Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Der Rechnungshof hält 20 % der stationären Fälle für überführbar in das betreute Wohnen. Das bedeutet im Klartext, dass hier noch einmal über 3.000 Plätze geschaffen werden müssten. Auch im Ländervergleich mit den Flächenstaaten nimmt Hessen aufgrund des hervorragenden Engagements des LWV Hessen einen Spitzenplatz ein.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr.Andreas Jür- gens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich nenne einige wenige Zahlen. Hessen hat 1,77 Personen pro 1.000 Einwohner im betreuten Wohnen, Westfalen-Lippe, ein anderer Träger, 1,58, das Rheinland beispielsweise 1,06 und Sachsen 0,88. Hier sehen Sie sehr deutlich, dass Hessen durch das Engagement des Landeswohlfahrtsverbandes in Bezug auf betreutes Wohnen nicht nur Fakten gesetzt hat, sondern auch deutlich gemacht hat, dass es einen hervorragenden Ausbaustand in Hessen gibt.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ich füge hinzu:Das ist nicht nur eine statistische Zahl,sondern es geht dabei auch um Inhalte. Der Rechnungshof und das Kienbaum-Gutachten, das im Auftrag des Rechnungshofs erstellt worden ist, bescheinigen dem LWV Hessen ausdrücklich eine hervorragende Leistung in seiner Funktion als überörtlicher Sozialhilfeträger und dabei ganz besonders beim betreuten Wohnen.

Die Vereinbarung, über die ich eben gesprochen habe, läuft im Jahre 2008 aus. Die Untersuchung von Kienbaum zweifelt an,ob die örtlichen Träger die Aufgaben des LWV Hessen so umfassend und wirtschaftlicher erfüllen können, und kommt letztlich zu dem Schluss, dass eine überörtliche Instanz der beste Garant dafür sei, eine dauerhafte Ausgabensenkung mit der konsequenten Förderung des betreuten Wohnens zu erreichen.

Meine Damen und Herren, hinzu kommt, dass bei einer Verlagerung des betreuten Wohnens auf die örtliche Ebene ein sogenannter Verschiebebahnhof zwischen dem betreuten Wohnen – örtliche Zuständigkeit – und stationären bzw. teilstationären Einrichtungen zu erwarten ist. Denn die günstigere Lösung und für die Betroffenen oft auch bessere Lösung führt zu Kosten beim örtlichen Sozialhilfeträger. Der kann seine Kosten am besten einsparen, wenn er sagt: Geht bitte in die stationäre Einrichtung. – Deswegen wäre das ein Verschiebebahnhof. Das wäre schon aus Kostengründen, aber auch für die Betroffenen falsch.

Meine Damen und Herren, aus all diesen Gründen und aufgrund der festgestellten optimalen Aufgabenerfüllung durch den LWV und der dort vorhandenen Kompetenz ist die SPD ausdrücklich für die dauerhafte Verantwortung für das betreute Wohnen beim Landeswohlfahrtsverband, um das klar und deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen gehe ich auch davon aus, dass das die Betroffenen im Landeswohlfahrtsverband, das Parlament des Landeswohlfahrtsverbandes insgesamt, auch so sehen.

Meine Damen und Herren, aufgrund der derzeitigen hessischen Gesetzeslage, auf die ich hingewiesen habe, ist eine Verlängerung des Vertrages durch den örtlichen Träger nicht ausreichend, wie der Rechnungshof das geschrieben hat.

Herr Kollege Kahl, ich bitte Sie, zum Ende Ihrer Rede zu kommen.

Ich bin gleich am Ende. – Das ist also nicht ausreichend. Deswegen muss das Hessische Ausführungsgesetz zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch so verändert werden, dass das betreute Wohnen als Aufgabe des Landeswohl

fahrtsverbandes festgeschrieben wird. Das heißt, wir müssen es in das Gesetz aufnehmen. Nur so ist es möglich, dass es weiterhin beim Landeswohlfahrtsverband verbleibt. Ich bitte Sie, dem im Interesse des weiteren Ausbaus des betreuten Wohnens und im Interesse der betroffenen Menschen mit Behinderungen zuzustimmen. Das wäre ein klares Signal, dass auch nach 2008 diese erfolgreiche Politik fortgesetzt werden kann. – Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kahl. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Jürgens für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das betreute Wohnen in Hessen ist in der Tat eine Erfolgsgeschichte für behinderte Menschen. Immer mehr Menschen mit einer seelischen, geistigen oder körperlichen Behinderung erhalten die Möglichkeit, mit entsprechender Unterstützung in der eigenen Wohnung, in den eigenen vier Wänden zu leben. Ihnen bleibt das Leben in der Institution Heim erspart. Das ist auch aus Sicht meiner Fraktion richtig und gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kahl hat durchaus recht, dass Voraussetzung für diese Erfolgsgeschichte unter anderem die Zusammenführung der Zuständigkeit für die stationären Hilfen und das betreute Wohnen in einer Hand, beim Landeswohlfahrtsverband,war.Ich erinnere mich noch an die Zeit davor, als die örtlichen Träger für das betreute Wohnen zuständig waren. Da gab es eine sehr holprige und langsame Entwicklung in diesem Bereich wegen dieses Verschiebebahnhofs, den Herr Kahl genannt hat. Mit der Abschiebung in Heime waren die örtlichen Träger die Kosten vollständig los.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Deswegen hatten sie wenig Interesse daran, betreutes Wohnen auszubauen. Diejenigen, die es gleichwohl gemacht haben, wurden bestraft. Diejenigen, die es nicht gemacht haben, wurden belohnt.

Der Landeswohlfahrtsverband hat irgendwann einmal gesagt: Wir sind für das betreute Wohnen zwar nicht zuständig, aber wir übernehmen das in Form einer Mitfinanzierung als Ersatz für stationäre Hilfen.– Irgendwann später wurde endlich diese Vereinbarung getroffen, und zwar auf der Grundlage des damals geltenden Rechts des Bundessozialhilfegesetzes. Der Landswohlfahrtsverband hat mit den Kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, dass bis zum 31.12.2008 zunächst der Landeswohlfahrtsverband die gesamte Zuständigkeit übernimmt und danach die Zuständigkeit für das betreute Wohnen auf die Kommunen übergehen soll.

Ich darf Ihnen mitteilen, welchen Beschluss die Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes am 21. März einstimmig gefasst hat. Alle Fraktionen im Sozialparlament haben dem zugestimmt:

Der Verwaltungsausschuss wird beauftragt, Verhandlungen mit den Kommunalen Spitzenverbänden und dem Hessischen Sozialministerium aufzunehmen mit dem Ziel, dass die Vereinbarung über

die Zuständigkeit, die Finanzierung und den landesweit gleichmäßigen Ausbau von Angeboten im Bereich des betreuten Wohnens für behinderte Menschen im Land Hessen bis zum 31. Dezember 2008 über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert wird und die §§ 2 und 14 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum SGB XII entsprechend angepasst werden.

Das Problem besteht darin, dass der Gesetzgeber damals nur nachvollzogen hat, was die Kommunalen Spitzenverbände und der Landeswohlfahrtsverband vertraglich vereinbart hatten. Nach dem Grundsatz „Pacta sunt servanda“ war die Verbandsversammlung der Auffassung, in einem ersten Schritt müsse man mit dem Vertragspartner in Gespräche eintreten, um diese Vereinbarung zu verändern, um dann den Gesetzgeber aufzufordern, einer geänderten Vereinbarung die gesetzliche Grundlage dadurch zu geben, dass das Hessische Ausführungsgesetz geändert wird.

Mit Ihrem Vorschlag machen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kahl, ich hätte mir sehr gewünscht, dass Sie uns schildern, welche Versuche Sie unternommen haben, die SPD-Landräte, die SPD-Oberbürgermeister sowie diejenigen, die von Ihrer Partei in den Kommunalen Spitzenverbänden Verantwortung tragen, dazu zu bringen, einer solchen Änderung der Vereinbarung zuzustimmen. Dann wären wir vielleicht schon einen Schritt weiter.

Ich räume ein, wenn man den zweiten Schritt vor dem ersten macht, kann das unter Umständen dazu beitragen, dass der erste Schritt ein bisschen beschleunigt wird.

(Reinhard Kahl (SPD): Ja!)

Dann sind wir uns schon wieder einig.

Deshalb plädiere ich dafür, die Durchführung einer Anhörung zu beschließen, zu der wir natürlich die Kommunalen Spitzenverbände einladen. Wenn dieser Gesetzentwurf dazu beitragen kann, vielleicht noch etwas mehr als die Beschlussfassung der Verbandsversammlung die Kommunalen Spitzenverbände zu einem Einlenken, zu einem Nachdenken, zu einem Problembewusstsein zu bringen, dann hat er seinen Zweck erfüllt. Dann können wir als Gesetzgeber entscheiden, ob wir dies in einem zweiten Schritt nachvollziehen und das Gesetz entsprechend ändern. Das ist der richtige Weg.

Ich hoffe – nach der Beschlussfassung der Verbandsversammlung gehe ich davon aus, dass es auch in diesem Haus übergreifend so gesehen wird –, dass ein Zusammenlassen der Hilfen in einer Hand als ein gemeinsames wichtiges Anliegen betrachtet wird, das aller Anstrengungen wert ist, sich dafür einzusetzen. Wenn der Gesetzentwurf hierbei weiterhilft, können wir das gern machen. Ich hoffe, dass die Anhörung einen Beitrag hierzu leistet.Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Ich hoffe, dass die Hilfe aus einer Hand erhalten bleibt. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jürgens. – Nächster Redner ist Herr Kollege Rentsch.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Jürgens hat vieles gesagt, was ich unterstreichen möchte. Es ist etwas verwunderlich, dass die Sozialdemokraten jetzt auf einmal diesen Weg gehen, obwohl sie wissen, dass entsprechende Initiativen unternommen werden.Herr Kollege Kahl,Ihren Ausführungen stimme ich in weiten Teilen zu. Ich bin auch der Auffassung, dass vonseiten des Landeswohlfahrtsverbands eine gute Arbeit geleistet wird. Derzeit ist eine Situation eingetreten, die Sie als ganz anders prophezeit haben. Die Betroffenen scheinen sehr zufrieden mit dieser Situation zu sein.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Außerdem muss man anerkennen, dass auch eine politische Mehrheit, an der die SPD nicht beteiligt ist, in der Lage ist, dieses sehr komplexe Gebilde des Landeswohlfahrtsverbandes im Interesse der Betroffenen zu steuern. Das verdient meines Erachtens ein Lob des Hessischen Landtags. Darüber freuen wir uns sehr.

(Beifall bei der FDP)

Zu Ihrem Anliegen. Ich glaube, Herr Kollege Dr. Jürgens hat eine sehr wichtige Grundregel angesprochen. Die Grundregel „Pacta sunt servanda“ gilt auch für die Sozialdemokraten. Das ist zunächst einmal der Status, den wir haben.Die Verbandsversammlung hat sich aufgrund eines Gutachtens, das Sie zitiert haben, anders entschieden.

Abgesehen von der Finanzierungsfrage stellt sich die Frage, was für die Betroffenen am besten ist. Es gibt ein gutes Argument dafür, sowohl den ambulanten als auch den stationären Bereich in einer Hand zu organisieren. Diesem Argument kann man sich nicht verschließen. Wir werden in der Anhörung sicherlich auch darüber diskutieren, wie man langfristig Strukturen schaffen kann, die einerseits wirtschaftlich sind – das können wir nicht unbeachtet lassen – und die andererseits so zugeschnitten sind, dass sie für die Betroffenen sinnvoll sind.

Herr Kollege Kahl, jetzt stellt sich die Grundsatzfrage, ob es richtig ist, die Kommunen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen. Wir wissen, dass die Kommunen bisher nicht über das entsprechende Know-how verfügten. Es ist aber nicht ausgeschlossen,dass sie dieses Know-how aufbauen. Insofern muss man nicht gleich das Schreckgespenst an die Wand malen, dass das nicht funktioniert. Klar ist, dass der Landeswohlfahrtsverband über das entsprechende Know-how verfügt. Er hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass er in diesem Bereich gute Arbeit leistet. Insofern ist genau diese Abwägungsfrage zu klären,wie man diesen Bereich langfristig ausrichtet.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Man kann das meines Erachtens ganz entspannt diskutieren und muss sich nicht aufregen.

(Reinhard Kahl (SPD):Wer regt sich denn auf?)

Ich halte es für wichtig, dass wir zunächst einmal die Gespräche zwischen den Kommunalen Spitzenverbänden und dem Landeswohlfahrtsverband abwarten, wie es Herr Dr.Jürgens gesagt hat.Dann wird man sehen,in welche Richtung sich das bewegt.Wir brauchen auf jeden Fall einen gemeinsamen Weg.Es macht wenig Sinn,wenn Landeswohlfahrtsverband und Kommunale Spitzenverbände gegeneinander arbeiten. Wir müssen einen gemeinsamen Weg gehen. Ich glaube, dass das möglich ist.

Ich habe hierzu in den vergangenen Tagen mit einigen Vertretern gesprochen. Das Meinungsbild ist nicht homogen, sondern heterogen. Ich meine aber, dass man ein einheitliches Meinungsbild herstellen kann. Dann wird man über diesen Schritt entscheiden.Insofern ist es richtig,was Herr Kollege Dr. Jürgens gesagt hat, dass man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt gehen sollte. Zunächst einmal werden die Gespräche geführt.Wenn diese Gespräche zu einem besonderen Ergebnis führen, dann kann man das Gesetz ändern. Man sollte aber nicht den umgekehrten Weg gehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Rentsch. – Nächste Rednerin ist Frau Abg. Dörr.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich könnte ich genauso wie Frau Kollegin KühneHörmann mit einem Satz sagen, dass die Vorredner im Prinzip alles gesagt haben und dem nicht zu widersprechen sei. Dennoch muss ich einen kleinen Wermutstropfen in diesen Wein schütten, weil ich nicht mit allem einverstanden bin, was Herr Kollege Dr. Jürgens und Herr Kollege Rentsch dargestellt haben.