Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

Herr Kollege Brückmann, ich bin von Kollegen meiner Fraktion gebeten worden,mitzuteilen,dass sich deren Applaus auf Ihren letzten Satz bezog. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen alles Gute. Das habe ich Ihnen auch persönlich schon gesagt.

(Beifall)

Herr Kollege Brückmann, wir wünschen Ihnen für Ihre künftigen Aufgaben alles Gute.Ich muss aber sagen,in Ihrer letzten Rede haben Sie wieder einmal Ihre ideologische Brille aufgesetzt.

(Zurufe von der CDU)

Im letzten Drittel Ihrer Rede haben Sie einen ganz besonders zynischen Satz gesagt. Sie haben gesagt, die Zeit der Hängematte sei vorbei. Eine derartige Diskriminierung von 4 Millionen Menschen, denen die Arbeitsplätze fehlen, ist in jeder Beziehung unpassend. Ich kann nur sagen: pfui.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe ist unumgänglich. Wie wir allen Redebeiträgen entnehmen konnten, sind wir uns in dieser Frage über alle Fraktionen hinweg einig. Zwei Hilfesysteme, die aus Steuermitteln finanziert werden, sind zu viel. Positiv ist auch, dass der Bund die Kosten für die Arbeitslosen, die in der Sozialhilfe sind,übernehmen wird.Deshalb waren der Popanz, den der Kollege Rentsch in seiner Rede hier aufgebaut hat, und seine Forderung, man möge das Geld bei den Kommunen belassen, vollkommen überflüssig. Genau das steht in den Gesetzentwürfen der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Wir erhalten ein effizientes, transparentes und einheitliches Hilfesystem für alle Menschen,denen nichts fehlt außer Erwerbsarbeit.Das Hin und Her zwischen Arbeitsamt und Sozialamt und den Drehtüreffekt haben wir hier schon mehrfach diskutiert. Mit diesem Effekt wird

Schluss sein, und die Zuständigkeiten werden klar zugeteilt. Es wird daher keinen Verschiebebahnhof mehr geben, wenn die CDU ihre Blockadehaltung im Bundesrat aufgibt. Man könnte sagen: Es lebe das Jobcenter.

Was versprechen wir uns davon? Wir versprechen uns Arbeitsmarktförderung, umgesetzt in Jobcentern, die solchen Menschen auch einen Zukunftsweg weisen können.

(Frank Gotthardt (CDU): Das versprechen Sie sich schon lange!)

Die soll durch eine umfassende Betreuung, d. h. durch eine Orientierung an den Betroffenen an seinen und ihren Problemen, durchgeführt werden, um sie wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Frauen mit Kindern brauchen Wiedereinstiegskurse und Betreuungsplätze für Kinder in Kindertagesstätten, Kindergärten und Ganztagsschulen. Wer gesundheitliche Probleme hat und aufgrund von Alkohol- und Drogenkonsum unter Umständen nicht in der Lage ist, voll erwerbstätig zu sein, muss entsprechende Hilfen erhalten, um integriert werden zu können. Wer langzeitarbeitslos war, braucht unter Umständen Beschäftigungsmöglichkeiten, bevor eine Arbeit im ersten Arbeitsmarkt überhaupt möglich ist.

Wenn ich mir dann aber die Kahlschlagliste des Ministeriums anschaue, die die Landesregierung uns vorgestern präsentiert hat, dann zeigen Sie, dass Sie auf Landesebene alles, aber auch wirklich alles tun, um die bestehende soziale Infrastruktur zu zerschlagen und genau diese notwendigen Hilfen komplett kaputtzuschlagen.

Zuwendung zu den Fachstellen Jugendberufshilfe zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit – gestrichen, Kurse zum beruflichen Wiedereinstieg von Frauen nach der Familienphase – komplett gestrichen, Schuldnerberatung in Hessen – alle Standorte komplett gestrichen, Kinderbetreuung für unter dreijährige Kinder – das Schlusslicht aller Flächenländer, Drogen- und Jugendberatungsstellen – gestrichen, Hilfen für junge Straffällige – gestrichen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie alle, aber auch alle Maßnahmen der Prävention und Unterstützung in Hessen streichen, was glauben Sie, wie dann eine Gesellschaft funktionieren kann? – Sie lassen die Menschen, die Hilfe brauchen, im Stich. Sie stehlen sich aus Ihrer Verantwortung. Sie handeln verantwortungslos und legen die Axt an den sozialen Kitt in unserer Gesellschaft. Das möchte ich Ihnen an dieser Stelle ganz klar sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Jobcenter sollen eine ganzheitliche Vermittlung in Arbeit ermöglichen, und die Menschen sollen in ihrer Lebenssituation neue Chancen erhalten.

Frau Kollegin Fuhrmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Boddenberg?

Nein, jetzt nicht. – Dazu ist ein Unterstützungs- und Hilfenetz notwendig. Ich habe gerade ausgeführt, dass dieses Unterstützungs- und Hilfenetz in Hessen komplett zerschnitten wird. Es sind aber auch Arbeitsplätze notwendig, in die vermittelt werden kann.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Kollege Brückmann, von einer Hängematte zu sprechen war zynisch, denn Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe finden meistens deshalb keine Arbeit, weil es keine Arbeit gibt oder weil die Beseitigung von Vermittlungshemmnissen durch Sie unmöglich wird.

(Beifall bei der SPD)

Die Zahl der offenen Stellen ist in Ihrer Regierungszeit von Jahr zu Jahr gesunken. Im Jahr 2002 waren es gerade noch 23.000 offene Stellen. Auch da sei vor trügerischen Hoffnungen gewarnt: Diese Unmengen von Stellen im Niedriglohnsektor gibt es in nennenswerter Zahl de facto nicht, Herr Kollege Rentsch. Da hilft auch kein noch so großer Zwang, wie ihn der Herr Kollege Brückmann anlegen möchte, ebenso wenig nützt eine Drohung.

Die FDP müsste auch wissen, dass gerade niedrige Einkünfte in den vergangenen Jahren der Grund für ergänzenden Sozialhilfebezug waren. Das muss man schlicht so sehen.

Frau Fuhrmann, gestatten Sie generell keine Zwischenfragen?

Nein, die zehn Minuten sind zu kurz. Wenn ich nach meiner zehnminütigen Redezeit noch Zeit habe, gestatte ich alle Zwischenfragen.

(Zuruf des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Wir haben in Hessen immerhin 15.000 Menschen zwischen 15 und 65 Jahren, die trotz Erwerbsarbeit Hilfe zum laufenden Lebensunterhalt erhalten.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die rot-grüne Bundesregierung – nach 16 Jahren Stillstand der Regierung Kohl; die FDP war eigentlich auch immer dabei – jetzt die notwendigen Reformen auf dem Arbeitsmarkt anpackt.

(Horst Klee (CDU): Ach du liebe Zeit, das hat keine Wirkung!)

Null Wirkung? Also, die Zwischenrufe werden auch nicht besser.

(Frank Gotthardt (CDU): Das hat etwas mit der Rednerin zu tun!)

Das neue SGB II wird das Nebeneinander von Arbeitsund Sozialamt beseitigen und zu einem Miteinander führen. Die Jobcenter werden sich – das muss man ganz schlicht sehen – mit den Kommunen, mit den Fort- und Weiterbildungsträgern, mit kommunalen Beschäftigungsgesellschaften, eben mit dem, was es bereits gibt, verzahnen müssen. Wir wissen sehr genau, dass es noch ganz weiße Flecken gibt.Aus diesem Grund wird diese Thematik eine Zukunftsaufgabe sein, mit der wir uns heute nicht das letzte Mal beschäftigen. Gefragt sind die Verzahnung, die Kooperation und intelligente Lösungen.

Wir fordern die Landesregierung auf, ihre Hausaufgaben zu machen und in Hessen die Beratungs- und Unterstützungsstrukturen bei Schulden, bei Drogen, bei fehlenden Kinderbetreuungsplätzen nicht zu zerschlagen, sondern zu erhalten und auszubauen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Grund von Jobcentern. Sie selbst sind aus Wisconsin zurückgekommen und haben gesagt: Wunderbar, alle müssen sofort Hilfe in Jobcentern bekommen.

Sie machen jetzt die ganze Beratungslandschaft und die soziale Infrastruktur platt, Frau Lautenschläger.

(Beifall bei der SPD)

Wir fordern Sie auf, in Hessen Ihre Hausaufgaben zu machen und auch das Kinderbetreuungsangebot endlich auszuweiten. Die rote Laterne in Hessen bei der Betreuung unter dreijähriger Kinder führt dazu, dass Alleinerziehende zwangsläufig beim Arbeitsamt oder in der Sozialhilfe landen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir fordern die CDU in Gänze auf, ihre Blockadehaltung im Bundesrat endlich aufzugeben. Sie können auch Gesetzen der Bundesregierung, die in langen Beratungen entstanden sind, mit Änderungen zustimmen, ohne uns jedes Mal wieder Ihre Langspielplatte von Wisconsin vorzuspielen, ob sie nun „Existenzgrundlagengesetz“ oder „Arbeit macht frei“ heißt.

(Frank Gotthardt (CDU): Oh, oh, oh!)

Das nehme ich zurück. Entschuldigung.

Ich kann Ihnen nur sagen, diese Langspielplatte hilft den Betroffenen nicht. Diese Verwirrungstaktik, die Sie immer wieder betreiben, ein neuer Gesetzentwurf und noch ein neuer Gesetzentwurf, und dieses und jenes, das hilft den Betroffenen nicht. Es hilft ihnen, wenn Sie die Reformen am Arbeitsmarkt endlich mitgestalten. Deswegen fordere ich Sie auf: Machen Sie Ihre hessischen Hausaufgaben, und stimmen Sie im Bundesrat in dieser Frage zu. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Als nächste Rednerin hat Ministerin Lautenschläger das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Fuhrmann, ich muss vorausschicken: Es ist schon schwer erträglich, was Sie hier zusammenwerfen und wie Sie sich überhaupt mit den Gesetzentwürfen von uns und der Bundesregierung befasst haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Florian Rentsch (FDP): Gar nicht, überhaupt nicht!)

Es geht im Kernpunkt um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Warum diskutieren wir das heute? – Vielleicht sollten Sie sich diese Frage vorweg beantworten.Wir diskutieren die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, weil festgestellt wurde, dass über viele, viele Jahre hinweg in beiden Systemen diejenigen, die langzeitarbeitslos sind und im Prinzip keinerlei Ausbildung haben, durch alle Roste hindurch gefallen sind und keine Chance mehr hatten, in den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Es sei denn, es gab neue Drehtüreffekte, d. h. jemand kam für kurze Zeit aus der Sozialhilfe heraus. Er kam aber nicht in den ersten Arbeitsmarkt, sondern es war nur ein anderer Träger dafür

zuständig. Einmal war die Bundesanstalt für Arbeit zuständig und an der anderen Stelle der Sozialhilfeträger, also die kommunale Seite.