Meine Damen und Herren, das Ziel ist richtig. Aber darüber, ob der von Ihnen gewählte Weg immer richtig ist, möchte ich Sie aus Sicht der FDP heute informieren.
Herr Ministerpräsident, warum sind Sie eigentlich so defensiv? Warum sind Sie zu wenig differenziert an die Hausaufgaben herangegangen? Man sagt Ihnen doch immer nach, dass Sie alle Dinge „brutalstmöglich“ machen würden.
Die Haushaltskonsolidierung ist von der Landesregierung Koch nicht mit der notwendigen Konsequenz angegangen worden, sondern es ist lediglich eine Einjahresaktivität. Hessen braucht aber einen Marathonlauf, keinen 100-m-Sprint.
Leider – ich sage ganz bewusst:leider – sind Roland Koch, Karlheinz Weimar und die absolute CDU-Mehrheit zu kurz gesprungen. Wir als Liberale hätten uns erhofft – nein, ich sage ganz deutlich: erwartet –, dass die CDU die Hausaufgaben ernsthafter in Angriff nimmt und dass die Sparpolitik nicht so defensiv und undifferenziert eingeleitet wird. Ob es eine Sanierungspolitik ist, dazu werden wir sicherlich gleich noch etwas sagen.
Herr Ministerpräsident, mit diesem Programm zur Haushaltssanierung und -konsolidierung hatten Sie die Chance, einen großen Wurf für unser Land, für unsere Kinder und Enkelkinder zu landen. Es ist nicht richtig, wenn Sie sich heute hierhin stellen und sagen, Sie hätten die Aufgabe erfüllt, sodass die Kinder und Enkelkinder in unserem Land keine Angst mehr haben müssten. Nein, Sie sind zu kurz gesprungen.Sie hätten bereits für das Jahr 2003 damit beginnen können.
Es ist unter Ihrer politischen Verantwortung, dass zusätzliche Schulden aufgenommen werden, seien es nun 700 Millionen, 900 Millionen oder – in der dritten Lesung zum Nachtragshaushalt 2003 – 999 Millionen c. Es ist in Ihrer Verantwortung, dass Sie dieses Jahr haben vollkommen links liegen lassen und auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder bereits wieder Ausgaben getätigt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, es rächt sich, wenn man sich nach einer mit absoluter Mehrheit gewonnenen Landtagswahl hinsetzt und nichts macht.
Es rächt sich, wenn man so tut, als ob man Koalitionsverhandlungen mit sich selbst führte, dabei aber nur die Vision 2015 im Auge hat.
Es wäre bereits im Frühjahr dieses Jahres Ihre Aufgabe gewesen, umzusteuern, statt so zu tun, als ob man im Windschatten der anderen Bundesländer segelnd, sozusagen das Delta durch Vergleiche mit Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen ausgleichend, Finanzpolitik betreiben könnte.
Ich sage das hier mit einem gewissen Unterton von Verärgerung, da Roland von Hunnius und ich bereits in der Debatte um den Nachtragshaushalt 2003 gesagt haben: Es ist eine ganz schlechte Sache – wir Liberale waren dabei; ich lasse mich doch nicht nach dem Motto „Ich will die Verantwortung nicht mehr übernehmen“ in die Ecke drängen, das stimmt überhaupt nicht –, dass wir am 17. Dezember 2002 eine Nettoneuverschuldung in Höhe von über 1 Milliarde c aufnehmen mussten. Das geht so nicht weiter. Mit uns Liberalen wäre es so nicht weitergegangen.
Herr Koch und Herr Dr. Jung, ich sehe ganz deutlich, dass Ihnen der liberale Motor fehlt. Offensichtlich ist die Politik der Union durch die absolute Mehrheit zu einer trägen Veranstaltung geworden, die auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande geht.
Sie haben jetzt also eine Wunderkerze gezündet. Ich hoffe, dass diese Wunderkerze nicht, wie das am Sylvesterabend häufig der Fall ist, ganz schnell wieder erlischt und möglicherweise noch einen Brandflecken auf dem Hemd oder auf dem Pullover hinterlässt.
Was meinen wir mit „defensiv“? Herr Ministerpräsident, Sie stellen es so dar, als ob Sie beim Haushalt 2004 eine reife Leistung erbracht hätten. Wissen Sie eigentlich, was Ihre einzige Vorgabe war? Ihre einzige Vorgabe war, dass die Verfassung eingehalten wird. Die einzige Vorgabe, die Sie auch noch mit Ihrer Richtlinienkompetenz gegenüber den Ressortkollegen durchsetzen mussten, war, wie die „Frankfurter Neue Presse“ so schön schreibt, das „Minimalziel Verfassungstreue“. Das ist defensiv. Das hat nichts mit einer strukturellen, verantwortungsbewussten Haushaltspolitik zu tun,
einer Politik, wie wir als Liberale sie von der unionsgeführten und der Union verantwortlichen Landesregierung erwarten.
Was ist denn das für eine Politik, wenn man sagt: „Ich bin schon stolz, wenn ich die Verfassung einhalte“? Wenn wir irgendeinem Bürger in unserem Land sagen: „Dein Minimalziel ist,die Verfassung einzuhalten“,würde er über uns lachen. Aber nein, die CDU-geführte Landesregierung sagt: Das ist der große Wurf. Eine Operation ist dazu notwendig. Die Operation muss von der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten begleitet werden.
Herr Ministerpräsident Koch, Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Jung, ich hätte von Ihnen eine mutigere Politik erwartet. Ich bin mir auch sicher, dass wir, gäbe es eine Fortsetzung der bürgerlichen Politik in diesem Lande, eine mutigere Politik gemacht hätten.
Wir hätten früher angefangen. Nur in wenigen Punkten bin ich mir mit den Kollegen Al-Wazir und Walter so einig wie in dem Punkt Rating.Wir alle – jedenfalls viele in diesem Raum – reden nicht unbedingt wie die Blinden von der Farbe, wenn es um die Arbeit von Ratingagenturen geht. Wir wissen, wie wir als Anwälte, als Mitglieder von Gremien in Wirtschaftsunternehmen und in Banken damit umzugehen haben.
Eines ist klar: Hätte der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung – am 05.04. gewählt; wann auch immer die Regierungserklärung gewesen ist, ich habe das Datum nicht parat – ein konkretes Konzept zur Sanierung und Konsolidierung des Hessenhaushalts vorgelegt, hätte es niemals eine Rückstufung von Triple-A gegeben.
Das ist die Erfahrung, die wir alle – natürlich auch Roland Koch, Karlheinz Weimar und Dr. Franz Josef Jung – mit Ratingagenturen haben. Wie gesagt: Wir reden nicht wie die Blinden von der Farbe, sondern wir wissen, wie das Geschäft abläuft.
Es hat aber keine Signale der Landesregierung zur Konsolidierung gegeben. Erst als die FDP-Fraktion im Hessischen Landtag ein 45-Punkte-Programm zur Konsolidierung des Haushaltes vorgelegt hat, erst als die Ratingagenturen eine Rückstufung vorgenommen haben, wurde die Landesregierung wach und hat gesagt: „Also gut, jetzt gehen wir an die Arbeit.“
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie merken, wir Liberale setzen die Kritik an einer ganz anderen Stelle an als SPD und GRÜNE. Wir sind nicht der Auffassung, dass wir herumweinen sollten, welche schreckliche Folgen diese Operation hat,sondern wir sind der Auffassung,dass wir bei der Grundsatzfrage anfangen müssen: Können wir es uns eigentlich leisten, Jahr für Jahr die Verfassung zu brechen? Können wir es uns leisten, Jahr für Jahr auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder Politik zu machen? Ist das nicht verantwortungslos von dieser unserer Generation?
Müssen wir deshalb nicht gegensteuern? – Gegensteuern heißt, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN und von der SPD, dass auf der Ausgabenseite Einsparungen vorgenommen werden müssen.
(Beifall der Abg. Florian Rentsch (FDP) und Armin Klein (Wiesbaden) (CDU) – Zuruf der Abg. Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))
Das ist das klassische Instrument, um vernünftige Politik zu machen, wenn man nicht auf Kosten der Kinder und Kindeskinder agieren will. Deswegen war es falsch, dass Roland Koch, Karlheinz Weimar und andere die Monate März bis August verstreichen ließen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur, dass uns das jetzt alles teurer kommt, weil das Rating schlechter geworden ist, sondern wir hätten es eigentlich wissen müssen.
Herr Finanzminister und Herr Ministerpräsident, Sie haben, genau wie im vergangenen Jahr, auf einen Dreiklang der Mechanismen vertraut.Der Dreisprung waren erstens Haushaltssperre, zweitens intelligente Haushaltsführung – übrigens schöne Grüße, denn das Wort habe ich in einer Koalitionsrunde kreiert – und drittens Nachtrag. Wir ha
ben doch im Jahre 2002 gemeinsam gelernt, dass diese Instrumentarien nicht greifen, jedenfalls nicht erfolgreich greifen, sodass wir letztlich am 17. Dezember des vergangenen Jahres diese enorme Neuverschuldung gemeinsam verantworten mussten.
Ich nehme es den Kollegen von der SPD gar nicht übel, dass sie es dem Staatsgerichtshof zur rechtlichen Überprüfung vorlegen. Ich sage aber: Schöne Grüße, Herr Kollege Walter, schöne Grüße, Norbert Schmitt. Fragt Herrn Steinbrück. Er hat zu diesem Thema in Düsseldorf auch kräftig verloren, mit einer ähnlichen Argumentation. – Wir helfen uns so nur bedingt.Wir machen den Menschen nur etwas vor, wenn wir so tun, als müssten wir jetzt zu Gerichten laufen. Wir wissen doch alle, dass es eigentlich unkorrekt ist. Wir wissen aber auch alle, dass die wirtschaftliche Situation so grottenschlecht ist. Deshalb geht ihr, liebe Genossen und GRÜNE, doch lieber nicht vor Gericht, sondern fahrt nach Berlin. Geht zu Herrn Eichel, zu Herrn Fischer.
Das sind hessische Koryphäen. Sagt ihnen: „Macht eine gescheite Politik.“ Dann können wir die Hausaufgaben auch wieder besser machen.
Herr Ministerpräsident,hätten Sie den Nachtragshaushalt vorbereitet, in der Regierungserklärung bereits einen Kassensturz gemacht, hätten Sie mit der Aufgabenkritik in diesem Lande begonnen, hätten Sie die Frage der Standards diskutiert, hätten Sie mit einer weiteren Verwaltungsvereinfachung begonnen, wären Sie bei der Privatisierung einen Schritt weitergekommen – nicht dieses Hüpfen von Burg Staufenberg zum PP Frankfurt und wieder zurück, sondern eine durchdachte Privatisierung –,
dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätten wir nicht am Ende dieses Jahres wieder einen Nachtragshaushalt, dessen Neuverschuldung in der absoluten Summe etwas geringer ist als im Jahr 2002.
Ich muss gestehen, dass ich bei Diskussionen in diesem Plenum selten geschockt bin, dass ich bisher noch nie geschockt gewesen bin über Redebeiträge eines Unionsabgeordneten von diesem Pult aus – von Zwischenrufen war ich das schon häufiger in den letzten 16 Jahren meiner Mitgliedschaft in diesem Hause –; aber, Herr Ministerpräsident,dass Sie uns alles Ernstes erklären wollen,es sei ein Erfolg, dass in absoluten Zahlen die Nettoneuverschuldung im Jahr 2003 unter der des Jahres 2002 liegt,halte ich für eine relative – –
Es gibt Sachen, da sagt man: „Statistik fälschen und glauben“. Ich will darüber nicht weiter reden, weil mir sonst ein gewisses Wort einfiele. Ich finde es einfach nicht korrekt, so zu argumentieren, um es einmal deutlich zu sagen. Wir haben eine riesengroße Neuverschuldung.Wir haben das Pech – oder das Glück –, dass Herr Eichel bereits das Durcheinander der wirtschaftlichen Situation für dieses und nächstes Jahr verkündet hat, sodass Sie das verfassungsrechtlich machen können, aber unter einer Leistung stelle ich mir etwas anderes vor.
Wir haben deshalb gesagt – ich will das noch einmal für die zwei Punkte zusammenfassen –: Erstens. Der Nachtragshaushalt hätte bereits vor der Sommerpause vorge
legt werden müssen. Der Nachtragshaushalt hätte zeigen müssen, wo es Einsparmöglichkeiten gibt, die man dann auch nutzt. Die Nettoneuverschuldung wäre in keinster Weise so hoch gewesen, wie das bei Ihnen geplant ist.
Zweitens. Jawohl, es ist richtig, dass wenigstens für das Jahr 2004 mit den Arbeiten begonnen wurde: anders sparen, anders neu konstruieren. Dieses Herangehen ist aber – ich wiederhole es noch einmal – aus unserer Sicht zu defensiv. Es ist nur von dem Ziel getragen, die Verfassung einzuhalten. Es ist nicht von dem Ziel getragen, eine langfristige Perspektive für einen besseren, d. h. schuldenfreieren Haushalt des Landes Hessen vorzulegen.
Ihre Papiere enthalten viele gute Ansätze. Ihre Papiere enthalten viele notwendige Ansätze. Wir haben viele Punkte übernommen, die Roland von Hunnius und ich am 24. Juli in unserem 45-Punkte-Programm vorgestellt haben. Ich sage es ganz deutlich: Es ist ein 45-Punkte-Programm aller neun Abgeordneten der FDP im Hessischen Landtag.