richtig und zielführend, die gewaltigen Steuervorteile für Ehepaare abzubauen und die dort eingesparten 5 Milliarden c in die Kleinkinderbetreuung zu investieren. Das grüne Modell würde bedeuten, dass wir allein im Bund durch die Einsparung beim Ehegattensplitting 200 Millionen c hätten, die wir ganz gut und direkt in die Kleinkinderbetreuung in Hessen investieren könnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass die Eltern hier wirklich eine freie Wahl haben, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisieren wollen. Es muss einen Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem ersten Lebensjahr geben. Meine Damen und Herren, jedes Kind in Hessen, das Betreuung braucht, soll auch einen Betreuungsplatz bekommen – durch den flächendeckenden Ausbau von Plätzen und durch die Verbesserung der Qualität, die ich bereits eingangs angesprochen habe und die so notwendig ist. Dafür brauchen wir solide Finanzierungskonzepte.

Deswegen hat meine Fraktion in Berlin eine Kinderbetreuungskarte vorgeschlagen. Die würde auch das Problem der Überweisung von Bundesmitteln bis hinunter auf die Kommunen lösen. Gerade vor dem Hintergrund der Föderalismusreform wäre das eine vernünftige und umsetzbare Lösung. Wir begrüßen das als Fraktion hier im Hessischen Landtag ausdrücklich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu praktisch jedem Landeshaushalt der letzten Jahre hat meine Fraktion Konzepte vorgelegt, um zur Erfüllung der Betreuungsgarantie, des Rechtsanspruchs den Platzausbau für Kleinkinderbetreuung zu finanzieren. Meine Damen und Herren, diese Vorschläge wurden aber regelmäßig abgelehnt. Wir fordern in einem Landesprogramm mehr Qualität in der Betreuung von Kindern von null bis zehn Jahren. Gerade unter dem Aspekt der Vereinbarkeit und der Qualität ist das ein Landesprogramm, das umgesetzt werden muss, damit Bildung, Betreuung und Erziehung aus einem Guss für die Eltern entlastend eingesetzt werden können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, das zeigt, wenn man tatsächlich will, dann kann man auch als Land einen Beitrag zur guten Kinderbetreuung leisten. Nicht alle Menschen sind gleich. Glücklicherweise ist jeder Mensch anders. Das gilt auch für Kinder. Sie brauchen eine individuelle Förderung. Lassen Sie uns endlich darangehen, dies auch in Hessen für alle Kinder, die Betreu

ung brauchen, möglich zu machen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Als Nächste hat Frau Henzler das Wort für die FDP-Fraktion.

(Michael Boddenberg (CDU): Wo ist denn Herr Rentsch?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Florian Rentsch ist auch da, aber dieser Antrag befasst sich in ers ter Linie mit einem Bildungsthema, und deshalb rede ich zuerst.

(Michael Boddenberg (CDU): Das war nicht böse gemeint!)

Gut. – Meine Damen und Herren, wir können der Familienministerin dankbar sein, dass sie das Thema Familie in die Debatte gebracht hat und es einen solch breiten Raum einnimmt. Allerdings sollten wir uns über eines nicht hinwegtäuschen: Die Aufmerksamkeit, die dieses Thema jetzt in den Medien erhalten hat, ist auch darauf zurückzuführen, dass dieses Thema zu einem Streit in der Großen Koalition geführt hat. Medien berichten gern über Streit in einer Koalition. Deshalb ist das Thema Familie dermaßen in den Vordergrund gekommen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau von der Leyen hat sich zur Finanzierung nicht geäußert. Sie hat jetzt einen Rückzieher gemacht und gesagt, sie beruft eine Konferenz ein, um sich über die Finanzierung schlau zu machen und dann ein neues Konzept vorzulegen. Die SPD hat gesagt: Wir frieren das Kindergeld ein und nehmen den betreffenden Betrag dafür.

Prof. Borchert – uns allen in Hessen bekannt – hat dazu gesagt, das ist der völlig falsche Weg, denn dabei müssen Eltern für Eltern zahlen. Das heißt, wir spielen Eltern gegeneinander aus. Das aber kann es nicht sein.

(Beifall bei der FDP)

Frau Ypsilanti, Sie haben hier heute wieder sehr deutlich bewiesen, dass die SPD eine ganz klar staatsorientierte Politik betreibt. Sie nehmen allen Eltern das Geld weg, machen daraus ein Kinderbetreuungsprogramm, und wenn die Eltern von dem Geld wieder etwas haben wollen, dann müssen sie ihre Kinder in die staatliche Betreuung schicken. Das nennen wir Bevormundung von Eltern.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ich denke, alle Fraktionen in diesem Hause und alle Parteien sind sich über Folgendes einig: Kinderbetreuung muss sich verändern. Kinderbetreuung muss besser werden. Sie muss in der Qualität besser und flexibler werden. Das Angebot der Öffnungszeiten muss besser werden. Die Zeiten müssen sich an der Berufswelt orientieren, das stimmt.

Es muss auch mehr verschiedene Möglichkeiten der Kinderbetreuung geben. Das fängt mit den Tagesmüttern an. Aber da sind sie nur wirklich zielführend, wenn sie einem Verbund angehören. Wenn beispielsweise eine Tagesmut

ter erkrankt, dann muss eine andere dafür eintreten. Die Kinderkrippe, die staatliche Betreuung für unter Dreijährige, ist sehr wichtig und muss ausgebaut werden. Aber wir dürfen auch die privaten Initiativen der Kinderbetreuung nicht aus den Augen lassen. Da gibt es sehr intensive und innovative Einrichtungen.

(Beifall bei der FDP)