Es kann Schutzmaßnahmen geben, unter denen auch ein Arrest, eine Einzelunterbringung notwendig ist. Aber als Disziplinarmaßnahme verstößt es nach unserer Bewertung gegen Konventionen der Vereinten Nationen.
Insgesamt kann man feststellen, dass Sie eher ein veraltetes konservatives Vollzugskonzept verfolgen. Sie glauben immer noch – und das ist auch heute wieder klar geworden –, dass der Vollzug, zumal der geschlossene, als extreme Ausnahmesituation gegenüber dem Leben draußen gestaltet werden müsse und nur dann erfolgreich sein könne.
Deshalb schreiben Sie vor, dass Anstaltskleidung zu tragen ist und eigene Kleidung nur ausnahmsweise gestattet werden kann. Herr Hahn hat zutreffend schon darauf hingewiesen, wie irre die Situation eigentlich ist: Sie wollen Jugendlichen, die – anders als wir, Jahrgang 1956; damals gab es noch keine Spielkonsolen – heute aufgewachsen und ganz anders sozialisiert sind, von vornherein alle Spielkonsolen, DVD-Player und Unterhaltungselektronik wegnehmen. Das ergibt nach unserem Dafürhalten keinen Sinn.
Sie sehen die sogenannten vollzugsöffnenden Maßnahmen nur als Ausnahme vor, und zwar auch nur als eine Sollregelung, nicht einmal als einen Anspruch.
Wir halten dieses Konzept für keinen Erfolg versprechenden Ansatz. Natürlich ist es keine Kunst, die jungen Gefangenen während des Vollzugs vom Begehen weiterer Straftaten abzuhalten. Entscheidend ist aber die Frage, was danach passiert – wenn der Vollzug zu Ende ist und sie sich wieder in Freiheit befinden. Wir sind der Überzeugung, ein Vollzug, der die Realität draußen möglichst weitgehend ausblendet, wie er in Ihrem Konzept vorgesehen ist, kann auf die Freiheit nicht angemessen vorbereiten.
Um ein jedenfalls mir einleuchtendes Beispiel zu nehmen: Wenn Sie jemanden am Essen hindern, wird er logischerweise abnehmen.Aber das wird nicht zu einer Umstellung seiner Essgewohnheiten führen, und wenn der äußere Druck weg ist, wird er wieder zunehmen.
Das ist kein Erfolg versprechendes Konzept.Der Rückfall ist vorprogrammiert, und das ist gegenwärtig auch zu beinahe 80 % aller jungen Gefangenen der Fall.
Im Gegensatz zu Ihnen glauben wir, der offene Vollzug bereitet besser auf die Freiheit vor, jedenfalls diejenigen Gefangenen, die dafür geeignet sind – wenn Sie es noch einmal hören wollen, sage ich es noch einmal –, wenn die Lebensrealität draußen nicht möglichst weit ausgeblendet wird, sondern tatsächlich auch im Vollzug stattfindet.
Wir sind uns darüber einig, dass die schulische und berufliche Ausbildung der Gefangenen oder auch die sportliche Betätigung im Vollzug wichtig ist.Andererseits haben wir nichts davon, wenn wir einen nicht ausgebildeten Straftäter in den Vollzug bekommen und ihn als gut Ausgebildeten oder sportlich Fitten entlassen.Das Entscheidende ist, ob er danach noch Straftäter ist oder ein gut ausgebildeter Mensch, der keine Straftaten mehr begeht. Das Entscheidende dafür ist die Aneignung von sozialer Kompetenz. Die kann über die Ausbildung vermittelt werden,aber das ist es nicht alleine.
Man könnte auch sagen: Sie verfolgen ein paternalistisches, wir ein emanzipatorisches Konzept im Strafvollzug.
Das zeigt sich auch in der Ausgestaltung der Mitwirkungspflichten. In Ihrem Gesetzentwurf verpflichten Sie die jungen Gefangenen, am Erreichen des Erziehungsziels mitzuwirken. Andererseits aber räumen Sie ihnen keine Möglichkeit ein, diese Mitwirkung auch tatsächlich umzusetzen. Wenn sie nämlich Anregungen und Vorschläge für den Förderplan haben, dann müssen diese nach Ihrem Gesetzentwurf lediglich „angemessen einbezogen“ werden; schlussendlich aber bleibt der Förderplan etwas, was fremdbestimmt vorgegeben wird.
Dagegen haben wir vorgeschlagen, Fördervereinbarungen anzustreben. Natürlich wissen wir auch, dass das nicht in jedem Fall Erfolg versprechend ist. Aber wir glauben, wenn ein Jugendlicher das Gefühl hat, er könne tatsächlich am Vollzug mitwirken, und seine Vorschläge gingen tatsächlich in den Förderplan ein, dann ist die Chance höher, dass er sich auch daran hält, statt wenn er etwas fremdbestimmt vorgesetzt bekommt und seine Mitwirkungspflicht eine leere Floskel bleibt.
Es gibt noch einiges zu besprechen,und das werden wir sicher auch im Ausschuss tun. Eines aber steht auf jeden Fall fest: Der Vollzug ist dazu da, dass die Jugendlichen Regeln lernen. Ich glaube, das ist bei allen, die sich mit dem Strafvollzug beschäftigen, ziemlich unbestritten. Das gilt natürlich ganz besonders für gesetzliche Regeln. Daher muss der Vollzug, wenn er das vorgeben will, selbst nach möglichst klaren Regeln organisiert sein.
Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, stellt man fest, dass praktisch sämtliche Rechte der Junggefangenen unter einem Generalvorbehalt stehen, nämlich unter der Generalklausel der Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Immer wenn es irgendwo heißt: „Der Gefangene darf...“, oder: „Der Gefangene kann...“, steht gleichzeitig der Halbsatz: „sofern nicht Sicherheit und Ordnung der Anstalt dagegen stehen“.
Wenn aber praktisch alle Rechte der Gefangenen dem Ermessen der Anstaltsleitung unterliegen, steigt die Gefahr, dass sie als willkürlich wahrgenommen werden. Diesem Eindruck sollten wir so weit wie möglich entgegenwirken. Wir kommen nicht ganz ohne diese Generalklausel aus; das ist völlig klar. Sicherheit und Ordnung der Anstalt sind ein hohes Gut im Strafvollzug. Aber alle Rechte der
Gefangenen geradezu inflationär unter diesen Vorbehalt zu stellen ist unserer Auffassung nach der falsche Weg.
Dabei gäbe es einiges zu sagen.– Ich möchte noch auf eine Kleinigkeit hinweisen, auf eine Formulierung in Ihrem Gesetzentwurf. Die haben Sie zwar aus dem Strafvollzugsgesetz übernommen, sie hätte aber möglicherweise die Chance, in die Liste kurioser Formulierungen aufgenommen zu werden, wie z. B. der berühmte Grenzstein im Bürgerlichen Gesetzbuch, der verrückt geworden ist. Ich zitiere Ihre Formulierung:
Wahrscheinlich denkt bei dieser Formulierung nicht jeder unmittelbar an den Schrift- oder den Briefverkehr, obwohl es so gemeint ist.Wir haben diese Formulierung bewusst weggelassen. Auch Sie sollten noch einmal darüber nachdenken. – Danke.
Vielen Dank,Herr Dr.Jürgens.– Als nächstem Redner erteile ich Herrn Kollegen Gerling für die CDU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Justizminister Banzer hat, nachdem die Föderalismusreform in Gang gekommen ist, angekündigt, einen modernen und wegweisenden Gesetzentwurf vorzulegen, der nicht nur die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, sondern darüber hinaus auch eigene Akzente für Hessen setzt.Das ist ihm mit dem soeben eingebrachten Gesetzentwurf hervorragend gelungen.
Herr Minister Banzer, ich möchte Ihnen namens der CDU-Fraktion herzlich danken. Bedanken möchte ich mich auch bei der Expertenkommission, die an der Erstellung des Gesetzentwurfs mitgewirkt hat. Sie haben zügig und sorgfältig gearbeitet und einen hervorragenden Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem wir leben können und den wir auch so verabschieden wollen. Dafür möchte ich Ihnen namens der Fraktion herzlich danken.
In Fachkreisen wird der Gesetzentwurf gelobt, und auch die Presse urteilt recht positiv. „Hessen vorn“ titelte „Die Zeit“ in ihrem Kommentar zu den Plänen der Landesregierung. Die „Frankfurter Neue Presse“ vom 06.03.2007 merkt an, dass das Werk erstaunliche Qualitäten habe.
Es wäre gut, wenn sich die SPD und auch die GRÜNEN diesen positiven Beurteilungen anschließen könnten. Frau Kollegin Faeser,wir sind schon sehr gespannt auf den von Ihnen angekündigten Gesetzentwurf der SPD.
Herr Kollege Hahn, wir sehen uns in großer Übereinstimmung mit der FDP.Wir haben vier Jahre lang, von 1999 bis 2003, erfolgreich Justizpolitik gemacht. Ich sehe hier eine breite Übereinstimmung für ein gutes und wirksames Jugendstrafvollzugsgesetz, das wir gemeinsam verabschieden können.
Was den „Schnellschuss“ betrifft, als den ich den FDPGesetzentwurf bezeichnet habe, so nehme ich diesen Ausdruck mit einem Wort des Bedauerns zurück. Herr Kollege Hahn, damit ist das sicherlich aus der Welt, und es steht nichts mehr zwischen uns.
Dem Jugendstrafvollzug kommt in Hessen seit jeher ein besonderer Stellenwert zu. Insbesondere in dem 2004 eingeführten einheitlichen Vollzugskonzept im hessischen Jugendstrafvollzug sind bereits wesentliche vom Bundesverfassungsgericht geforderte gesetzliche Regelungen enthalten.
Ausgehend von diesen Erfahrungen ist nun ein Gesetzentwurf entstanden, der Hessens Vorreiterrolle im Jugendstrafvollzug weiter stärken wird.
Die zentrale Leitlinie des Gesetzentwurfs ist der Erziehungsgedanke. Erziehung ist ein mühevoller und fordernder Prozess; denn nur durch eine intensive Betreuung durch Pädagogen können jugendliche Gefangene zu einem Leben ohne Straftaten zurückgeführt und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.
Neben diesem Erziehungsgedanken steht in dem Gesetzentwurf als gleichberechtigtes Ziel – das findet die CDUFraktion besonders wichtig – der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. So werden das auch Bayern und andere Bundesländer in ihre Gesetze schreiben. Wir sehen darin keinen Widerspruch zu dem, was uns das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat.
Der Schutz der Allgemeinheit wird durch eine sichere Unterbringung der Gefangenen, in der Regel im geschlossenen Vollzug, und durch umfängliche Resozialisierungsmaßnahmen sichergestellt. Das Erziehungsziel steht insofern nicht in einem Gegensatz zum Schutz der Allgemeinheit, sondern die erfolgreiche Resozialisierung ist eine der Voraussetzungen für die Sicherheit der Bevölkerung.
Den jugendlichen Straftätern wird umfangreiche Hilfe angeboten. Aber es wird von ihnen auch die Bereitschaft erwartet,am Erziehungsziel mitzuwirken.Zur Erreichung des Erziehungsziels ist vor allem eine schulische und berufliche Bildung ein unverzichtbares Mittel. Der Häftling kann im Idealfall während der Haftzeit einen Abschluss oder bestimmte Qualifikationen erlangen,mit deren Hilfe er später in Freiheit ein straffreies Leben aufbauen kann. Für jugendliche Gefangene, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, wird die Teilnahme an Deutschkursen als Integrationsmaßnahme verpflichtend.
Neben den Ausbildungsangeboten ist eine sinnvolle Freizeitgestaltung ein wichtiger Bestandteil der Maßnahmen zur Erreichung des Erziehungsziels. Gerade dem Sport, der das Erlernen sozialer Verhaltensweisen in besonderer Weise fördert, kommt dabei ein hoher Stellenwert zu. Deshalb sollen die Sportangebote erweitern werden.
Die Unterbringung in den Vollzugsanstalten soll tagsüber in Wohngruppen mit nicht mehr als acht Gefangenen er
folgen.Frau Kollegin Faeser,so steht es in § 68 Abs.4.Eine Einzelunterbringung in der Nacht erfüllt ebenfalls die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Die erzieherische Betreuung wird durchgängig gewährleistet sein. Dies gilt auch für das Wochenende. Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Baustein.
Zudem wird zur Pflege der Familienbeziehung und zur Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte, die speziell für junge Gefangene von besonderer Wichtigkeit sind, die Regelbesuchszeit deutlich höher angesetzt als im Erwachsenenvollzug.
Ein ganz entscheidender Punkt sind umfangreiche Entlassungsvorbereitungen. Auch sie enthalten eine Verpflichtung zur Mitarbeit des Gefangenen, damit es eine möglichst nahtlose Wiedereingliederung in die Gesellschaft gibt. Es soll eine kontinuierliche Begleitung sichergestellt werden. Das reicht vom geregelten Tagesablauf in der Haftanstalt bis zu einem verantwortlichen Leben außerhalb der Haftanstalt. Erstmals soll die elektronische Fußfessel bei der Entlassungsvorbereitung eingesetzt werden.
Nach der Haftentlassung soll mit einer umfassenden wissenschaftlichen Begleitung kontrolliert werden, wie effizient das Resozialisierungsangebot wirkt, das die Voraussetzung dafür ist, die Qualität des hessischen Jugendstrafvollzugs ständig zu verbessern. Daran sind wir alle interessiert.
Ich möchte noch einige Anmerkungen zu der Diskussion über das Thema „offener oder geschlossener Vollzug“ machen. Die CDU-Fraktion hält es für einen elementar wichtigen Punkt, dass in dem Gesetzentwurf der Landesregierung zur Erreichung des Erziehungsziels nicht der offene Vollzug, wie dies SPD und GRÜNE fordern, sondern der geschlossene Vollzug als Regelvollzug ausgewiesen wird. Wenn ein Jugendlicher eine Haftstrafe antritt, hat er meistens bereits mehrere Straftaten begangen. Oft befindet er sich in einem kriminellen sozialen Umfeld.Oft hat er schon verschiedene ambulante Hilfsmaßnahmen durchlaufen, ohne dass eine Besserung erreicht werden konnte. So ist die Haftstrafe gleichsam das letzte Mittel, das angewandt wird.
Für solche Straftäter ist es zur Resozialisierung zwingend notwendig,dass sie durch eine intensive pädagogische Betreuung wieder an ein straffreies Leben herangeführt werden.Das ist im offenen Vollzug so nicht möglich.Es würde dem Gedanken der Resozialisierung geradezu zuwiderlaufen, wenn man jugendliche Straftäter zu früh in ihr bisheriges soziales Umfeld zurückkehren ließe, das sich so schädlich auf ihre Entwicklung ausgewirkt hat.
Daher ist es verfehlt, für die Gefangenen sofort den offenen Vollzug vorzusehen. Entgegen den Behauptungen von SPD und GRÜNEN gibt es bisher auch keine wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen schlüssig nachgewiesen wird, dass durch den offenen Vollzug die Rückfallquote nachhaltig gesenkt wird.
Was den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug betrifft, so wissen wir uns mit anderen Bundesländern und dem Bund der Strafvollzugsbediensteten einig, die schon seit vielen Jahren den geschlossenen Vollzug als Regelvollzug fordern und auch eine Gesetzesänderung angemahnt haben.