Protokoll der Sitzung vom 05.09.2007

Sehr verehrte Frau Kollegin Erfurth, ich halte es schlichtweg nicht für gut, dass punktuell einzelne Bereiche herausgegriffen werden, über die man im Einzelfall durchaus reden kann. Jetzt, fünf Monate vor Ende der Legislaturperiode, soll daran noch schnell etwas gemacht werden. Das ist nicht sinnvoll. Denn wenn Sie an einer Stelle in diesem Instrumentenkasten etwas ändern, hat das an vielen anderen Stellen eine Auswirkung. Herr Kollege Möller hat ein paar sehr gute Beispiele genannt und das aus der Praxis belegt.

Das ist auch nichts Neues. 1999 hat das Herr Al-Wazir im Prinzip bis fast auf den Punkt genau auch schon einmal vorgetragen. Im Juli 2004 war es Herr Frömmrich. Das war fast wörtlich dasselbe. Jetzt tragen auch Sie es noch einmal vor. Das macht die Sache nicht leichter und nicht besser.

Ich sage Ihnen eines zu. Herr Kollege Rudolph hat hier – ich zitiere jetzt seinen Generalsekretär – für seine Verhältnisse sehr zurückhaltend vorgetragen. Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht.Wir müssen die Hessische Gemeindeordnung und die Hessische Landkreisordnung sowieso evaluieren. Sie stehen unter einer Befristung. Das ist genau der richtige Zeitpunkt,sich anzuschauen:Was hat sich bewährt, und was hat sich nicht bewährt?

Ich habe deshalb wenig Neigung, jetzt von dem einen zum anderen Punkt zu springen und zu sagen: Das oder jenes machen wir.

Ich will aus zeitlichen Gründen das hier nicht alles vorbeten. Man könnte Ihnen von der Sache her sehr schön zeigen, dass das alles schon einmal da war. Man hat unter allen möglichen Gesichtspunkten alles schon einmal probiert.

Meiner Ansicht nach muss hier eines wirklich einmal deutlich gemacht werden. Sie haben am 2. August 2007 eine Pressemitteilung verteilt. Da haben Sie unter anderem Folgendes geschrieben. Sie teilten mit, der Politikverdrossenheit und dem nachlassenden Interesse solle mit Ihrem Angebot,also mit Ihren einzelnen Maßnahmen,begegnet werden. Die Bürger sollten neu stimuliert werden. Das solle zu mehr Interesse und minderer Politikverdrossenheit führen. – Sehr verehrte Frau Kollegin, man kann sich das wünschen. Ich glaube aber, dass das gerade einmal gar nichts nützt.

Ich erinnere mich, wie hier im Hause vor vielen Jahren eine Revolution der Hessischen Gemeindeordnung durchgeführt wurde. Damals hat man beschlossen, die Ausschusssitzungen öffentlich zu machen. Damals regierte die SPD alleine. Damals wurden Grundsatzdebatten darüber geführt, ob man so etwas machen kann. Man hat das damit begründet, dass die Bevölkerung an dem Gang der Beratungen teilnehmen können solle und dass das das Interesse an der ehrenamtlichen kommunalen Arbeit und an der kommunalen Arbeit insgesamt deutlich beflügele.

Was ist die Wirklichkeit? Die Wirklichkeit sieht so aus:Da gehen genauso wenige hin wie zu all den anderen Anlässen. Mit dem Instrumentenkasten, den Sie zur Verfügung stellen wollen, beflügeln Sie nach meiner Einschätzung eher die Durchsetzung einzelner Interessen, aber nicht das Gesamtwohl.

Ich bin deshalb sehr zurückhaltend. Wenn wir das ernstlich machen würden, müssten wir das innerhalb von ein paar Monaten durchhauen. Ich hielte das für falsch. Denn Sie werden bei vertiefter Befassung feststellen, dass eines zum anderen kommt.

Ich will ein Beispiel aufgreifen. Herr Kollege Möller hat doch vollkommen recht. Sie sollten sich die Wirklichkeit in den hessischen Landkreisen einmal anschauen. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob man die Kreise auflösen soll oder nicht.Wenn Sie sich die Wirklichkeit in den Kreisen anschauen, werden Sie feststellen, dass es in den großen Kreisen für ein Fachthema oder ein Thema kein großes gemeinsames Interesse gibt. Das ist keine Aussage gegen den Kreis. Manchmal ist es gut, wenn man davon ein Stück ferner ist.

Schauen Sie sich doch einmal die Direktwahlen an. Man mag das beklagen oder auch nicht. Die Bürger halten die Dinge so, wie sie sind. Sie halten sie entweder für in Ordnung, oder sie sind ihnen nicht so wichtig, dass sie dafür hingehen würden.Das werden Sie mit der Einführung von Quoren und anderem keinen Millimeter bewegen. Schauen Sie sich doch einmal die Beteiligung in Bayern an.Schauen Sie sich das doch irgendwo in dieser Republik an.

(Günter Rudolph (SPD): Die Direktwahl von Landräten!)

Alles, was man dort versucht hat, hat jedenfalls die Erreichung des Ziels, das Sie mit Ihrer Initiative erreichen wollen,nicht befördert.Deswegen kann ich aus Sicht der Landesregierung Ihnen hier beim besten Willen nur wenig Hoffnung machen. Es handelt sich um ein Sammelsurium vieler Gesichtspunkte. Aber es handelt sich nicht um ein geschlossenes Werk.

An einem möchte ich gerne festhalten. Das hat Herr Kollege Möller auch schon ausgeführt. Das bleibt jedenfalls für die Landesregierung ein ganz wesentlicher Punkt. Ich finde, wir sollten die Kommunen bei den Dingen, die sie vernünftigerweise selbst regeln sollten, nicht durch Gesetzgebung des Landes zu etwas zwingen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es ist doch nicht sinnvoll, den 426 Städten und Gemeinden, die höchst unterschiedlich sind, vorzuschreiben, ob und wie sie eine Fragestunde abzuhalten haben. In dieser Hinsicht sind die Angelegenheiten in der Stadt Frankfurt am Main völlig anders als in einer Gemeinde mit 3.000 oder 5.000 Einwohnern.

(Günter Rudolph (SPD): Oberweser! – Gegenruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Oder in Gießen!)

Oder in Gießen. – Es ist doch vernünftig, denen das Recht einzuräumen,es selbst zu entscheiden.Wenn wir sie zu etwas zwingen würden, wäre das nicht kommunalfreundlich. Das dient auch nicht der Sache.

Aus Sicht der Landesregierung sage ich deshalb: Es ist die Sache dieses Hauses, zu entscheiden, in welchem Umfang Sie eine Anhörung durchführen. – Ich garantiere Ihnen: Sie werden keinen einzigen neuen Gesichtspunkt erfahren.All das wurde schon zwanzigmal diskutiert.

Ich werbe für Folgendes. Wenn wir an die Gemeindeordnung herangehen, sollte man das in einem umfassenden Sinne machen.Man sollte das jetzt nicht als Stückwerk betreiben.

Als Linie der Landesregierung bleibt festzustellen: Wir wollen nicht unnötig das durch Landesgesetz binden, was die Kommunen füglich selbst mit ihrer eigenen Organisation vernünftigerweise regeln können. Deshalb zeigt die Landesregierung hier nicht nur große Zurückhaltung. Vielmehr werden wir bei diesen Punkten ganz sicher deutlich dagegenhalten.

Im Übrigen werden wir in der zweiten Lesung darüber reden können, was uns die Fachleute dazu gesagt haben. Ich prophezeie Ihnen: Es wird kein einziges neues Argument geben.– Ich empfehle Ihnen das Studium der alten Unterlagen über die entsprechenden Diskussionen, die dem Haus alle vorliegen.

Es ist der Versuch, kurz vor der Wahl ein Thema noch einmal vorzutragen, das Sie schon dreimal vorgetragen haben. Das bleibt Ihnen unbenommen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Komisch ist doch Folgendes: Nur die von Ihnen kurz vor der Wahl eingebrachten Gesetzentwürfe sind vernünftig! Das ist doch sehr merkwürdig!)

Das wird an der kommunalen Welt in Hessen nichts ändern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Innenminister, vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit hat die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und der Hessischen Landkreisordnung, Drucks. 16/7641 neu, stattgefunden.

Es ist vorgeschlagen,den Gesetzentwurf zur Vorbereitung der zweiten Lesung dem Innenausschuss zu überweisen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 5:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Umsetzung der Gleichbehandlung im hessischen Landesrecht – Hessisches Gleichbehandlungsgesetz (HessGleichbG) – Drucks. 16/7642 neu –

Zur Einbringung erteile ich Herrn Kollegen Dr. Jürgens das Wort. Die Redezeit beträgt zehn Minuten.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn die Landesregierung schläft, muss der Landtag eben handeln. Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem die Gleichbehandlungsrichtlinien der Europäischen Union in hessisches Landesrecht umgesetzt werden sollen. Hierzu sind die Bundesländer nämlich ebenso verpflichtet wie der Bund.

Zur Erinnerung: Der Bund hat mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seine Verpflichtung zumindest dem Grundsatz nach im Wesentlichen erfüllt.

Die Landesregierung allerdings macht bisher keine Anstalten, ihrer Verpflichtung aufgrund des Gemeinschaftsrechts nachzukommen. Deswegen legen wir Ihnen heute unseren Entwurf für ein Hessisches Gleichbehandlungsgesetz vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er ist zugleich auch ein weiterer Baustein im unermüdlichen Einsatz der GRÜNEN-Fraktion für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung.

Eines der wichtigsten Dokumente für die Menschen- und Bürgerrechte ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie wurde von der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1948 verabschiedet. Ich darf die einleitenden Worte der Deklaration verlesen. In Art. 1 heißt es:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Diese Menschenrechtsdeklaration war zweifelsfrei, international gesehen, ein Meilenstein im Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Selbstverständlich ist auch uns klar, dass internationale Deklarationen, Vereinbarungen oder nationale Gesetze Benachteiligungen nicht per Dekret abschaffen können. Die Diskriminierung der Menschen findet vor allem auch in den Köpfen statt. Die Einstellungen von Menschen lassen sich durch Dekrete nicht einfach ändern.Zum Glück ist das so. Das ist auch uns bekannt.

Die Gleichberechtigung aber, oder, wie die Deklaration sagt, die Anerkennung, dass alle Menschen frei und gleich geboren sind, muss jeden Tag neu erarbeitet und neu erkämpft werden. Unserer Überzeugung nach haben Menschen, die mehr als andere von Benachteiligung betroffen sind, einen Anspruch darauf, dass sich das Recht auf ihre Seite stellt. Die Repräsentanten des Gemeinwesens müssen angehalten werden, diskriminierungsfreie Entscheidungen zu treffen. Die Unterschiede der Menschen sollen als Bereicherung und nicht als Anlass für Diskriminierungen wahrgenommen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Erkenntnis hat sich auch während der europäischen Einigung in einem langen Prozess zu dem entwickelt, was wir den europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz nennen können. Niemand darf wegen seiner Rasse oder ethnischen Herkunft, seines Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz kommt im Entwurf des Verfassungsvertrags und in einer Reihe von Richtlinien der Europäischen Union zum Ausdruck. Nach den Richtlinien gilt er

auch für die Bildung zwingend. Für die Bildung haben nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Länder, und zwar ausschließlich, die Gesetzgebungskompetenz.

Hieraus folgt, dass die Länder nach dem Recht der Europäischen Union zwingend verpflichtet sind,diesen Gleichbehandlungsgrundsatz in ihr Landesrecht zu überführen. Dem soll unser heute eingebrachter Gesetzentwurf dienen.

Wir schlagen Ihnen deshalb vor, im Hessischen Schulgesetz, im Hochschulrecht und im Weiterbildungsrecht dieses Benachteiligungsverbot bzw. diesen Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend zu verankern. Zugleich möchten wir, dass die Schulen und die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe verpflichtet werden, den Gleichbehandlungsgrundsatz auch in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen und diesen den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen zu vermitteln.

Dazu gehört nach unserer Vorstellung auch die Aufgabe, junge Menschen mit homosexueller Identität dabei zu unterstützen, diese zu bekennen. Wir glauben, dass es für die betroffenen Menschen durchaus sinnvoll ist, dass dieses sogenannte Coming-out nicht erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter erfolgt, wie es bei Frau Ministerin Wolff der Fall war. Vielmehr sollte das durchaus in der Zeit geschehen, in der sich die Betroffenen in der Adoleszenz befinden, oder sogar noch früher.

Wir wollen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz aber auch in anderen Bereichen übernommen wird. Das ist der Gegenstand unseres Vorschlags. Das soll nach unserer Vorstellung z. B. auch für die Auswahl und die Ernennung von Beamten gelten. Unserer Vorstellung nach darf künftig bei der Auswahl und Ernennung von Beamten niemand mehr wegen seines Geschlechts, der Abstammung, der ethnischen Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politischer Anschauung, Herkunft, Beziehung oder sexueller Identität benachteiligt werden.

Das ist ein etwas umfangreicherer Katalog geworden,weil wir da nicht nur die Bestandteile aufgenommen haben wollen, die im europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz enthalten sind. Dort sollen auch diejenigen stehen, die bereits heute im Gesetz stehen. Das ergibt dann einen etwas umfangreicheren Katalog an Benachteiligungsverboten, die dort nach unserer Vorstellung berechtigterweise stehen sollten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Gleiche gilt im Übrigen auch für das Personalvertretungsrecht.Bereits heute sind Dienststellen und Personalräte verpflichtet, die Gleichberechtigung beim Personal zu überwachen. Wir wollen die Diskriminierungsmerkmale, die in diesem Zusammenhang Beachtung finden sollen, im Rahmen des europäischen Gleichbehandlungsgrundsatzes erweitern. Außerdem wollen wir, dass die Dienststellen und die Personalvertretungen verpflichtet werden, darauf hinzuwirken, dass dies auch eingehalten wird. Schließlich wollen wir die bereits bestehenden Regelungen im HR-Gesetz über Sendeverbote entsprechend anpassen, damit das hessische Landesrecht insgesamt – jedenfalls nach unserer Vorstellung – in allen Bereichen, in denen dies möglich ist, dem europäischen Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht, nicht nur im Bildungsrecht – das ist zwingend vorgesehen in den EURichtlinien –, sondern auch in anderen Bereichen. Es macht aus unserer Sicht Sinn, dass das hessische Landesrecht in diesen Bereichen homogen gestaltet wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)