Von den Vertretern des BSBD und von ver.di wurde Ihnen gesagt, dass eine Erhöhung des Personals im allgemeinen Vollzugsdienst gerade deshalb dringend erforderlich ist.
Die Landesregierung hat dies erkannt. Der Justizminister findet hier nämlich sehr wohl differenzierende Worte. Ich sage in Richtung der Damen und Herren der CDU-Fraktion und insbesondere in Ihre Richtung, Herr Boddenberg: Folgen Sie Ihrem Justizminister, der in § 13 des Entwurfs vollzugsoffene Maßnahmen vorsieht. Folgen Sie an dieser Stelle nicht Ihrem konservativen Fraktionsvorsitzenden, sondern übernehmen Sie die neueren Ideen, die der amtierende Justizminister hier eingebracht hat.
Sie sollten lieber intensiv mit den Straftätern arbeiten und ihnen eine Perspektive auf ein straffreies Leben eröffnen. Nur das schafft inneren Frieden und schützt die Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, wir können nicht verstehen, warum die CDU-Fraktion einen Änderungsantrag eingebracht hat, der sich lediglich mit den Überwachungskameras beschäftigt.Wir hätten zumindest erwartet,dass die CDU-Fraktion die Bestimmung betreffend den Schusswaffeneinsatz im Jugendstrafvollzug zurückziehen würde, denn sie verstößt ausdrücklich gegen Nr. 65 der Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen,denen die Freiheit entzogen ist. Herr Justizminister, Sie konnten uns im Ausschuss nicht erklären, warum Schusswaffen im Jugendstrafvollzug eingesetzt werden sollen. Sie sagten, Schusswaffen seien zur Außensicherung erforderlich. Das ist dezidiert nicht der Fall. Ihre Argumentation war nicht überzeugend, und wir erwarten, dass Sie bis zur dritten Lesung diesen Vorschlag zurückziehen.
Ein weiterer Punkt, den wir nicht verstehen, ist die Pflicht zum Tragen von Anstaltskleidung. Es ist erwiesenermaßen so, das sagen auch alle Experten, dass dies nicht zum Wohngruppenvollzug passt.
Nein, dezidiert nein. – Das Argument, das hier immer wieder angeführt wird, dass nämlich das Tragen von Anstaltskleidung das Aufkommen von Sozialneid verhindere,trifft nicht zu.Im Jugendstrafvollzug geht es doch gerade darum, den Jugendlichen beizubringen, mit Sozialneid umzugehen, und sie nicht in eine Situation zu bringen, dass sie nach Beendigung der Haft mit Sozialneid konfrontiert werden und damit nicht umgehen können. Das ist doch Teil des psychologischen Konzepts.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Wir hoffen immer noch, dass die CDU-Fraktion dies erkennt und bis zur dritten Lesung ändert. Wir empfehlen Ihnen wärmstens, unseren Entwurf anzunehmen. Das ist das beste und wegweisendste Konzept. Es entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts am besten.Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung unseres Gesetzentwurfs. (Beifall bei der SPD)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte uns alle, insbesondere die Kollegen, die jetzt so engagiert gesprochen haben, daran erinnern, dass wir in den letzten anderthalb Jahren sicherlich schon sieben oder acht Plenarberatungen zu diesem Themenbereich durchgeführt haben. Ich finde, wir sollten die Kollegen, die sich nicht so intensiv mit dem Jugendstrafvollzug und dem Justizvollzug auseinandersetzen wollen, nicht zum achten oder neunten Male mit den tiefen Überzeugungen, die wir als Fachsprecher bei diesem Thema haben, belasten – zumal an einem Donnerstagnachmittag, wo noch so viel vor uns liegt. Um es anders zu formulieren: Ich bewundere meine Kolleginnen und Kollegen, die vor mir so ausführlich den Sachverhalt noch einmal erörtert und das Thema radikal, von der Wurzel her, diskutiert haben.
Ich möchte das nicht tun, sondern zusammenfassend darauf hinweisen, dass wir uns eigentlich darin einig waren, dass uns das Bundesverfassungsgericht gezwungen hat, eine Normierung des Jugendstrafvollzugs vorzunehmen, und dass wir eigentlich der Auffassung waren, dass der Jugendstrafvollzug, wie er derzeit in Hessen organisiert ist, im Großen und Ganzen gut ist. Wir waren eigentlich der Auffassung, jedenfalls im Spätsommer des vergangenen Jahres, dass wir nur Normierungsvorschläge suchen sollten, die es ermöglichen, den Jugendstrafvollzug zu 95 % so durchführen zu können, wie wir es zurzeit machen.
Wir glauben, dass der erste der vorgelegten Gesetzentwürfe,der Entwurf der FDP-Fraktion,dies bereits sehr intensiv und gut aufgenommen hat. Ich will auch hier wiederholen, dass er nicht ausschließlich auf dem Wissen der FDP-Fraktion in Hessen basiert, sondern dass wir Vorschläge übernommen haben, die insbesondere von dem baden-württembergischen FDP-Justizminister Goll zu Papier gebracht worden sind.
Kernpunkt unseres Entwurfs ist die kriminalpräventive Aufgabe des Schutzes der Allgemeinheit vor Straftaten junger Menschen. Frau Kollegin Faeser hat darauf hingewiesen, hier haben wir aufgrund der Ergebnisse der Anhörung eine Umstellung vorgenommen, damit das, was wir schon immer wollten,was ich in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes von dieser Stelle aus gesagt habe und was auch Kollegin Beer in den Ausschusssitzungen gesagt hat, erkennbar wird.An der Stelle bedanke ich mich auch für die Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion bei dieser Thematik. Die Union und die GRÜNEN haben zu diesem Thema nichts gesagt, aber das ist nicht schlimm.
Wir sind für das Prinzip des Förderns und Forderns. Es ist in unserem Gesetzentwurf, aber insbesondere auch im Gesetzentwurf der Landesregierung sehr intensiv aufgenommen worden.
Wir wollen drittens den Schwerpunkt Diagnostik. Ich kann nur wiederholen, dass an einem Punkt die Praxis des Justizvollzugs in Hessen anders organisiert werden muss: Jeder junge Strafgefangene – oder jede junge Strafgefangene, aber zu über 95 % sind es männliche Wesen, die in den Jugendstrafvollzug eingezogen werden müssen – muss sich künftig am Anfang einer vorurteilsfreien Diagnostik unterziehen nach dem Motto:Wir schauen, wo die Stärken der Person sind, damit wir diese unterstützen können, sei es in Form weiterer Ausbildungen, sei es in Form sportlicher Herausforderungen; wir wollen aber auf der anderen Seite genauso kritisch herausfinden, wo die Schwächen der Person liegen, damit man gerade diese
Der nächste Punkt ist die innere Organisation der Anstalten, ein in unseren Anstalten wichtiges Thema. Hier ist es leider derzeit wie so häufig in der Landesverwaltung: Das Ministerium meint, das bis in die Details hinein bestimmen zu müssen. Das ist natürlich falsch. In einer dezentralisierten Organisationsstruktur muss die Verantwortung bei den Anstaltsleitungen liegen. Das haben wir in unseren Gesetzentwurf im Sinne einer freien Entfaltung der Verantwortlichen vor Ort sehr ordentlich hineingeschrieben.
Der fünfte Punkt ist das Thema „Gefangene und Wohngruppengröße“. Auch an diesem Punkt haben wir uns durch die Anhörung weitergebildet und sind in dem Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf nun zu einer Wohngruppengröße von 12 gekommen. Ich halte das aber für eine relativ akademische Diskussion. Letztlich geht es darum, wie die Wohngruppe aussieht. Das fängt schon mit den baulichen Verhältnissen an. Schauen Sie sich die alten Wohngruppen an, die wir teilweise in Rockenberg haben, und vergleichen Sie die mit den neuen Gebäuden, die wir in Wiesbaden haben. Dann sehen Sie, es ist relativ wurscht, ob 8, 12 oder 16 Jugendliche in einer Wohngruppe sind. Die Wohngruppe muss ordentlich gestaltet sein, sie muss offene Räumlichkeiten haben. Das hat auch etwas mit Lichteinfall usw. zu tun.
Bei der Wiedereingliederung sind wir der Auffassung, dass auch die elektronische Fußfessel ein Mittel der Wahl sein kann. Das sehen die anderen Fraktionen in diesem Hause leider anders.
Ich beteilige mich nicht mehr an der Kerndiskussion, ob der offene oder der geschlossene Vollzug der Regelvollzug ist. Die Auffassung der FDP-Fraktion ist relativ eindeutig. Man kann sich nicht gegen die Realität wenden. Logik hat auch etwas mit Zahlen, in dem Fall mit Prozentzahlen, zu tun. Der Regelvollzug ist offensichtlich der geschlossene Vollzug. Auf der anderen Seite muss jedem, der dafür geeignet ist, die Möglichkeit eröffnet werden, in den offenen Vollzug mit Vollzugslockerung zu kommen. Ich halte das aber für eine akademische Diskussion, an der wir uns als FDP-Fraktion nicht mehr beteiligen werden.
Letzte Bemerkung. Ich glaube, es ist unklug, aber es ist von den Beteiligten so gewollt, jetzt in eine erneute Diskussionsrunde im Ausschuss und im Plenum zu gehen.Bei einer einigermaßen ordentlichen Bearbeitung der Angelegenheit hätte man das sicherlich heute in zweiter Lesung verabschieden können.Aber wir verweigern uns natürlich nicht einer erneuten Diskussion im Unterausschuss Justizvollzug und einer abschließenden dritten Lesung im November im Hessischen Landtag.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unterschiede – Frau Kollegin Faeser,ich bin ein bisschen anders in der Bewertung als Sie – zwischen dem FDP-Entwurf und dem Entwurf der Landesregierung haben sich durch die jeweiligen Änderungen, die vorgenommen worden sind, relativ nivelliert.Wir werden schauen, was die Union uns in der Vorbereitung zur dritten Lesung noch präsentieren wird. Derzeit tendiert die FDP-Fraktion dazu, dass sie zuallererst ihren Gesetzentwurf mit Abstand als den allerbesten empfindet, aber die Befürchtung hegt, dass er nicht ganz die Mehrheit dieses Hauses in der Plenarsitzung im November bekommen wird
und wir uns deshalb möglicherweise dem Gesetzentwurf der Landesregierung positiv anschließen können.Aber da schauen wir einmal.Es kann in der Zwischenzeit noch vieles passieren. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hahn, ich glaube, man muss Ihnen zustimmen, dass wahrscheinlich das, was ein parlamentarischer Erkenntnisprozess erreichen kann, bei diesem Gesetz langsam erreicht ist. Das zeigt auch der lange Bericht der Berichterstatterin.
Gründlicher ist, glaube ich, in diesem Landtag ein justizpolitisches Vorhaben noch nie diskutiert und erörtert worden. Ich finde das auch ein bemerkenswertes Zeichen zu der Frage, wie ernsthaft dieses Anliegen angesehen wird und wie das gemeinsame Bestreben doch hoch angerechnet werden muss, hier zu neuen Lösungen zu kommen. Darauf will ich nach wie vor hinweisen.
All das, was an Zahlen, Beispielen und Begründungen, warum wir etwas so wie andere machen sollten, herangezogen wird, überzeugt mich deswegen nicht, weil gegenwärtig der Jugendstrafvollzug trotz engagierten Bemühens, insbesondere auch in Hessen, nicht erfolgreich ist. 78 % Rückfallquote sind eben unbefriedigend. Mich macht sehr besorgt und sehr nachdenklich, dass eines der Länder, die wir für bemerkenswert hinsichtlich neuer Wege im Jugendstrafvollzug halten – die Niederlande –, gerade eine heftige Diskussion über dramatische Missstände hat.
Studien, Untersuchungen, Gutachten, neue Ankündigungen des Justizministers – Veränderungen des bisherigen Konzeptes des offenen Strafvollzugs werden dort angekündigt. Dabei waren die Niederlande schon allein deshalb, weil sie drei Mal so viel Personal wie Hessen eingesetzt haben, für mich eigentlich ein Studienobjekt, um zu prüfen: Geht es mit mehr Manpower, ist das ein entscheidendes Kriterium, offener Vollzug und dreifache Personalstärke? Wenn man den Berichten folgen kann und Glauben schenken darf – das darf ich schon, weil es sogar vom betroffenen Justizminister kommt –: ganz dramatische Probleme, sehr viel Gewalt, sehr viel Subkultur, all das, was angeblich im offenen Strafvollzug gar nicht stattfinden sollte.
Ich bitte – das gehört einfach zur Ehrlichkeit der Debatte –, man muss sich immer wieder klarmachen, warum diese Jugendlichen straffällig werden, warum sie in den Jugendknast gehen. Hat das nicht etwas mit den sozialen Herkunftsstrukturen, mit dem Umfeld zu tun, in dem sich solche Verhaltensweisen entwickeln? Ist es denn unbedingt richtig, durch ein Konzept des offenen Vollzuges diese Kontakte vordringlich zu stärken? Ist es wirklich der zentrale Punkt, dass diese Verbindungen aufrechterhalten werden müssen? Oder haben wir nicht eher so eine Schullandheimromantiküberlegung, dass diese Beziehungen weiter bestehen sollen? Dabei sind diese Beziehungen im Wesentlichen ausgesprochen problematisch. Das muss man hart sagen.
Ich finde es einfach nicht richtig und halte es für nicht verantwortlich, dass in dem SPD-Wahlprogramm unverändert steht: Der offene Vollzug soll der Regelvollzug in Hessen werden.
Das ist eine sehr problematische programmatische Aussage. Ich werde nicht müde, das den Wählerinnen und Wählern zu sagen
(Nancy Faeser (SPD): Dann tun Sie das! Wir werden nicht müde, den Wählerinnen und Wählern zu sagen, dass 80 % rückfällig werden!)
Wenn das so ist,dass die Jugendlichen nicht als Kriminelle geboren, sondern in Institutionen dazu geworden sind, dann darf ich sie doch erst möglichst spät wieder in diese Gesellschaft entlassen und muss die Möglichkeit, auf sie einzuwirken, bei den sowieso in Deutschland kurzen Zeiten möglichst lange nutzen, in denen der Jugendstrafvollzug stattfindet. Deswegen – das will ich auch gesagt haben – werde ich nicht akzeptieren, dass Sozialarbeiter montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr arbeiten und anschließend das ganze schwierige Geschäft dem AVD überlassen bleibt. Nein, die Mitarbeiter, die wir jetzt suchen, müssen bereit sein, auch am Wochenende tätig zu werden.
Die müssen sich insgesamt um die jungen Leute kümmern, genau dort, wo die Probleme in Siegburg und anderswo passiert sind: In der Freizeit, im Bereich der Langeweile müssen wir versuchen, auf die Menschen einzuwirken.
Wissen Sie, es ist hoch spannend, wie man solche Anhörungen erleben kann. Ich bin an sich sehr positiv von diesen Anhörungen weggegangen. Ein Professor, der gerade von der SPD in einigen der Diskussionen als besonderer Apostel ihrer Position dargestellt wurde, den man landläufig als kritischen Wissenschaftler bezeichnen würde, hat in seinem Artikel über die qualitativen Jugendstrafvollzugsentwürfe formuliert:
Im aktuellen hessischen Entwurf wird in § 2 Abs. 1 das Erziehungsziel und in § 2 Abs. 2 der Schutz der Allgemeinheit aufgeführt. § 2 Abs. 2 stellt dabei in Übereinstimmung mit dem BVerfG klar, dass der Schutz der Allgemeinheit vor allem durch das Erreichen des Erziehungsziels erreicht werden kann. Insoweit ist der hessische...Vorschlag als gelungene Lösung anzusehen.
Jetzt war es keiner mehr. Zum Glück haben wir Protokollmitschriften. Die können wir gemeinschaftlich anschauen. Prof. Dünkel formuliert in seiner großen verglei