(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Das ist eine gute Frage!)
Es kann doch nicht sein, dass Sie ausschließlich den Status quo noch einmal problematisieren wollten, um es dann so zu lassen, wie es ist.
Jeder von uns Politikern weiß: Wenn man etwas problematisiert, tut man dies, weil man es ändern will. Darum geht die Debatte, die wir heute führen.
Ich wiederhole es zum Abschluss: Wir Liberalen sind dafür, dass es im Biologieunterricht einen Diskurs zwischen den Themen der Naturwissenschaften auf der einen Seite und denen der Theologie und, wenn die Schülerinnen und Schüler es wollen, auch des Glaubens auf der anderen Seite gibt. Aber das gehört in das Fach Biologie der 12. Klasse. Wenn wir uns darüber einig sind, war die Debatte meiner Auffassung nach fruchtbar. Frau Kultusministerin, im anderen Falle wollen Sie etwas Neues einführen. Das wollen wir Liberalen nicht haben.
Herr Kollege Hahn, vielen Dank. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind die Aktuellen Stunden unter den Tagesordnungspunkten 75 und 77 abgehalten.
Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Bedenken ernst nehmen – kein Kopftuch auf der Richterbank) – Drucks. 16/7533 –
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal für die CDU-Fraktion des Hessischen Landtags feststellen: Das Tragen des Kopftuchs steht nicht im Einklang mit unseren Grundwerten, wer es trägt, hat auf der Richterbank nichts verloren.
Das Tragen des Kopftuchs konterkariert wesentliche Prinzipien unseres Rechtsstaats. Es kann deswegen weder auf der Richterbank noch auf der Bank der Staatsanwälte getragen werden.
Wie kommen wir auf dieses Thema? – Ich will den Sachverhalt noch einmal kurz in Erinnerung rufen. Eine Referendarin des Amtsgerichts Offenbach ist nicht bereit, das Kopftuch abzulegen. Referendarinnen und Referendare haben aber den Auftrag und die Aufgabe, an Verhandlungen mitzuwirken.
Wir möchten dem Justizminister sehr herzlich danken: Es ist nunmehr sichergestellt worden, dass diese Referendarin bei Gerichtsverhandlungen nicht vorne neben Richter oder Richterin Platz nimmt. Sie wird keine eigene Beweisaufnahme vornehmen, was eigentlich während der
Ausbildung vorgesehen ist. Sie wird auch für die Staatsanwaltschaft keine Sitzungsvertretung übernehmen.
Diese Teile der Ausbildung finden also nicht statt. Wegen der Nichtteilnahme werden sie dementsprechend mit „ungenügend“ bewertet. Ich denke, das ist so richtig. Das wollte ich hier noch einmal für unsere Fraktion feststellen.
Wir stoßen mit dieser Debatte natürlich in den Kern unseres Rechtsstaats. Herr Kollege Wagner, Sie haben das eben hier gerufen. Ich will Ihren Hinweis durchaus aufgreifen.
Natürlich befinden wir uns damit im Kern dessen, was uns verbindet und auch trennt. Ich glaube, eine leistungsfähige und unabhängige Justiz ist das Rückgrat unseres Rechtsstaats. Sie dient der Herstellung des Rechtsfriedens. So oder so ähnlich wird dies in den Programmen aller Fraktionen dieses Hauses am Ende stehen.
Ja, unsere Justiz muss leistungsfähig und unabhängig sein. Aber sie muss natürlich auch akzeptiert werden. Die Justiz muss von der Gesellschaft akzeptiert werden. Am Ende eines Prozesses spricht der Richter im Namen des Volkes sein Urteil aus. Wir sind der Auffassung, das ist nicht damit vereinbar, dass eine Referendarin auf der Richterbank das Kopftuch trägt.
Meine Damen und Herren, die Frage „akzeptierte Justiz“ haben wir vor einigen Wochen bereits miteinander diskutieren können, als es darum ging, dass eine Familienrichterin eine falsche Wertung vorgenommen und den Koran bei einem Urteil herangezogen hat. Rechtsfrieden erreichen wir nur durch eine akzeptierte Justiz – d.h.,wir brauchen unabhängige, wir brauchen unparteiliche, und wir brauchen unbefangene Richter.
Eine Kopftuch tragende Repräsentantin würde diese Neutralität infrage stellen. Die Neutralitätsverletzung steht nach der Diskussion, die soeben geführt worden ist, hier überhaupt nicht infrage.
Das Kopftuch ist nicht nur Glaubenssymbol, sondern mittlerweile ein politisches Symbol geworden. Es signalisiert Zwang zur Verhüllung. Es signalisiert Unfreiheit. Es signalisiert auch fundamentalistischen Gottesstaat. Und es signalisiert Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber der Frau. Das ist mit den Werten unseres Grundgesetzes in keiner Weise vereinbar.
Weil das mit den Grundwerten unseres Grundgesetzes nicht vereinbar ist, darf dieses unvereinbare Symbol auch nicht an einer Stelle platziert sein, wo der Rechtsstaat im Kern repräsentiert wird. Das Kopftuch darf diesen Staat nicht repräsentieren. Das gilt für die Schule genauso wie für die Justiz. Man kann auch sagen: erst recht für die Justiz.
Meine Damen und Herren, das Kopftuch konterkariert die wesentlichen Prinzipien unseres Rechtsstaates. Es hat weder auf der Richterbank etwas zu suchen, noch hat es auf der Bank des Staatsanwaltes etwas zu suchen. Der
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach was! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Weiß das die Frau Wolff?)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man sich den Titel dieser Aktuellen Stunde ansieht, dann weiß der Letzte hier im Saal, aber auch in Hessen, dass der Wahlkampf längst begonnen hat.
Mit einem untauglichen Versuch versucht die CDU einmal wieder hier in Hessen, unsere Gesellschaft zu polarisieren. Sie braucht offenbar Futter für ihre selbst ausgerufene Leitkulturdebatte, was an sich eine unglaubliche Dreistigkeit ist, wenn man an die Parteigeldaffäre, die Vermächtnislüge oder die Doppelpasskampagne denkt.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU: Ui! – Michael Boddenberg (CDU): Jetzt sind wir beim Wahlkampf!)
Ihr fehlt jegliche moralisch-politische Kraft, solch eine Diskussion zu führen. Lassen Sie mich jedoch in aller Sachlichkeit auf den konkreten Fall zu sprechen kommen.
(Michael Boddenberg (CDU): Das war übrigens Ihre alte Strategie, Frau Kollegin! – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Herr Beuth hat beschrieben, um was es geht, um eine Referendarin, die beim Amtsgericht in Offenbach ihre Station ableisten will und wo erstmals in Hessen offiziell die Frage aufgeworfen wurde, inwieweit die Neutralität der Justiz auch in Hessen garantiert ist.
Herr Beuth, Sie haben diesen Fall in großer Eindimensionalität vorgetragen und entsprechend bewertet. Ich möchte klarstellen, dass das Kopftuch in der Tat einen sehr unterschiedlichen Aussagegehalt haben kann – etwa als Ausdruck kultureller Tradition des entsprechenden Herkunftslandes. Natürlich kann es auch Ausdruck eines politischen Symbols sein. Es kann aber auch
in der Tat, Herr Dr. Wagner – Modeschmuck sein. Es kann natürlich auch Symbol der Unterdrückung sein. Hier ist entscheidend, weil es eine unterschiedliche Bedeutung haben kann, dass wir nicht sozusagen eindimensional solche Diskussionen führen, sondern uns einzelfallgerecht den Fall ansehen, dann bewerten und interpretieren,
welche Bedeutung im konkreten Fall für den Tragenden, aber auch für den Beobachter das Kopftuch in der jeweiligen Situation hat.
In dem vorliegenden Fall sind mehrere verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen betroffen, die in einer Güterabwägung in verfassungskonformer Weise im Einzelfall miteinander in Einklang gebracht werden müssen – zum einen die in Art. 4 Abs. 1 geschützte Freiheit des Glaubens. Dann natürlich die negative Religionsfreiheit der etwa Betroffenen im Gerichtssaal,aber auch die staatliche Neutralitätspflicht, die für Referendare, die im juristischen Vorbereitungsdienst angestellt sind, gilt.
Hier dürfte es in diesem Haus völlig klar und nicht strittig sein, dass auch in der Justiz uneingeschränkt die politische, weltanschauliche und religiöse Neutralität des Staates gilt. Dies kommt nicht zuletzt durch die „kleinen Vorschriften“ bei Gericht zum Ausdruck, dass Richter und Staatsanwälte, aber auch z. B. die Anwälte entsprechende Roben zu tragen haben.