Herr Banzer, ich frage mich, warum er noch nicht vorliegt und erst Ende Mai ins Plenum kommen soll, wie Herr Gerling gesagt hat. Es gibt – neben der Regierungsanhörung, die zu laufen scheint – zwei Möglichkeiten.
Erstens. Es gibt von konservativer Seite ausgehende Unstimmigkeiten im Kabinett, weil die Behandlungsmaßnahmen im Vollzug – das ist ein Paradigmenwechsel – künftig im Vordergrund stehen sollen. Das hat Ihr Justizminister gesagt. Früher aber haben Sie den härtesten Strafvollzug in Hessen gefordert. Es war im Übrigen Ihr Ministerpräsident, der das im letzten Wahlkampf höchstpersönlich gefordert hat. Ich erinnere an Ihren Spruch „Härtester Strafvollzug in der Republik“. Man könnte meinen, es habe vielleicht etwas mit den Artikeln der letzten Tage zu tun. Herr Koch will, wie es so schön heißt, „netter“ werden.Vielleicht hat dieser Wechsel auch damit etwas zu tun.
Zweitens.Es ist vielleicht noch unklar,wo die zusätzlichen 5 Millionen c aus dem Landeshaushalt herkommen sollen. Wir hoffen inständig, dass die Landesregierung nicht auf die Idee kommt, die zusätzlichen Mittel aus dem Erwachsenenstrafvollzug abzuziehen. Da werden wir Sie sehr genau beobachten. Dies wäre für den ohnehin schon sträflich vernachlässigten Strafvollzug eine Katastrophe.
Denn bereits jetzt halten wir den Atem an, dass unter den extrem knappen Personalausstattungen nichts Schlimmes passiert. Nun gehen wir mit dem Entwurf der GRÜNEN erneut in eine Anhörung zu einem eigenständigen Jugendstrafvollzugsgesetz, ohne den Regierungsentwurf zu beraten. Aber darin haben wir mit dem FDP-Entwurf schließlich schon Erfahrung. Die Mehrheitsfraktion wird wohl auch in diesem Fall nur eine schriftliche Anhörung zulassen und auf die mündliche verzichten. Wir können
schauen, wie lange wir dieses ineffiziente Verfahren ohne den Regierungsentwurf noch weiter fortführen.
Dieses Thema hat es eigentlich nicht verdient, dass wir so damit umgehen, dass wir es auseinandernehmen und stückchenweise verhandeln.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 31.05.2006 entschieden, dass der Gesetzgeber bis Ende 2007 den Jugendstrafvollzug in einem eigenständigen Gesetz regeln muss. Die Gesetzgebungszuständigkeit ist im September 2006 auf die Bundesländer übergegangen. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird die erzieherische Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs festgeschrieben. Insbesondere für die Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren werden im Hinblick auf deren noch nicht abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung anspruchsvolle Behandlungsstandards und eine hohe Betreuungsdichte festgelegt. Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf der GRÜNEN weitgehend gerecht. Deswegen findet er unsere Unterstützung. Wir begrüßen ausdrücklich, dass in dem vorliegenden Entwurf als alleiniges Ziel des Vollzugs die Erziehung zu einem künftig straffreien Leben im Vordergrund steht.
Lieber Herr Gerling,eine Gleichrangigkeit von Sicherheit und Resozialisierung ist schlicht verfassungswidrig. Ich frage mich, wann diese Seite des Hauses es endlich begreift, dass dies nicht eine Erfindung von Rot-Grün ist, sondern vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich so festgestellt wurde.
Auch der Vorrang der offenen Vollzugsformen vor den geschlossenen findet unsere Unterstützung. Wir teilen die Auffassung, dass dies dem Erziehungsziel, den internationalen Erfahrungen und den Forderungen von Experten entspricht. Im Jugendstrafvollzug muss der offene Vollzug der Regelvollzug sein. In Hessen fehlt eine Etablierung offener Vollzugseinrichtungen mittlerweile leider gänzlich. Die Schweiz kommt komplett ohne geschlossenen Jugendstrafvollzug aus. Auch in den Niederlanden überwiegen die offenen Einrichtungen. Baden-Württemberg, bekanntermaßen ein konservatives Land, orientiert sich mit einem Modellprojekt an den offenen Häusern der Schweiz. In Hessen sind solche offenen Einrichtungen dringend erforderlich,um – was Sie eigentlich auch wollen – die Rückfallquote von jugendlichen Straftätern zu reduzieren.Aus diesem Grund benötigen wir die offenen Einrichtungen.
Experten aus der Schweiz und Vertreter des Modellprojekts aus Baden-Württemberg waren auf Einladung des Justizministers in Hessen. Ihre Vorträge haben überzeugt, aber offensichtlich den Minister leider nicht dazu gebracht, diese Regelungen in seinem Gesetzentwurf vorzusehen, den er dem Plenum bis jetzt vorenthält.
Auch die Tatsache, dass im GRÜNEN-Entwurf die Entlassungsvorbereitungen von Anfang an Bestandteil des Förderplans werden, ist richtig, weil die Vorbereitung auf ein straffreies Leben im Vordergrund stehen muss. Im geschlossenen Vollzug, für den es natürlich auch Einrichtungen geben muss, bedarf es einer ausreichenden Zahl von Sozialarbeitern und Psychologen, damit der Behandlungsvollzug endlich wieder im Vordergrund stehen kann.
Ein Jugendstrafvollzugsgesetz muss sich an kriminologischer und pädagogischer Forschung ebenso orientieren wie an den Bedürfnissen junger Menschen. Denn nur wenn die Täter nicht wieder rückfällig werden, wird der größtmögliche dauerhafte Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten erreicht.
Dazu ist es erforderlich, dass sich die Täter mit ihrem eigenen sozial schädlichen Verhalten, mit der Straftat selbst und den Konflikten, aus denen heraus die Tat begangen wurde, auseinandersetzen.
Herr Justizminister, an dieser Stelle seien ein paar Worte zu dem der Presse vorgelegten Entwurf zu sagen.Wir begrüßen ausdrücklich, dass der hessische Justizminister 5 Millionen c zusätzlich ins Personal im Jugendstrafvollzug geben möchte, insbesondere für Psychologen und Sozialarbeiter. Allerdings schießen manche Regelungen weit über das Ziel hinaus. Diese möchte ich heute kurz erwähnen.
Die Einführung der Fußfessel zur Entlassungsvorbereitung und die flächendeckenden Drogentests halten wir für verfassungsrechtlich nicht zulässig. Die Jugendlichen haben eine günstige Sozialprognose, wenn sie zur Entlassungsvorbereitung die JVA verlassen dürfen. Dann ist das Anlegen von elektronischen Fußfesseln unzulässig. Drogentests stellen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar.Als Jurist wissen auch Sie das, Herr Wintermeyer.Daher bedürfen sie zwingend der Zustimmung der Betroffenen und können nicht einfach so eingeführt werden.
Zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN. Die FDP hat die meisten Regelungen aus Baden-Württemberg und Bayern übernommen. Der Entwurf der GRÜNEN basiert im Wesentlichen auf den Regelungen des Entwurfs eines Jugendstrafvollzugsgesetzes aus dem Bundesministerium der Justiz. Die Bundesjustizministerin hat bereits am 7. Mai 2006 diesen Entwurf vorgelegt, und dieser Entwurf setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umfassend um, wie Herr Dr. Jürgens auch schon gesagt hat.Allein aus diesem Grund war dieser Gesetzentwurf geeignet, eine bundesweit einheitliche Regelung für den Jugendstrafvollzug vorzunehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem Mai 2006 inhaltliche Vorgaben gemacht, die für alle Bundesländer verbindlich sind und die darauf basieren, dass sich die Jugendlichen biologisch, psychisch und sozial in einem Stadium des Übergangs befinden,das verbunden ist mit Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten. Deshalb bedarf es zwingend dieser Voraussetzungen.
Das Vollzugsziel der sozialen Integration, also der Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit, hat Verfassungsrang. Die Notwendigkeit des Ziels der Resozialisierung resultiert auch aus der staatlichen Sicherheitspflicht für die Bürger. Der Strafvollzug für Jugendliche muss auf die Förderung der jungen Menschen gerichtet sein. Das umfasst das soziale Lernen, die Ausbildung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die einer künftigen beruflichen Integration dienen.
Aufgrund der Haftempfindlichkeit gerade junger Menschen müssen besondere Regelungen getroffen werden. Die Familienbeziehungen spielen eine außerordentlich große Rolle. Das heißt, es müssen wesentlich mehr Be
suchsmöglichkeiten als im Erwachsenenstrafvollzug vorgesehen werden. Daher auch unsere Unterstützung für die acht Stunden Besuchszeit pro Monat statt der sechs Stunden.
Sehr wichtig sind Sportmöglichkeiten.Wir konnten uns in einer Einrichtung in Waldeck-Frankenberg überzeugen, dass Sport eine sehr gute Maßnahme ist, um im Jugendstrafvollzug zum Erfolg zu kommen. Der Aufbau von sozialen Kontakten innerhalb der Anstalt ist wichtig, ebenso der Schutz vor wechselseitigen Übergriffen der Gefangenen und die Unterbringung in kleinen Wohngruppen, was dankenswerterweise der Entwurf der Landesregierung hoffentlich vorsehen wird. So will es zumindest der Justizminister.
Es muss nach Alter, Strafzeit und Straftaten differenziert werden, und es bedarf umfangreicher Bildungsmöglichkeiten und Ausbildungsmöglichkeiten gerade auch im Jugendstrafvollzug. All diese Mindestvoraussetzungen haben wir bereits im Juli letzten Jahres in diesem Plenum beantragt. Lieber Kollege Hahn, dieser Antrag ist Bestandteil der Anhörung im Rechtsausschuss gewesen, gemeinsam mit Ihrem Gesetzentwurf. Insofern hat die SPD sehr frühzeitig gesagt, was sie möchte, welche Mindeststandards sie verlangt. Wir hoffen, dass diese dann auch umgesetzt werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Faeser. – Nun hat sich Herr Kollege Beuth zu einer Kurzintervention zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Faeser,auch wenn Sie wieder charmant vorgetragen haben, können wir Ihnen hier natürlich nicht alles durchgehen lassen, was Sie gesagt haben. Zum einen geht es um den Vorwurf, dass Ende Februar/Anfang März ein Gesetz auf den Weg gebracht worden ist und noch nicht den Landtag erreicht hat. Das liegt aber schlicht und ergreifend an der Gesetzgebung dieses Hauses. Nehmen Sie das Beteiligungsgesetz zur Kenntnis. Danach sind nach dem Kabinettsbeschluss zwei Monate Anhörungsfrist einzuhalten.
Meine Damen und Herren, das wird hier gemacht, weil wir uns an Recht und Gesetz halten. Ich finde, das ist in diesem Hause nicht zu kritisieren, und das muss man auch klarstellen dürfen.
Wenn das Kabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg bringt, dann ist es nicht besonders kritikwürdig, wenn er der Öffentlichkeit mitgeteilt wird. Auch das gehört zur Transparenz dieser Regierung. Ich finde, auch dies ist nicht kritikfähig.
Frau Kollegin Faeser, lassen Sie mich noch kurz auf die Frage des effektiven Verfahrens bei mehreren Gesetzentwürfen in Ausschüssen reden. Wir sind nicht auf die Idee gekommen, dass wir für den Gesetzentwurf der FDP eine extra Anhörung brauchen,dass wir für den Gesetzentwurf der GRÜNEN eine extra Anhörung brauchen. Vielmehr waren wir der Auffassung,dass wir für alle zusammen eine Anhörung machen. Wenn am Ende eine Mehrheit sagt: „Um des lieben Friedens willen machen wir die Anhörung schon vorneweg,dann kann das vielleicht für das Kabinett oder den Minister ein paar gute Anregungen geben“, dann ist das nicht beklagenswert. Aber werfen Sie bitte nicht uns vor, wir hätten kein effektives Verfahren wählen wollen. Uns wäre es recht gewesen, wenn wir die Anhörung zu allen Gesetzentwürfen in einem gemacht hätten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Regierung ist gut beraten, dass sie bei dieser Frage sehr gründlich vorgeht. Das hat sie gemacht. Ich glaube, der Gesetzentwurf, der im Internet nachlesbar ist, ist gut gelungen. Aber wir werden ihn dann beraten, wenn er dieses Haus erreicht.
Ich komme zum Schluss. – Letzter Satz: Ich finde es ziemlich ungehörig,wenn der Kollege Jürgens und die Kollegin Faeser von der Verfassungswidrigkeit sprechen, wenn nicht allein das Erziehungsziel im Gesetz zum Jugendstrafvollzug als Ziel festgeschrieben wird.Eine Gleichrangigkeit des Erziehungsgedankens und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ist im Bundesverfassungsgerichtsurteil ausdrücklich vorgesehen. Insofern sollten wir an dieser Stelle bei der Wahrheit bleiben. – Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU – Nancy Faeser (SPD): Das ist sie nicht! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Falsch!)
(Zurufe: Oh! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht übertreiben! – Norbert Schmitt (SPD): Fast zu viel der Ehre!)
vielleicht sollten Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ordentlich lesen. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht ausdrücklich, wortwörtlich, dass alleiniges Ziel mit Verfassungsrang die Resozialisierung ist, nämlich das Erziehungsziel im Jugendstrafvollzug. Da steht nichts von Sicherheit. Sie verwechseln es damit, dass gesagt wird,dass durch die Resozialisierung die Sicherheit und der Schutz der Bevölkerung vor Rückfalltätern erreicht werden. Das ist der Zusammenhang. So muss man das Urteil lesen.
Ich sage Ihnen noch etwas zu meiner Kritik. Wenn man die Entwicklung der CDU in den letzten Jahren beobachtet hat und auch weiß, was der Vorgänger von Herrn Banzer zum Jugendstrafvollzug und zum Strafvollzug gesagt hat und dass der Ministerpräsident den härtesten Strafvollzug gefordert hat, dann kann man sich durchaus die Frage stellen, wieso es so lange dauert, bis hier ein Jugendstrafvollzugsgesetz vorgelegt wird, in dem ausdrücklich ein Paradigmenwechsel enthalten ist. Eine Landesregierung,in der Herr Wagner noch Justizminister war,hätte niemals mehr Geld in Psychologen und Sozialarbeiter investiert. Deshalb war diese Frage hier berechtigt.