Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit Ihrer „Operation düstere Zukunft“ haben Sie der Landschaft mit einem Schlag 30 Millionen c entzogen. Tun Sie doch nicht so, als hätte das keine Auswirkungen. Wir können das überall sehen: in der Arbeit mit alten Menschen, in der Arbeit mit behinderten Menschen, in der Arbeit mit Kindern in sozialen Brennpunkten usw. Alle diese Menschen haben in den vergangenen Jahren auf Angebote verzichten müssen. Deshalb nehmen wir mit unserem Sozialbudget nicht nur diese unsozialen Kürzungen zurück, sondern wir werden es um rund 40 Millionen c aufstocken, damit endlich wieder eine soziale und gerechte Gesellschaft in Hessen in einer globalisierten Gesellschaft geschaffen werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit unserem Sozialbudget 2008 „An morgen denken, heute Gerechtigkeit und Teilhabe sichern, Kinder in den Mittelpunkt“ werden wir die freiwilligen Leistungen unter Schutz stellen. Wir werden sie verbindlich festschreiben, damit endlich wieder Teilhabe erreicht werden kann. Menschen, Kommunen und Träger in Hessen sind nicht

unsere Feinde, sondern unsere Partner. Das soll unser Sozialbudget zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Ministerpräsident ist heute Morgen auf einen Punkt eingegangen, den ich gern aufgreifen möchte. Er hat über die Notwendigkeit von Integration gesprochen.

Wenn wir uns die Geburtenraten von Kindern mit Migrationshintergrund heutzutage anschauen, dann müssen wir konstatieren, dass wir nicht mehr über Ausnahmen oder Randerscheinungen, sondern über die Regel sprechen, was sozusagen in unserer Gesellschaft los ist. Ich hoffe, dass Sie endlich in dieser Gegenwart ankommen. Wir reden über Chancengleichheit für alle Kinder unterschiedlicher Herkunft. Für alle Kinder muss Chancengleichheit gelten.Deshalb muss eine soziale Gesellschaft so gestaltet werden, dass Chancengleichheit hergestellt werden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Hierzu gehört auch, dass man akute Armut lindert. Wir haben in unserem Land – ich denke, dass das für ein reiches Land wie Hessen ein Skandal ist – Kinder, die aus finanziellen Gründen vom Mittagessen in Ganztagsangeboten abgemeldet werden. Deshalb schlagen wir mit unserem Sozialbudget die Schaffung eines Sozialfonds „Lernen ohne Hunger“ vor, mit dem wir mit 7,5 Millionen c die Kommunen unterstützen, Mittagessen zur Verfügung zu stellen, damit die Kinder tatsächlich in der Schule und im Kindergarten die Möglichkeit haben, am Mittagessen teilzunehmen; denn Lernen mit hungrigem Bauch geht nicht gut. Das wissen wir alle. Deshalb brauchen wir ein solches Programm.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen vor allen Dingen endlich weg vom institutionenorientierten Denken und müssen versuchen, Angebote zielgerecht zusammenzuführen. Das wird meines Erachtens besonders deutlich im Bereich der Jugendhilfe und der Schule. Mit unserem Programm PELE, einem Programm zur besseren Kooperation von Schule und Jugendhilfe, bieten wir insbesondere benachteiligten Kindern gute Chancen, in unserem Bildungssystem besser mitzuhalten und ihre eigenen Stärken besser auszubauen.

Die Bereiche Gesundheit und Prävention dürfen auch nicht vernachlässigt werden. In diesem Zusammenhang spielt der Gesundheitszustand von Kindern eine zunehmend wichtige Rolle. Wir wissen, dass sich der Gesundheitszustand insbesondere von Kindern aus unteren sozialen Schichten immer weiter verschlechtert. Wir können auf Dauer nicht weiter zuschauen, sondern wir müssen passgenaue Angebote machen, damit wir diese Kinder und deren Eltern erreichen und die Elternkompetenz ausbauen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zu einem anderen sich aufbauenden Problem. Dr. Müller wird mir sicher recht geben, dass die Fragen der Pflegebedürftigkeit, der Hilfen für ältere Menschen und der Hilfen für demenzkranke Menschen zu den größer werdenden sozialen Problemen zählen. Im Haushalt der Landesregierung findet sich jedoch zu wenig, um die Angehörigen von älteren Menschen zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass man im Alter würdig und selbststän

dig leben kann. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten, und dementsprechend müssen wir die Gesellschaft organisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen außerdem – auch das ist ein Thema, das uns GRÜNEN seit Langem am Herzen liegt und bei dem die Selbstbestimmung eine sehr große Rolle spielt – eine Behindertenpolitik, die behinderte Menschen integriert und sie vor allem darin bestärkt, ihre eigenen Interessen so weit wie möglich wahrzunehmen. Hierzu benötigen sie die Unterstützung, die sie in unserem Sozialbudget finden können.

Wir wollen eine Beschäftigungspolitik, die ihren Namen verdient. Hierzu wollen wir die Vielfalt von arbeitsmarktpolitischen Programmen, die insbesondere für kleine Träger sehr unübersichtlich ist, zusammenfassen, um sie effektiver und passgenauer einsetzen. Ziel ist es doch, die Beschäftigungsfähigkeit und die Integration von Erwerbsfähigen in den Ausbildungs- und in den Arbeitsmarkt zu stärken. Hierbei gibt es noch viel zu tun, insbesondere in Hessen, das sich immer wieder versucht schönzureden.

Lassen Sie mich nun auf einen Punkt zu sprechen kommen,der auch in der Abschiedsrede von Frau Oppermann eine große Rolle gespielt hat, nämlich auf die Frage des Familienlandes Nummer eins.

(Staatssekretär Dirk Metz: Kandidiert sie nicht mehr?)

In diesem Bereich wird uns immer viel vorgegaukelt. Lassen Sie uns einmal genau hinschauen, was im Einzelnen passiert ist. Wir erleben immer wieder, dass Sie sich mit Zahlen schönreden. Wird eine Studie vorgelegt, dann basiert sie auf Daten, die gerade nicht passen. Das Ergebnis, dass Sie im Mittelfeld oder am Ende liegen, passt ebenfalls nicht. Das gilt beispielsweise für den Familienatlas 2007.Dass Hessen im Mittelfeld liegt,wird fast totgeredet. Heute wurden neue Zahlen zur Inanspruchnahme des Elterngeldes durch Väter vorgelegt. Hessen belegt im Vergleich mit den westlichen Bundesländern den siebten Platz.

Ich glaube nicht, dass die Inanspruchnahme des Elterngeldes von Vätern ein sehr bedeutsamer Indikator ist. Es ist jedoch ein Indikator für die Familienfreundlichkeit und für den Glauben junger Eltern an die Verlässlichkeit von Familienpolitik. Wenn Hessen nur auf Platz 7 liegt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass junge Menschen an die Verlässlichkeit von Familienpolitik in Hessen nicht mehr glauben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Abgeordnete, die Redezeit der Fraktion ist abgelaufen.

Familienpolitik soll Kinder in den Mittelpunkt stellen. Deshalb ist es besonders wichtig, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr umzusetzen und zu finanzieren.Wir haben das getan.

Diese Schönrechnerei lasse ich Ihnen nicht weiter durchgehen. Die rot-grüne Regierung hat in den Neunzigerjahren 60.000 zusätzliche Kindergartenplätze finanziert. Sie wissen alle ganz genau, dass das damals prioritär war und deshalb finanziert werden musste.

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

Wir werfen Ihnen vor,dass Sie seit dem Jahr 1999 die Zahl der Kindergartenplätze nicht mehr erhöhen mussten, weil die 100-%-Marke fast erreicht war.Wir werfen Ihnen vor, dass Sie keine zusätzlichen Mittel in die Hand genommen haben, um die Qualität dieser Plätze zu erhöhen. Erst in den vergangenen Jahren und vor allem kurz vor der Landtagswahl haben Sie damit begonnen, in den Ausbau von Krippenplätzen zu investieren. Hören Sie auf, sich schönzurechnen. Hören Sie auf, die Errungenschaften insbesondere im Kindergartenbereich schlechtzureden. In diesem Bereich ist viel passiert. Sie hingegen haben sich aus ideologischen Gründen lange Zeit geweigert, über den Ausbau von Krippenplätzen zu diskutieren. Sie haben vielmehr über Tagesmütter gesprochen, um genau das nicht tun zu müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, so ist das leider. Lassen Sie mich deshalb zum Schluss noch ein weiteres Thema ansprechen. Noch sind die Frauenpolitik und die Geschlechtergerechtigkeit Teil des Sozialministeriums. Aus der Erfahrung dessen, was wir selbst mit der Quote erreicht haben,um bei den GRÜNEN die Gleichstellung von Frauen zu erreichen, glaube ich mehr als früher, dass es notwendig ist, insbesondere in den entscheidenden Führungsebenen Frauen sehr viel stärker zu berücksichtigen, als dies bisher der Fall ist. Wir brauchen eine Quote für Führungsebenen, weil sich sonst – wie es bisher passiert ist – die Frauenbeauftragten unter dieser Landesregierung zunehmend zu Familienberaterinnen entwickeln. Wir brauchen wieder eine aktive Frauenpolitik für Hessen. Dafür werde ich kämpfen; denn nur durch eine Gleichstellung der Geschlechter wird eine Sozialpolitik erreicht, die alle Teile der Gesellschaft mitnimmt. Das haben Sie in den vergangenen Jahren versäumt. Sie haben die hessische Gesellschaft gespalten.Ich hoffe,dass damit am 27.Januar Schluss sein wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nächster Redner ist Herr Kollege Rentsch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Fuhrmann, ich habe einmal nachgeschaut, wie das Wort „Ritual“ definiert ist. Ein Ritual ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt.Ob es in diesem Fall feierlich-festlich ist,darüber könnte man sich streiten, aber ich würde bejahen, dass es sich um einen hohen Symbolgehalt handelt. Sie wird häufig von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten geführt und kann religiöser oder weltlicher Art sein.– Religiöser Art war eher die Debatte zuvor. Wir gehören eher zur weltlichen Abteilung. Frau Kollegin Fuhrmann, das Wort „Wortformel“ kam mir jedoch recht bekannt vor. Das, was hier im Hes

sischen Landtag passiert, ist ein Ritual, das jedes Jahr wieder bei der Haushaltsberatung durchgeführt wird. Jedes Jahr erklären die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der CDU, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, was alles wunderbar oder furchtbar sei und dass sie die Einzigen seien, die es richten können.

Fakt ist, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wirkliche Probleme haben und sich von vielen von Ihnen nicht mehr ernst genommen fühlen. Umfrageergebnisse zeigen, dass dies für die Sozialdemokraten, die Christdemokraten und die GRÜNEN gilt.Deshalb sollten wir sehr genau schauen, in welchen Bereichen Politik die Möglichkeit hat, in diese Gesellschaft einzugreifen, und wie wir diesen Bereich neu ordnen.

Frau Kollegin Fuhrmann,ich sage das deshalb,weil ich bei Ihnen den Grund dafür gefunden habe, weshalb in Deutschland Politikverdrossenheit herrscht.

(Heiterkeit – Beifall bei der FDP)

Den Grund habe ich nicht bei Ihnen persönlich gefunden, sondern bei dem, was die Sozialdemokraten nicht nur in Hessen, sondern in ganz Deutschland aufführen. Es war eine rot-grüne Bundesregierung,die eine Arbeitsmarktreform auf den Weg gebracht hatte, die sich Hartz IV nannte. Diese Reform basierte auf dem Prinzip des Förderns und Forderns.Man wollte die Möglichkeiten,die die Gesellschaft hat, nutzen, aber auch den Druck auf die Arbeitslosen erhöhen, damit sie wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Außerdem sollten die Auswege durch Hartz IV verkleinert werden.

Diese Reform hat Sie sicherlich viel gekostet. Das war sicherlich keine einfache Diskussion unter den Sozialdemokraten. Sie war aus unserer Sicht völlig richtig. Sie war der richtige Weg, um den Sozialstaat in die richtige Richtung zu bewegen, nämlich in die Richtung, dass wir alles dafür tun müssen, dass Menschen in Deutschland Arbeit haben, und dass wir als Gesellschaft nicht zusehen dürfen, wenn die Menschen diese Möglichkeiten nicht wahrnehmen.

(Beifall bei der FDP)

Diese Reform haben Sie gemeinsam mit den GRÜNEN durchgesetzt und wurden dabei von CDU und FDP begleitet. Mittlerweile sind die Sozialdemokraten diejenigen, die all das wieder einrollen, was diese Reform ausgemacht hat. Frau Kollegin Fuhrmann, das halte ich für abstrus, weil Sie damit Ihre eigene Regierungszeit infrage stellen und weil Sie durch das,was Sie zurzeit tun,das konterkarieren und negieren, was gut und die Grundlage für die derzeitigen Erfolge in der Wirtschaft war; denn die Hartz-IV-Reformen sind ein Baustein in diesem Bereich. Deshalb ist doch völlig klar, dass die Leute fragen, weshalb das, was im Jahr 1999 und im Jahr 2001 von Herrn Schröder noch als richtig angesehen wurde, heute nicht mehr richtig sein soll. Kein Wunder, dass die Leute nicht mehr glauben, was die Sozialdemokraten ihnen erzählen.

(Beifall bei der FDP)

Die Mehrwertsteuererhöhung will ich an dieser Stelle erst gar nicht erwähnen.

In der Sozialpolitik sollten wir nicht das übliche Ritual unternehmen,wie es Frau Fuhrmann bei ihrer Vorstellung als Schattenministerin versucht hat, nämlich den Menschen zu suggerieren, man könnte mit einem Scheck in der Hand jedes Problem der Menschen in diesem Land lösen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Habe ich nicht gesagt! – Andrea Ypsilanti (SPD):Wer sagt denn so was? Sie drehen den Menschen das Wort im Mund herum!)

Sozialpolitik bedeutet nicht, Geld in die Hand zu nehmen und den Menschen zu geben, um das Gewissen zu beruhigen. Sozialpolitik bedeutet für Liberale, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Menschen aus eigener Kraft aus dieser Situation wieder herauskommen.Das ist es,was das Land braucht.

(Beifall bei der FDP)

Es ist doch kein Wunder, dass wir uns in dieser Situation befinden. In den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren haben wir Leistungsgesetz für Leistungsgesetz gemacht. Damit wurden die Leistungen des Staates immer mehr ausgeweitet.Ich gebe zu,dass auch FDP-Kollegen in einer sozial-liberalen Koalition daran beteiligt waren. Das war so, meine Damen und Herren. Es ist aber falsch gewesen. Wir müssen also zurück und nicht mehr den Menschen das Geld aus der Tasche nehmen, um es ihnen als staatliche Leistung nachher wieder zurückzugeben. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin Fuhrmann, ich freue mich und erkenne an, dass Sie die sozialpolitische Kompetenz der Freien Demokraten ansprechen. Mit Lord Dahrendorf, Karl-Hermann Flach, Friedrich Naumann, Thomas Dehler und Wolfgang Mischnick haben wir viele Personen, die die Sozialpolitik in Deutschland wesentlich mitgestaltet haben. An dieser Stelle möchte ich ein Zitat von Lord Dahrendorf erwähnen, das ein Stück weit die Probleme in dieser Politiklage demonstriert. Lord Dahrendorf hat gesagt: Die Neigung der Politik, jedes Problem mit staatlichen Programmen lösen zu wollen, korrespondiert mit der Neigung vieler Bürger, immer mehr Ansprüche an den Staat zu stellen. Die Trennung zwischen Freiheit und Verantwortung – möglichst viele Rechte und Freiheiten beim Bürger und möglichst viele Pflichten und Verantwortungen beim Staat – führt nicht nur zur Unfinanzierbarkeit dieses Systems, sondern zum Verlust von Freiheitlichkeit und Engagement in unserer Gesellschaft.