Protokoll der Sitzung vom 26.09.2007

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Kommunalwahlgesetzes – Drucks. 16/7807 –

Zur Einbringung hat Herr Kollege Kaufmann von den GRÜNEN das Wort. Die Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens meiner Fraktion lege ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der eine Thematik betrifft, die wir in diesem Hause schon mehrfach erörtert haben und die uns vor nicht allzu langer Zeit sogar zu einem Untersuchungsausschuss geführt hat, denn sie sollte von Roland Koch zur politischen Erpressung und zur Ausschaltung lästiger Konkurrenten auf Landesebene, also zugunsten der Hessen-CDU, genutzt werden.

Wie sich die meisten hier im Raum sicherlich erinnern werden, formulierte Koch seinerzeit gegenüber den Freien Wählern Hessen die erpresserische Alternative: Geld oder Landtagskandidatur.

Roland Koch und Innenminister Volker Bouffier boten sogar eine rückwirkende Finanzierung der Kosten des Kommunalwahlkampfes 2006 aus Steuermitteln an – allerdings nur für den Fall, dass eine Kandidatur auf Landesebene zur kommenden Wahl 2008 ausgeschlossen werde.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE greifen dieses Thema hier und heute auf,weil wir nachdrücklich meinen, dass die demokratische Kultur in diesem Land es erfordert,nicht erneut in eine Wahl im Lande Hessen zu gehen, ohne dass solchen Manövern von vornherein der Boden entzogen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Rahmen der Regeln soll jedenfalls nach Auffassung der GRÜNEN jede demokratische Wählergruppe oder Partei mit gleichen Chancen und unter fairen Rahmenbedingungen kandidieren und sich hierfür auch frei entscheiden können. Niemand soll sich fürderhin gezwungen sehen, auf eine Kandidatur auf Landesebene zu verzichten, nur um negative finanzielle Folgen für die kommunalpolitische Arbeit zu vermeiden. Es darf nicht sein, dass nur diejenigen kandidieren, die öffentliche Mittel bekommen, während dies anderen verwehrt wird. Demokratie benötigt die Mitwirkung möglichst vieler und muss deshalb attraktiv für die Mitwirkung sein, statt über finanzielle Zuwendungen oder Ausgrenzungen Beteiligung einschränken zu wollen.

(Beifall bei der CDU)

Sprechen wir also von den Bedingungen, unter denen Wählergruppen und Parteien bei Wahlen miteinander konkurrieren.Diese Bedingungen haben schon vor langer Zeit im Rahmen der Bewertung der Regeln der Parteienfinanzierung das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. In seinem bekannten Urteil vom 9.April 1992 gibt es dazu folgenden Hinweis – ich zitiere –:

Sowenig angesichts ihrer begrenzten politischen Zielsetzung eine Gleichstellung kommunaler Wählervereinigungen mit den politischen Parteien verfassungsrechtlich geboten sein kann, so wenig kann übersehen werden, dass eine staatliche (Teil-)Finanzierung der allgemeinen Tätigkeit der Parteien auch deren kommunalpolitischer Tätigkeit zugute kommt.

Wenn es also um gleichberechtigte Teilhabe oder – wenn Sie so wollen – um faire Bedingungen im Wettbewerb geht, dann müssen freie Wählergruppen für ihr Engagement im kommunalen Bereich finanziell mit Parteien nicht gleichgestellt werden. Sie dürfen aber umgekehrt auch nicht völlig leer ausgehen.Dies hat mit den sonstigen politischen Aktivitäten einer Wählergruppe auf anderen Ebenen nichts zu tun.

Damit sind wir bei dem so oft und gern vorgetragenen Argument der Doppelfinanzierung.Dies soll bedeuten,es sei eine Ungerechtigkeit zulasten der Parteien,wenn Wählergruppen für die Beteiligung sowohl an Landtags- als auch an Kommunalwahlen finanzielle Mittel erhalten könnten, da Parteien für ihre Wahlteilnahme im kommunalen Bereich keine Erstattungen gezahlt werden. Eine solche Argumentation übersieht zunächst einmal die Beträge, um die es bei der finanziellen Unterstützung der Wählergruppen stets gegangen ist und geht.Außerdem wird die Randbedingung ignoriert, dass Wählergruppen im Gegensatz zu Parteien finanzielle Förderung nur bis zur Höhe der nachgewiesenen tatsächlichen Kosten erhalten können.

Konkret – die Experten wissen das sehr genau – erhalten die Parteien für eine Landtagswahlstimme mindestens 3,50 c. Wählergruppierungen erhalten nur maximal 2 c. Selbst dann, wenn durch den vorliegenden Gesetzentwurf für die Wählergruppierungen auf kommunaler Ebene eine Kostenerstattung von bis zu 1 c hinzukommt, kann von einer Doppelfinanzierung oder Bevorteilung überhaupt keine Rede sein. Die gesamte Betrachtung lässt im Übrigen die weiteren Parameter der staatlichen Parteienfinanzierung, die nur für Parteien gilt, völlig außer Acht. Denn hierdurch gewinnt insgesamt der relative Finanzierungsvorteil der Parteien noch deutlicher.

Der Gesetzentwurf,den wir Ihnen heute vorlegen,kommt Ihnen sicherlich nicht völlig unbekannt vor. Es ist nämlich im Kern derselbe Entwurf, der schon in den Neunzigerjahren im Innenministerium entstanden ist, als man die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, die ich zitiert habe, umfassend umsetzen wollte. Er kam damals nicht zustande – nicht zuletzt deshalb, weil die CDU, damals Oppositionsfraktion, eine negative Stellungnahme abgegeben hatte,die sich im Wesentlichen auf rechtliche Überlegungen gründete. Damals negierte die CDU-Fraktion die Gesetzgebungskompetenz des Landes grundsätzlich. Sie sah also weder eine Möglichkeit noch einen Grund für eine solche Regelung. Die Gesetzesinitiative kam aber auch deshalb nicht zum erfolgreichen Abschluss – das muss man durchaus hinzufügen –, weil in anderen Bundesländern sich niemand so recht für die Lösung dieser Problematik engagieren wollte. Also beendete man damals noch auf Regierungsebene ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren.

Der Gesetzentwurf kommt Ihnen aber sicherlich auch deshalb bekannt vor,weil er im Kern – allerdings ohne die handschriftlichen Veränderungen durch Herrn Bouffier – identisch ist mit dem aus den Gesprächen der Landesregierung mit den Freien Wählern Hessen in den Jahren 2005 und 2006, in denen er eine wichtige Rolle spielte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die früheren Bedenken der CDU, die ich kurz geschildert habe, waren zwischenzeitlich also verflogen. Denn nun konnte man diese Initiative gebrauchen. Es wurde im Wesentlichen der Text verwendet, mit dessen Hilfe die politische Erpressung durch die Ergänzungen aus der Hand des Innenministers ins Werk gesetzt werden sollte. Genau

deshalb, weil dies so war, ist es ein wichtiger Akt der politischen Hygiene, diese Gesetzesänderung noch vor der kommenden Wahl zu verabschieden, damit nämlich in Zukunft niemand mehr die Chance hat, sich mit Steuergeldern unliebsame Konkurrenz aus dem Weg zu kaufen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gilt, einen weiteren Aspekt der Unfairness zu beseitigen. Mit seinem politischen Erpressungsmanöver zielte Roland Koch vor allem auf die Freien Wähler Hessen. Das ist eine Wählergruppierung, aber keineswegs die einzige. Nur deshalb, weil er besonders diese Gruppe nicht leiden kann, oder vielleicht auch deshalb, weil er sie besonders fürchtet, weil ein ehemaliger CDU-Parteifreund aus dem Main-Taunus-Kreis aktuell Landesvorsitzender ist, will er aber zugleich viele andere Gruppierungen, die auf kommunaler Ebene arbeiten, mit in eine Art Sippenhaft nehmen.

Nachdem die Erpressung der Freien Wähler schiefgegangen ist und wir deren Landtagskandidatur jetzt erwarten dürfen, gibt es selbst in der kochschen Logik keinen Grund mehr, diese Gesetzesänderung nicht endlich zu vollziehen – es sei denn, man meint in der CDU, für künftige Zeiten weiterhin die Grundlage einer politischen Erpressung von Wahlkonkurrenten aus dem Bereich der Wählergruppierungen zu brauchen.Aber dem möglichen Ansinnen von Koch und Bouffier, wie beim letzten Versuch des Abkaufens der Landtagskandidatur von den Freien Wählern mit einer rückwirkenden Inkraftsetzung der Gesetzesänderung zu locken, kann und muss man ebenfalls den Nährboden entziehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was jetzt beschlossen und mit Zukunftswirkung in Kraft gesetzt wird, kann nämlich später nicht mehr mit rückwirkender Verlockungspotenz ausgestattet werden.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Was für ein Ding? Rückwirkende Verlockungspotenz?)

Deshalb ist es richtig und wichtig, die schon lange beratene und fast schon bemooste Gesetzesinitiative endlich umzusetzen. – Herr Kollege Hahn, auch wenn Sie es nicht wissen: Rückwirkende Verlockungspotenz bedeutet so etwas wie eine nachgeschobene Kraft, und sie lockt in diesem Fall, wenn man jemandem sagen kann: Du kriegst aber nachträglich noch etwas.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Danke! Der Tipp des älteren Herrn! Dass sich ältere Herren noch so daran erinnern können!)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Nach den unwürdigen Versuchen der CDU im Vorfeld der kommenden Landtagswahl, sich Konkurrenz vom Hals zu kaufen und nach deren Aufdeckung wie gewöhnlich die Unschuld von Eschborn zu spielen und andere für verantwortlich zu erklären, sollten wir so klug sein, solchen Manövern einen Riegel vorzuschieben und damit zugleich ein Stück mehr Kultur in die demokratischen Auseinandersetzungen zu geben.

(Michael Boddenberg (CDU): Die haben Sie aber vermissen lassen!)

Nicht der Vorteil staatlicher Zuschüsse, Herr Kollege Boddenberg, sondern allein die Qualität des Arguments soll im Wahlkampf und auch im Parlament den Ausschlag geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann. – Das Wort hat Herr Kollege Wintermeyer für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben heute zwei besondere Dinge erlebt. Das war zum einen der Zusammenschluss zwischen Rot-Rot-Grün auf dem Podium des DGB mit Frau Ypsilanti, Herrn Al-Wazir und Herrn van Ooyen. Zum anderen war das gerade eben die Einbringung dieses Gesetzentwurfs. Das ist ein Gesetzentwurf, der die Überschrift trägt: Viagra für die GRÜNEN.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Oh!)

Ich will Ihnen das auch gleich begründen. Unser Kollege Kaufmann hat hier wieder versucht, alte Kamellen hochzuziehen. Es hat vielleicht noch gefehlt, dass er an die Decke geguckt und Mikrofone in diesem Raum gesucht hat.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das macht nur Herr Koch!)

Das wäre alles so theatralisch gewesen, wie es die GRÜNEN wollen, wenn es darum geht, irgendwelche Punkte, zu denen sie im Laufe dieser Legislaturperiode eine Bauchlandung erlebt haben, mit einem Untersuchungsausschuss erneut hochzuziehen. Das ist vordergründiges Wahlkampfgetöse. Es ist auch ein Gesetz, das unter dem Gesichtspunkt eingebracht worden ist, dass die Presse und die Öffentlichkeit darüber getäuscht werden sollen, dass es bei diesem Gesetz um etwas ganz anderes geht.

Es geht darum,dass mit diesem Gesetz – das werde ich Ihnen auch gleich anhand von Zahlen belegen – die GRÜNEN bzw. ihre Wählergemeinschaften, die unter dem grünen Dach sind, sich selbst bedienen wollen.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Al-Wazir, es gibt in diesem Hause keine Partei – egal, ob das die SPD, die FDP oder die CDU ist –, die Wählergemeinschaften auf kommunaler Ebene hat. Ich kann sie Ihnen gern aufzählen. Wenn Sie weiter lachen wollen,dann lachen Sie jetzt ruhig weiter.Das sind:Grüne Alternative Liste, Alternative Liste, Offene Grüne Liste, Bürgerinitiative für Natur und Umweltschutz, Grüne Liste, Grüne und Bürgerinitiative Liste Dreieich, Unabhängige Kelkheimer Wählerinitiative – z. B. bei mir im Kreis –, Grüne Offene Hofheimer Liste – in meiner Heimatstadt Hofheim –, Grüne Alternative Liste in Flörsheim usw., usw.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das alles sind Wählergruppen, die von Ihrem Gesetz profitieren würden. Deswegen bringen Sie dieses Gesetz hier unter dem Deckmäntelchen ein, anderen helfen zu wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Al-Wazir, ich kann Ihnen das auch noch einmal in Zahlen bezüglich des Geldes, um das es geht, sagen. Ich kann es Ihnen an dem Beispiel meines eigenen kommu

nalen Parlaments in Hofheim einmal klarmachen. Die Grüne Offene Hofheimer Liste, die von diesem Gesetz profitieren würde, hat 1.840 gewichtete Stimmen bei der letzten Kommunalwahl 2006 bekommen.Wir müssen von gewichteten Stimmen ausgehen. Sie würde also 1.840 c aufgrund dieses Gesetzes bekommen. Die SPD Hofheim – ich nehme bewusst nicht meine Partei – hat 2.706 gewichtete Stimmen bekommen. Sie würde also 2.706 c bekommen. Wenn Sie jetzt noch die Fraktionsfinanzierung dazurechnen, und die bekommt auch die Grüne Offene Hofheimer Liste, dann sind das 3.384 c und bei der SPD 4.158 c. Dann würden bei den GRÜNEN und der SPD, die differente Stimmen haben – bei der einen handelt es sich um eine Volkspartei und bei der anderen um eine Wählergruppe – folgende Ergebnisse herauskommen: Die GRÜNEN würden 6.224 c und die SPD würde 6.800 c bekommen.

Das sind also nur 10 % mehr als die GRÜNEN. Das ist keine Chancengleichheit, sondern das ist eine Selbstbedienung grüner Wählergruppen, die Sie hier mit dem Gesetzentwurf machen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch auf einen Punkt eingehen, den Herr Kollege Kaufmann wieder hochgezogen hat. Der von mir hoch geschätzte Herr Bökel hat damals diese Initiative nicht weiterverfolgt als Innenminister einer – ich betone ganz laut – rot-grünen Landesregierung. Sie hätten damals die Mehrheit im hessischen Parlament gehabt, diese Initiative umzusetzen.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie können Geschichtsklitterung betreiben, so viel Sie wollen – Sie hätten die Macht gehabt, es zu tun. Sie haben es nicht getan und versuchen heute, es so darzustellen, als wäre es die CDU gewesen, die damals das Gesetz nicht beschlossen hat.Das ist absolut unfair,und das richtet sich von selbst.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)