Es geht aber ebenso darum, auch außerhalb des Strafprozesses die Betreuung von Opfern vor allem in psychologischer Hinsicht sicherzustellen. Dazu unterstützt das hessische Sozialministerium Frauennotrufe, Beratungs- und Interventionsstellen sowie zwei Projekte gegen Menschenhandel mit insgesamt 431.000 c jährlich.
Im Jahre 2004 hat das Land Hessen den Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt im häuslichen Bereich in Kraft gesetzt. Beim Justizministerium wurde die Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt eingerichtet, die die zuständigen Institutionen und Hilfsangebote vernetzt. Dass diese Koordinierungsstelle beim Justizministerium und nicht beim Sozialministerium angesiedelt ist,verdeutlicht ebenfalls, dass sexuelle Gewalt im persönlichen Nahbereich nicht lediglich soziales Fehlverhalten, sondern kriminelles und strafrechtlich relevantes Unrecht ist. Opferschutz bedeutet aber auch, den Blick auf den Täter zu richten, damit es nicht zur Tatwiederholung kommt und der Täter sein Verhalten ändert. Neben der Strafverfolgung kann die Beratung von Tätern zugleich Schutz der Opfer vor weiterer Gewalt sein.
Die hessische Landesregierung kümmert sich nicht nur um die statistisch erfassbaren Gewalttaten. Auch auf die Aufhellung des Dunkelfeldes wird großer Wert gelegt. Ich möchte hier auf den Opferschutzfilm „Nah dran“ des Internet-Auftritts „Opferschutz interaktiv“ und Informationssoftware „VIKTIM“ hinweisen, die der Polizei bei ihrer Ausbildung sehr hilfreich sind. Dadurch sollen Polizeibeamtinnen und -beamte für Opferschutzbelange sensibilisiert und gleichzeitig für die praktische Ermittlungsarbeit besser geschult werden.
Bei der Fortbildung der hessischen Polizei werden zum Thema Vergewaltigung und Vergewaltigung in der Ehe spezielle Veranstaltungen zu folgenden Inhalten angeboten: Erscheinungsformen und Ursachen, Täter-OpferStrukturen, Opferschutz, Bearbeitung von Sexualdelikten sowie Rechtsgrundlagen und Eingriffsbefugnisse. Diese Angebote wurden grundsätzlich für die Angehörigen der hessischen Polizei konzipiert,stehen aber auch Bediensteten der Staatsanwaltschaften sowie Richterinnen und Richtern offen.
Im Ergebnis möchte ich festhalten:Die Beantwortung der Großen Anfrage gibt einen guten Überblick über das wichtige Themenfeld der sexuellen Gewalt. In diesem schwierigen Kriminalitätsbereich brauchen wir noch genauere Daten über die Täterstruktur, zum einen zu ihrer
besseren Verfolgung, aber auch für eine sensiblere Betreuung der Opfer und schließlich auch für die Arbeit im präventiven Bereich. Die Beschäftigung mit dem Thema zeigt, dass polizeirechtliche, strafrechtliche und zivilrechtliche Maßnahmen allein nicht ausreichen, um die Opfer angemessen zu schützen.
Es bedarf einer Vielzahl von Maßnahmen, von der Information der Opfer über ihre Rechte und vorhandene Hilfsangebote bis hin zu einem koordinierten Vorgehen der verschiedenen Hilfsstellen. Diese Maßnahmen werden in Hessen ministeriumsübergreifend umgesetzt. Die Antwort des Justizministeriums auf die Große Anfrage macht deutlich,dass wir in Hessen hinsichtlich dieser Vernetzung zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden sowie den sozialen und medizinischen Einrichtungen auf einem guten und erfolgversprechenden Weg zum Schutz der Opfer vor sexueller Gewalt sind. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind ein besonders schwerwiegender Angriff auf das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde der betroffenen Personen. Diese Straftaten stehen deshalb auch zu Recht im besonderen Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Deshalb ist es positiv, dass wir heute im Rahmen einer Großen Anfrage dieses Thema erörtern, wenn auch nur an einem relativ unprivilegierten Platz auf der Tagesordnung dieses Plenums, was sehr bedauerlich ist.
Zunächst möchte ich mich im Namen der SPD-Landtagsfraktion bei den Mitarbeitern insbesondere des Justizministeriums für die Beantwortung dieser Großen Anfrage recht herzlich bedanken. Ich weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt,solch eine Große Anfrage neben dem normalen Tagesgeschäft zu beantworten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst feststellen, dass der Opferschutz in den letzten Jahren insbesondere auch durch entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches, etwa des § 176 StGB, verbessert worden ist.Wir alle wissen, dass gerade für die Opfer von Sexualstraftaten eine entsprechende Zeugenaussage vor Gericht höchst belastend ist. Dort werden sie nämlich nicht selten wieder in der vollen Erinnerung mit dem Tatgeschehen konfrontiert. Das schmerzhafte und traumatische Geschehen vollzieht sich dann von neuem. Das Strafverfahren selbst konzentriert sich nicht zuletzt auf den Täter und nicht so sehr auf das Opfer. Es beschränkt das Opfer auf die Funktion des Zeugen als Beweismittel.
Da hat es in den letzten Jahren auch positive Veränderungen gegeben, etwa durch das Opferrechtsreformgesetz,
wo zahlreiche Verbesserungen vorgenommen worden sind, wie die Vermeidung von Mehrfachvernehmungen, die Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren,die Möglichkeit, einen Opferanwalt hinzuzuziehen, der Ausbau des sogenannten Additionsverfahrens, aber auch eine Verbesserung der Informationsrechte der Opfer.
Ich möchte aber auch auf das Opferentschädigungsgesetz hinweisen, das eine angemessene Versorgung der Opfer von Gewalttaten, etwa was die Heilbehandlungskosten anbelangt, ermöglicht und verbessert hat.
Ganz aktuell: Das zweite Justizmodernisierungsgesetz, das diese Woche im Bundesrat verabschiedet worden ist, sieht eine Zulassung des Additionsverfahrens und die Möglichkeit der Heranziehung eines Opferanwalts im Jugendstrafverfahren vor.
Nicht zuletzt auch das materielle Strafrecht kann zu einer Stärkung des Opferschutzes beitragen. Da wurden in den letzten Jahren neben dem § 177 StGB Strafbarkeitslücken geschlossen bzw. Strafen im Rahmen des Zulässigen und Notwenigen verschärft. Ich möchte hier an den Straftatbestand für den besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern aber auch den Straftatbestand für Kinderpornographie erinnern. Ganz wichtig für Hessen ist das Gewaltschutzgesetz, das in unserer Rechtsordnung unmissverständlich deutlich macht: Auch Gewalt in den eigenen vier Wänden wird sanktioniert und kann von einer Gesellschaft nicht hingenommen werden.
Ein weiterer Straftatbestand,der zugegebenermaßen lange in der Diskussion war und jetzt verabschiedet worden ist, ist das Stalking. Da werden die Opfer, die durch permanentes Auflauern und permanente Telefonanrufe belästigt werden, jetzt endlich besser strafrechtlich geschützt.
(Axel Wintermeyer (CDU): Das haben Sie uns zu verdanken! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Loben Sie uns!)
Ja,ich erwähne es.Ich gebe zu,dass wir eine sehr schwierige Debatte haben, aber da sind keine Schnellschüsse angezeigt.
Es war wichtig, dass wir ein verfassungsrechtlich konformes Gesetz auf den Weg bringen. Das wurde jetzt verabschiedet, in Abstimmung zwischen den beiden Koalitionspartnern auf der Bundesebene. Da waren keine Schnellschüsse angezeigt,
sondern es war wichtig, dass ein verfassungskonformes und ausgewogenes Gesetz verabschiedet wurde. Das ist jetzt geschehen. Stalking ist eben keine Privatsache, sondern strafwürdiges Unrecht.
(Axel Wintermeyer (CDU): Aufgrund hessischer Initiative! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut! Das habe ich schon vor fünf Jahren gesagt!)
Mit dem Prostitutionsgesetz, auf das ich auch verweisen möchte,wurden die Interessen und Bedürfnisse der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution gestärkt, indem ihnen nämlich Wege aus der Kriminalität in die Legalität eröffnet wurden.
In Aussicht gestellt ist noch – das ist zumindest im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vorgesehen –, dass die Se
xualstraftatbestände noch einmal generell unter die Lupe genommen werden, etwa hinsichtlich der Transparenz, aber auch der Klarstellung innerhalb der Systematik.
Lassen Sie mich für die SPD-Fraktion jedoch an dieser Stelle noch einmal ganz klar deutlich machen: In der Justizpolitik sind wir permanent stetigen Forderungen nach härterem Durchgreifen und härteren Strafen ausgesetzt, insbesondere nach tragischen Einzelfällen, die entsprechend medial begleitet werden. Die Rechtspolitik darf sich nicht zum Spielball solcher Stimmungen und Kampagnen machen lassen.
Nein, wir sind gerade als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aufgefordert, bei einer guten und soliden Rechtspolitik verantwortungsvoll, rational und auf sicherer Faktenlage solche Fälle zu beurteilen und entsprechend nicht oder gegebenenfalls darauf zu reagieren, aber auf keinen Fall im Schnellschussverfahren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch mit der Mär aufräumen,dass die kriminelle Bedrohung in den letzten Jahren in Deutschland stetig zugenommen hat. Das ist nicht richtig.Wir können uns darüber freuen, dass wir gerade im Bereich der Sexualstrafdelikte eine hohe Aufklärungsquote haben. Das rührt nicht zuletzt daher, dass wir hier viele Beziehungstaten haben.Hier haben wir eine hohe Aufklärungsquote von immerhin 78,3 %. Das gilt zumindest für den Zeitraum von 1998 bis 2005. Erfreulich ist auch, dass es in der praktischen Bekämpfung und Verfolgung von Sexualstraftaten in den letzten Jahren Fortschritte gegeben hat.
Hier in der Debatte ist schon das Beispiel mit den Sonderdezernaten für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erwähnt worden. Ich möchte auch den Dokumentationsbogen für Misshandlung in der Partnerschaft nennen, der als anwenderfreundliche Checkliste für die ärztliche Praxis dient.
Was ich aber an dieser Stelle natürlich auch für die SPDFraktion ganz ausdrücklich kritisieren muss, ist, dass im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ Mittel für wichtige flankierende Maßnahmen für die Opfer gekürzt oder gestrichen worden sind, so etwa für Wildwasser, die Frauennotrufe, aber auch die Frauenhäuser.
Das war der völlig falsche Weg und das falsche Signal für die Opfer in unserem Land, die wirklich einen besseren Schutz verdient haben und die dringend die Unterstützung des Landes Hessen benötigen.
In diesem Sinne werden wir als SPD-Fraktion prüfen, inwieweit wir auch in der praktischen Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung weitere Erfolge erzielen können. Wir werden prüfen, mit welchen gesetzgeberischen Maßnahmen das möglich ist und wo wir in der Praxis noch entsprechende Schritte einleiten müssen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die anhaltende Unruhe in diesem Haus lässt auf meiner Seite zwei Schlussfolgerungen zu. Zum Ersten: Frauentag hin oder her – ich hätte es besser gefunden, wenn wir dieses sensible Thema an prominenterer Stelle im nächsten Plenum diskutiert hätten, statt es jetzt vor Toresschluss abzuhandeln.
Zweitens. Ich werde Ihnen jetzt weitere rechtspolitische Grundsatzauslegungen ersparen und an dieser Stelle lediglich ein paar Einzelpunkte kursorisch aufgreifen.
Zur besonderen Sensibilität des Themas,vor allem in Hinblick auf die Belastung für die Opfer, die häufig mit einer lebenslangen Folgewirkung versehen sind, haben die Kolleginnen und der Kollege schon ausgeführt. Herr Dr. Jürgens, zum Stichwort Statistik bin ich – ähnlich wie die Kollegin Ziegler-Raschdorf – auch der Meinung, dass es zwar richtig ist, dass wir bislang nicht die Möglichkeit haben, auf Knopfdruck alle von Ihnen gestellten Fragen zu beantworten. Ich glaube aber, dass ein Mehr an Berichtspflichten gerade für die Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht der richtige Weg ist. Hier ist der Ansatzpunkt die Erfahrung der Praktiker. Das ist nun einmal eine Vielzahl von Einzelgesprächen, die Sie mit diesen Praktikern führen müssen. Das ist in einer Großen Anfrage, auch wenn sie so ausführlich gestellt ist wie die Ihrige, leider nicht abzufragen.
Insgesamt kann ich für meine Fraktion feststellen, dass sich in den zurückliegenden Jahren sehr viel getan hat. Die Rechtslage hat sich erheblich verbessert. Frau Kollegin Hofmann ist sehr ausführlich hierauf eingegangen. Wir haben sowohl im materiellen Strafrecht als auch – und das ist für die betroffenen Opfer sehr wichtig – im Hinblick auf Verfahrens- und Informationsrechte ganz große Fortschritte gemacht,die wir hier hervorheben können.
Für mich ist besonders wichtig, dass sich die Sensibilität aller Beteiligten ganz erheblich erhöht hat. Das gilt sowohl für die Behörden als auch für die Ärzte und insbesondere auch für die Gesellschaft, sodass sich Opfer in solchen Situationen nicht mehr zu Hause verschämt mit der Straftat, die an ihnen verübt wurde, verkriechen müssen, sondern dass sie die Möglichkeit haben, die ihnen zustehenden Rechte anzunehmen und auszuüben. Sie müssen sich eben nicht mehr verstecken, wenn es um solche schlimmen, erniedrigenden Straftaten geht.
Herr Kollege Dr. Jürgens, ich glaube auch, dass es kein Widerspruch ist, wenn Sie hier angesichts der Verurteilungsquote geißeln, es könne nicht sein, dass wir eine derartig hohe Aufklärungsquote haben, wie sie in der Antwort der Landesregierung aufgezeigt wurde. Ich denke, das hat nicht nur etwas mit Beziehungstaten zu tun, sondern auch damit, dass die Opfer nach dem ersten Aufzeigen der Tat häufig aufgrund familiärer Bindungen vielfach in Situationen stecken, sodass sie nachher das Strafverfahren doch nicht mit durchführen.Sie selbst wissen sicherlich aus Ihrer richterlichen Praxis, dass es den verfolgenden Staatsanwaltschaften selbst dann,wenn sie eigentlich sehr sicher sein können, wer hier der Täter ist, weil er schon einmal von dem Opfer benannt wurde, aufgrund von Aussageverweigerungsrechten nachher in vielen Fällen quasi unmöglich gemacht wird, noch mit einer Anklage zu überziehen.
Von daher denke ich, dass auch hier diese stark auseinanderklaffenden Quoten nicht immer ein Beweis dafür sind, dass sich letztendlich in der Verfolgung nichts getan hat. Möglicherweise hat sich an der einen oder anderen Stelle für das Opfer sogar eine Gelegenheit ergeben, die Situation auf andere Weise zu bereinigen. Es muss auch nicht immer zu einer Anklage gekommen sein, die für das Opfer häufig mit sehr belastenden Situationen verbunden ist, um z. B. im Wege von Geldstrafen über Strafbefehlsverfahren oder anderes einen geeigneten Weg zu finden.